„Kapitalismus-Debatte und andere Ablenkungsmanöver“…

…ein Kommentar zur Debatte von Heiner Flassbeck auf Makroskop.

Abgesehen von Flassbecks Kritik an den Ablenkungsmanövern und wie weit eine Sozialismusdiskussion von der Gegenwart entfernt sei, könnte man auch die Frage stellen, ob nicht Flassbecks Vorschlag nur eine Fortsetzung derselben Schwierigkeiten mit anderen Mitteln darstellen würde. Denn, wie er oft genug deutlich gemacht hat, kommt es in seinen Augen nicht in Frage, die Erwerbszentrierung der „sozialen Marktwirtschaft“ aufzugeben. Genau dies aber führt ja zu einem Grundwiderspruch zwischen der Verfasstheit der politischen Ordnung auf der einen und der Konstruktion der sozialen Sicherungssysteme auf der anderen Seite. Flassbecks Vorschlag würde diesen Widerspruch genauso fortschleppen, wie es gegenwärtig schon geschieht.

Frühere Kommentare zu Flassbecks Ausführungen zum Bedingungslosen Grundeinkommen finden Sie hier. Siehe auch den sehr instruktiven Kommentar von Ingmar Kumpmann (siehe auch hier) zu dem Buch „Irrweg Grundeinkommen“, an dem Flassbeck beteiligt war.

Sascha Liebermann

Weshalb spricht das für Mindestlohn, aber gegen Grundeinkommen?

In einem Interview mit dem Titel  „Wir sparen uns zu Tode!“ in der Nachrichtensendung „heute“ hat sich Heiner Flassbeck über die positiven Effekte eines Mindestlohns geäußert. Die Ausführungen sind interessant und irritierend, denn was er hier über Mindestlöhne sagte, könnte er auch über das Bedingungslose Grundeinkommen sagen. Hier die entsprechende Passage:

„…heute.de: In Deutschland gibt es viele „Aufstocker“. Diese haben die Mindestlöhne oder noch weniger. Finden diese Jobs auf dem Rücken der Gesellschaft statt, weil diese Gesellschaft ja die Aufstockungsleistungen bezahlen muss?
Flassbeck: Natürlich, die Gesellschaft muss zahlen. Sie bezahlt erstens zunächst zu wenig für die Produkte, Dienstleistungen, die von den Menschen hergestellt werden. Und da brauchen wir eine ganz andere Vorgehensweise. Es müssen Löhne bezahlt werden, die das Überleben von der eigenen Arbeit sichern. Und wir müssen zweitens Löhne haben, die der allgemeinen Produktivitätsentwicklung entsprechen. Wenn wir das haben, gibt es auch eine gerechte Verteilung der Lasten. Das heißt, dass man beim Friseur vielleicht mehr bezahlen muss, und das wäre auch völlig in Ordnung. Und es wird auch andere Produkte geben, denn die Leute, die mehr bekommen, werden auch wieder andere Dinge nachfragen…“

Es geht hier vor allem um den Zusammenhang von verfügbarem Einkommen und Konsummöglichkeiten. Was Flassbeck hier sagt, ließe sich mühelos auf das Bedingungslose Grundeinkommen und seine Auswirkungen übertragen, ja, wäre da nicht seine und seiner Mitautoren Vorstellungen (oder Vorurteil), Leistungsbereitschaft hänge von dauerndem Druck bzw. Arbeits-Anreizen ab (siehe hier und hier).

Sascha Liebermann

„Das Grundeinkommen und die Scheißarbeit“ – eine symptomatische Kritik

Wieder ist eine Rezension des Buches Irrweg Grundeinkommen erschienen, die sich zugleich als Beipflichtung verstanden wissen will. Zu den Einwänden gegen das Bedingungslose Grundeinkommen, die in diesem Buch vorgebracht werden, ist schon manche Entgegnung geschrieben worden, siehe hier, hier und hier (darin auch weitere Links). Dennoch ist es immer wieder interessant und in diesem hier zu besprechenden Fall auch aufschlussreich, eine Kritik zu lesen, um das Weltbild zu verstehen, das sie trägt. Zu dem Beitrag gibt es unter dem entsprechenden Link auch interessante Kommentare anderer Leser, hier seien nur wenige Passagen ausführlich kommentiert.

Roberto De Lapuente, Autor der Rezension, ist der Auffassung, zwei schlagende Ansatzpunkte für eine Kritik am Grundeinkommen gefunden zu haben. Nehmen wir sie unter die Lupe:

Ein berechtigter Einwand, den die Ökonomen [Flassbeck et al., SL] aufzählen, ist: Wenn die Autarkie, die der Mensch einer Grundeinkommensgesellschaft genießt, weil er ja nicht mehr arbeiten muss, sondern kann oder darf, je nach Laune – wenn diese Autarkie also dazu führt, dass Arbeit nach eigenen Bedürfnissen und Ansprüchen geleistet wird, dann mag das ein Aufschwung für Tätigkeiten sein, die man als Berufung wahrnimmt. Was aber geschieht mit Berufen? Wer schraubt Fahrgestelle zusammen und asphaltiert Straßen oder entertaint kleine Schreihälse? Autarke Erzieherinnen könnten sich ja auch nur die netten Kinder raussuchen. Eine unverbindliche Gesellschaft wäre das Resultat…

Ein bekannter Einwand gegen das BGE wird hier vorgebracht. Als Erstes fällt der Begriff Autarkie auf, der mit den Lebensmöglichkeiten, die ein BGE schafft, verbunden wird. Autarkie bedeutet so viel wie Selbstgenügsamkeit, steht also für eine Lebensform, die sich selbst genügt und nicht in einem gemeinschaftlichen Zusammenhang steht bzw. von diesem unabhängig ist. Da diese Lebensform hier auf das Individuum bezogen wird, geht es also um ein Individuum, das keiner Gemeinschaft bedarf, das in sich selbst aufgehoben, aus sich selbst lebensfähig ist. Ist das eine Gefahr, mit der wir durch ein BGE konfrontiert würden? Ein Individuum wird nur zu einem solchen durch einen Bildungsprozess (Ontogenese), der sich in Sozialität, also in einer konkreten Gemeinschaftsform entlang ihrer Wertvorstellungen, vollzieht. Durch diesen Bildungsprozess entsteht – wenn alles einigermaßen gut läuft – eine belastbare Gemeinwohlbindung, auf deren Basis dann Entscheidungen im Leben getroffen werden, die sich ins Verhältnis zum Gemeinwohl setzen. Die Ausformung einer solchen Gemeinwohlbindung kann natürlich auch scheitern oder fragil sein, entsprechende Phänomene sind die Folge, doch in der Regel ist sie am Ende diese Prozesse stabil gegeben. Was als Gemeinwohl in einer jeweils konkreten Gemeinschaft verstanden wird, steht nicht ein für allemal fest, es unterliegt Wandlungen. Gerade die BGE-Diskussion bezeugt eine solche Strittigkeit und bietet eine andere als geläufige Antworten an. De Lapuente wie auch Flassbeck und seine Mitautoren verstehen Solidarität als eine, die durch Verpflichtungen und eine wenn auch implizite Nötigung befestigt oder sogar erzeugt wird – so lässt sich aus diesem Text schließen. Es ist die Nötigung bzw. Verpflichtung zu Erwerbstätigkeit. So ist auch die Schlussfolgerung zu verstehen, die besagt, ohne diese Verpflichtungen und Nötigungen orientiere sich der Einzelne gar nicht am Gemeinwohl, sondern nur an seinen unmittelbaren Bedürfnissen. Folgerichtig blieben die unangenehmen Tätigkeiten ungetan zurück. Erwerbstätigkeit wird zum Band der Solidarität.

