Das Menschenbild des Grundeinkommens „ist nicht wünschenswert“ (Prof. Gerhard Bosch)

Im Funkhausgespräch auf WDR 5, am 30. März diesen Jahres, haben Götz W. Werner und Gerhard Bosch (Professor an der Universität Duisburg Essen) über ein bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert („Grundeinkommen – der Traum vom sorgenfreien Leben“). Die Einwände des Arbeits- und Wirtschaftssoziologen verdienen eine Kommentierung, denn an ihnen wird deutlich, wie tief das Mißtrauen gegenüber den Bürgern ist, wie sehr wir eine Politik machen, die von der Ausnahme und nicht von der Regel ausgeht.

Zuerst fiel das individualistische Menschenbild des Soziologen auf, der partout nichts vom „Staat“ geschenkt haben will. Er will sein Leben selbst gestalten und sein Geld selbst verdienen. – Was hat dies mit dem bedingungslosen Grundeinkommen zu sein? Offenbar hat es vor allem mit einem Menschenbild zu tun, das glaubt, es gebe einen einzigen Bürger in unserem Land, der sich selbst versorgen, der ohne die kollektive Unterstützung unseres Gemeinwesens überhaupt leben könne. Gerade Gerhard Bosch als Professor müßte es besser wissen, er muß sich nicht am Markt bewähren, kann als Beamter geschützt forschen und lehren. Und nicht einmal für den privatwirtschaftlichen Markt gilt, was er für den Einzelnen behauptet. Sonderbar, daß er genau für den Markt etwas einräumt, was er für den Einzelnen nicht gelten läßt: daß beide nämlich vom Gemeinwesen abhängig sind. Der Markt ist nur existent durch die ordnungspolitische Stabilisierung, die das Gemeinwesen leistet. Erstaunlich genug, daß ein Soziologe all dies behauptet, denn wir alle leben vom und im Gemeinwesen.

Darüber hinaus verbietet ein Grundeinkommen nicht, ein zusätzliches Erwerbseinkommen zu erzielen, genausowenig wie es vorsieht, die Lebensgestaltung in die Hand des „Staates“ zu legen – auch das behauptet Gerhard Bosch in der Sendung. Heute haben wir doch viel weniger Möglichkeiten, unser Leben zu gestalten, als es mit einem bedingungslosen Grundeinkommen der Fall wäre. Fragt man sich, woher all die sonderbar verdrehten Einwände gegen das Grundeinkommen herrühren, stößt man letztlich auf das, was dann auch eingeräumt wird: Gerhard Bosch hält das Menschenbild des Grundeinkommens für nicht wünschenswert. Eigentlich müßt er dann auch gegen die Demokratie sein, die auf den Gestaltungswillen des Einzelnen setzt; gegen die die marktwirtschaftliche Ordnungspolitik, die darauf setzt, daß Unternehmer und Unternehmen Güter und Dienstleistungen erzeugen.

Wo er mit den Konsequenzen seiner Einwände polemisch konfrontiert wird, gibt er sich erschrocken. Doch Sachhaltigkeit und Nüchternheit sind nicht dasselbe. Ein sachhaltiges Argument kann durch polemische Zuspitzung an Klarheit gewinnen – in nüchterner Askese läßt sich alles behaupten, ohne ein einziges Argumente vorzubringen.

Im Unterschied zum Paradies, also zu einem sorgenfreien Leben, wie es Gerhard Bosch einem Leben mit Grundeinkommen attestiert, wäre es eine enorme Herausforderung. Jeder Mensch stünde viel mehr als heute vor der Frage, was er mit seinem Leben anfangen will. Nicht mehr, sondern weniger Intervention des „Staates“ würde das Grundeinkommen bedeuten.

Wer Arbeitslosengeld II für ein Grundeinkommen hält, wie Gerhard Bosch, hat sich entweder nicht mit den Vergabebedingungen beschäftigt oder hält die rigide Kontrolle für erstrebenswert. „Aktivierung von Arbeitslosen“, „Druck“ sei notwendig, sonst würden wir die Bedürftigen sozial vernachlässigen. „Drogenabhängige Jugendliche“ benötigen sozialarbeiterische Unterstützung – wer hätte etwas dagegen – doch unter welchen Bedingungen findet sie heute statt? Freiwillig oder erzwungen?

