„Wer macht die unbeliebten Arbeiten?“ – Das Notwendige und die Freiheit

Antje Schrupp ist jüngst in ihrem Blog dieser Frage nachgegangen und hat sich dabei u.a. mit Ausführungen von mir beschäftigt, die in einem Video dokumentiert sind. Sie kritisiert, dass es bei bGE-Befürwortern einen blinden Fleck gebe:

„Das Liebermann-Modell (und viele männliche Grundeinkommens-Befürworter argumentieren ähnlich) baut darauf, dass sich mit dem Grundeinkommen neue Aushandlungsprozesse initiieren lassen, die dann höchstwahrscheinlich auf eine bessere Lösung als heute hinauslaufen. Das glaube ich in der Tat auch. Das Problem an dieser Idee ist nur, dass dieser Plan bei den meisten der klassischen Fürsorgearbeiten nicht funktionieren kann: Wenn Babies gewickelt und gefüttert werden müssen, wenn Alte versorgt werden müssen, dann kann man es nicht drauf ankommen lassen. Dann ist die Möglichkeit, dass es heute eben mal niemand macht, weil grad keiner Lust hat, keine Option, die wir zulassen können. Hier haben wir es nämlich nicht mit Dingen zu tun, sondern mit Menschen, mit Menschen, die auf die Hilfe anderer angewiesen sind, und zwar jetzt und sofort.“

Weiter heißt es:

„Deshalb [damit diese Tätigkeiten auch zukünftig erledigt werden, S.L.] brauchen wir an dieser Stelle eine Kulturdebatte, die die Freiheit, die ein Grundeinkommen bedeuten würde, nicht nur dahingehend interpretiert, dass wir dann alle „selbstbestimmt und autonom“ tun können, wonach uns der Sinn steht. Sondern wir müssen diese Freiheit dahingehend interpretieren, dass sie auch für die Einzelnen die Verpflichtung beinhaltet, das Notwendige zu sehen und sich ganz konkret für die Bedürftigkeit anderer Menschen (und idealerweise dann auch noch für andere Notwendigkeiten, wie das Kloputzen) verantwortlich zu fühlen.“

In der Tat geht es um wichtige Aufgaben, es geht auch um die Würde des Menschen, es geht aber auch um Demokratie. Dennoch erweist sich der „blinde Fleck“ als eine Herausforderung, deren Bewältigung nicht „sichergestellt werden“ kann, wie Antje Schrupp sich erhofft, zumindest nicht, ohne die Freiheit wieder aufzugeben, die mit dem bGE gestärkt werden soll. Auch heute gilt, dass 1) manche Tätigkeiten nicht übernommen werden, weil sich niemand dazu bereit erklärt und 2) eine Zwangsverpflichtung zum einen den Grundfesten der Demokratie widerspricht, zum anderen dem, was erreicht werden soll. Es bleibt nur eine öffentliche Debatte darüber, wie wir zu solchen Aufgaben stehen, Frau Schrupp spricht von Kulturdebatte, mehr ist nicht möglich, es sei denn, ein Zwangsdienst soll doch in Erwägung gezogen werden. Das sieht sie nicht vor, aber Formulierungen wie diese „Sondern wir müssen diese Freiheit dahingehend interpretieren, dass sie auch für die Einzelnen die Verpflichtung beinhaltet, das Notwendige zu sehen“ sind unklar. Was geschieht denn, wenn das „Notwendige“ nicht gesehen wird, wenn jemand die Verantwortung nicht übernehmen will? Wird dann doch eine Zwangsabordnung durchgeführt? Was wäre damit wohl erreicht?

Auf der Website gibt es zahlreiche Kommentare zum Beitrag, die deutlich machen, wie lebendig und differenziert die Diskussion um das bGE schon ist. Besonders herausheben möchte ich die Beiträge von Henrik Wittenberg (BGE-Köln), der den Finger in die Wunde legt, die die Freiheit schlägt.

Sascha Liebermann

„Lob der Knappheit“ – wie Rainer Hank die Welt sieht

Kürzlich war im SWR2 Forum ein Gespräch zwischen Götz W. Werner und Rainer Hank (FAZ) zu hören. Es ging um die Frage „Brüderlichkeit und Grundeinkommen. Wie funktioniert Solidarität heute“. Die Initiative Grundeinkommen Basel hat dankenswerterweise eine Abschrift des Gesprächs besorgt und stellt sie zur Verfügung. Wir zitieren aus dem News Blog:

„Konfrontation. Hörenswert.