Konsequent schlussfolgert der Autor, wohin ein BGE führen würde. Er sieht die Berufe bedroht, die nicht den Neigungen und Bedürfnissen entsprechen, sondern in irgendeiner Form unangenehm – eine sehr vage Bestimmung – sind. An dieser Deutung ist zum einen interessant, dass Berufung als etwas Partikularistisches verstanden wird, das nur den Bedürfnissen des Einzelnen entspricht. Das ist aber nicht die Bedeutung des Wortes, denn berufen wird man, man beruft sich nicht selbst. Sie ist der Inbegriff dafür, einer höheren Aufgabe zu folgen. Die Berufung, das Berufungsempfinden geht auf eine dem Einzelnen übergeordnete oder als solches empfundene Instanz zurück – in religiösem Sinne Gott, in säkularem Sinne so etwas wie das Gemeinwohl. Bezeichnend ist wiederum die Wertigkeit, die der Autor klischeehaft mit bestimmten beruflichen Aufgaben verbindet: Das Anstrengende, Schmutzige, Nervige wird mit dem gleichgesetzt, was keiner machen will, der schnöde Beruf. Was indes anstrengend, herausfordernd oder auch unangenehm ist, das ist zum einen von gesellschaftlichen Bewertungen abhängig, zum anderen von persönlichen Neigungen. Sich um „Schreihälse“ zu kümmern, ist unangenehm, wenn Kinder vor allem als „Scheihälse“ betrachtet werden. Es ist auch unangenehm für denjenigen, der es nicht machen möchte, dem es nicht liegt, aber nicht für denjenigen, der darin eine sinnvolle Aufgabe erkennt. Anstrengung – auch sie kann unangenehm sein – und Erfüllung widersprechen sich keineswegs, sie gehören eher zusammen. Ist die Argumentation gegen das BGE hier nicht genau die Logik der Agenda 2010 ein wenig durch den Mantel der Fürsorglichkeit verdeckt? Das würde er sicher weit von sich weisen, damit etwas zu tun zu haben, doch bei genauerer Betrachtung ist es die Konsequenz. Selbst wenn Regelsätze erhöht und die Sanktionspraxis gemildert würde, änderte dies nichts an der normativen Struktur.

Natürlich könnte es so sein, gedankenexperimentell, dass mit einem BGE nur noch die angenehmen Tätigkeiten gemacht werden würden. Ist das aber realistisch? Müssen wir uns nicht heute schon fragen, weshalb diese vermeintlich unangenehmen Tätigkeiten gemacht werden, ohne dass es einen Berufszwang gibt? Müssen wir uns folglich nicht fragen, weshalb auch die vermeintlich unangenehmen Tätigkeiten etwas Erfüllendes haben können? Welche Tätigkeit, welcher Beruf zeichnet sich denn durch vorwiegend oder ausschließlich angenehme Seiten aus? Der Autor als Verfasser von Texten müsste, sich an die eigene Nase fassend, sogleich feststellen, welche Anstrengung das der Berufung doch nahekommende Schreiben, wie krisenhaft und aufwendig das Verfassen eines Textes ist – die Furcht vor dem leeren Blatt Papier. Grund genug für andere, daraus keinen Beruf machen zu wollen. Statt eine vermeintlich plausible Unterteilung von angenehmen und unangenehmen Tätigkeiten zu behaupten, wäre zu fragen: Was ist für wen aus welcher Perspektive angenehm oder unangenehm? Solche Bewertungen werden von verschiedenen Motiven getragen: persönlichen Neigungen, milieuspezifischen und gesellschaftlichen Bewertungen, Ängsten und Tabuisierungen. Berufung und Beruf widersprechen sich gar nicht, wenn einmal ernst genommen wird, dass jeder Beruf seine spezifischen Anstrengungen und unangenehmen Seiten hat – vor allem aus Sicht desjenigen, der sich nicht vorstellen kann, ihn auszuüben. Man höre nur einem Kumpel zu, der unter Tage arbeitet oder einem Mitarbeiter der Müllabfuhr, was er vom Papierrascheln der Sesselpupser in den Büros hält, von den Berufen im Bildungswesen ganz zu schweigen.

Schon die hier ausführlicher kommentierte erste Passage gäbe genug Anlass, den Klischees nicht weiter zu folgen, die als Beleg für die verheerenden Folgen eines BGE zusammengetragen werden. Sie geben vor allem Auskunft über die Wertvorstellungen des Verfassers.

Wie geht es weiter?

…Seitdem Menschen der arbeitsteiligen Gesellschaft von Unabhängigkeit von der Erwerbsarbeit träumen, hoffen sie auf einen Typus Mensch, der freiwillig und aus rationalen Gründen arbeitet…

Solche den Lebenswirklichkeiten durchaus zu entfliehen versuchende Vorstellungen hat es wohl immer gegeben. Sie könnten ein Zeichen dafür gewesen sein, einer zu sehr – aus welchen Gründen auch immer – fremdbestimmten Lebensweise entfliehen zu wollen und das Kind mit dem Bade auszuschütten. Doch auch hier erfährt man mehr über den Autor. Liest man „freiwillig und aus rationalen Gründen“ einmal so, dass nur in einem solche Beruf der Einzelne bestehen kann, mit dem er sich auch innerlich zu verbinden weiß, dann kann der Einwand nicht ernsthaft als Einwand betrachtet werden. Ohne eine solche innere Verbindung kann kein Beruf erfolgreich ausgeübt werden. Erstaunlich, wie schnell doch, ohne ausgesprochen zu werden, gewisse Druck- oder Zwangskonstellationen als unerlässlich angesehen werden, um die Menschen zum Arbeiten zu bringen. Der Autor befindet sich in bester Gesellschaft mit den sogenannten Neoliberalen zumindest deutscher Prägung. Denn dass am Ende der Sozialisation eine belastbare und tragfähige Gemeinwohlbindung vorliegt, ist für beide Positionen gleichermaßen undenkbar, da sind sie Brüder im Geiste (siehe auch „‚Konstruktionsfehler des Grundeinkommens‘ – oder der Einwände dagegen?“).