Wer ALG II erhalten will, muß eine rigide Kontrolle und Durchleuchtung über sich ergehen lassen. Was wie beratende Hilfe dargestellt wird, ist heute tatsächlich eine Bevormundung und unterläuft die Voraussetzungen für eine gelingende Hilfe: nur wenn Rat und Hilfe freiwillig gesucht werden, werden die Selbstheilungskräfte des Einzelnen gestärkt. Erzwungene Hilfeleistungen setzen nur die Stigmatisierung fort, die wir heute schon erleben. Statt von den Ausnahmen her unser Sozialsystem zu entwerfen, wie es Gerhard Bosch tut, müssen wir von der Regel her denken. Statt ein Szenario der „sozialen Vernachlässigung“ zu entwerfen, die mit dem Grundeinkommen einhergehe, sollten wir uns einmal fragen, weshalb Einzelne nicht oder kaum in der Lage sind, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Wer in dieser Lage ist, wird durch ein Grundeinkommen gestärkt, er muß sich vor keiner Behörde mehr rechtfertigen, er könnte vom Grundeinkommen leben, solange es hoch genug ist.

Doch dem Einzelnen zu vertrauen, das fällt uns besonders schwer (siehe auch „Grundeinkommen – ein gefährlicher Traum“, von Carsten Schneider (MdB, SPD): ) da werden alle möglichen Einwände mobilisiert und Gefahren mahnend beschworen, die doch letztlich nur eines offenbaren: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – und genau damit würde das bedingungslose Grundeinkommen Schluß machen.

Sascha Liebermann

"Nie wieder Hartz IV" (Die Zeit) – wahrlich weltfremd

In Die Zeit vom 12.4.2007 hat sich Kolja Rudzio in dem Beitrag „Nie wieder Hartz IV“ mit dem Grundeinkommen beschäftigt. Derselbe Autor hatte sich schon einmal im September 2005 in dem Beitrag „Sozialhilfe für alle“ zum Grundeinkommen geäußert.

Nach einer kurzen Darstellung kursierender Vorschläge zum Grundeinkommen, in der auch wieder einmal manches durcheinander geht, die Negative Einkommensteuer mit dem bedingungslosen Grundeinkommen gleichgesetzt wird und betont werden muß, daß das Grundeinkommen nichts Neues sei, sind die abschließenden Ausführungen die eigentlich interessanten.

Dort heißt es z.B.: „Alle Rechenspiele haben einen Pferdefuß: Ihr Ergebnis steht und fällt mit der Frage, wie sich das Verhalten der Menschen ändert, wenn das mühelose Einkommen gesellschaftliche Realität ist.“

Ganz genau, das können wir nicht vorhersagen, wir können aber sehr wohl daraus, wie die Menschen in der Vergangenheit gehandelt haben, nach welchen Überzeugungen sie dies taten, Schlußfolgerungen darauf ziehen, was ihnen wichtig ist und ob es wahrscheinlicher ist, daß sie Möglichkeiten der Selbstbestimmung ergreifen oder sich dirigieren lassen werden.

Weiter heißt es in dieser Passage: „Werden die, die heute noch brav [Hervorhebung SL] zur Arbeit gehen und Steuern zahlen, dann genauso viel schuften wie bisher? Oder würden sich immer größere Milieus an Alimentierung gewöhnen und dauerhaften Anstrengungen gar nicht mehr gewachsen sein?“

Ob die Einzelnen brav, also gehorsam und obrigkeitsliebend zur Arbeit gehen werden, das scheint den Autor mehr zu kümmern als die Frage, was denn dagegen spricht, daß sie die Freiheiten ergreifen werden. Man könnte meinen, heute lebten wir in einem Gefängnis, als kontrollierten Wärter die Folgsamkeit der Insassen – dabei leben wir in einer Demokratie. Kolja Rudzio hat in die Bürger und ihr Verantwortungsempfinden wenig Vertrauen. Was ist nun weltfremd, die Einschätzung Kolja Rudzios oder das Vertrauen in die Bürger?

An einer anderen Stelle heißt es: „Menschenbilder bietet die Wissenschaft zuhauf. Aber eine Prognose, wie sich eine Gesellschaft langfristig verändern würde, lässt sich nicht ableiten. Auch in der Praxis gibt es kaum Erfahrungen.“

Was wäre daraus nun zu folgern? Etwa dies, daß es abwegig ist, den Bürgern zu vertrauen, weil ihr Handeln nicht berechenbar ist; daß also, weil man die Bürger nicht berechnen kann, ihnen auf keinen Fall vertraut werden sollte?

