Korruptionsvermeidung vor politischer Legitimation? Zum Feldexperiment in Kenia

Die Verbreitung der Nachricht, dass es in Kenia ein Feldexperiment zum Grundeinkommen geben soll, ist unter Grundeinkommensbefürwortern überwiegend begrüßt worden (siehe hier). Es haben sich wenige nachdenkliche Stimmen zu Wort gemeldet, die zu bedenken geben, dass einem solchen Vorhaben die politische Legitimation fehle (siehe z. B. meinen Kommentar hier), wenn die Regierung des Landes nicht selbst das Experiment trage. Das unterscheidet dieses Vorhaben grundsätzlich von den Überlegungen in Finnland, Kanada oder den Niederlanden. Und was bedeutet es, wenn eine Regierung das eigene Volk „teste“, wie es auf „cash transfers“ reagiere? Was bedeutet es, wenn ein solches Projekt nicht von der eigenen Regierung, vom eigenen Land getragen wird? Ist es dann nicht gewollt, aber geduldet, weil zusätzliches Geld ins Land kommt? Und was bedeutet es für diejenigen, die ihre Hoffnungen auf das Projekt und seinen Fortgang gesetzt haben, wenn sie danach wieder allein gelassen werden? (Siehe meinen früheren Kommentare dazu hier)

Nebenbei sei bemerkt, dass es schon seit 12 Jahren Pilotprojekte gibt. Guy Standing, der daran einen großen Anteil hat, verwies in seinem Vortrag auf der Future of Work-Konferenz darauf (etwa ab Minute 19 des Panels). Ob es tatsächlich zu dem Projekt in Kenia kommen wird, ist offen, weil bislang noch nicht genügend Spenden eingegangen sind.

Besonders erstaunen kann, mit welchen Begründungen das Projekt in der deutschen Rezeption befürwortet wird. Es sei ein Vorteil eines solch spendenfinanzierten Experiments, dass es das „Korruptionsrisiko minimiere“, weil das Geld nicht an die Regierung fließe, so komme es wenigstens bei den Menschen an. Ist dieses Misstrauen in die Regierung eines Landes nicht zugleich Entmündigung der Bürger des Landes, denn immerhin ist es ihre Regierung, eine andere haben sie nicht? Die Kenianer selbst, um bei dem Beispiel zu bleiben, sind es, die für eine andere Regierung streiten müssen, wenn sie denn eine andere haben wollen. Dasselbe gilt für ein Grundeinkommen, wenn sie es denn haben wollen. Womöglich gibt es ja Bestrebungen in Kenia in diese Richtung, die Ausführungen von Michael Faye auf der Future of Work-Konferenz (ab Minute 10) haben zumindest erkennen lassen, dass GiveDirectly mit den Behörden zusammenarbeitet.

Pfarrerin Ute Hedrich vom Amt für Mission, Ökumene und Weltverantwortung der Ev. Kirche von Westfalen (EKvW) berichtete kürzlich an einer Veranstaltung der Bonner Initiative Grundeinkommen über ethische Zweifel, die bezüglich einer Weiterführung des Projekts in Otjivero (Namibia) von kirchlicher Seite aufgekommen seien. Denn wie wolle man ein solches Projekt an einem Ort rechtfertigen, wenn es um diesen herum etliche weitere Dörfer gäbe, die ebenso arm sind?

Gilt nicht dasselbe für ein etwaiges Experiment in Kenia? Es ist ja etwas anderes, aufgrund beschränkter Mittel in einem Land zu überlegen, was damit nun als erstes finanziert werden soll und darüber durch politisch legitimierte Gremien zu befinden oder grundsätzlich zu sagen, dass nur bestimmte Personen oder Personengruppen bzw. Gemeinden davon profitieren werden, weil es sich um ein spendenfinanziertes Projekt handelt.

Sascha Liebermann

Meinungsumfragen und Onlineabstimmungen – Illusionierung oder Demokratisierung?

Auf der Future of Work-Konferenz in Zürich wurden Ergebnisse einer Meinungsumfrage zum Bedingungslosen Grundeinkommen in den sechs größten EU-Ländern vorgestellt (Videomitschnitt, ab 8:47:00; siehe auch den Bericht im tagesanzeiger). Es war die erste Umfrage dieser Art im EU-Raum laut Nico Jaspers, CEO bei Dalia Research, der die Ergebnisse vorstellte. Dass BGE wurde den Befragten als etwas erläutert, dass alle „social security payments“ ersetzen solle (8:48:55). 64 Prozent der Befragten befürworteten die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens laut Umfrage. Dass es sich selbstverständlich um eine „hypothetical question“ handelte, die gestellt wurde, erwähnte Nico Jaspers, womit deutlich sein sollte, was die Ergebnisse besagen. Was lässt sich aus solchen Befragungen schließen? Folgendes möchte ich hierzu anmerken:

1) Meinungsumfragen arbeiten standardisiert, d. h. Fragen wie Antwortoptionen stehen fest. Dort wo andere Antworten möglich sind, müssen diese wiederum standardisiert werden, um sie verarbeiten zu können. Was nicht in die festgelegten Optionen fällt, wird nicht erhoben. Diese Art des Vorgehens in der Datenerhebung führt dazu, dass man nichts Genaues darüber erfährt, weshalb die Antworten gegeben wurden, die gegeben wurden, was die Befragten dabei konkret beschäftigte, ob sie überhaupt verstanden haben, worum es ging. Die Daten, die man dabei erhält, sind recht grob und haben vom wirklichen Leben wenig in sich aufgenommen. Um so misslicher, dass es eine verbreitete Auffassung ist, solche Daten seien präzise (weiterführende Überlegungen finden sich hier).