Nicht oft wird die Struktur so deutlich, die als ehernes Gerüst in aller Auffassung gegen das Grundeinkommen steht.
Verführerisch sei die Idee des Grundeinkommens, sagt Rainer Hank. Doch wenn schon, ist die Gedankenführung seiner Vorstellungswelt das auch. Und hat schon viel mehr verführt. Immer mit dem Anspruch, dem nahe zu sein, wie die Realität nun einmal wirklich ist. Und sowieso und fraglos auch schon immer war. Ganz unbesehen, wie es für Millionen von Menschen heute im wirklichen Leben ist. Von Zukunft gar nicht erst zu sprechen.
Doch gelingt Rainer Hank das Auftreiben der Matrix gegen das bedingungslose Grundeinkommen in diesem Streitgespräch so krass, dass es vielleicht weniger um den unmittelbaren Widerspruch geht als darum, dies als ein Grundlagenwerk zum Verstehen der strukturellen Gegnerschaft zu nehmen.

Zu diesem Zweck stellen wir hier das Gespräch als redigierte Abschrift zur Verfügung.

Grundlegendes zum Verständnis der Gegnerschaft

Bedingungsloses Grundeinkommen im Schulunterricht – Nachtrag

Im August meldeten wir, dass die Thesen von „Freiheit statt Vollbeschäftigung“ in ein Lehrbuch für die Sekundarstufe II aufgenommen werden, das der Ernst Klett-Verlag herausgibt. Faktuell hat beim Verlag nachgefragt, zu welchem Zweck die Thesen aufgenommen werden und erhielt die Auskunft, dass der Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens Unterrichtsgegenstand sein soll:

„Unter dem Thema „Die Grundeinkommensstrategie“ werden in dem Lehrbuch insgesamt drei Quellentexte zum BGE mit zugehörigen Arbeitsaufträgen behandelt. Darunter ist auch der Text der Initiative „Freiheit statt Vollbeschäftigung“, der mittels neun einleitender Thesen das Bedingungslose Grundeinkommen als sozioökonomische Lösungsstrategie herleitet, entwickelt und begründet.

Die Schüler bekommen den Auftrag, sich darüber hinaus noch genauer über die verschiedenen Vorstellungen eines „Grundeinkommens“ zu informieren und dazu Stellung zu nehmen, so der Ernst Klett Verlag.“

Aufkleberaktionen in Hamburg und Berlin

Nach längerer Zeit werden wir wieder Aufkleberaktionen durchführen, um auf den Vorschlag eines bGE aufmerksam zu machen. Wie schon vor eineinhalb Jahren werden die Aufkleber im öffentlichen Nahverkehr angebracht und vier Wochen sichtbar sein. Als Orte haben wir Hamburg und Berlin ausgewählt. In Hamburg starten wir am 20. September, die Aufkleber sind dann zu sehen, bis das „Festival über Morgen“ beginnt. In Berlin starten wir voraussichtlich am 11. Oktober, die Aufkleber werden bis zur Anhörung am 8. November (Termin ist noch nicht definitiv!) von Susanne Wiest im Petitionsausschuss zu sehen sein. Sollte sich dieser Termin verschieben, verschieben wir entsprechend die Aktion.

Wenn Sie die Aktion unterstützen möchten, engagieren Sie sich aktiv dort, wo die Aufkleber zu sehen sind, z.B. im Rahmen der „Gespräche über Morgen“ oder spenden Sie uns einfach. Die Bankverbindung senden wir Ihnen auf Anfrage zu.

Öffentliche Anhörung zur Petition von Susanne Wiest – Aktionen zuvor

Am 8. November soll die Anhörung zur Petition von Susanne Wiest stattfinden. Inzwischen sind Veranstaltungen oder Aktionen in Vorbereitung, die die dazu beitragen wollen, dass das bedingungslose Grundeinkommen bis dahin mehr öffentliche Aufmerksamkeit erhält.
Das Archiv Grundeinkommen hat folgenden Vorschlag eines BGE-Befürworters veröffentlicht:

Er regt „Gespräche in den Bürgersprechstunden der Abgeordneten des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages an, um diese auf die BGE-Anhörung am 8.11.2010 vorzubereiten und über das BGE zu informieren. Fast alle Abgeordneten unterhalten eine persönliche WebSite und ein Wahlkreis- bzw. Bürgerbüro, über welches man mit ihnen in Kontakt treten kann. Diese Websites sind unter diesem Link schon mal zusammengesammelt.“

Weiterhin plant die Initiative „Unternimm das jetzt!“ eine Groß-Demonstration am 6. November, die den Höhepunkt einer Kampagane bildet. Mit zahlreichen kleineren Aktionen ist schon für das bGE geworben worden und es sollen weitere folgen. Näheres dazu finden Sie auf der Website des Portals, das von „Global Change“ unterstützt wird.
(Wir rätseln über die intransparente Darstellung von Global Change auf seiner Website. Kaum findet man genannte Personen, die dahinter stehen, außer einem der Gründer. Es werden Ämter genannt, aber keiner scheint sie inne zu haben. Machen Sie sich selbst ein Bild)

Von 20. bis 26. September findet wieder die Woche des Grundeinkommens statt.

