Anekdotisches oder Argumente? Dominik Enste zum Bedingungslosen Grundeinkommen…

…in der Rhein-Neckar-Zeitung. In derselben Ausgabe war auch ein redaktioneller Beitrag zum Thema enthalten und ein Interview mit Philip Kovce. Dominik Enste, auf dessen Ausführungen ich kurz eingehen möchte, habe ich schon wiederholt kommentiert (siehe hier und hier). Zu Beginn antwortet er auf die Frage, weshalb nun gerade wieder über ein BGE diskutiert werde u.a. folgendes:

„[Enste] Solche Situationen [die „Corona-Krise“, SL] eignen sich ja immer, um radikale Veränderungen vorzuschlagen, wenn einem die Reform des bestehenden Systems zu mühsam erscheint. Deshalb wundert mich das nicht. Die Argumente werden leider auch nicht unbedingt besser.“

Zweierlei sticht heraus, zum einen die Behauptung, das BGE-Befürworter „mühsam[en]“ Umgestaltungen im „bestehenden System“ aus dem Weg gehen wollen. Das ist kein Argument, sondern ein Versuch der Abkanzelung. Zum anderen ruft er den Leser indirekt dazu auf, die von ihm vorgebrachten Einwände auf ihre Qualität zu prüfen, denn der Pro-Seite wirft er vor, dass die Argumente dafür noch immer nicht „besser“ geworden seien. Dann machen wir uns doch einmal an die Prüfung:

„Ein zentrales Problem ist die Bedingungslosigkeit. Hier soll Menschen etwas gegeben werden, ohne dass wir eine Gegenleistung erhalten. Das ist etwas, was es in unserem System so nicht gibt. Man müsste also die Menschen umerziehen und dafür sorgen, dass sie eine andere Haltung zueinander entwickeln. Unser Leben besteht bisher ja daraus, dass der eine etwas gibt, wenn der andere etwas zurückgibt. Das ist das Prinzip unserer Marktwirtschaft: Ich bezahle und bekomme dafür etwas, und ich bin nicht darauf angewiesen, dass der andere mir besonders wohlgesonnen ist. Und dann gibt es die Hilfe bei Bedürftigkeit. Das große Problem beim bedingungslosen Grundeinkommen ist, dass es nur wenige Menschen gibt, die anderen bedingungsloslos etwas geben möchten. Sie wollen entweder eine Gegenleistung oder sie wollen wissen, dass der andere bedürftig ist und tatsächlich unsere Hilfe braucht.“

Die Bedingungslosigkeit gebe es in unserem „System“ nicht – welches ist gemeint? Zielt er auf das politische System, also die politische Grundordnung oder auf den Sozialstaat? Die Frage ist von Bedeutung, denn in ersterem gibt es sehr wohl Bedingungslosigkeit, und zwar in der Geltung des Status der Bürger. Alle Rechte diesbezüglich gelten bedingungslos, vorbehaltlos, können nicht eingezogen werden – ganz wie Artikel 20 (2) GG es zum Ausdruck bringt (siehe auch hier). Das Grundgesetz kennt eben keine Erwerbsobliegenheit. Das wurde selbst in dem widersprüchlichen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Sanktionen im Arbeitslosengeld II deutlich. Auch bezüglich des Existenzminimums gilt eine Bedingungslosigkeit, es muss sichergestellt werden. Die Art und Weise, wie es gegenwärtig getan wird, ist wiederum bedingt entweder mit einer Bedarfsprüfung versehen oder durch das Verfügen über steuerbares Einkommen. Die Existenz und Funktion des Grundfreibetrags in der Einkommensteuer wird in ihrer Tragweite häufig übersehen oder vielleicht gar ignoriert (siehe hier). Diese Bedingungslosigkeit in ihren verschiedenen Formen nicht zu sehen bzw. für nicht von Bedeutung zu halten, damit steht Enste allerdings nicht allein. Grotesk ist seine Aussage, „die Menschen“ müssten also umerzogen werden – das müssten sie eben nicht, wenn von der politischen Grundordnung her gedacht würde. Das hält er offenbar nicht für relevant. Dass unser Verständnis von Sozialstaatlichkeit dieser Grundordnung selbst nicht entspricht, ist gerade symptomatisch. Enstes Vorstellung, die Bürger ließen sich überhaupt umerziehen in einer Demokratie, zeigt seine Gemeinsamkeiten mit den Stilllegungsprämienvertretern, die meinen, ein BGE könne dafür sorgen, Bürger stillzulegen. Der Schlussteil seiner Äußerung spiegelt dann nur wieder, dass es ein Missverhältnis zwischen der Bedingungslosigkeit politisch und der Bedingungshaftigkeit sozialstaatlich gibt. Merke: den Grundfreibetrag brauchen viele auch nicht, erhalten ihn aber dennoch.