Weiter heißt es:

…Jeder hätte ja nun die Muße weniger zu arbeiten oder das zu tun, wonach einem der Sinn steht. Man führt dabei gerne Marx an, der über ein Ende der Arbeitsteilung sinnierte und meinte es sei irgendwann möglich „heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“ Diese Vorstellung der Autarkie ist führwahr sehr anziehend, aber undenkbar in einer Gesellschaft, die von so genannter Scheißarbeit abhängig ist. Von Arbeit, die keiner als Herausforderung sieht und die man als von der Erwerbsarbeit autarker Mensch niemals anpacken würde…

Ganz konsequent setzt sich das Argumentationsmuster fort. Umso deutlicher wird noch einmal, wie sehr offenbar die Erwerbsverpflichtung das notwendig integrierende Band bleiben soll, damit die „Scheißarbeit“ gemacht wird.

Weiter heißt es:

…Das Wort Beruf kommt von Berufung. Luther soll es geprägt haben. (Im Zweifelsfall war es immer Luther.) Heute stehen Beruf und Berufung aber durchaus gegensätzlich da. Die Berufung käme vielleicht sogar gut weg, gäbe es ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die Altenheime hätten plötzlich Personal, Vorleser oder Zuhörer. Das Grundeinkommen würde Zeit loseisen und der Berufung Zeit schenken. Aber den Beruf, wer würde den wählen? Bestimmte Berufe würden bestimmt weiter erledigt. Andere jedoch sicherlich kaum. Wer geht freiwillig in die Kanalisation? Wer wäscht Scheiße aus Altenheimbettwäsche? Wer reinigt Fenster oder pflastert Schnellstraßen bei Wind und Wetter?…

Stehen heute Beruf und Berufung „gegensätzlich“ da? Selbst für den Gläubigen, zumindest lässt sich Luther so verstehen, ist eine Spannung zwischen beidem konstitutiv, wenn die Berufung das ist, wohin Gott einen gerufen hat, der Beruf hingegen in weltliche Normen und Maßstäbe eingebundene Anforderungen formuliert, die mit der Berufung nicht deckungsgleich sind. Für das säkulare Leben gilt diese Spannung ebenfalls, denn auch hier ist die Berufung gleichzusetzen mit der Hingabe an eine Sache und der Beruf ist die praktische Ausgestaltung und Organisationsform mit ihren Normen, in der die Berufung nur realisiert werden kann – ein ständiges Ringen zwischen Ideal und Praxis, die zugleich Ermöglichung und Beschränkung ist. Nun räumt der Autor ein, die Berufung komme noch gut weg mit einem BGE, sein Beispiel ist das Altenheim. Doch die „Scheiße aus der Altenheimwäsche“ zu waschen, das soll jemand aus Berufung tun? Für ihn unvorstellbar. Liegt das nun an der Aufgabe oder an den Vorurteilen des Autors? Sicher, in unserer Gesellschaft mag dieser Beruf kein gutes Ansehen genießen, das spricht Bände. Doch diejenigen, die ihn ausüben, müssen deswegen, was andere für unangenehm halten, nicht selbst unangenehm finden. Wer sich einem anderen Menschen zuwendet, auch wenn das als Beruf geschieht, dem ist nichts fremd – es gehört zum Menschen. Dasselbe gilt für die erwähnten „Schreihälse“ – das sind sie nur aus der Sicht Erwachsener, die ihre Ruhe haben wollen und deswegen Kinder bevorzugen, die „pflegeleicht“ sind. Wäre der Autor konsequent, müsste er eine mehr oder mindere deutlich Form einer Zwangsverpflichtung befürworten, denn sonst bliebe das Risiko bestehen, niemanden für diese Aufgaben zu finden, die er für unangenehm hält. Doch, wäre das eine Lösung? Zumindest nicht eine, die unseren Vorstellungen von freier Berufswahl heute entspricht, die auch durch das Grundgesetz geschützt ist. Will der Autor dahinter zurück?

Es läge doch näher, die Frage einmal umzukehren: Wie erklären wir das Phänomen, dass selbst unter widrigen Bedingungen heute Menschen an ihrem Beruf festgehalten? Schon eilt der Einwand heran: ja, aber die müssen eben und haben keine Alternative oder können auf das Einkommen nicht verzichten. Diese Deutung unterschätzt in meinen Augen die Lebenspraxis, es gibt mehr Alternativen, als man meint – sie liegen einem aber vielleicht nicht oder kommen aus den verschiedensten Gründen nicht in Frage.

Was folgt nun aus der Sorge um die unbeliebten Tätigkeiten? Sollte sich nun tatsächlich niemand finden, der solche Tätigkeiten übernimmt, dann können wir allenfalls dafür sorgen, sie attraktiver zu machen oder sie selbst in die Hand nehmen. Wo das keine Antwort bietet, z.B. für Menschen, die auf dauernde Hilfe oder Betreuung angewiesen sind, wird nur eine öffentliche und private Auseinandersetzung darüber, wie wir zu diesen Aufgaben stehen, eine Veränderung bringen können (siehe auch Stichwort „Pflege“ in unserem Blog). Unterschätzt werden meines Erachtens die Auswirkungen der Überhöhung von Erwerbstätigkeit auf die Deutungen genau dieser Tätigkeiten, die heute abgewertet sind.

Weiter heißt es:

…Das alles bedeutet nicht, dass man das negative Menschenbild der Neoliberalen teilen müsste, die da meinen, alimentierte Menschen würden es bevorzugen auszuschlafen und sich auszuruhen. Natürlich arbeiteten die Menschen auch dort, zumal einige Grundeinkommensmodelle auch einen Mehrertrag für die Arbeitsbevölkerung vorsähen…

In seinem Selbstverständnis klarer Gegner der sogenannten Neoliberalen folgen seine Einwände gegen das BGE jedoch einem verwandten Muster, wobei sich auch zeigt, wie fragwürdig ein solches Schlagwort ist. Milton Friedman plädierte gerade deswegen für eine Negative Einkommensteuer, weil er die Bedürftigkeitsprüfung für entwürdigend hielt. Dass es ihm dennoch darum ging, „Anreize“ für Erwerbstätigkeit zu erhalten, da war er mit De Lapuente einig, wie wir gesehen haben.

