Flurschaden der verkürzten Digitalisierungsdebatte…

…der lässt sich an einer Äußerung des ehemaligen Bundesministers des Auswärtigen, Sigmar Gabriel, ablesen, wie sie in der Neuen Zürcher Zeitung wiedergegeben wird.

„Damit aber der technologische Fortschritt auch zu einem gesellschaftlichen, sozialen und demokratischen Fortschritt werden kann, braucht es laut Gabriel mehr als nur defensive Strategien, um ungewollte Nebeneffekte sozial beherrschbar zu machen. Aus diesem Grund sei er auch gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen.

Die Strategie, jene zu entschädigen, die keine Arbeit fänden, führe nur dazu, dass die Erwerbsarbeit (und damit das Einkommen oberhalb des Grundeinkommens) am Schluss noch ungleicher verteilt sei. Statt zu akzeptieren, dass einige keine Arbeit mehr hätten (und andere dafür 70-Stunden-Wochen), müsse die Arbeit besser verteilt werden. Schliesslich böten die neuen Technologien auch die Chance, Arbeit und Leben besser unter einen Hut zu bringen.“

Wieder steht Erwerbsarbeit im Zentrum und das Missverständnis, ein BGE sei eine Entschädigung für diejenigen, die keine Arbeit fänden. Genau das ist es jedoch nicht. „Unbezahlte Arbeit“ fällt unter den Tisch, damit der Blick auf eine wesentliche Seite verstellt. Demokratie und Selbstbestimmung spielen keine Rolle – ein Flurschaden der vereinseitigten Diskussion und Wahrnehmung dessen, worum es beim BGE geht.

Sascha Liebermann

Muße als Bedrohung?

So zumindest könnte man Äußerungen wie die des „global managing partner“ von McKinsey, Dominic Barton, deuten, die er anlässlich einer Konferenz an der Universität St. Gallen getätigt haben soll:

„Für mich wäre es ein Alptraum, einfach am Strand zu sitzen und nichts zu tun“ (Quelle: Letzebuerger Journal)

Das verbindet er mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen, obwohl dieses doch gar nichts von Strand und Herumsitzen sagt, weder es ge- noch verbietet. Alleine die Vorstellung offenbar, dass es möglich sein könnte, herumzusitzen, womöglich in Muße, scheint bedrohlich. Auch Vorstandsvorsitzende haben ja manchmal sonderbare Vorstellungen davon, wie mit Freirräumen wohl umgegangen würde.

Sascha Liebermann

„Wie gehen wir mit Geringverdienern um…“ – Sascha Lobo sorgt sich um die Stilllegung…

…so in einem Beitrag bei Spiegel online, der sich auch mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen befasst. Lobo weist zurecht auf die vereinseitigende oder verkürzende Diskussion über Digitalisierung und BGE hin, aber was macht er dann daraus?

„Der Subtext vieler solcher Diskussionen ist, dass die Hälfte der heutigen Arbeitnehmer demnächst nicht mehr gebraucht werde. Das wäre ein gewaltiges Problem, das mit Geld allein nicht lösbar wäre. Mir erscheint die Rede vom bedingungslosen Grundeinkommen in Davoser Sphären als diffuser Phantombegriff, als Rechtfertigung, die vom Arbeitsmarkt Ausgeschlossenen in Zukunft ignorieren zu dürfen. Hier hast Du Geld, jetzt halt die Schnauze, kauf Dir ein Smartphone und geh aus dem Weg!“

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Tagung zum Bedingungslosen Grundeinkommen im Oktober an der Universität Freiburg

Unter dem Titel „Basic Income and the Euro-Dividend as Sociopolititcal Pillars of the EU and its Member Countries“ findet am 11. und 12. Oktober eine Tagung an der Universität Freiburg statt, die sich auch mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen beschäftigt. Veranstalter sind Bernhard Neumärker (Universität Freiburg) und Sascha Liebermann (Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft, Alfter).

Veranstaltungswebsite und Call for Papers sowie weitere Informationen

„Was ein bedingungsloses Grundeinkommen bringt“ oder: wie man auf halbem Wege stehenbleibt

…das lässt sich einem Beitrag von Florian Diekmann auf Spiegel online verfolgen. Der Autor hatte in jüngerer Zeit wiederholt über Armut und Hartz IV geschrieben, siehe hier. Sein Beitrag über das BGE ist sehr informiert, bleibt in seinen Schlussfolgerungen jedoch auf halbem Wege hängen, wie ich an wenigen Passagen zeigen möchte.

Diekmann referiert zwei Zugänge in der BGE-Diskussion, die zur Zeit besonders beachtet werden: Digitalisierung und die Abschaffung von Hartz IV. Er nimmt die Rede von der „Arbeitsgesellschaft“ auf und fragt, ob ihr wirklich die Arbeit ausgehe. Dass schon diese Beschreibung unserer Lebensverhältnisse schief ist und die politische Dimension der Bürgergemeinschaft nicht erwähnt wird, muss als Symptom verstanden werden, als Symptom eines Selbstmissverständnisses (siehe hier und hier). Das Problem beginnt schon bei der Frage, ob denn Erwerbsarbeit ausgehe oder nicht, die letztlich für ein BGE unbedeutend ist. Wenn also der „Arbeitsgesellschaft“ die Erwerbsarbeit nicht ausgehe, gleichwohl aber ein tiefgreifender Strukturwandel durch die Digitalisierung befördert werde, dann stelle sich die Lage folgendermaßen dar:

„Was ein bedingungsloses Grundeinkommen bringt“ oder: wie man auf halbem Wege stehenbleibt weiterlesen

„Ten million British jobs could be gone in 15 years. No one knows what happens next“…

…schreibt John Harris in The Guardian und fragt sich, wie darauf geantwortet werden könnte, wenn es denn einträfe, wie manche prognostizieren? Ein BGE, wenn es davon auch nicht direkt abhängt oder davon hergeleitet werden muss, bietet eine Antwort und einen gelasseneren Blick auf technologische Möglichkeiten (siehe hier und hier).

Sascha Liebermann