Ungleiches, so Enste, werde mit einem BGE ungleich behandelt, doch stimmt das überhaupt? Eher ist es doch so, dass Gleiches gleich (BGE) und Ungleiches ungleich (bedarfsgeprüfte Leistungen) behandelt würde. Aber, wovon man überzeugt ist, darf man unendlich wiederholen, nur treffender wird es deswegen nicht. Dann beantwortet er die Frage der Finanzierung oder benennt ihre Herausforderungen und arbeitet dabei mit Bruttokosten – ein Grundproblem in der Debatte, siehe hier. Nun folgt eine Passage, die ihres anekdotischen Charakters wegen interessant ist:

„[Rhein-Neckar-Zeitung] Es wird auch oft argumentiert, dass durch die Digitalisierung Jobs vernichtet werden. Könnte das ein Grundeinkommen nicht auffangen?
[Dominik Enste] Strukturwandel gab es immer schon. Wenn ein Grundeinkommen dazu führt, dass wir die Hände in den Schoß legen und auf die Digitalisierung verweisen, anstatt uns aktiv weiterzubilden, dann ist das letztlich fatal. Dann wären immer mehr Menschen auf ein Grundeinkommen angewiesen und es würde sich die Frage stellen, wie es finanziert werden soll. Mein 14-jähriger Sohn sagte einmal sehr schön, wenn ein Grundeinkommen käme, bräuchte er nichts mehr zu lernen, sondern könnte viel Zeit vor dem Computer verbringen. Allerdings fragte er sich dann auch, wer die Computerspiele entwickeln und ihm die Pizza bringen soll.“

Zur Frage, was ein BGE und Digitalisierung miteinander zu tun haben oder eben auch nicht, siehe z. B. hier. Zur gleichen Frage wie hier bezüglich dessen, was ein BGE für Jugendliche bedeuten würde, habe ich in einem Vortrag ausführlicher geantwortet, siehe hier (ab Minute ’47). Diese Sorge wird immer wieder vorgebracht, ohne weiter zu reflektieren, was denn die Jugendphase gerade auszeichnet und was dies überhaupt mit einem BGE zu tun habe (siehe hier). Enste verfährt hier ähnlich, führt eine Aussage seines vierzehnjährigen Sohnes an, der gerade in der adoleszenzspezifischen Phase ist, seinen Platz in der Welt überhaupt erst finden zu müssen. In diesem Alter wissen Jugendliche noch gar nicht recht, wo sie hinwollen mit ihrem Leben, das ist nicht ungewöhnlich. Sie wissen aber auch außerordentlich wenig über die Arbeitswelt, was es heißt, einen erfüllenden Beruf zu haben usw. Wozu soll also diese Auskunft dienlich sein? Berücksichtigt werden muss auch, dass der Sohn diese Aussage gegenüber seinem Vater getroffen hat, von dem er sich ablösen muss und das geschieht in einer typischen Abgrenzung von den Eltern auch damit, deren Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen. Letztlich aber – ganz realistisch – sieht der Sohn jedoch, dass Güter nicht einfach so in der Welt vorhanden sind. Enste hätte hieraus den Schluss ziehen können, dass ein BGE daran eben nichts ändere und berufstätig zu sein erheblich mehr ist, als Einkommen zu erzielen. Das unterbleibt aber und der Interviewer hat es offenbar auch nicht bemerkt.

Sascha Liebermann