…Aber zu positiv darf man das ja auch nicht sehen. Es ist ja mitnichten so, dass der Mensch ein bedingungslos edles Wesen ist, das in einem Idyll zu den nobelsten Taten fähig würde…

Aha, da ist sie schon, die Einschränkung. Was hat das eine mit dem anderen zu tun, muss gefragt werden? Ein Schuh wird daraus, weil ein nur bedingt edles Wesen eben doch angeleitet, geführt, angereizt oder bedrängt werden muss, wo unangenehme Tätigkeiten zu verrichten sind. Die also ihrer Berufung weiterhin folgten, die könnte man in Ruhe lassen, die anderen nicht? Eine schöne Zwei-Klassen-Gesellschaft wird da entworfen.

…Die Scheißarbeit fällt immer unter dem Tisch, wenn man den Garten Eden auf Grundeinkommensniveau beschreibt. Man spricht von ihr nicht, so als fiele sie einfach weg, als hätten wir es nicht mehr nötig zu schrauben, zu putzen oder zu warten…

Wen meint er denn, wer lässt diese Arbeiten unter den Tisch fallen? Statt Behauptungen zu belegen, werden sie einfach in die Welt gesetzt. Wie in jeder Diskussion um einen Vorschlag gibt es auch unter BGE-Befürwortern Einseitigkeiten, überzogene Erwartungen und Klischees. Dafür kann aber nicht das BGE verantwortlich gemacht werden.

…Oder meint mancher ein glückliches Menschengeschlecht auf Grundlage technischen Rückschritts zu ermöglichen? Polpotismus etwa? Back to the stones? So würde es eventuell wirklich funktionieren. Aber wer möchte das schon?…

Für den Fortschritt also den Druck und die Zwangsverpflichtung? Klare Worte, immerhin.

…Nun wird man einwenden, dass die Ökonomenriege den Arbeitszwang aufrechterhalten will. Und dass sie Interesse daran hat, dass ihnen jemand die Scheißarbeit erledigt. Letzteres mag stimmen…

Das ist plump gedacht, in des Autors Ausführungen aber durchaus enthalten, nicht die anderen, die Ökonomenriege, er selbst will es.

…Denn jede Tätigkeit ist von gesellschaftlichen Nutzen…

Wie ist das nun zu verstehen? Weshalb wird dann nicht „jede Tätigkeit“ durch das Gemeinwesen ermöglicht, z.B. das bürgerschaftliche Engagement und die familiale Fürsorge ohne Wenn und Aber?

Es kommt aber darauf an, sie ordentlich zu entlohnen. Dass dies heute nicht immer, ja viel zu selten der Fall ist, leugnen die Ökonomen durchaus nicht. Sie sprechen sich dafür aus, dass in diesem System der Arbeitsbasiertheit dafür gesorgt sein muss, dass jeder sein Auskommen hat. Auch diejenigen, die in diesem System zeitweilig (oder aus welchen Gründen auch immer unbefristet) ohne Arbeit sind. Auch um Ideen, die anfangs attraktiv klingen, wie eben jenes Grundeinkommen, die aber ins Gegenteil weisen, nicht moralisch zu stärken. Hier kommt der Mindestlohn ins Spiel, als die weitaus bessere Alternative zu einem Modell, dass zwar versorgt, aber diese Versorgung zwangsläufig auf ein Niveau hinabdrückt, das nicht gewollt sein kann.

Dieser Abschnitt muss nicht mehr im Einzelnen kommentiert werden, er zeigt, wie hermetisch das Deutungsmuster ist, auf dessen Basis das BGE besprochen wird. „System der Arbeitsbasiertheit“ – damit wird das Gemeinwesen auf die Erwerbsgesellschaft reduziert, ganz wie es üblich ist. Dass ein BGE zwangsläufig niedrig ausfallen würde ist eine bloße Behauptung. Was daraus würde, hängt von den Bürgern ab, aber die sind für den Autor ohnehin nicht zu denken, zumindest nicht, wenn man diese Besprechung von ihm liest.

Sascha Liebermann

„Irrweg Grundeinkommen“ – ein weiteres Interview

Friederike Spiecker, Autorin unter anderen des Buches Irrweg Grundeinkommen, äußert sich in einem Interview mit dem Magazin enorm zum Bedingunglosen Grundeinkommen. Aufschlussreiche Antworten gibt sie, die verstehen lassen, weshalb ein BGE abgelehnt wird. Weitere Kommentare zu den Thesen von unserer Seite finden Sie hier und hier.

Im eigenen Saft schmorend – zu einer zustimmenden Rezension von „Irrweg Grundeinkommen“

Auf der Website Wirtschaft und Gesellschaft ist eine Rezension zum Buch Irrweg Grundeinkommen erschienen. Der Autor, Thorsten Hild, bemerkt an einer Stelle:

„…Diese Grundvoraussetzung sehen die Autoren beim BGE nicht gegeben. Die Begründungszusammenhänge, mit denen Flassbeck , Spiecker, Meinhardt und Vesper das BGE angreifen, sind dabei deutlich anspruchsvoller als die BGE-Modelle selbst. Sie analysieren nicht weniger als die Grundvoraussetzungen, die für die Freiheit des Einzelnen gegeben sein müssen, ohne die Freiheit anderer einzuschränken…“

Hat der Autor sich mit differenzierten Begründungen eines BGE befasst und auch die schon erschienen Erwiderungen zum Buch Irrweg Grundeinkommen zur Kenntnis genommen? Sicher gibt es oberflächliche oder auch schiefe BGE-Begründungen. Wir haben die These vom Ende der Arbeit, die als solche schon ungenau ist, nie geteilt, und sind damit nicht die einzigen. Der Slogan Freiheit statt Vollbeschäftigung z.B. bezieht sich nicht auf die Frage, ob Vollbeschäftigung wieder erreichbar ist, sondern dass sie nicht vorrangiges Ziel politischer Anstrengungen sein soll, nicht Ziele ihm untergeordnet werden sollen und letztlich Erwerbstätigkeit nicht den Rang behalten soll, der ihr heute zugemessen wird. Solche Unterscheidungen finden sich bei Thorsten Hild nicht einmal, wie soll es da zu einer differenzierten Diskussion kommen?

Siehe z.B. Sascha Liebermann “Die falsche Solidarität” oder fehlendes Vertrauen? – Anmerkungen zu “Irrweg Grundeinkomen”  (der Beitrag bezieht sich auf einen Artikel der Verfasser des Buches, nicht auf das Buch) und  „“Konstruktionsfehler des Grundeinkommens“ oder der Einwände dagegen?““ (der Beitrag befasst sich mit einer ähnlich angelegten Kritik am BGE wie die von Flassbeck et al.) Andere haben sich zu dem Buch schon geäußert, siehe Ingmar Kumpmann sowie Ronald Blaschke und Herbert Wilkens. Herbert Wilkens hat auch eine aufschlussreiche Korrespondenz mit Jens Berger geführt, der der Argumentation von Flassbeck et al. folgt
Interessant ist auch der Kommentar zum Beitrag von Herbert Wilkens von Manfred Bartl, einem Unterstützer der Nachdenkseiten, zu denen auch Jens Berger gehört.