Weise heißt es später: „’Aber viele junge Leute müssen wir mit unendlich viel Aufwand für Arbeit begeistern, weil sie immer wieder die Erfahrung machen, dass sie auch so Geld bekommen.’ Sie wüssten genau, was sie im Amt erzählen müssten, damit ihnen keine Leistungen gestrichen würden.“

Diese jungen „Leute“ sind also lebensklug, könnten wir sagen, sie spüren genau, in welche Mühle wir sie drängen. Was haben wir der Jugend denn zu bieten, außer den ewiggleichen, freiheitsfeindlichen Sprüchen der vergangenen 10 Jahre? Daß eine gewisse Verweigerungshaltung auch Protest ist, aus einem Ohnmachtsempfinden heraus geschieht – wer würde das bezweifeln. Wenn tagein tagaus in der öffentlichen Diskussionen, den politischen Stellungnahmen und der Schule verkündet wird, individuelle Neigungen und Interessen seien unbedeutend oder nachrangig, die Hauptsache es werde irgendeine Arbeit gemacht – dann sollte uns das nicht überraschen. Statt dessen täte es not, nach den Gründen zu fragen.

In der Fortsetzung der Äußerung wird es noch deutlicher: „’Die haben ihr bedingungsloses Grundeinkommen schon!’ Deshalb sei auch die Bereitschaft groß, eine Lehre abzubrechen. ‚Es fehlt immer häufiger der Wille, bei der Arbeit auch einmal einen Konflikt durchzustehen’, sagt Henke, der seit über 30 Jahren im Arbeitsamt tätig ist.“

Auch hier sollten wir uns nach den Gründen fragen. Weshalb einen Konflikt durchstehen und woher die Kraft dafür nehmen, wenn man sich mit der Sache, um die es geht, nicht identifiziert, wenn sie den eigenen Interessen nicht entspricht?

Schließlich zeigt sich, was für real gehalten wird: „Die Idee eines allgemeinen Grundeinkommens erscheint da manchen wie ein Befreiungsschlag zur Überwindung der sozialpolitischen Ohnmacht. Ginge es aber nur um das Ziel, den Menschen Alternativen zur Erwerbsarbeit zu ermöglichen, so ließe sich das auch ohne einen kompletten Systemwechsel erreichen. Geld ohne klassische Arbeit – Beispiele für eine schrittweise Umsetzung sind das Elterngeld [man höre und staune, als sei das ein Schritt in die Freiheit] oder die Anrechnung von Erziehungszeiten bei der Rente. Auch Bafög, Altersteilzeit oder Arbeitslosengeld könnten weniger restriktiv gewährt werden. Selbst eine staatliche Förderung von Sabbaticals ist denkbar. Das alles ist zwar weniger berauschend als die große Sozialutopie vom Einkommen ohne Arbeit – aber real.“

Da läßt sich nur resümieren: Wer nicht verstanden hat, daß wir schon heute in die Bürger vertrauen müssen und es tun, auch wenn wir dies nicht wahrhaben wollen, denn ohne Vertrauen ist eine Demokratie gar nicht möglich; wer nicht wahrhaben will, daß Mitarbeiter in Unternehmen produktiv und kreativ sind, wenn sie eine Aufgabe gerne übernehmen, sich mit ihr identifizieren, wer also all das verleugnet und für irreal hält, der – und nicht das bedingungslose Grundeinkommen – ist wahrlich weltfremd.

Sascha Liebermann

Fundamentalismus und Staatsdirigismus – ein Nachtrag zur Krippendiskussion

Daß „Berlin Mitte“ (ZDF) eine Sendung ist, in der die Moderatorin durch ihre Voreingenommenheit und herablassende Haltung eine sachliche Diskussion erschwert, wenn nicht verhindert, ist allzu bekannt. Schon der Titel der jüngsten Sendung „Glaubenskrieg um ‚Rabenmütter’“ ließ nichts Gutes ahnen. Bischof Mixa (Interview Tagesschau), der in jüngster Zeit durch drastische und klare Äußerungen in Erscheinung getreten ist und für eine Stärkung der Eltern argumentiert, die ihre Kinder zuhause versorgen möchten, wurde schon zu Beginn in die Ecke gestellt.

Bischof Mixa schlug vor, das Geld, das für den Ausbau verwendet werden soll, den Eltern zu geben. Sie hätten dann finanziell eher die Möglichkeit, entweder zuhause zu bleiben oder – das läßt sich erschließen – sogar Betreuung selbst zu organisieren. Darüber hinaus kann das Gemeinwesen Betreuungsplätze bereitstellen, auch das hält er für selbstverständlich. Doch bei all den guten Vorschlägen wurde auch deutlich, wie sehr die Überlegungen in der gesamten Diskussion eines immer voraussetzen: daß es nicht andere Wege gibt, die wir beschreiten könnten.

