„Grundeinkommen und Kontrolle“…

…ein Beitrag von Jan Schulz-Weiling auf der Website des Magazins Multipolar.

Die Sorge darum, dass ein BGE letztlich dazu dienen könne, dem „Staat“ ein wichtiges Kontrollmittel über die Bürger zu liefern, ist nicht neu und wurde schon früh in der Diskussion geäußert. Eine Steigerung von der bloßen Sorge zur Gewissheit, dass dies auch so sein und nur deswegen ein BGE in Betracht gezogen werde, vollzog sich im Zusammenhang mit der Diskussion um ein „great reset“, das oligarchischen Akteuren aus der Techbranche oder Wirtschaftsführern nun endlich die Möglichkeit biete vergleichbar dem Social Credit-System eine umfassende Kontrolle einzuführen. Ebenso früh wurde in der Diskussion schon darauf aufmerksam gemacht, dass ein BGE keine eierlegende Wollmilchsau sei und die Hoffnungen in diese Richtung eine Überladung der Idee bedeuten, denn jede Idee, jeder Vorschlag könne für andere Ziele missbraucht oder zweckentfremdet (siehe auch hier) werden. Sobald ein BGE durch die Hintertür wieder mit Gegenleistungsbedingungen verknüpft werde, sei es eben kein BGE mehr, das die Bezeichnung verdiene. Insofern stellt sich die Frage, was ein Beitrag, der sich mit dieser Frage nun erneut befasst, denn Neues liefern könne.

Der Autor des Beitrags im Multipolar-Magazin spricht sowohl vom BGE als auch vom Grundeinkommen, was sogleich in Missverständnisse führt, wie man an den historischen „Vorläufern“ erkennen kann, die für diesen Vorschlag angeführt werden, die keine wirklichen Vorläufer sind, zumindest was den heute diskutierten Vorschlag betrifft – weder Thomas Morus noch die Negative Einkommensteuer.

Inwiefern kommt hier nun die Kontrollfrage ins Spiel?

Bismarck, so der Verfasser, habe die Sozialversicherungen nicht aus „altruistischen Motiven“ eingeführt, womit er wohl ihre Diskreditierung vorbereiten will, wobei man hier herausheben muss, dass der Reichstag die Gesetzesvorschläge verabschiedete. Es ist also nicht Bismarcks Leistung, dass sie eingeführt wurden. Darüber hinaus sind solche Gesetze nicht mit den Motiven gleichzusetzen, die der Initiator damit verbindet, sie stehen in ihrer strukturellen Bedeutung für sich und können sich gegen die Motive wenden bzw. weit über sie hinausreichen. Motive diskreditieren also ein Gesetzesvorhaben nicht. Auch dass Regierungen auf „Unmut in der Bevölkerung“ reagieren, diskreditiert diese Vorhaben nicht, denn Regierungen sollten auf Unmut reagieren, sofern es für diesen gute Gründe gibt.

Schulz-Weiling zeichnet in dem Beitrag ein sehr einfaches Bild von der Macht einer Regierung, ohne zu berücksichtigen, dass auch etwaige Rücknahmen einst eingeführter Leistungen Gefolgschaft finden, also als angemessen oder berechtigt betrachtet werden müssen, um Bestand haben zu können. Man muss sich nur vor Augen führen, wie selbst von den Sanktionen des Bürgergelds Betroffene diese verteidigen oder für berechtigt halten, weil es doch Missbrauch gebe.

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Wissenschaft oder Ideologie? Der Vorwurf der Ideologie ist schnell zur Hand…

…, wird aber an nichts argumentativ festgemacht. Außerdem ist ausdrücklich von Thesen die Rede, die zur Diskussion gestellt werden, auch das gehört zum wissenschaftlichen Arbeiten. Ein BGE mag einem nicht gefallen, das ist eine Werthaltung, aber keine Kritik, die bedarf der Argumente.

Wer, was er nicht will oder für richtig hält, als Ideologie bezeichnet, sieht nicht mehr über den eigenen Tellerrand hinaus.

Sascha Liebermann

„Der Schlüssel zum Grundeinkommen ist nicht technologisch, sondern ideologisch“…

…sagt Rutger Bregman in einem Interview mit Spiegel Online anlässlich des Erscheinens seines Buches „Utopien für Realisten“. Damit trifft er einen wichtigen Punkt, auch wenn ich nicht von „Ideologie“ sprechen würde, aber von beharrlichen Deutungsmustern oder Werturteilen, die dem BGE im Weg stehen. Sie sind die größte Hürde, die zur Einführung genommen werden muss – und nicht etwa solide Finanzierungsmodelle. Siehe meinen Kommentar zu dieser Frage hier. Siehe auch einen Vortrag von Bregman hier.

Sascha Liebermann

„Vereinbarkeit“ von Familie und Beruf oder doppelter Verzicht?

Im Dezember-Heft 2010 von brandeins, das sich der Familie widmet, ist ein Beitrag abgedruckt mit dem Titel „Gleichung mit Unbekannten“. Es geht darin auch um die vielgeforderte und -befeierte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die als fortschrittlich gilt und die manches Förderprogramm auf den Weg gebracht hat. Der Schluss des Beitrags allerdings macht deutlich, wie wenig treffend die Formel von der Vereinbarkeit ist und wie viel angemessener es wäre, vom doppelten Verzicht zu sprechen. Es heißt dort:

„Seine Managerkollegen von früher schmunzeln vermutlich schon über die Wortwahl. Alexander May ist ein Beispiel dafür, was in keiner erbaulichen Ministeriumsbroschüre steht, aber jeder schnell merkt, der Kinder bekommt: Familie hat ihren Preis. Karriere auch. Ob die Gleichung aufgeht, muss jeder für sich selbst entscheiden.“

Denn Familie und Beruf lassen sich nicht vereinbaren, ohne dass in beider Hinsicht Verzicht geübt werden muss, so lässt sich herauslesen. Wer beides haben will, von dem ist doppelter Verzicht gefordert. Ganz zu recht schließt der Beitrag mit dem Hinweis, dass dies jeder für sich entscheiden muss, will man keine staatliche Vorschrift einführen. Moment mal, Vorschrift? Die gibt es heute zwar nicht, es gibt aber eine normative Erwartung: Erwerbstätigkeit. Wir haben zwar keine Vorschrift, aber sehr wohl eine Wertigkeit in unserem Gemeinwesen. Denn heute kann maximal ein Elternteil zuhause bleiben, denn der andere muss Einkommen beschaffen. Der Familie die Priorität einzuräumen ist also nur einem von beiden möglich, und das nur, wenn er zu den Besserverdienenden gehört. Wäre es nicht wünschenswert, beide könnten zuhause bleiben, wenn sie wollten? Das geht aber nur und wird erst anerkannt als gleichwertige Entscheidung, wenn ein bedingungsloses Grundeinkommen verfügbar ist.

Sascha Liebermann