Bedingungsloses Grundeinkommen? Aber nicht ohne Umwandlung der Bildungssysteme

Richard David Precht hat sich schon öfter zum Bedingungslosen Grundeinkommen geäußert, ich habe seine Ausführungen immer wieder einmal kommentiert und finde die jüngsten in einem Interview mit Tilo Jung ebenso kommentierenswert. Wie begründet Precht seine Haltung zum BGE (Ab Stunde 1:43)?

Wenn die „Auflösung der Arbeitsgesellschaft“ bevorstehe, dann sei ein BGE aus verschiedenen Gründen wichtig, sagt er: 1) Um den Binnenmarkt zu stärken (Kauftkraftstabilisierung; 2) für das Glück jedes Einzelnen, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, und 3) weil ein BGE in Verbindung mit einem umgewandelten Bildungssystem erlaube, auch dann ein erfülltes Leben zu haben, wenn man keinen „nine-to-five-job“ habe.

Ob die „Arbeitsgesellschaft“ sich auflösen wird im Sinne mancher Prognosen bezüglich etwaiger Folgen der Digitalisierung sei dahingestellt. Es mag so sein, vielleicht auch nicht, und wenn es so kommen sollte, so können wir über den Umfang der Auswirkungen nichts Genaues sagen.Technologienutzung ist ein sozialer Prozess und erfolgt nicht automatisch. Das zeigte der französische Historiker Marc Bloch schon für die Verbreitung der Wassermühle. Darüber hinaus steht in Frage, ob es überhaupt angemessen ist, unsere heutigen Lebensverhältnissen als „Arbeitsgesellschaft“ zu bezeichnen, siehe meine früheren Ausführungen dazu hier und hier. Eine Demokratie stützt sich nicht auf Erwerbstätige, sie benötigt Bürger, die sie tragen.

Dass ein BGE den Binnemarkt stärken würde, steht außer Zweifel, denn die Kaufkraftstabilisierung würde zugleich eine Stabilisierung von Investitionen und Verbrauch nach sich ziehen können. Ein Argumente, das viel zu selten bemüht wird.

Von daher wäre es auch erheblich einfacher für den Einzelnen, seinen Bedürfnissen nachzugehen, sofern er dazu ein stabiles Einkommen benötigt. Die normative Relativierung von Erwerbstätigkeit würde dazu führen, heute degradierte Tätigkeiten aufzuwerten, so dass sie zu Haupttätigkeiten werden könnten, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Das wäre ein großer Unterscheid. Precht spricht von solchem Engagement allerdings gar nicht konkret, es ist also nicht ganz klar, was er an dieser Stelle vor Augen hat.

Der dritte Aspekt, den er nennt, ist besonders interessant, weil sich darin eine sehr häufig anzutreffende Vorstellung von Autonomie und Bildungsprozessen zu erkennen gibt. Er unterscheidet zwei Varianten von BGE, die anthroposophisch-humanistische und die Silicon Valley-Version. Diese Gegenüberstellung ist zugespitzt, denn „die“ anthroposophische Variante gibt es ja nicht, da sich unter Anthroposophen ebenso Gegner eines BGE finden, und zwar vehemente. Unter den Befürwortern aus dem Silicon Valley gibt es auch Stimmen wie Albert Wenger, der sehr differenziert argumentiert, wenn es um das BGE geht. Dann sagt Precht etwas, was folgenreich ist. Das BGE alleine könne nicht die gewünschten oder erhofften Wirkungen entfalten, es müsse eine Umwandlung des Bildungssystems dazutreten, da es heute die Menschen „fehlkonditioniert[e]“. Nun kann man manche Kritik am Bildungssystem anbringen, doch von einer Konditionierung zu sprechen, geht in meinen Augen zu weit. Abgesehen davon, dass Bildungsprozesse sich nicht durch Konditionierung vollziehen, fördert das Bildungssystem im besten Fall Bildungsprozesse, im schlechtesten hemmt sie diese. Es kann also entweder dazu beitragen, dass der Apfel etwas weiter vom Stamm fällt oder aber eben genau dies nicht tun. Es ist aber nicht in der Lage, Menschen zu etwas zu machen, das sie nicht sind. Hier überschätzt Precht den Einfluß des Bildungssystems und unterschätzt die Bedeutung von Bildungsprozessen in familialen Zusammenhängen. Kinder müssen auch nicht „lernen“, intrinsisch motiviert zu sein, das sind sie in der Regel ohnehin. Die Frage ist vielmehr, ob dieser Erkundungsdrang von Eltern – und später vom Bildungssystem – unterstützt oder gehemmt wird.