2a) Es wird eine hypothetische Frage gestellt. Die Befragten sollen so antworten, als wüssten sie, was sie in einer Situation tun würden, die nicht real vorliegt. Dabei wird unterstellt, als wisse man selbst genau, was man in einer solchen Situation tun würde. Das ist aber nicht so, wie jedem vertraut ist, der mit nicht-standardisierten Daten arbeitet. Was hier also einzig in gewisser Weise abgefragt wird, sind Teile eines Selbstbildes, das der Befragte von sich hat, das aber keineswegs seinem Handeln entsprechen muss. Diese Diskrepanz zwischen „Einstellung“ und „Verhalten“, wie sie in der Methodenliteratur gefasst wird, ist die Krux dieser Befragungen. Sie sagen nichts darüber aus, was jemand tun wird

(Nicht zu verwechseln sind diese Befragungen mit den ex-post-Befragungen am Wahlabend, nachdem Wähler eine Entscheidung getroffen haben. Allerdings geben diese Befragungen auch keinen Aufschluss darüber, warum jemand tatsächlich die Wahl getroffen hat, die er getroffen hat. Dafür sind die Daten ebenfalls zu grob.)

2b) Da es beim BGE nun um etwas geht, das wir heute in dieser Form nicht haben, ist die hypothetische Frage noch weiter entfernt vom konkreten Leben, als das ohnehin schon der Fall ist bei hypothetischen Fragen. Wie soll jemand zu einer solchen Frage eine aussagekräftige Einschätzung haben, wenn er zum Befragungszeitpunkt weder Erfahrungen mit einem BGE hat machen können, noch sich eingehender damit befasst hat?

Kurzum: Solche Meinungsumfragen sind aus vielerlei Gründen unbrauchbar, um etwas darüber zu erfahren, was Menschen in ihrem Handeln leitet bzw. um herauszufinden, was sie tatsächlich tun würden, wenn…

Darüber hinaus sind Umfragen eben keine Entscheidungen, der Befragte hat seine Antwort nicht zu verantworten, sie ist unverbindlich, es folgt nichts aus ihr. Ganz anders als bei Wahlen oder – wie in der Schweiz – bei Volksabstimmungen. Entscheidungen wie diese haben ganz konkrete Folgen. Sie müssen von Bürgern dann mit allen Konsequenzen getragen werden.

Ähnlich wie damit verhält es sich mit einer App, die auf derselben Konferenz euphorisch gemeinsam mit ein wenig Deutschland-Bashing angekündigt wurde (Future of Work-Konferenz ab Minute 46:20). „Democracy needs an update“ – mittels Votesapp soll per Smartphone zu Fragen des öffentlichen Lebens Stellung bezogen werden. Es können auch Fragen gestellt oder von anderen gestellte Fragen bewertet werden. Da 60% der Deutschen, laut Armin Steuernagel, – der neben Michael Bohmeyer, Johannes Ponader und anderen zum Team gehört – die deutsche Demokratie nicht für eine Demokratie halten, soll mittels App offenbar eine Demokratisierung der Demokratie erreicht werden. Votesapp reduziere die Barrieren, um Demokratien zu machen und führe direkte Demokratie ein.

Weder sind die Abstimmungen per App ein legitimiertes demokratisches Verfahren, noch sind sie verbindlich oder initieren ein Gesetzgebungsverfahren. Wie bei Meinungsumfragen bleiben sie unverbindlich, die abgegebenen Stimmen müssen nicht verantwortet werden – es folgt aus ihnen nichts. Votesapp, so wie es vorgestellt wurde, entspricht damit bislang all den unverbindlichen Petitions- und Bürgerbeteiligungsverfahren (siehe dazu hier und hier), in denen Meinungen bekundet werden können – ohne dass sie berücktsichtigt werden müssen.

Sind solche Unverbindlichkeiten nicht gerade ein Problem? Verstärkt die Abstimmungsapp nicht genau diese Unverbindlichkeit?

Eines lässt sich mit Sicherheit sagen: mit Demokratie als politischer Ordnungsform der Selbstverwaltung eines Gemeinwesens hat eine unverbindliche Befragung nichts zu tun. Davon abgesehen unterschätzt das Deutschland-Bashing die Möglichkeiten, die gegenwärtig bestehen, um sich einzumischen. Ich würde das Problem, das die Macher womöglich umtreibt, anders verorten: In Deutschland begreifen sich die Bürger zu wenig als Bürger, nutzen zu wenig die Möglichkeiten, die sie haben. Apropos Demokratie: die Abstimmungsbeteiligung in der Schweiz schwankt erheblich und ist oft niedriger als in Deutschland bei Bundestagswahlen. Darauf kommt es also nicht an.

