Darüber schrieb der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion im Tagesspiegel.
„Zwanzig Jahre und sechs Regierungen später hat sich in Deutschland eine gewisse Zukunftsernüchterung breitgemacht. Es ist paradox: Eigentlich geht es unserem Land so gut wie nie. Die Gesellschaft ist vielfältiger und offener geworden. Die Wirtschaft ist in bester Verfassung. Der Sozialstaat steht – bei allen Mängeln – auf festem Fundament. „Cool Germany“ titelte jüngst der britische Economist; 1999 hatte das Blatt Deutschland noch als „kranken Mann Europas“ bezeichnet. Dies sind nicht zuletzt die Früchte des rot-grünen Reformprojektes von 1998 bis 2005, das eben weit mehr als die Arbeitsmarktpolitik umfasste.“
Wäre es hier nötig zu erwähnen, welche Stellung der Niedriglohnsektor hat, wie viele Personen sich im Arbeitslosengeld II-Bezug (siehe auch hier) befinden und wie immer mehr das ganze Leben an Arbeitsmarkttauglichkeit ausgerichtet wird? Herr Schneider hat das sicher nur unabsichtlich übersehen. Schaut man darüber hinaus auf die Entwicklung der Erwerbstätigen und das Arbeitsvolumen (siehe hier, hier und hier), werden einem die Folgen des hohen Maßes an Teilzeitarbeit vor Augen geführt, der im Alter zu niedrigen Renten führt, wenn Teilzeiterwerbstätigkeit dauerhaft ausgeübt wird.
Nachdem Schneider die Erfolge befeiert hat, kommt er auf die Gründe dafür zu sprechen:
„Solcherlei Erfolge sind nur möglich, wenn die Parteien und ihre Vertreter auf der Höhe der Zeit sind. Sie müssen neue Problemlagen erkennen und analysieren – und wenn nötig die eigenen politischen Ansätze entsprechend verändern. Zum Beispiel waren die Agenda-Reformen ab 2003 aus meiner Sicht eine notwendige Anpassung sozialdemokratischer Politik an veränderte Verhältnisse, nämlich an einen dysfunktionalen Sozialstaat bei hoher Arbeitslosigkeit.“
Dass jüngst bezüglich Hartz IV aus der SPD auch andere Stimmen zu vernehmen waren, sei hier nur notiert. Was die Arbeitslosigkeit betrifft, stellt sich die Lage – siehe oben – anders dar, wenn alle Leistungsbezieher betrachtet werden. Außerdem ist der „Erfolg“ noch schmaler, wenn ein anderer Bezugszeitpunkt gewählt wird.
„Und auch das habe ich gelernt: Wer gestaltet, macht automatisch Fehler. Die Politik neigt dazu, diese zu negieren oder hinter Sprachkostümen zu verstecken. Warum eigentlich? Die Menschen sehnen sich nach Wahrhaftigkeit und Souveränität. Fehler einzugestehen ist souverän. Nur ein Beispiel: Ich finde, wir sind bei der Agenda 2010 an einigen Stellen über das Ziel hinausgeschossen. Die Zumutbarkeitsregeln für Arbeitslose waren zu hart und wir hätten parallel den Mindestlohn einführen müssen. Außerdem sind wir nicht genug gegen die Privilegien geschützter Berufsgruppen vorgegangen. Es ist gut, dass viele Fehler mittlerweile korrigiert wurden.“
Ach, nun doch ein Eingeständnis? Oder doch nicht? Hat sich denn an den sprachkosmetischen Vokabeln etwas geändert? Meines Wissens werden Arbeitslosengeldbezieher immer noch als „Kunden“ bezeichnet, ist das etwa keine Sprachkosmetik? Und die Einladung zum Gespräch bei der Arbeitsagentur ist faktisch noch immer eine Vorladung, wie der Blick auf die Rechtsfolgenbelehrung zeigt, wenn eine „Einladung“ nicht wahrgenommen wird.
Schneider äußerte sich recht früh schon zum Grundeinkommen und bezog deutlich Position „Grundeinkommen – ein gefährlicher Traum“ (siehe auch hier). Da hat sich also wenig bis gar nichts geändert in seiner Haltung und klingt eher danach, als teile er die Auffassung, dass mit einem BGE die Bürger „abgefrühstückt“ würden.
Sascha Liebermann