Endlich Klartext oder: alter Wein in neuen oder eher in alten Schläuchen, zugleich eine Selbstentmündigung

Wolfram Weimer gibt sich in einem Beitrag in The European Mühe, triftige Einwände gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen zu formulieren – „Vier Gründe, warum ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht funktioniert“. Wer so entschieden ansetzt, muss gute Argumente haben, sollte man meinen. Was schreibt er?

Weimer nennt in der Einordnung zu Beginn, die sich auf den Start des Pilotprojekt Grundeinkommen bezieht, nicht einen Verweis auf wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema, das ist schon interessant angesichts der Menge an internationalen Veröffentlichungen. Damit ist er in guter Gesellschaft mit anderen Kritikern, die mit ähnlicher Verve sich um wissenschaftliche Literatur nicht scheren, wie z. B. Horst Siebert einst mit seinem Beitrag „Das bedingungsloses Grundeinkommen für jeden – ein schlimmer Irrweg“ (2007). Ich kommentiere seine Einwände der Reihe nach:

Erster Einwand: Die Ausgabenseite wird brutto betrachtet und mit dem Bundeshaushalt verglichen, nun ja, solche Rechnungen werden immer wieder angestellt, sind aber nicht relevant. Wer denkt schon in Ausgaben, ohne Einnahmen zu betrachten? Wenn schon Ausgaben betrachtet werden, dann müsste es um Nettoausgaben gehen. Mit Weimers Rechnung könnte kein Unternehmen existieren, wenn es ohne Einnahmen plant.

Ein „Staatsgeschenk“ sei ein BGE, das ist wohl abwertend gemeint, ist aber gar nicht abwertend, denn wer sollte sonst ein BGE als Anspruch garantieren können? Auch heute müssen sozialstaatliche Leistungen vom Staat garantiert werden. Nur, falls Weimer das gemeint haben sollte: Wo keine Leistung erbracht wird, da hilft ein BGE auch nicht weiter, denn ohne Leistung („unbezahlte Arbeit“, Sozialisation) keine erwachsenen, leistungsfähigen mündigen Bürger; ohne diese kein Gemeinwesen, keine Güter und Dienstleistungen, die in Anspruch genommen werden können. Glaubt Weimer wirklich, dass Befürwortern das nicht klar ist? Wo ist also der Einwand? Will er auf ein Szenario hinaus, dann gibt es dazu zwei Varianten: Die Bürger wollen kein BGE, dann haben sich die Einwände ohnehin erledigt. Sie wollen es, dann müssen sie sich den Folgen stellen. Dafür gibt es in einer Demokratie wiederum nur entsprechende Verfahren und Wege. Sollte es also nach Einführung abwärts gehen, wie manche unken, dann müssten sich die Bürger dem stellen.

Zweiter Einwand: Die einen zahlen für die anderen – Weimer, wie so viele, vergisst oder ignoriert den Grundfreibetrag in der Einkommensteuer, der sich aus der Verpflichtung, das Existenzminimum zu sichern, ableitet. Er steht schon heute jedem zu, ist ein Rechtsanspruch. Da kann noch so viel gewettert werden, wie ungerecht es sei, dass die „Pflegerin“ dem „Star-Juristen“ einen Zuschuss finanziere, denn das tut sie heute auch – durch Besteuerungsverzicht. Wenn Weimer diesen Einwand ernst meinte, müsste er das Existenzminimum abschaffen, davon schreibt er aber nicht – wie immer, wenn dieser Einwand vorgebracht wird.

Dritter Einwand: „falsche Anreize“ – dafür sorge ein BGE. „Faulheitsprämie“, „Stillhalteprämie“ usw., das zeigt doch lediglich, wie Weimer über die Bürger denkt. Deren Bereitschaft beizutragen kommt seiner Auffassung nach nur(!) davon, Einkommen erzielen zu müssen. Erwerbstätigkeit ist – so können wir schließen – nur ein Dressur- bzw. Disziplinierungsinstrument, ohne dass es keine Leistung gäbe. Hier wäre es doch interessant gewesen zu erfahren, wie Weimer zu dieser Einschätzung gelangt angesichts solcher Befunde hier. Apropos, ein BGE ist keine Prämie für Tätigkeit oder Untätigkeit, sie ist eine, die lediglich die Zugehörigkeit der Person zum Gemeinwesen oder einen vergleichbaren Status voraussetzt.

Vierter Einwand: Zuwanderung, dieses Schreckgespenst darf nicht fehlen; Freizügigkeit in der EU gelte, jeder könne demnach ein BGE in Anspruch nehmen, so Weimer. Kennt er die Gesetzeslage nicht, die schon heute die Inanspruchnehme regelt? Auch EU-Bürger erhalten nicht einfach Sozialleistungen in Deutschland, mit einem BGE bedürfte es einer vergleichbaren Regelung. Ein wenig Lektüre hätte weitergeholfen, denn in der gängigen Literatur wird dieser Klärungsbedarf benannt. Weimer hängt dem BGE etwas an, als sei Zuwanderung eine zukünftige Herausforderung, sie ist es längst und es bedarf klarer und praktikabler Regelungen dafür.

Aufschlussreich ist gerade am letzten Einwand weniger die Sorge um Zuwanderung, als die Konsequenz, die Weimer daraus ziehen würde. Weil ein BGE Zuwanderung angeblich erhöht, darf ein Gemeinwesen ein solches nicht einführen. Weil also andere es attraktiv finden könnten, sollen wir uns selbst etwas versagen, das nichts anderes als eine Fortentwicklung des Sozialstaats im Geist der Demokratie darstellt. Weimers Begründung läuft auf eine Selbstentmündigung hinaus.

Sascha Liebermann

Ein Gedanke zu „Endlich Klartext oder: alter Wein in neuen oder eher in alten Schläuchen, zugleich eine Selbstentmündigung“

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