Sascha Liebermann

Future of Work-Konferenz in Zürich – Mitschnitt online

Nicht klar war über weite Strecken auf der Konferenz, welches Grundeinkommen die einzelnen Referenten bzw. Podiumsteilnehmer vor Augen hatten, wenngleich aus manchen Ausführungen – z. B. aus dem Verzicht auf eine Bedarfsprüfung – darauf Rückschlüsse gezogen werden konnten. Ob es von der Wiege bis zur Bahre als eigenständige, mit anderen Einkommen nicht zu verrechnende Leistung verstanden wurde, konnte man hier und da ahnen. Überwiegend wurde das BGE als Antwort auf die Digitalisierung betrachtet und den von manchen prognostizierten Verlust von Arbeitsplätzen. Andere, sehr deutlich war hier Albert Wenger, wiesen auf die Freiräume hin, die es schaffen würde, um initiativ werden zu können. Erstaunlich besonders für die Schweizer Diskussion war, dass so gut wie niemand die Bedeutung des BGE für die Demokratie aufwarf. Guy Standing sprach vom „emancipatory value“ des BGE, der noch viel bedeutender sei als „money“.

Im Mitschnitt können Sie sich am Programmablauf orientieren:

09:30 Begrüssung: David Bosshart (CH), CEO, Gottlieb Duttweiler Institute, Einführung ins Thema – Schweizer Perspektive
09:50 Einführung: Albert Wenger (USA), Union Square Ventures; Armin Steuernagel (DE), Neopolis Network/ Purpose Foundation, Social Policy 4.0 – Internationale Perspektive
10:15 Keynote: Bruno S. Frey (CH), Wirtschaftswissenschaftler, Universität Basel Direkte Demokratie als ein Gesellschaftswerkzeug
10:30 Keynote: Robert Johnson (USA), Institute for New Economic Thinking, Die Reaktionen auf die Technologische Revolution – ein Grundeinkommen als Paradigmenwechsel
11:20
Saal: Podium – Übersicht der Experimente zum Grundeinkommen
Guy Standing (UK), Universität London; Michael Faye (USA), GiveDirectly; Ville-Veikko Pulkka (FI), Kela, Institut für Sozialversicherung; Amira Yehia (DE), Mein Grundeinkommen
Moderation: John Thornhill (UK), Financial Times
Bibliothek: Keynote Enno Schmidt (DE/CH), Autor und Initiant der Schweizer Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen Bedingungslosigkeit – die kulturelle Dimension des Grundeinkommens
Keynote: Rick Wartzman (USA), Drucker Institute, Die Geschichte von garantiertem Lohn und Einkommen
12:15 Saal: Podium – Grundeinkommen – jenseits politischer Lager?
Michael Tanner (USA), CATO Institute; Daniel J. Mitchell (USA), CATO Institute; Robert B. Reich (USA), University of California, Berkeley; Reiner Eichenberger (CH), Ökonom; Moderation:  Alexandra Borchardt (D), Süddeutsche Zeitung
Bibliothek: Podium – Die Zukunft der Arbeit (deutsch)
Daniel Häni (CH), Unternehmer und Mitinitiant der Schweizer Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen; Dirk Helbing (CH), Professor ETH; Albert Wenger (USA), Union Square Ventures; Myke Näf (CH), Doodle; Moderation: Börries Hornemann (DE), Neopolis
14:30 Entrepreneur-Podium: Disruptive Arbeit Albert Wenger (USA), Union Square Ventures; Natalie Foster (USA), peers.org; Robin Chase (USA), Zipcar; Betsy Masiello (USA), Uber; Moderation: John Thornhill (CH), Financial Times
15:30 Keynote: Robert B. Reich (USA) University of California, Berkeley, Technologischer Wandel und die Unausweichlichkeit des bedingungslosen Grundeinkommens
15:55 Podium und Keynote: Labor Panel – Zukunft der Gewerkschaften und soziale Sicherheit
Andrew Stern (USA), ehem. SEIU Gewerkschaft; Nell Abernathy (USA), Roosevelt Institute
Vania Alleva (CH), Unia Gewerkschaft; Dorian Warren (USA), Center for Community Change; Moderation: Alexandra Borchardt (DE), Süddeutsche Zeitung
17:20 Live-Übertragung: Erik Brynjolfsson (USA), Professor MIT 17:35 Trailer „Free Lunch Society“, Christian Tod (AT), Golden Girls
17:45 Keynote: Anthony Painter (UK), The Royal Society of Art, Kreative Bürger, kreativer Staat – die Grundsätze und pragmatischen Überlegungen zum Grundeinkommen
18:05 Keynote: Yanis Varoufakis (GRE), ehem. Griechischer Finanzminister, Wann wird eine Gesellschaft sozial?