Alleine die von der Moderatorin als „Stütze empfangen“ titulierte Entscheidung von Eltern, zuhause zu bleiben, macht deutlich, wie stark jegliches Engagement jenseits der Erwerbsarbeit, das für unser Gemeinwesen wesentlich ist, abgewertet wird. Daß Eltern zuhause bleiben, ist dasselbe, als seien sie arbeitslos, so muß die Gleichsetzung verstanden werden – das Erwerbsideal läßt grüßen. Daran ist deutlich zu erkennen, wohin alle streben sollen: in den Arbeitsmarkt. Die Krippenplätze sollen gerade nicht – bei allen Versicherungen – eine Wahlfreiheit befördern, die heute ohnehin nur diejenige Familie hat, deren Haushaltseinkommen hoch genug ist, damit ein Elternteil zuhause bleiben kann. Für solche Haushalte mit geringem Einkommen ist dies gar nicht möglich, sie sind nicht selten auf Betreuungsplätze angewiesen.

Wenn dann auch noch die Unternehmen für ihre wenig familienfreundliche Personalpolitik gescholten werden, lenkt dieses Gefecht nur von der eigentlichen Frage ab. Wer soll Entscheidungen treffen, wer soll Wahlfreiheit haben – die Bürger oder der Staat? Auch Renate Schmidt (SPD) reduziert die Frage der Wahlfreiheit auf ein finanzielles Problem, „Anreize“ müßten – natürlich durch den Staat – richtig gesetzt werden. In allen politischen Fragen scheint genau dieses Denken das größte Hindernis einer Umgestaltung unserer Ordnungspolitik zu sein. Offenbar droht unserem Gemeinwesen – nach Ansicht einiger – die größte Gefahr von seinen Bürgern. Je mehr Entscheidungen wir ihnen geben, desto schlimmer werde es.

Dabei wäre alles so einfach, würden wir uns Bürgern mehr zutrauen. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen wären all diese Fragen auf einfache Weise und mit tatsächlicher Wahlfreiheit gelöst.

Sascha Liebermann

Hellseher und Durchblicker oder Wie unsere Journalisten uns expertenhaft bevormunden

Seitdem in der letzten Märzwoche zwei Studien zur Finanzierbarkeit des Solidarischen Bürgergelds (Dieter Althaus, CDU) vorgestellt wurden, überschlagen sich die Meldungen zum Grundeinkommen. Die Kommentare und Erwägungen nehmen zu, damit aber auch die alten Mißverständnisse und bevormundenden Kommentare der Journalisten. Aus diesem Anlaß seien hier drei Zeitungsartikel etwas ausführlicher besprochen.

Wenn es in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in einem Beitrag mit dem Titel Geld für alle“ heißt, der Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens sei nicht neu, wird man hellhörig. Dann folgt der Vergleich mit dem Modell einer Negativen Einkommensteuer. Sie ist nun gerade nicht, was mit dem bedingungslosen Grundeinkommen bezweckt wird: während letzteres eine Vorleistung darstellt und sich am Bürgerstatus orientiert, hält die Negative Einkommensteuer am Erwerbsideal fest, sie ist eine Ausgleichsleistung für zu geringes Erwerbseinkommen. Wir haben dies schon mehrfach kommentiert (Hier und hier), aber es kann nicht oft genug gesagt werden.

Im selben Artikel wird auch darauf hingewiesen, daß heute Sonderbedarfe geltend gemacht werden können, z.B. von Menschen mit Behinderung, und daß es ungerecht sei, wenn sie nach Einführung eines bGE wegfielen. Dieser Einwand hat nun nichts mit dem bedingungslosen Grundeinkommen zu tun, sondern damit, ob wir diese Sonderbedarfe weiter bereitstellen wollen. Wenn es der Zweck des bGEs ist, die Bürger in ihrer Selbstentfaltung zu stärken, dann müssen diese Sonderbedarfe weiter geltend gemacht werden können. Nicht allzuviel Denkanstrengung verlangt es, diesen Einwand gegen das bGE auszuräumen, sofern man dazu bereit ist. Es wird eine vernünftige Entscheidung auf einmal zum Problem erklärt, wie folgendes Zitat zeigt: „Schon bei den vergleichsweise kleinen Änderungen von Hartz IV hätte keiner gedacht, wie sich das auf das Verhalten der Menschen auswirkt. Da wurde Jugendlichen angeboten, ihnen eine eigene Wohnung zu bezahlen, und sie sind ausgezogen.“ Wunderbar, können wir nun sagen, denn das Elternhaus zu verlassen, um einen eigenen Haushalt zu gründen ist der erste Schritt ins Erwachsenendasein. Wollen wir das etwa nicht, wollen wir nicht die Selbstbestimmung der Bürger fördern, für die ein eigener Haushalt eben wichtig ist? Über einen solchen Einwand kann man nur staunen, er muß aus der verzweifelten Abwehr des bGEs geboren sein. Dann darf die Bemerkung nicht fehlen: Wo keine Ausbildung verlangt werde, um Einkommen zu erzielen, werden Jugendliche verwahrlosen – wer so denkt, sollte die DDR wieder errichten mit all den Erziehungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die doch unsere „Superliberalen“ eigentlich gar nicht wollen. Sonderbar, daß gerade sie immer den Untergang voraussehen, wenn mit der Freiheit der Bürger ernst gemacht werden soll.

