Expertenstudien: einfache Feststellungen oder komplexe Herleitungen?

Expertisen sind in unserer Zeit von enormer Bedeutung, ihre Ergebnisse allerdings alles andere als einfach zu verstehend, sie sind Fakten, Gemachtes, nicht einfach Vorfindbares – auch nicht in der Statistik (siehe „Lügen mit Zahlen – Statistik und Demoskopie“ und „Die Soziologin spricht über das Leben – und verwechselt es mit Statistik„). In jeder Diskussionsrunde in Fernsehen und Radio, bei öffentlichen Veranstaltungen wie bei Fachveranstaltungen werden Studien herangezogen, um zur Diskussion stehenden Fragen zu beantworten (siehe „So viele Erwerbstätige wie nie zuvor…“). Sehen wir einmal von solchen Studien ab, die bestimmte Interessenlagen bedienen sollen und nehmen nur Bezug auf solche, bei denen das Streben nach werturteilsfreier unabhängiger Begutachtung angestrebt wird. Die größte Schwierigkeit und Herausforderung besteht immer darin zu erkennen, was sich mit Hilfe einer Studie denn überhaupt aussagen lässt. Welche Schlussfolgerungen auf der Basis welcher Daten sind angemessen und tragfähig?

Studienergebnisse in ihrer Bedeutung einzuschätzen ist ein komplexes Unterfangen, das ohne Fachschulung oder ausgeprägte Beschäftigung damit, nicht möglich ist. Es reicht, um eine solche Bewertung anzustellen, nicht aus, Ergebnisse der einen mit Ergebnissen einer anderen Studie zur gleichen Frage zu vergleichen. Notwendig ist auch zu wissen, welche Daten wie erhoben und ausgewertet wurden. Nur wenn man um die Erhebung weiß, kann man die Qualität der Daten einschätzen. Nur wenn man die Auswertung zu Gesicht bekommt, kann man ermessen, wie ausgewertet worden ist und welche Schlussfolgerungen wie gezogen wurden.

Ein Beispiel für die hier behandelte Problematik bietet die vor wenigen Monaten vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin (WZB) veröffentlichte Studie, die sich mit der Wirkung von Studiengebühren auf die Studienneigung von Studenten befasst. Diese Studie hat unter anderem auch Jürgen Kaube in der FAZ (10.10.2011, online nicht verfügbar) rezipiert, um zu behaupten, dass Studiengebühren niemandem vom Studium abhalten. Wolfgang Lieb (Nachdenkseiten) hat sich diese Studie genauer angesehen und gibt somit einen Einblick in die Schwierigkeiten, eine Studie zu bewerten.

Aus diesen Betrachtungen folgt nun nicht, dass politische Entscheidungen, dass das Wollen eines Gemeinwesens von Studien beantwortet werden könnte, auch wenn mancher Experte das suggeriert. Studien können im besten Fall über Zusammenhänge und mögliche Auswirkungen aufklären. Entscheidungen können auf ihrer Grundlage sorgfältiger durchdacht werden. Wohin dann eine Praxis will, welche Folgen sie zu verantworten und auszuhalten bereit ist, das muss sie selbst entscheiden (siehe auch „Bürger, Experten, Demokratie“). Gestalten zu wollen, das ist der Sinn politischer Entscheidungen, geschieht – nach Abwägen von Vor- und Nachteilen – immer im Vertrauen darauf, dass sich auch unerwünschte Folgen bewältigen lassen. Daran führt kein Weg vorbei, es sei denn: man verzichtet darauf, Entscheidunge zu gestalten und lässt das Leben einfach auf sich zukommen

Sascha Liebermann

Wie eine Region, die ums Überleben kämpft, mit einem Grundeinkommen dastünde

Dazu hat Christian Müller (Agentur [zum] Grundeinkommen) einen kurzen und prägnanten Beitrag verfasst, der sich mit den Sorgen strukturschwacher Regionen befasst. Erschienen ist er im Kulturmagazin JULI. Auch wir haben dazu schon geschrieben, den Beitrag finden Sie hier: „Strukturschwache Regionen und Bedingungsloses Grundeinkommen„.

„Wir leben nicht über unsere Verhältnisse“…

…wir bleiben vielmehr unter unseren Möglichkeiten. Dieses Fazit könnte man aus einem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung ziehen, der von Gerd G. Wagner (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) verfasst wurde. Peter Bofinger hat vor mehr als einem Jahr schon darauf hingewiesen, dass wir unter unseren Verhältnissen leben.