An einer ernsthaften Auseinandersetzung scheint gar kein Interesse zu bestehen, das zeigen sowohl die Thesen von Heiner Flassbeck et al., Jens Berger, Albrecht Müller und nun auch die Rezension von Thorsten Hild. Die Autoren schmoren im eigenen Saft, ihre Analysen fußen auf Wertvortstellungen, die nicht aufgegeben werden dürfen – aus ihrer Sicht. Viele Thesen und Behauptungen darüber, dass ein BGE so allgemein gesprochen, sich selbst das Wasser abgrabe, sind nur plausibel, wenn die Begründungszusammenhänge, die vorausgesetzt werden, unhinterfragt bleiben. Obwohl Thorsten Hild auf das „Hinterfragen“ große Stücke hält und sich in seinen Dienst stellt, ist in der Rezension davon nicht allzuviel übrig. Schmoren im eigenen Saft statt differenzierter Auseinandersetzung ist das Resultat.

Sascha Liebermann

„Die falsche Solidarität“ oder fehlendes Vertrauen? – Anmerkungen zu „Irrweg Grundeinkomen“

Vor kurzem haben wir auf das Buch Irrweg Grundeinkommen hingewiesen, das am 12. November erschienen ist. Der Titel verspricht eine Auseinandersetzung mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen, der Ankündigungstext hingegen lässt nicht allzuviel erwarten. Nun ist ein Auszug aus dem Buch unter dem Titel „Die falsche Solidarität“ erschienen. Er erlaubt zu prüfen, ob der Eindruck des Ankündigungstextes getäuscht hat. Eine Leseprobe aus dem Buch ist ebenfalls verfügbar. Mittlerweile gibt es auch zwei Rezensionen, eine hier, die andere hier.

Ich kommentiere ausgewählte Stellen der Zeitungsartikels (per Suchfunktion im Original leicht zu finden), die ich zitiere, damit der Leser nicht nur einen Eindruck davon erhält, was, sondern auch wie es gesagt wird. Das lässt weitere Schlüsse auf die Wertvorstellungen der Autoren zu. Die erste Zwischenüberschrift lautet:

Die Freiheit des einen bedeutet Zwang für andere
Das kommt einem doch bekannt vor. Zu erwarten ist in diesem Abschnitt der Vorwurf gegen das BGE, dass es einige aussteigen lässt, für deren Unterhalt dann die anderen arbeiten müssen. Wir können das als Kostgänger-Einwand bezeichnen, so wird er häufig vorgebracht. Einleuchtend klingt dieser Einwand vor allem, wenn das Zusammenleben in einem Gemeinwesen so gedeutet wird, dass Leistung nur in einem Bereich erbracht wird: wo Güter und Dienste in Geld getauscht werden. Dort nämlich nur könne, so die Kostgänger-Einwänder, das Geld abgeschöpft werden, das zur Bereitstellung des BGEs notwendig sei. Dagegen, dass Geld abgeschöpft werden muss (z.B. durch Steuern), um dann ein BGE bereitzustellen, ist nichts zu sagen. Dagegen allerdings, dass diese Form der Leistung die maßgebliche sei, einiges. Es ließe sich die Vereinseitigung der Autoren ebenso vereinseitigend auch umdrehen. So wird deutlich, wie abwegig es ist, in einem Gemeinwesen Bilanz zu ziehen. Ohne die Bereitschaft von Eltern, sich bedingungslos um ihre Kinder zu kümmern – und zwar nicht nach Tarifarbeitszeit -, sondern den ganzen Tag, die ganze Woche, das ganze Jahr – ohne diese Bereitschaft, würden weder Kinder in die Welt kommen, noch aus ihnen Erwachsene werden, die in der Lage sind, ihr eigenes Leben in die Hände zu nehmen: als Bürger wie als Erwerbstätige. Wer Bilanz zieht, muss auch zwischen produktiven und unproduktiven, zwischen guten und schlechten Bürgern unterscheiden. Damit aber wird gerade die Egalität der Bürger unterlaufen.

…Da auch die Finanzierung jeder Variante des Grundeinkommens letztlich auf dem beruht, was produziert wird, ist es reine Augenwischerei zu behaupten, es gebe eine Art „dritten Weg“, die Bedürfnisse der von den Märkten Benachteiligten in Einklang zu bringen mit den Ergebnissen eben dieser Märkte. Die Schwerkraft kann niemand per Beschluss abstellen, und die Grundregel des Wirtschaftens, dass nur verbraucht werden kann, was produziert worden ist, lässt sich nicht mit schlaraffenlandähnlichen Ideen außer Kraft setzen…
Ach was? Wer sich ernsthaft mit dem BGE befasst und es ernsthaft befürwortet, wird hier nicht der Schlussfolgerung widersprechen, die das Verhältnis von Erwirtschaften und Ausgeben betrifft. Allerdings hat sich, Stichworte Arbeitsstunden und Produktivität, der Aufwand verändert, der erbracht werden muss, damit eine bestimmte Gütermenge erzeugt oder Dienste bereitgestellt werden können. Da hätten die Autoren auch gleich einen Beitrag z.B. von Ulrich Busch veröffentlichen (siehe meine Replik darauf) und sich das Schreiben ersparen können. Das BGE stellt diesen Zusammenhang nicht in Frage, es stellt aber in Frage wie es zu dieser Erwirtschaftung kommt und auf welcher Basis.

…Im Gegensatz zum Existenzminimum, das jedem Bürger grundgesetzlich garantiert wird, soll das Grundeinkommen unabhängig von der Bedürftigkeit des Empfängers und von dessen bisheriger, gegenwärtiger oder zukünftig zu erwartender Teilnahme am Produktionsprozess geleistet werden. Bislang ist der Leistungsbezug daran gebunden, dass dem Leistungsberechtigten eine Teilnahme an der Schaffung von Einkommen aktuell oder auf Dauer nicht im existenzsichernden Umfang möglich ist...
Da werden die heutigen Verhältnisse schöner dargestellt, als sie sind. Es sollte mindestens erwähnt werden, welche Bedingungen derjenige zu erfüllen hat, welche Sanktionen angewendet werden können usw. Doch davon kein Wort. Den Autoren ist der Vorrang von Erwerbstätigkeit ein echtes Anliegen (wie auch andere, die gegen ein BGE argumentieren), ein Anliegen, das sie darüber hinwegschauen lässt, welche Leistungen es sonst noch gibt.

