Automatisierung, Millionärssöhne, Erwerbstätigkeit – und wieder einmal die Demokratie übersehen. Grundeinkommen bei Markus Lanz

Die Sendung Markus Lanz vom 14. Juli (hier der Ausschnitt zum Bedingungslosen Grundeinkommen)  widmete sich dem Zusammenhang von Sozialversicherungssystemen, Sinn von Erwerbstätigkeit und Entwicklung der Erwerbsarbeitswelt angesichts von Automatisierungsmöglichkeiten, deren Wirkungsbreite schwer einschätzbar ist. Es war sicher kein Zufall, dass gerade Richard David Prechts neues Buch erschienen ist, das sich damit prächtig bewerben ließ. Die in der Sendung behandelten Fragen sind in ihrer Bedeutung weder neu (siehe hier und hier) noch sind sie auf eine ungewöhnliche Weise behandelt worden, selbst in Lanz‘ Sendung waren sie wiederholt Gegenstand, in Fachdebatten ohnehin.

Interessant ist der Ausschnitt zum BGE wegen der Antworten Monika Schnitzers, Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der LMU-München und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der die Bundesregierung berät. Weshalb interessant? Zum einen weil sie erstaunlich kurz greifen und teils doch nur Werthaltungen erkennen lassen, ohne zu analysieren; zum  anderen weil sie deutlich machen, dass manche, die gerne in das Precht-Bashing einstimmen, es sich zu einfach machen. Denn Schnitzers Antworten sind teils erstaunlich, wie Prechts Überlegungen durchaus widersprüchlich sind, insbesondere vor dem Hintergrund, dass es von „Freiheit“ handelt. Für die gesamte Diskussion ist eine Verengung symptomatisch, da sie stets um die Frage kreist, wie sich denn nun die Erwerbsmöglichkeiten und -bedingungen verändern werden und was davon zu halten sei. Dabei könnte über Automatisierungsmöglichkeiten ganz anders diskutiert werden, wenn es eine alternative legitime Einkommensform zu Erwerbseinkommen gäbe – an ihr wird, aufgrund ihrer normativen Stellung, alles gemessen, was teils groteske Folgen hat, so z. B. die ständige Hoffnung darauf, Arbeitsplätze zu erhalten oder zu schaffen bzw. Beschäftigung zu sichern, statt Wertschöpfung ins Zentrum zu rücken, wozu allerdings Einkommen auch in anderer Form bereitstehen müsste als durch Erwerbstätigkeit.

Schnitzers erste der hier kommentierten Bemerkungen zur Sache richtete sich auf die Gegenüberstellung von Erwerbstätigkeit und Selbstverwirklichung, die nicht von Precht kam, der zwischen beiden gar keinen Widerspruch erkannte. Arbeit bedeute, so Schnitzer, für die meisten „Sinn“, sie biete „soziale Kontakte“. Letzteres ist zweifelsohne in der Allgemeinheit richtig und dennoch falsch, denn welcher Art sind diese Kontakte, welchen Charakters ist das „Soziale“ daran? Es sind eben Kollegialbeziehungen, um die es geht, die sich durch die Aufgabenbezogenheit im Dienste eines ganz bestimmten Zweckes ergeben. Weder sind Mitarbeiter über das Mitarbeitersein hinaus dafür von Bedeutung noch finden sie dort eine umfassende Anerkennung als Person. Nirgendwo ist der Einzelne so auswechselbar wie in Erwerbstätigkeit, das ist gerade ihr Sinn und Zweck. Wenn Schnitzer sagt, „Arbeit“ gebe „Struktur“, dann fragt man sich, was mit all denen ist, die – dieser Betrachtung gemäß – strukturlos in den Tag leben, weil sie für den Haushalt und die Kinder sorgen, Angehörige pflegen oder sonst etwas außerhalb von Erwerbsverhältnissen tun? Die Bemerkung Schnitzers gilt für jede Aufgabe im Leben, es sei denn, man selbst stellt ihre Sinnhaftigkeit in Frage oder verzweifelt an ihr, dann muss man sich neu orientieren, muss sich selbst Struktur geben, wenn man so will, das tut niemand für einen selbst. Das gilt aber genauso für Erwerbstätigkeit, die dann nur noch ein Gerippe an Struktur ohne Inhalt darstellt, wenn sie nicht mehr als sinnvoll wahrgenommen wird, wenn jemand mit ihr hadert. Lanz sekundierte Schnitzer, man wolle doch gebraucht werden – in seiner Banalität ist das genauso richtig wie verkürzt, die Frage ist doch, wer darüber bestimmt, welches „Gebrauchtwerden“ Anerkennung findet und welches nicht. Auch Bürger werden in einem Gemeinwesen gebraucht, ohne sie ist es nicht lebensfähig – sie werden darin in einem viel umfassenderen Sinn gebraucht als in Erwerbstätigkeit und dennoch brachte dies keiner ins Spiel.

Darauf folgte Schnitzers nächste Bemerkung, ein „Millionärssohn“ erhalte dann eben auch das BGE, er brauche es aber nicht, das Geld wäre doch bei denen besser aufgehoben, die es benötigen. Tja, möge man hier ratlos entgegnen. Wenn sie das in aller Konsequenz so sieht, sollte man als erstes den Grundfreibetrag in der Einkommensteuer abschaffen wollen. Doch steht er selbstverständlich nicht in Frage, ebensowenig der Kinderfreibetrag, den der Millionär ebensowenig „braucht“. Wie kann jemand mit dieser Expertise zu einer solchen Einschätzung gelangen, wenn doch zugleich diese Freibeträge stets mit der Idee der Existenzsicherung verbunden sind? Wer den Grundfreibetrag antasten will, muss unser Verständnis von Existenzsicherung antasten. Was soll also dieser Einwand gegen ein BGE bezeugen?

Weshalb nun gerade die Fixierung auf Erwerbsbereitschaft signalisieren soll, dass das Gemeinwesen seine Bürger brauche, von ihnen etwas erwarte, ein BGE hingegen das nicht tue, ist wirklich rätselhaft. Erwartet denn ein Gemeinwesen von seinen Bürgern nichts, weil es ihnen den Bürgerstatus einfach so zuspricht, ohne dass sie dafür etwas tun müssen? Wer käme auf den Gedanken, das anzunehmen, wo doch die Lebendigkeit einer politischen Vergemeinschaftung von nichts anderem abhängt als der Bereitschaft, für sie einzustehen – ganz ohne Sanktionsmöglichkeit? Ein BGE eröffnet doch erst Engagement in der Breite, weil es all die heute unbezahlt geleisteten Dienste auf ein sicheres Fundament stellt. In der Runde gab es zu Schnitzers Einspruch ebenfalls keine Reaktion, wiewohl Precht selbst andere Quellen für Lebenssinn jenseits der Erwerbstätigkeit zumindest erwähnte und Kenza Ait Si Abbou dies als zweifache Mutter ebenso anmerkte. Das war es dann aber auch.

Als es zur Höhe des Betrages kam, den ein BGE umfassen müsse, genannt wurden hier 1208 Euro damit es nicht zu einer Verschlechterung führe, ging der Taschenrechner an. Auf einmal raunten 900 Mrd. Euro durch das Studio (Bruttokosten), der Bundeshaushalt sei erheblich niedriger, doch das Sozialbudget (so Precht) liege schon höher. Schnitzer bemängelte im Falle eines Pauschalbetrages die Ungleichbehandlung angesichts ungleicher Lebenshaltungskosten in München und Nordhausen. Dieser Aspekt ist in der Diskussion keineswegs neu, Precht entgegnete zurecht, dass es durchaus eine private Entscheidung sei, wo man lebe. Schnitzer hingegen, ganz anreizgeschult, begann vorzurechnen, dass Mehrpersonenhaushalte sich ja gleich besser stellten, dann könnte jeder überlegen z. B. in einer WG statt alleine zu leben – als würden Entscheidungen nach solchen Maßstäben getroffen. Hieran erkennt man nun aber, dass die Betragshöhe in Kaufkraftverhältnissen relevant ist.

Wäre das BGE nun aber eine Verbesserung gegenüber heute oder nicht? Hier fehlte vollkommen die normative Betrachtung, welchen Unterschied es macht, einen Einkommenssockel einfach zu erhalten, ohne etwas dafür tun und sich erklären zu müssen oder eben nicht. Was den sogenannten Fachkräftemangel betrifft, wurde deutlich, dass Schnitzer hier auf die Aushandlungsmöglichkeiten am Arbeitsmarkt vertraut; wenn Personal gefragt wäre, würden die Löhne gegebenenfalls steigen müssen. Ja, das stimmt, ist aber von der Lage im entsprechenden Arbeitsmarktsegment abhängig, beim BGE hingegen gilt das allgemein unabhängig von der Arbeitsmarktlage. In Schnitzers Fall bliebe die Überhöhung von Erwerbstätigkeit bestehen, mit BGE hingegen nicht – auch hier ist die normative Seite wiederum entscheidend, sie hat Folgen für alle anderen Aufgaben, denen man sich widmen kann und muss, die aber nicht erwerbsförmig sind.

Precht parierte manchen dieser Einwände durchaus treffend, indem er z. B. sagte, dass ein BGE keine Alternative zum „Arbeiten“, sondern zum „Arbeitszwang“ sei. Zwar gilt dieser nicht unmittelbar, mittelbar jedoch schon, wenn ohne Einkommen kein Auskommen zu erreichen ist. Dann kam gleich zu Beginn wieder seine Präferenz in der Ausgestaltung, ein BGE nicht für Kinder vorzusehen, sondern erst ab Volljährigkeit, also mit 18 Jahren. Unter 18 bleibe das Kindergeld erhalten. Warum? Wie begründete Precht das? Gar nicht, es seien in diesem Alter ohnehin die Eltern, die über die Verwendung entscheiden. Diese Einschätzung erinnerte an eine andere Begründung, die er einst gab, in der Sendung aber nicht wiederholte. Sie äußerte er in einer Diskussion mit Christoph Butterwegge auf der philcologne im Jahr 2018. Wie in der Druckfassung so auch in der Audioaufzeichnung des WDR-Gesprächs (ab Minute 39) sprach Precht davon, er wolle nicht, dass jemand, der keine Aussicht auf einen Beruf habe, auf die Idee komme, Kinder zu kriegen (siehe meine Kommentare dazu hier hierhier und hier). Diese Äußerung ist damals – auch von Butterwegge – entsprechend kommentiert worden. Dass Precht Alleinerziehende, die gerade in einer besonderen Klemme sind, wenn sie für ihre Kinder dasein wollen, relativ schlechter stellt als Paare mit Kindern, kümmerte ihn in der Sendung nicht.

Schnitzers Ausführungen dazu, aus Gründen der umlagefinanzierten Rente zukünftig länger arbeiten zu müssen, sie kenne in ihrem Bekanntenkreis etliche, die das auch tun, stieß bei Precht auf Verwunderung. Um welche Berufsgruppen es da wohl gehe, ob es sich z. B. um Pfleger, Erzieher und Handwerker handele oder um eher privilegierte Berufsgruppen, deren Beanspruchung anders und deswegen weniger auszehrend sei. Darauf hatte Schnitzer keine Antwort, obwohl sie allzu nötig gewesen wäre.

Wiewohl erkennbar in der Diskussion blieb doch unausgesprochen, welchen Folgen der normative Vorrang von Erwerbstätigkeit heute praktisch hat, was er für Tätigkeiten bedeutet, die nicht erwerbsförmig sind und wie sehr diese Vorrangstellung mit der Stellung der Bürger in einer modernen Demokratie kollidiert. Insofern also nichts Neues, aber gleichwohl wieder Einsichten darein, weshalb es ein BGE so schwer hat und wie sehr ein Blick auf die politische Ordnung weiterhelfen könnte.

Sascha Liebermann