„Die Freibier-für-alle-Partei“ – die FAZ über die Piraten

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist gestern ein längerer Artikel über das Bedingungslose Grundeinkommen erschienen. Auch er befasst sich mit der Entscheidung der Piraten auf ihrem Bundesparteitag, das BGE in ihr Programm aufzunehmen (siehe unsere Meldung hier). Seit dem Wochenende überschlagen sich Meldungen und Berichte über diese Entscheidung, einen kleinen Eindruck gibt „google alerts„. Der Artikel der FAZ wäre nicht der Rede wert, hätte er sich nicht diesen Titel in Anlehnung an „Freibier für alle“ gegeben. Schon andere hielten diesen einfallslosen, gar einfältigen Titel für besonders originell, um Kritik vorzubringen, z.B. Heike Göbel, ebenfalls FAZ, oder auch Joachim Schabedoth in der Frankfurter Rundschau vor einigen Jahren. Wir haben darauf geantwortet, zu Göbel hier und zu Schabedoth hier. Überhaupt lehren einen die platten Reaktionen (so auch gestern bei Markus Lanz) nur eines: trotz differenzierter Argumente für das Grundeinkommen, trotz einer sachlichen Auseinandersetzung mit den Einwänden dagegen löst es offenbar noch immer Abwehrreflexe aus.

„Nichts ist besser als gar nichts“ – heute auf 3SAT

Der Film von Jan Peters „Nichts ist besser als gar nichts“ befasst sich mit „Arbeit“ und dabei geht es auch um ein bedingungsloses Grundeinkommen unter Mitwirkung von Susanne Wiest und Sascha Liebermann.

Zum Film: “Jan Peters’ hintergründig ironisch erzählter Dokumentarfilm führt uns in die obskure Welt der Nebenjobs und der abenteuerlichen Geschäftsmodelle. Wir begegnen Sorgenvollen und Beladenen, Gleichmütigen, Hoffnungsfrohen und solchen, die voller Mut, Solidarität und Kreativität einen Ausweg aus ihrem Schlamassel suchen.” (Auszug aus der Synopse zum Film)

Vor etwas mehr als einem Jahr ist er ins Kino gekommen, nun wird er auf 3SAT gezeigt, heute abend, um 23.10 Uhr. Er steht auch schon zum Anschauen online bereit.

„PIRATEN sprechen sich für Bedingungsloses Grundeinkommen und Mindestlohn aus“

Laut Pressemitteilung haben sich die Piraten auf ihrem Bundesparteitag in Offenbach für die „Einsetzung einer Enquete-Kommission im Bundestag zur Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens ausgesprochen“. Hier geht es zum Antrag, der angenommen wurde. Bis zur Einführung eines BGEs will sich die Partei für die Einführung eines bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn einsetzen.

Für die öffentliche Grundeinkommensdebatte kann diese Entscheidung förderlich sein, sofern sie dadurch intensiviert wird, denn eine solche Entscheidung, wie die Piraten sie getroffen haben, verlangt nach weiteren klärenden Diskussionen. Es wird interessant sein zu beobachten, wie andere Parteien darauf reagieren, die sich fragen, welche Themen für die Bundestagswahl 2013 auf die Agenda gehören. Sicher wird es hier Abgrenzungen geben, womöglich wird auch versucht, die Piratenpartei gerade wegen dieser Entscheidung für das BGE lächerlich zu machen. Angesichts der fortgeschrittenen Debatte und differenzierten Argumenten für das BGE muss einem deswegen jedoch nicht bange sein.

Ob die Festlegung auf die Einführung eines Mindestlohn als Zwischenetappe zum Bedingungslosen Grundeinkommen hilfreich ist, wird sich zeigen müssen. Skepsis ist angebracht, denn ein Mindestlohn führt nicht dazu, die Stellung von Erwerbsarbeit aufzuweichen (siehe unsere Ausführungen dazu hier und hier) – ganz im Gegenteil: er befestigt sie. Hinzu kommt noch, dass ein Mindestlohn, der ein ausreichend hohes Einkommen sicherstellen soll, viel höher liegen müsste, als die bisher diskutierten Beträge. Machen wir ein Gedankenexperiment: Nehmen wir einmal an, dass eine alleinstehende Person mit einem Einkommen von 1200 Euro netto einigermaßen über die Runden kommen könnte, ohne dass besondere Bedarfe anfallen (selbstverständlich schwanken die Lebenshaltungskosten zwischen Regionen, Stadt und Land, stark, das sei hier nicht berücksichtigt). Dazu müsste der Mindestlohn für einen Vollzeitarbeitsplatz von 40 Stunden pro Woche bei 7,50 € netto liegen. Für ein Familie allerdings böte das noch gar keine Perspektive, selbst wenn er bei 10 € läge, es wäre schlicht zu wenig. Auch verschaffte es Eltern nicht mehr Freiraum, um sich ihren Kindern widmen zu können, da bei einem solchen Mindestlohn beide erwerbstätig sein müssten. Engagment jenseits der Erwerbstätigkeit würde in keiner Weise mehr anerkannt als heute, da Erwerbstätigkeit weiterhin Vorrang hätte. Die Mindestlohnforderung kann so auch zum Hindernis werden, weil sie das Denken bestätigt und festigt, das uns heute festhält.