…Die Bedürftigkeitsprüfung ist das Gegenstück zur Besteuerung nach Leistungsfähigkeit: Wie jeder so besteuert werden soll, dass er das gleiche „Opfer“ für die Gesellschaft erbringt, so soll jeder in dem Maße unterstützt werden, wie er objektiv nicht in der Lage ist, für sein eigenes Auskommen und das der von ihm abhängigen Menschen zu sorgen…
Wieder äußerst unpräzise. Was heißt „objektiv nicht in der Lage“? Wer definiert „objektiv“? Die Eltern, die es für notwendig erachten, für ihre Kinder zuhause zu bleiben, haben einen ausgesprochen guten Grund, keiner Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dieser Grund wird aber nur bei Alleinerziehenden als Grund dafür anerkannt, keiner Erwerbstätigkeit nachzugehen und das auch nur für einen bestimmten Zeitraum – bei Paaren gar nicht. Derjenige, der Angehörige pflegt und damit voll und ganz beschäftigt ist – auch dieser Grund wird nicht für den Bezug von Unterstützungsleistungen anerkannt. Beide leisten etwas für das Gemeinwesen und dennoch ist es kein Grund dafür – aus Sicht des Gemeinwesens -, nicht erwerbstätig zu sein. Würden beide indes sich um Kinder in einem Kindergarten oder um Menschen in einer Pflegeeinrichtung kümmern und dies als Erwerbstätige tun – wunderbar, sehr produktiv und sinnvoll in den Augen der Autoren. Das offenbart den verengten Blick auf die Lebenszusammenhänge.

…Die gewollte Entkoppelung des Anspruchs auf Grundeinkommen von jeglichen Bezugsbedingungen ist der Hauptkritikpunkt an dieser Form der Einkommensumverteilung. Jedes Umverteilungssystem funktioniert nur, wenn stabile materielle Grundlagen vorhanden sind, aus denen die von ihm versprochenen Leistungsansprüche befriedigt werden sollen…
Bezugsbedingungen kennt auch das BGE, es bedarf eines Status, Staatsbürgerschaft und Aufenthaltserlaubnis. Es ist aufschlussreich zu sehen, wie sich die oben schon gefundene Argumentation fortsetzt. Es wird nur von „stabilen materiellen Grundlagen“ gesprochen, die vorhanden sein müssen, alles andere: bürgerschaftlicher Gemeinsinn, Solidarität, Loyalität – werden einfach vorausgesetzt. Es kommt den Verfassern gar nicht in den Sinn, dass die Würde der Person nur in einem Gemeinwesen auch als Fundament anerkannt ist, das genau dieser Person als Staatsbürger alle aktiven und passiven Rechte bedingungslos verleiht – und nicht ihr als Erwerbstätiger. Ein Status, der universalistisch ist in dem Sinne, dass ihn auch Nicht-Staatsbürger erreichen können, etwas, woran jedem Gemeinwesen gelegen sein muss. Der Ökonomismus oder ökonomistische Reduktionismus, der dem Neoliberalismus vorgeworfen wird, ist der gleiche, den wir hier antreffen, nur mit anderem Vorzeichen.

…Das bedingungslose Grundeinkommen krankt daran, dass es die von ihm vorausgesetzte ökonomische Basis systematisch zerstört…
Wodurch denn? Nicht einmal ein Argument, nur eine Behauptung. Überzeugen kann diese Behauptung doch nur dann, wenn stillschweigend angenommen wird, der Mensch arbeite nur, wenn er müsse, nicht wenn er wollen könne. Es unterscheiden sich die Marktgläubigen nicht von den Umverteilern und die Umverteiler nicht von den Primärumverteilern in genau dieser Hinsicht: Leistung ist stets nur Produktion und Warentausch.

…Nein, die Kritik am bedingungslosen Grundeinkommen ist viel grundlegender: Die wirtschaftliche Stabilität eines demokratischen Gesellschaftssysteme beruht nicht zuletzt darauf, dass es für seine Mitglieder Rahmenbedingungen setzt, innerhalb derer jede legale Verhaltensmöglichkeit, auch wenn sie von allen gleichzeitig wahrgenommen wird, zum Erhalt des Systems und nicht zu seinem Untergang beiträgt…
Das würde auch für eine Demokratie gelten, die ein BGE einführt. Der Unterschied zwischen den Befürwortern eines BGE und den Kritikern hier besteht in diesem Punkt lediglich darin, dass letztere der materiellen Basis und damit einer Erwerbsverpflichtung den Vorrang einräumen, erstere hingegen auf die Bereitschaft setzen, dass sich die Menschen schon einbringen werden, wo sie es für wichtig erachten. Das ist übrigens in vielerlei Hinsicht auch heute nicht anders, denn produktiv wird ein Arbeitsplatz nicht dadurch, dass einer dort hingeht. Produktiv wird er erst, wenn er verlässlich und engagiert seine Aufgaben erledigt. Woher kommt aber Verlässlichkeit und Engagement? Die Kritiker würden sagen, durch den „Anreiz“, den sanften Druck oder Ähnliches – was allerdings nur eine Behauptung ist.

Und es geht weiter:


…Das ist sozusagen der Lackmustest beim gedanklichen Übergang vom einzelwirtschaftlichen Rationalverhalten zu seinen gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen, den die Wirtschaftsordnung eines auf Freiheit basierenden, demokratisch organisierten Staates bestehen muss. In einer Demokratie bedeutet die Freiheit des Einzelnen, dass ihm innerhalb des gesetzlichen Rahmens keine Verhaltensvorschriften gemacht werden dürfen. Dieser gesetzliche Rahmen muss aber auch gewährleisten, dass die Freiheit des Einzelnen die Freiheit aller anderen nicht einschränkt…
Eine erstaunlich technokratische Vorstellung von Gesetzesgeltung und Gesetzesbindung. Gesetze sind doch nur dann tragfähig und folgenreich, wenn sie von einer Gemeinschaft getragen werden, sie sich also an diese Gesetze bindet. Das geschieht aber nicht durch Gesetze selbst, sondern durch Loyalität und Anerkennung demokratischer Verfahren. Es spiegelt sich hier allerdings eine Vorstellung von Gesetzesgeltung wider, die in Deutschland im allgemeinen sehr stark ist. So erklären sich vermutlich auch die detaillierten gesetzliche Regelungen vieler Sachverhalte, auch Sozialleistungen verschiedenster Art. Der allzuschnelle Gang vor das Bundesverfassungsgericht kann auch als Eingeständnis betrachtet werden, nicht bereit zu sein, eine Frage im politischen Streit lösen zu können und zu wollen.