Der Beitrag schließt mit der Bemerkung: „Und so werden wohl vor allem abgewandelte Modelle in der politischen Diskussion Umsetzungschancen haben – solche, bei denen die Empfänger immer noch Arbeit haben oder suchen müssen.“ Diese Schlußfolgerung erwächst aus der Ungewißheit darüber, wie denn nun die Einzelnen mit der Freiheit umgehen werden – als sei dies heute nicht ebenso ungewiß und wenig vorhersehbar, außer: Wir gehen davon aus, daß die Einzelnen vernünftige Entscheidungen treffen und tun, was sie für richtig halten. Weshalb sollte ein bGE daran etwas ändern?

Daß es beim bGE um eine alte Idee geht, diese Scheinweisheit muß auch Hannes Koch in der taz im Beitrag „Ein rasches Ende für Hartz IV“ verbreiten. Bei aller Kritik an Hartz IV heißt es undifferenziert: „Die Konzepte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, des thüringischen CDU-Ministerpräsidenten Dieter Althaus oder des Drogerie-Unternehmers Götz Werner unterscheiden sich in der Höhe der vorgeschlagenen Geldzahlung – nicht aber im Bruch mit dem Hartz-IV-System.“ Auch wenn ein Wegfall der Kontrollbürokratie schon ein wichtiger Schritt wäre, darf doch nicht übersehen werden, was die Folge eines niedrigen bGEs ist. Durch einen zu niedrig angesetzten Betrag, wie bei Straubhaar und Althaus, entsteht ein mittelbarer Erwerbszwang. Wer ist in der Lage, mit einem Bürgergeld von 400 oder 600 € tatsächlich noch Jobs abzulehnen, in denen nur 2,50 € pro Stunde bezahlt werden, wie es Hannes Koch behauptet? Zwar würde es die Sozialbürokratie nicht mehr geben, verdingen müßten sich die Bürger dennoch, denn ein solch niedriges Grundeinkommen läßt einem nicht die Wahl, die Kontrolle bzw. der Zwang werd en nur anonymisiert: Statt von der Arbeitsagentur wird er von den niedrigen Einkommensverhältnissen ausgeübt.

Hannes Koch führt weiter aus: „Hartz IV steht für das Prinzip der Vergesellschaftung durch Zwang, das Grundeinkommen für Sozialisierung durch Würde. Darüber zu streiten, welches der beiden Menschenbilder richtig ist, macht Spaß, führt aber nicht zum Ergebnis. Weil beide Seiten letztlich nur anekdotische Evidenzen anführen und Glaubenssätze vorbringen können, ist die Frage nicht zu entscheiden.“ Um sicher zu gehen, daß man ihn verstanden hat, sollte der Satz noch einmal gelesen werden. Die Verläßlichkeit der Bürger, ihre Loyalität zu unserem Gemeinwesen, das umfangreiche ehrenamtliche Engagement, das Wissen darum, daß Leistung nur dort erbracht wird, wo der Einzelne sich mit einer Sache identifiziert – all das ist nur anekdotische Evidenz? Hat den Verfasser das Denken verlassen? Die von ihm gezogene Schlußfolgerung wird dann verstehbar, wenn als Kriterium sicheren Wissens nur gilt, was gezählt und gemessen werden kann – was nicht gezählt und gemessen werden kann, das gibt es nicht. Erstaunlich ist die Zahlengläubigkeit und noch erstaunlicher die Denkvergessenheit, denn wäre Berechnungen an erster Stelle jemals Grundlage politischer Entscheidungen gewesen, hätte sich in der Weltgeschichte nicht allzuviel bewegt. Es hätte die Wiedervereinigung nicht gegeben – die manche genau deswegen für einen Fehler halten, weil die Folgen nicht berechnet worden sind.