Aktuelle Presseberichte zum Bundesparteitag:
Eine offene Partei und ihre Sorgen (Die Zeit)
Mehrheit für das Grundeinkommen (Süddeutsche Zeitung)
Plädoyer für Grundeinkommen (FAZ)

Sascha Liebermann

“Von einer kompensatorischen zu einer emanzipatorischen Sozialpolitik in Europa”

So war ein Symposium angekündigt, das in Wien stattfand und sich mit Entwicklungstrends der Mindestsicherungssysteme in Europa befasste. Auch wurde über die Möglichkeiten einer europaweiten Einführung eines Grundeinkommens diskutiert, hierzu berichtete Gerald Häfner (MdEP) von direktdemokratischen Instrumenten, deren Umsetzung mühevoll sei, laut Bericht des Netzwerk Grundeinkommen. Weitere Informationen finden Sie hier.

„Die Welt lässt sich nicht berechnen“ – sagt ein Mathematiker

Diese Aussage ist bemerkenswert, bedenkt man, welche Rolle heute mathematischen Modellen – in der Klimaforschung, der Volkswirtschaftslehre im besonderen, aber auch den Sozialwissenschaften im allgemeinen – beigemessen wird, mittels derer zukünftige Entwicklungen vorausgesagt werden sollen. Und wer sich mit dem Grundeinkommen befasst, dem ist der sogenannte Finanzierungseinwand vertraut, den die Skeptiker oder Kritiker den Befürwortern entgegenhalten. Nach der Finanzierung zu fragen, ist naheliegend und eine Erläuterung der Zusammenhänge, was es mit der Frage auf sich hat, ist unerlässlich. Sie fragt ja letztlich nach den Entstehungsbedingungen von Leistung, die die Grundlage dafür ist, Finanzierungsmittel für ein Grundeinkommen bereitstehen. Irreführend wird die Frage nur, wenn sie auf eine Berechnungsfrage reduziert wird, erst recht dann, wenn diese Berechnung in die Zukunft weisen soll. Wir haben auf die diese Problematik schon früher hingewiesen (siehe hier und hier). In einem Interview, das im Magazin brandeins abgedruckt ist, erklärt ein Mathematiker seine Aussage.

Hier ein Auszug:
brandeins: Zweifeln Sie die Klima-Erwärmung an?
Ortlieb: Nein, keinesfalls. Die Leute, die den Klimawandel prognostizieren, machen das nach bestem Wissen. Sie arbeiten mit qualitativ hochwertigen Methoden und mit einigermaßen gehärteten, naturwissenschaftlichen Daten. Diejenigen, die ihn anzweifeln, haben ja im Vergleich null Begründung. Dennoch sind die Zahlen, die genannt werden, nichts anderes als die verkürzte Darstellung einer wissenschaftlichen Hypothese. Und jeder Hypothese sollte man mit Skepsis begegnen, darin besteht Wissenschaft. Letztlich haben wir in den Klimawissenschaften dieselbe Situation wie bei der Volkswirtschaftslehre oder den Gesellschaftswissenschaften: Man kann keine Experimente machen. Die Zahlen beruhen nicht auf Erfahrung, sie sind eine reine Prognose und das Ergebnis von mathematischen Modellen. In Wahrheit weiß niemand so genau, welche Temperatur wir im Jahr 2100 haben werden.“

Sascha Liebermann

Mehrere neue Pressesammlungen zum Grundeinkommen

Seitdem Wolfgang Röhrig sein Archiv Grundeinkommen eingestellt hat, sind neue entstanden und berichten über die Diskussion um das Bedingslose Grundeinkommen. Sie sind unterschiedlichen Charakters, teils auch im Aufbau. Es wird sich zeigen, ob es zukünftig wieder eine zentrale Anlaufstelle herausschält oder verschiedene Portale unterschiedliche Aufgaben übernehmen. Hier die uns bekannten Adressen: