„Jemand, der arbeitet, muss deutlich mehr haben als jemand, der nicht arbeitet“…

…darüber schreibt Dietrich Creutzburg in der Frankfurter Allgemeine Zeitung und bezieht sich auf ein Gespräch mit dem Arbeitgeberpräsidenten Rainer Dulger. Ein etwas älteres Gespräch mit ihm haben wir hier kommentiert. Nun würde man erwarten, dass ein Arbeitgeberpräsident im Sinne unternehmerischen Handelns denkt und argumentiert, ist das hier der Fall?

Deutschland sei, so Dulger laut FAZ, mit dem Bürgergeld auf dem Weg zu einem Bedingungslosen Grundeinkommen. Hm, also, würde der Begriff ernst genommen „Bürger-Geld“ als Geld für Bürger um ihres Bürgerdaseins willen, dann schon, aber das Bürgergeld weist in keiner Form in Richtung eines BGE, da es – wie sein Vorgänger – eine Einkommensersatzleistung ist, die beantragt werden muss, für die strikte Bezugsbedingungen gelten und die sanktionsbewehrt ist. Das ist alles ziemlich das Gegenteil eines BGE, die These also eher heiße Luft und Anzeichen dafür, wie sehr da einem vor den mündigen Bürgern zu grauen scheint, die mit einem BGE größere Handlungsfreiräume hätten.

Nun fordert Dulger eine „Grundsanierung des Systems“ – was soll das heißen? Sollen bisher geltende Prinzipien der Existenzsicherung über Bord geworfen werden? Soll es noch strikter werden als zu Zeiten der alten Grundsicherung? Dann müsste Dulger aber ziemlich weit zurückgehen, vielleicht in die Zeit, als es noch gar kein Verständnis dafür gab, dass es Aufgabe des Sozialstaates ist, eine Existenzsicherung bereitzustellen, die dem Würdegebot gemäß ist. Das alles scheint er nicht zu wollen, sondern: „Eigenverantwortung stärken, gezielt unterstützen und auf wirklich Bedürftige konzentrieren“.

Das klingt nach einem ganz neuen Sicherungssystem, das die Welt noch nicht gesehen hat. Als sei es gegenwärtig so, dass alle nach Lust und Laune Bürgergeld beziehen könnten, es keine Bedarfsprüfung und auch keine Sanktionen gäbe. Das Plädoyer für „finanzielle Anreize“ darf natürlich nicht fehlen, das ist ein Novum und verspricht eine vollkommen neue Dynamik in der sozialen Sicherung – oder vielleicht doch nur heiße Luft.

„‚Jemand, der arbeitet, muss immer deutlich mehr haben als jemand, der nicht arbeitet‘, betont Dulger. ‚Und jemand, der seine Arbeit ausweitet, muss mehr in der Tasche haben als davor.‘ Tatsächlich werde dies aber durch das Bürgergeld und auch durch andere Sozialleistungen wie das Wohngeld derzeit unterlaufen. Die vielen kritischen Debatten über das Sozialsystem seien daher kein Zufall. ‚Eine Mehrheit der Bevölkerung denkt, dass mit dem Bürgergeld zu wenig Anreize zum Arbeiten gesetzt werden.'“

Hier nun also die ganz neuen Ziele. Hilfreich wäre es, sich einmal in die Debatte der letzten Monate zu vertiefen und deutlich zu machen, wo es im bestehenden System tatsächlich solche Probleme gibt. Dann müsste der Blick nicht auf die unteren Einkommen fallen, sondern auf die mittleren (siehe hier und hier), die später im Text noch erwähnt werden.

Was die „Mehrheit der Bevölkerung“ dazu denkt, auf die man sich immer gerne berufen kann, ergibt sich wohl am ehesten aus Umfragen. Wenn aber schon Politiker und andere Amtsinhaber die vorliegenden Daten nicht angemessen deuten (können), kann man das wohl kaum von denjenigen erwarten, die sich mit den Zusammenhängen nicht so intensiv befassen. Die Berufung auf die „Bevölkerung“ ist also eine schöne Nebelkerze. Auch hier, wie so oft in der Debatte, wird die Bereitschaft, den Umfang der Erwerbstätigkeit zu erhöhen, ausschließlich daran gemessen, ob ein entsprechender Einkommenszuwachs winkt – der Anreiz eben, es zählt aber nur einer.

Ziel müsse die Aufnahme von Arbeit sein, heißt es dann – aber um welchen Preis? Wenn Wertschöpfung der Zweck eines Unternehmens ist, dann benötigt es dazu, sofern nicht Arbeitskraft auf Maschinen übertragen werden kann, leistungsbereite und -fähige Mitarbeiter. Das sollte unstrittig sein. Muss man dann nicht vielmehr auf diese Bereitschaft schon setzen, statt sie dorthin drängen zu wollen? Man wartet ja noch immer auf die Belege dafür, welches großes Problem denn die „Arbeitsverweigerung“ sei. Man könnte auf die Erfahrungen derer hören, die wissen wovon sie reden, also z. B. Leitungen von Jobcentern (siehe hier und hier). Die bloße Arbeitsaufnahme, zu der Leistungsbezieher gedrängt werden, führte bislang eher nicht zu anhaltenden Beschäftigungsverhältnissen und selbst wenn, ist damit noch nicht belegt, dass dies auch die Leistungsbereitschaft fördert oder diese ohnehin schon vorhanden war und es andere Hindernisse gab, weshalb sie sich nicht entfalten konnte.

Diese Diskussion ist trostlos und bewegt sich nur in den alten Fahrwassern, sie führt nicht weiter, anerkennt Leistungsbereitschaft als grundsätzliche Haltung, die sozialisatorisch sich herausbildet nicht – und geht damit an der Realität vorbei. Unternehmerisch ist also an diesem Blick auf die Verhältnisse nichts. Er gleicht dem, was auch in der Diskussion über Schule und Hochschule anzutreffen ist.

Sascha Liebermann