„Nicht nur deshalb fällt es schwer, an die baldige Einführung des Grundeinkommens zu glauben. Den gigantischen Systemwechsel, bei dem wir 800 Milliarden Euro umlenken, alle Sozialabgaben abschaffen, wahlweise die Einkommensteuer oder Mehrwertsteuer auf 50 Prozent erhöhen, wird es vorerst nicht geben. Diese Megareform überfordert das Politiksystem und seine Politiker.“ Hier spricht der Hellseher, der stets schon weiß, was möglich sein wird und den anderen Unvermögen attestiert, um daraus sogleich sein Urteil zum Besten zu geben. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, da war unsere Bundeskanzlerin klüge
r. Wer nichts verändern will, muß nur stets verkünden, daß Veränderung nicht möglich sei – die wahren Blockierer sind also die Journalisten, die sich diese Urteile anmaßen, nicht die Politiker und das System, dem Unfähigkeit bescheinigt wird.

Wer nun schon zu dieser Einschätzung gelangt ist, faßt kleinere Schritte ins Auge, denn er will ja nicht den jugendlichen Irreleitungen der Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens anheimfallen, er will ja Realist sein und die wahrhaft wirklichen Möglichkeiten ausloten. Zumindest soll es, so Hannes Koch, eine liberalere Grundsicherung als die heutige geben. Auch hält er Beträge von 400 bzw. 600 €, wie sie im Zusammenhang mit dem Solidarischen Bürgergeld genannt werden, für zu niedrig und fordert mindestens 800. Doch nicht alle sollen es erhalten, nur Bedürftigen soll es bereitgestellt werden, denn: „Die Drohung mit verschärfter Armut fiele damit weg – die Pflicht zur Arbeit aber keineswegs. Der Verzicht des Staates auf juristische und materielle Strafen bedeutet ja nicht, dass die Gemeinschaft keine berechtigten Ansprüche an die Erwerbslosen mehr richten dürfte. Es bleibt richtig, von jedem erwachsenen Menschen zu verlangen, dass er sein eigenes Leben durch selbstverantwortliche Tätigkeit gestaltet und finanziert. Man soll ihn drängen, überzeugen, überreden, wenn nötig nerven. Nur hat es in den wenigsten Fällen Sinn, Selbstverantwortung zu erpressen. Erzwungene Arbeit nützt meist weder dem Arbeitenden, noch bringt sie der Allgemeinheit einen ökonomischen Vorteil.“ Besonders der Schluß klingt liberal freimütig, eine Bedürftigkeitsprüfung bliebe erhalten, damit auch eine Kontrolle. Die Bereitschaft zum großen Schritt fehlt dem Verfasser; was anderen attestiert wird, scheint aus einem Vorbehalt gegen sich selbst entstanden zu sein.

„Warum das Bürgergeld leider nicht funktioniert“, titelte die Welt und attestiert dem Althausmodell bei allen Vorteilen „…zwei entscheidende Mängel, einen politischen und einen psychologischen. Im föderalen Partei- und Verbändestaat wird dieses radikale Modell niemals durchgehen…“. Auch hier sind wieder hellseherische, also bevormundende Kräfte am Werk. Ist denn jemals eine weitreichende Reform irgendwo durchgeführt worden, die nicht erst erkämpft werden mußte? Wie stellen sich Journalisten politische Gestaltung vor, etwa wie bei „Mensch ägere Dich nicht“? Selbstverständlich muß es eine breite öffentliche Diskussion geben, sie ist auf dem besten Wege. Dann sehen wir weiter. Der eigentliche Grund des Vorbehalts findet sich allerdings an anderer Stelle: „Der psychologische Fehler liegt in der Annahme, daß Menschen freiwillig arbeiten werden, auch wenn sie bedingungslos Geld vom Staat bekommen. Für eine Mehrzahl mag das gelten, aber die Minderheit derer, die sich ins Private zurückzieht, wird dramatisch anwachsen und das System sprengen“. Also, die Mehrheit wird schon arbeiten und sich engagieren, dann ist die „psychologische“ Vermutung doch richtig, die dem bGE innewohnt. Diejenigen, die sich zurückziehen wollen, sind ja nur eine Minderheit, auch wenn sie „dramatisch anwächst“, eine Minderheit, die wir ohnehin nie erreichen werden, es sei denn durch bevormundende Maßnahmen. Auch hier treffen wir sie wieder, die Freunde des DDR-Sozialismus: „Alle, die heute hart in einem Job arbeiten, der ihnen keinen Spaß macht, werden eine Neigung zum Privatisieren verspüren“. Um so besser, dann behindern sie nicht weiter den Wertschöpfungsprozeß – für unser Gemeinwesen ein Effekt, den wir nur willkommen heißen können. Überraschend der Beginn der folgenden Äußerung: „Nicht jeder wird dem Impuls nachgeben, aber die völlige Entstigmatisierung von staatlicher Hilfe führt unweigerlich zu einem Ansturm auf die Leistungen. Gesellschaftliches Stigma, so häßlich es auch ist, schützt die Staatskasse vor dem Kollaps“. Hatte der Verfasser nicht der Analyse von Althaus zuvor noch zugestimmt? Ist es nicht heute gerade so, daß die Sicherungssysteme nicht mehr taugen? Wer die volkswirtschaftlichen Wertschöpfung kennt, weiß, wie leistungsfähig unser Land schon heute ist und wie leistungsfähig es wäre, wenn wir anerkennten, daß Freiwilligkeit die Grundlage aller Leistung ist. Genau dies hat der Verfasser nicht begriffen, wenn es am Ende heißt: „Das solidarische Bürgergeld konterkariert den Erwerbstrieb und bedroht damit die Grundlage von Wirtschaft, Wohlstand und Sozialstaat“. Wo ein Trieb ist, will er sich entfalten, dazu bedarf es also keiner Kontrollapparate. Das Streben nach Selbstbestimmung ist heute Grundlage unseres Gemeinwesens, ohne sie wäre es gar nicht denkbar. Doch unsere Journalisten scheinen dies gar nicht oder allenfalls nur für sich selbst gelten zu lassen.

Sascha Liebermann

Freiheit der Bürger und Beschäftigungsförderung – ein und dasselbe?

Die öffentliche und politische Aufmerksamkeit für ein bedingungsloses Grundeinkommen hat seit Jahresbeginn erheblich zugenommen. Am Montag, den 26. März, hat das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut eine Studie vorgelegt, die dazu dienen soll, die Finanzierbarkeit eines Solidarischen Bürgergeldes zu plausibilisieren. Heute legte die Konrad Adenauer Stiftung ebenfalls eine Studie mit demselben Zweck vor. Für eine solche Plausibilisierung reicht es aus, bisher vorhandene Mittel zur Finanzierung von Transferleistungen (z.B. Sozialbudget) modellhaft in ein Grundeinkommen umzurechnen. Diese Studien sind hilfreich und ihr Stellenwert für die weitere Diskussion ist beträchtlich, denn sie sprechen etwas in aller Deutlichkeit aus, das in der Diskussion noch immer nicht genügend Berücksichtigung gefunden hat: Berechnungen sind statisch, sie stellen Simulationen auf der Grundlage von bestimmten Annahmen dar (ceteris paribus). Sie erlauben keine Aussagen zu tatsächlichen Auswirkungen eines bedingungslosen Grundeinkommens, denn welche Entscheidungen in der Zukunft unter veränderten Lebensmöglichkeiten, wie sie das bGE schafft, getroffen werden, ist nicht vorhersehbar. Daß diese Grenze der Aussagekraft von Berechnungen offen ausgesprochen wird, öffnet womöglich den Blick für die systematischen Fragen, also die Fragen nach den Überzeugungen, denen Bürger in ihren Entscheidungen in der Regel folgen.

Und hier haben die Studien eine Schwachstelle. Sie unterschätzen, wenn nicht sogar übersehen, welche Bedeutung es für mögliche Auswirkungen hat, daß das bGE zuallererst die Bürger als Bürger anerkennt, ihnen den gebührenden Platz einräumt: das bGE ist ein Bürgereinkommen und keine Sozial- oder Hilfeleistung. Im bGE kommt zum Ausdruck, welche Bedeutung wir der Freiheit der Bürger, der Möglichkeit zur Selbstentfaltung für unser demokratisches Gemeinwesen einräumen. Nicht beschäftigungsfördernde Effekte z.B. im Niedriglohnbereich stehen im Zentrum, wie die um Akzeptanz ringenden Studien sich bemühen deutlich zu machen. Solche Effekte sind nur Neben-Effekte einer freiheitlichen politischen Ordnung, die in der Bereitstellung eines bGE deutlich wird.

Um mögliche Auswirkungen zu ermessen ist die Ausgestaltung entscheidend, dazu gehören z.B. die Höhe des bGE, ob es von der Wiege bis zur Bahre bereitgestellt wird, also immer verfügbar ist, ohne auf zusätzliche Einkommen angerechnet zu werden. Wer die Auswirkungen erwägen und einschätzen will, muß sich Gedanken darüber machen, weshalb wir Bürger so handeln, wie wir handeln.