…Genau diese Funktionsvoraussetzung ist beim bedingungslosen Grundeinkommen nicht gegeben: Wenn sich alle Bürger eines Landes auf den Anspruch des bedingungslosen Grundeinkommens berufen und nur das tun, was ihnen gerade Spaß macht, was aber nicht notwendigerweise am Markt von irgendjemand anderem nachgefragt wird, gibt es keine ausreichende materielle Grundlage, aus der heraus die gesetzlichen Ansprüche jedes Einzelnen gegen den Staat, gegen „die Allgemeinheit“, bedient werden können…
Wieder sehr aufschlussreich. Schon im Ankündigungstext war ja die Gegenüberstellung von sorgenlosem und mühseligem Leben die Rede. Hier ist es nun der Spaß, der der Notwendigkeit gegenübergestellt wird. Lohnt es sich, überhaupt weiter zu kommentieren, wenn so krude daherwiederholt wird, was schon mehrfach gesagt wurde? Präziser werden die Ausführungen dadurch nicht. Der Text klingt wie eine ständige Variation desselben Vorwurfs an die BGE-Befürworter.
Mit der Bestimmung „am Markt von irgendjemandem nachgefragt werden“ zeigen die Autoren auch deutlich, welches Bild von Kultur sie haben. Wissenschaft, Kunst, Hochschule, Universität – für die Leistungen, die dort erbracht werden, gibt es gar keinen Markt im strengen Sinne. Es sind alles Tätigkeiten, die aus Steuermitteln bezahlt werden und in den wenigsten Fällen am Markt abgesetzt werden. Sie tragen also auch nichts zur „materiellen Basis“ bei, zumindest nicht direkt.
Die Autoren denken nicht von hier bis gleich, so mein Eindruck. Dasselbe Szenario, das sie hier entwerfen, kann auch für heute schon entworfen werden. Was geschähe wohl, wenn alle sich auf ihren Anspruch auf das Arbeitslosengeld II oder die Sozialhilfe berufen würden? Sicher müssten erst die Bedingungen erfüllt werden. Wenn die Menschen das aber wollten, könnten sie es. Auch dann wäre es nicht möglich, die „gesetzlichen Ansprüche“ zu bedienen. Sie wollen es aber offenbar nicht. Weshalb also sollte es eine plausible Erwartung sein, dass mit einem BGE die Menschen nur das täten, was ihnen „Spaß“ bereitete? Besonders deutlich wird an dieser Stelle, welch negativen Begriff von Beruf, von „Arbeit“ die Autoren haben. Der Mühsal wird der Spaß gegenübergestellt, was nur schlüssig ist, wenn der Mensch gewissermaßen anthropologisch als spaßorientiert vorgestellt wird und deswegen diese Spaßorientierung nicht noch gefördert werden darf durch ein BGE  – sanfter Druck zur Mühsal hingegen ist wichtig. Das Arbeitshaus lässt grüßen. Irrweg Grundeinkommen? Irrsinnige, weltfremde Behauptungen werden von den Autoren aufgestellt.

…Die Freiheit des einen, nicht am Erwerbsleben teilzunehmen, auch wenn er dazu in der Lage wäre, führt zum Zwang für andere, eben diese Freiheit des einen durch eigene Arbeit und die eigene Bereitschaft, deren Früchte zu teilen, zu ermöglichen. Anderenfalls könnte der Staat seine Versprechungen gegenüber dem „freiwillig“ Nichtarbeitenden nicht erfüllen. Damit ist aber die Freiheit des einen sozusagen auf die „Unfreiheit“ anderer angewiesen. Wollen alle die gleiche Freiheit nutzen, bricht das System in sich zusammen…
Wieder nur das Mantra des Erwerbsleben. Wir könnten das auch variieren, dann wird deutlich, wie irrsinnig diese Gleichung ist. Ersetzen wir einfach Erwerbstätige durch Kinderhabende oder bürgerschaftlich Engagierte und Nichterwerbstätige durch Kinderlose oder bürgerschaftlich Nicht-Engagierte. Wer ein Gemeinwesen so begreift, muss immer Bilanz ziehen. Dann wäre es kein Gemeinwesen mehr, sondern ein Interessenverband, eine Vertragsgesellschaft und damit als Gemeinwesen nicht lebensfähig.

…Daran ändert sich auch nichts, wenn man es für unwahrscheinlich hält, dass sich alle gleich verhielten (etwa weil die Bessersituierten sich nicht auf ein Wohlstandsniveau in der Nähe des Existenzminimums herablassen werden). Es genügt, wenn etliche Leute durch reduzierte Arbeit jene 1 000 Euro monatlich, die ihnen einige Modellvarianten als Grundeinkommen versprechen, weniger verdienen als derzeit, und schon kollabiert das System…
Weshalb? Vielleicht wird im Buch eine Antwort gegeben, der letzte Satz indes zeugt mehr von Unklarheit als von Klarheit. Weshalb sollten diejenigen, die weniger arbeiteten, denn weniger Einkommen insgesamt zur Verfügung haben als heute (BGE + Lohn)? Sie könnten anders verhandeln und trotz reduzierter Erwerbstätigkeit in der Summe gleichliegen.

Hier nun die direkte Fortsetzung der vorangehenden Stelle:


…Der Versuch einer relevanten Gruppe, diese Möglichkeit zu nutzen, kann dazu führen, dass immer mehr Menschen nicht einsehen, warum sie voll arbeiten, während andere ihre Arbeit sozusagen um 1000 Euro reduzieren, aber das gleiche Gesamteinkommen erzielen…
Es handelt sich als gar nicht um ein volkswirtschaftliches, es ist ein sozialpsychologisches Argument. Weil alle sich mit allen vergleichen und immer genauso dastehen wollen wie der, mit dem man sich vergleicht, soll es die Folgen haben, die behauptet werden. Diese These ist so gehaltvoll wie das homo oeconomicus-Modell – ihre empirische Basis? Schwach. Letztlich, so ist hier zu konstatieren, geht es wieder einmal um das Bild vom Menschen (siehe auch meinen Beitrag hier).

…Sie werden sich deshalb entweder selbst so verhalten oder gegen das System revoltieren, es zumindest zu unterlaufen suchen. In Lebensformen wie dem Kibbuz, wo jeder jeden kennt und seine Leistung sieht, mag das möglich sein. Das Prinzip „jeder leistet, was er kann, und bekommt, was er braucht“, ist hier anwendbar, weil die Anonymität so gering und der soziale Druck, sich fair zu verhalten, so hoch ist. In einer Gesellschaft von 80 Millionen Menschen ist eine solche soziale Überschaubarkeit und Kontrolle utopisch…
Sehr schön, eine wunderbare Stelle. Wo keine Kontrolle möglich ist, kann auch kein Vertrauen entgegengebracht werden. Aber wie ist ein Zusammenleben dann möglich? Die Passage könnte Anlaß dafür sein, sich zu fragen, weshalb die Menschen sich heute in so vielfältiger Form einbringen, obwohl sie es nicht müssten. Ist es doch auf ihr Bestreben zurückzuführen, einen Beitrag leisten zu wollen? Davon auszugehen, der gesetzliche Rahmen, von dem oben die Rede war, stifte den Zusammenhalt, macht Loyalität zum Resultat subtiler Zuchtandrohung (Sanktionen) durch Gesetze.