GESPRÄCHE ÜBER MORGEN – große Grundeinkommensveranstaltung in Hamburg


Am 23. September wird der Auftakt zu den GESPRÄCHEN ÜBER MORGEN in Hamburg gemacht. Das Festival ÜBER MORGEN findet am 15. und 16. Oktober statt. Veranstalter sind das Hamburger Netzwerk Grundeinkommen, Zeitzeichen und Kampnagel.

Am 16. Oktober sind u.a. auch Ute Fischer und Sascha Liebermann zu Gast.

 

 

 

„Nichts ist besser als gar nichts“ – ein Dokumentarfilm auch über Grundeinkommen

Im November soll Kinostart für den Film „Nichts ist besser als gar nichts“ von Jan Peters sein. Darin geht es auch um ein bedingungsloses Grundeinkommen unter Mitwirkung u.a. von Susanne Wiest und Sascha Liebermann.

Zum Film: „Jan Peters’ hintergründig ironisch erzählter Dokumentarfilm führt uns in die obskure Welt der Nebenjobs und der abenteuerlichen Geschäftsmodelle. Wir begegnen Sorgenvollen und Beladenen, Gleichmütigen, Hoffnungsfrohen und solchen, die voller Mut, Solidarität und Kreativität einen Ausweg aus ihrem Schlamassel suchen.“ (Auszug aus der Synopse zum Film)

Vorab wird er bei den Festspielen in Leipzig (18.-24.10.10) und Hof (26.-31.10.10) gezeigt. Premieren wird es in einigen Städten geben. Nähere Informationen auf der entsprechenden Website.

Thesen von Freiheit statt Vollbeschäftigung im Lehrbuch für die Sekundartstufe II

Im Ernst Klett Verlag erscheint im November ein Lehrbuch für die Sekundarstufe II unter dem Titel „politik. wirtschaft. gesellschaft – Wirtschaftspolitik in der Sozialen Marktwirtschaft“. Darin werden die Thesen, die auf unserer Eingangsseite stehen, mit denen wir in 2003 begannen, für das bedingungslose Grundeinkommen zu werben, abgedruckt. Damit ist das Thema im Schulunterricht angelagt.

„Grundeinkommen. Geschichte – Modelle – Debatten“ – sorgfältige Lektüre geboten

Vor einigen Monaten hatten wir auf eine Neuerscheinung zum Grundeinkommen hingewiesen, die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert wurde. Das Buch Grundeinkommen. Geschichte – Modelle – Debatten, herausgegeben von Ronald Blaschke, Adeline Otto und Norbert Schepers, steht als Volltext online. Der Band will einen Überblick sowohl über die Vorläufer des heute diskutierten bedigungslosen Grundeinkommens geben als auch über die deutsche Debatte. Ein anspruchsvolles Vorhaben angesichts der zahlreichen Veröffentlichungen zum Thema. Dass hierfür selektiv vorgegangen werden muss, versteht sich von selbst, einen Anspruch auf vollständige Berücksichtigung zu erheben, wäre vermessen, und der Band erhebt ihn auch nicht.

Wie geht der Band, hier die Beiträge von Ronald Blaschke, vor? Verschiedene Vorschläge werden nach Kategorien sortiert und eingeordnet. Diese Kategorien wiederum leuchten manches Mal ein, so z.B. dass ein zu niedriges bGE nicht erlaubt, auf Erwerbstätigkeit zu verzichten. Andere Kategorisierungen jedoch entspringen der Werthaltung des Autors, nicht aber dem bedingungslosen Grundeinkommen als solchem. Wenn z.B. Vorschläge eines bGE, die auf Mindestlöhne und Arbeitszeitverkürzung verzichten, als neoliberal eingestuft werden (in Anlehnung an Thomas Löding, siehe S. 232), dann unterliegt dieser Einordnung eine bestimmte politische Bewertung (siehe meine Kritik „Schlagworte, Polemik, Kampfbegriffe“). Irreführend ist auch die willkürliche Rezeption von Argumenten. Zwar ist es missverständlich, wenn Götz W. Werner immer wieder einmal davon spricht, das bGE wirke lohnsubstitutiv, oder gar davon, dass Unternehmen die Löhne um diesen Betrag kürzen könnten. Zugleich jedoch macht er meist deutlich, welche Folgen ein bGE für Unternehmen hätte. Sie sähen sich verhandlungsstarken Bewerbern und Mitarbeitern gegenüber, denn Löhne müssten ausgehandelt werden (so z.B. in Einkommen für alle, S. 100 f.).

Verwunderlich sind solche sinnentstellenden Zitate und Einordnungen. Sollen bestimmte Befürworter in eine entsprechende Ecke gestellt werden? Den Eindruck kann man gewinnen. Von einem Band, der damit wirbt, einen Überblick über Modelle und Debatten zu geben, darf man erwarten, dass er analytisch klar kritisiert und auf widersprüchliche Äußerungen von bGE-Befürwortern aufmerksam macht. Tendenziöse Darstellungen hingegen, in denen unliebsame Äußerungen nicht zitiert werden, weil sie der Einordnung widersprächen, sprechen für sich.

Sascha Liebermann