Wie weit die FDP von einer freiheitlichen Ordnung entfernt ist, läßt sich in einem Stern-Interview mit Andreas Pinkwart nachlesen.

Sascha Liebermann

Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens?

Die Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens haben deutlich an Zahl zugenommen, nicht nur in der öffentlichen Diskussion melden sie sich zu Wort, auch Parteien und Experten nehmen den Vorschlag heute ernster als noch vor einem Jahr. Die zunehmende Popularität hat allerdings nicht nur zu einer Verbreitung der Idee, sondern auch der Begriffe geführt, mit denen sie formelhaft in Verbindung gebracht wird. Seit einiger Zeit ist deutlich geworden, daß unter der Flagge auch Schiffe segeln, die mit der Idee mehr oder weniger, bisweilen gar nichts mehr gemein haben.

Jüngst wurde Meinhard Miegel in einem Interview gefragt, ob er das bedingungslose Grundeinkommen unterstütze, hier seine Antwort:

„Wir führen eine Diskussion über dieses bedingungslose Grundeinkommen. Ich finde diese Diskussion symphatisch, aber es gibt noch eine ganze Reihe von ungelösten Problemen. Diese müssen gelöst werden. Das Hauptproblem sind schrankenlose Mitnahmeeffekte. Ich vertrete die Auffassung, dass ein Grundeinkommen gewährt werden sollte und zwar von der Wiege bis zur Bahre. Andere Sozialleistungen sollen dann aber ersatzlos gestrichen werden. Gleichzeitig soll jeder Erwachsene, sagen wir vom 18. bis zum 70. Lebensjahr, eine Verpflichtung zu sozialer Tätigkeit eingehen müssen. Und wer diese soziale Arbeit nicht auf sich nehmen will, der bekommt auch kein Grundeinkommen.

Zwei Stellen in dieser kurzen Passage sagen, was Meinhard Miegel mit dem Vorschlag verbindet. Mitnahmeeffekte kann es nur geben, wenn Leistungen (zweckgebundene Subventionen) mißbraucht werden, sie also in Anspruch genommen werden, obwohl kein Bedarf besteht bzw. ein Handeln auch zustande gekommen wäre ohne diese Leistungen. Schon hieran ist abzulesen, daß das bedingungslose Grundeinkommen nicht mehr das ist, was es bezeichnet. Wenn jeder Staatsbürger Anspruch (Individualanspruch) auf das bGE hat und es nicht als zweckgebundene Subvention zu verstehen ist, kann es keinen Mitnahmeeffekt geben. Das bGE entspricht ja vielmehr einer zweckungebundenden Subvention für alle Staatsbürger.

Die zweite aufschlußreiche Stelle bedarf kaum eines weiteren Kommentars. Wird die Gewährung des bGEs an Altersstufen geknüpft, ist der Individualanspruch von der Wiege bis zur Bahre aufgegeben. Wer eine Verpflichtung zu sozialer Tätigkeit vorsieht, verkehrt das bGE in eine Sozialleistung alten Stils, also dem Geiste nach in das, was wir heute mit Arbeitslosengeld I und II schon haben.

Die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens ist nur gesichert, wenn seine Gewährung nicht von einer zu erbringenden Leistung abhängig gemacht wird. Sein Bezug darf lediglich vom Status abhängig sein. Deswegen ist die allgemeine Bestimmung notwendig, daß Staatsbürgerschaft oder auch eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis Voraussetzung sind. Neben dieser Bestimmung spielt die Höhe des bGEs eine entscheidende Rolle. Ist der Betrag zu niedrig angesetzt, diese Gefahr besteht beim Solidarischen Bürgergeld und der Grünen Grundsicherung (hier ein Kommentar von Thomas Poreski zu meiner jüngst geäußerten Kritik , dann erzeugt das bGE mittelbar eine Erwerbsverpflichtung, damit ein ausreichendes Einkommen erzielt werden kann.

Nun wird gerne darauf verwiesen, der Vorschlag müsse auch Akzeptanz finden können, ein zu hoch angesetzter Betrag bewirke das Gegenteil. Würde dies bemerkt, nachdem es eine breite öffentliche Diskussion schon gegeben hat, wäre sie bedenkenswert. Bevor aber überhaupt eine solche breite Diskussion tatsächlich in Gang gekommen ist – wir stehen erst am Anfang – führt diese Beschränkung zur Selbstbeschränkung. Wir verschenken Möglichkeiten, wenn eine Diskussion über den weitreichenden Vorschlag schon zu Beginn unterlaufen wird.

Sascha Liebermann