Sehr deutlich kommt diese Kontrollphantasie auch in folgender Passage zum Ausdruck, in der der Kreislauf von Geld und Waren beschrieben wird.
…Von der monetären Seite betrachtet, stellt sich das grundlegende Dilemma des bedingungslosen Grundeinkommens folgendermaßen dar: Geld ist in einer Marktwirtschaft eine Art Spiegelbild der vorhandenen, mit ihren Preisen bewerteten Güter. Im Gegensatz zu den auf Märkten gehandelten Gütern, die nach dem Kauf verbraucht werden, bleibt Geld nach dem Tausch „Ware gegen Geld“ jedoch bestehen, es hat nur den Eigentümer gewechselt. Das Einzige, was wieder auftaucht und dem Geld nach dem verbrauchsbedingten Verschwinden der Güter erneut gegenübersteht, ist die Zeit, darunter die potenziellen Arbeitsstunden, aus denen neue Güter entstehen können.
Das Geld behält seinen Wert trotz Verschwinden der mit ihm gekauften Güter, weil sich in einer arbeitsteiligen Gesellschaft alle zusammen darauf verlassen, dass mit der neu zur Verfügung stehenden Zeit tatsächlich wieder etwas produktiv angefangen wird und so die Menge der verbrauchten Güter quasi ersetzt wird. Dann steht dem Geld erneut ein Güterberg gegenüber…
Eben, alle verlassen sich aufeinander, sie vertrauen einander, auch heute ist das so. Eine tatsächliche Kontrolle ist gar nicht möglich und nicht notwendig. Gleichwohl erklären sie eine durch ein BGE fehlende Kontrolle zum angeblichen Problem.

…Das bedingungslose Grundeinkommen untergräbt dieses wechselseitige Vertrauen und damit den Wert des Geldes. Denn einerseits weiß jeder, dass er in der nächsten Periode wieder Geld in die Hand bekommt, das zum Überleben ausreicht, auch wenn er keinen Finger krumm macht. Andererseits weiß aber auch jeder, dass das nicht funktioniert, wenn alle oder viele sich so verhalten, wenn also die neu zur Verfügung stehende Zeit nicht wieder zumindest zum Teil in geleistete Arbeitsstunden fließt, aus denen reale Produkte und Dienstleistungen hervorgehen, die am Markt angeboten werden…
Es ist ein mangelndes Vertrauen der Autoren in die Bürger, wie sich hier zeigt. Zwar schreiben Sie, jeder wisse, dass Geld nur einen Wert hat, wenn ihm auch Güter gegenüberstehen, diese also erzeugt werden müssen. Dann relativieren sie die Sorge, denn es müsse nicht alle, sondern nur ein Teil der Lebenszeit in Arbeitsstunden fließen. Weshalb erwähnen sie nicht die Bedeutung von Automatisierung und Technologienutzung, weshalb wird nicht über Produktivitätsfortschritte gesprochen, die gerade dazu geführt haben, dass mit einer geringeren Zahl an Arbeitsstunden mehr Güter erzeugt werden können? Und wo Leistungen bereitgestellt werden, ohne dass sie für Geld erworben werden müssen, wo es also Dienste geben kann, die nicht bezahlt werden müssen – für die braucht es auch kein Geld. Die Fixierung auf den Geld-Waren-Kreislauf führt dazu, andere Zusammenhänge zu übersehen oder geringzuschätzen.

…Aus diesem Widerspruch erwächst Misstrauen in den Wert des Geldes: Stehen dem Geld, das ich heute am Markt verdiene, indem ich Waren verkaufe, auch morgen noch neue Waren (zum Beispiel für meine Nachfrage) gegenüber?…
Das weiß man auch heute nicht, ob morgen Waren verfügbar sind, wir vertrauen darauf, dass es sie geben wird. Daran ändert ein BGE gar nichts, es macht den Zusammenhang sogar ganz deutlich.

…Oder hat sich von heute auf morgen eine ganze Reihe von Leuten bequem zurückgelehnt, die eingekauften Waren konsumiert, aber keine neuen produziert? Eine solche Entwicklung liefe über kurz oder lang auf Geldentwertung hinaus, da das Güterangebot schrumpfen würde, bei gleichbleibender nominaler Nachfrage…
Wieder wird unbegründet Angst und Sorge verbreitet.

…Das bedingungslose Grundeinkommen nagt also durch sein Konstruktionsprinzip an der ökonomischen Substanz, aus der heraus es bezahlt werden soll. Denn was sollte besteuert werden außer dem, was zuvor produziert und am Markt abgesetzt wurde und so Primäreinkommen erzeugt hat? Was soll umverteilt werden außer dem, was dem Staat an Steuereinnahmen zur Verfügung steht?
So wie auf realwirtschaftlicher Ebene die unumstößliche Logik gilt, dass nur das (von wem auch immer) verbraucht werden kann, was (von wem auch immer) produziert worden ist, gilt auf der finanziellen Ebene, dass nur das (an wen auch immer) verteilt werden kann, was (von wem auch immer) verdient worden ist…
Und so weiter…

Was lässt sich als Fazit festhalten? Der hier kommentierte Zeitungsartikel ist oberflächlich, statt Analyse zu bieten, werden Schlussfolgerungen aus Wertvorstellungen gezogen. Das Buch scheint zum BGE nicht mehr zu bieten zu haben, wie schon vorliegende Rezensionen erahnen lassen.  Manche Thesen hätten auch von BGE-Befürwortern vorgebracht werden können, so der Zusammenhang von Güterproduktion, Verzehr und Steuereinnahmen. Die Schlussfolgerungen der Autoren vereinseitigen die Lebenszusammenhänge auf Güterproduktion, Leistungen jenseits des Marktes in ihrer Bedeutung für den Solidarzusammehalt tauchen überhaupt nicht auf. Die Autoren haben keine Vorstellung von einem grundlegenden Solidarbegriff, der am Politischen ansetzt. Ganz gleich ob neoliberal oder keynesianisch, darin gleichen sie sich, die Ökonomisten sind nicht in der Lage, die Eigendynamik des Politischen als gemeinschaftsbildende Grundlage zu begreifen. Dass gerade sie die Basis für das Vertrauen ist, von dem im Artikel stets die Rede ist, geht vollkommen unter. Symptomatisch, wie eine Furcht vor Kontrollverlust sich Bahn bricht, sie ist ein bekanntes Phänomen in der Grundeinkommensdiskussion. Das ist die Schwelle, die wir überschreiten müssen, damit ein BGE ernsthaft als Lösung für manche unserer Sorgen erkannt werden kann.

Sascha Liebermann

Nachtrag: Wer Zweifel daran hat, dass die Kurzanalyse wichtige Punkte trifft, dem sei das Interview mit zwei der Autoren bei telepolis von heute empfohlen.