Was traut Precht den Bürgern heute zu? Offenbar nicht allzuviel, wenn er ein BGE nur dann für erstrebenswert erachtet, wenn es ein anderes Bildungssystem gibt. Man könnte dementgegen gerade in die andere Richtung argumentieren, dass, wenn ein BGE einmal gewollt wird, das Denken über Bildung sich vermutlich ebenfalls schon verändert hat. Letztlich läuft Prechts Haltung darauf hinaus, das BGE vorzuenthalten, weil die Bürger nicht selbstbestimmt genug seien, um mit ihm umgehen zu können. Das sehen andere durchaus auch so, z. B. Wolfgang Engler. Wer aber so denkt, muss auch die Gefahr sehen, dass sich Bürger mit etwas „abspeisen“ lassen. Wenn sie das tatsächlich täten, hätten sie es nicht selbst zu verantworten? Ist es aber nicht anmaßend, davon auszugehen, dass sich jemand abspeisen lässt, ohne dafür Gründe zu haben?

Entsprechend entwirft Precht am Ende ein Szenario, welches BGE wohl zu erwarten sei und fragt „Auf wen hört die Bundesregierung“? Nun, auf wen die Regierung hört, das entscheiden die Bürger, wenn sie es wollen. Und wenn nicht, wer ist dann dafür verantwortlich? Die Bürger, wer sonst.

Sascha Liebermann

„…sich in einem guten Job seinen Lebensunterhalt zu verdienen“ – Sahra Wagenknecht über das Bedingungslose Grundeinkommen

Siehe auch hier

Zu diesem Ausschnitt aus einem Gespräch mit Richard David Precht gibt es nichts Neues über Sahra Wagenknechts Haltung zum Bedingungslosen Grundeinkommen zu berichten. Verwundern kann einen allenfalls, wie selbstverständlich für sie der Zusammenhang zwischen Engagement bzw. Tätigsein und Einkommenserzielung ist. Auf die Frage von Precht, ob sie für die Einführung sei, antwortet sie, dass jeder die „Chance haben sollte“, sich in „einem guten Job seinen Lebensunterhalt zu verdienen“. Sie ist gegen die Hartz IV-Sanktionen, also gegen den Druck und die Bedrohung, die mit Ihnen einhergehen. Da sollte man meinen, wer von „Chancen“ und „Freiräumen“ spricht, dem läge daran, frei entscheiden zu können, wo ein Engagement erfolgen kann und soll. Das hingegen ist nicht Sahra Wagenknechts Sache. Die „Freiräume sich mit Menschen zu beschäftigen“, die wir durch den Produktivitätsfortschritt gewonnen haben, will sie nicht den Menschen selbst überlassen, indem sie auf der Basis eines BGE sich dann entscheiden können, wo und wie sie wirken sollen. Wenn sie von „Fähigkeiten“ spricht, die jeder habe und für die er die Chance erhalten sollte, sie einzubringen, spricht sie stets nur von Erwerbsverhältnissen. Dass ein solches Einbringen heute schon anderswo geschieht, aber unter schwierigen Bedingungen – in Familie und Ehrenamt – lässt sie nicht als vollwertiges Engagement gelten. Es ist gerade der Vorrang von Erwerbstätigkeit, der über die tatsächlich existierende Vielfalt von Engagement hinweggeht und alles, was jenseits von Erwerb liegt degradiert. Dass Sahra Wagenknecht das nicht sieht, ist auf der einen Seite verwunderlich, auf der anderen konsequent: Wer den Sinn des Zusammenlebens in Erwerbstätigkeit alleine erblickt, kann wohl nicht anders. Folgerichtig sieht sie im BGE etwas, womit Menschen abgespeist werden.

Nur am Rande sei erwähnt, wie unglücklich Precht für ein BGE wirbt. Er sieht es nur als Entlastung für die „Abgehängten“ und erkennt nicht den breiten Zusammenhang, in dem es steht und die vielfältigen Möglichkeiten und Auswirkungen, die mit ihm einhergehen. Das war auch bei anderer Gelegenheit schon so.

Sascha Liebermann

Richard David Precht und Sascha Lobo über das Bedingungslose Grundeinkommen

Langfassung der Sendung (dort geht es ab Minute 27 um Bedingungsloses Grundeinkommen) Unter dem Titel „Die Zukunft der Arbeit. Macht das Netz arbeitslos?“ diskutierte Richard David Precht mit Sascha Lobo unter anderem über das Bedingungslose Grundeinkommen. Beide sprechen sich deutlich für das BGE aus, wie aber wird es begründet? Es mag der Tribut an das Thema der Sendung sein, dass das BGE nur in seinen Möglichkeiten und Auswirkungen auf die Arbeitswelt und die Einkommenssicherung diskutiert wird (siehe auch hier). Immer wieder einmal scheint allerdings der politische Charakter des BGE auf, denn schließlich muss das Gemeinwesen es einführen und es tragen. Nur, über dieses Gemeinwesen wird nicht weiter gesprochen, sehen wir einmal von der an manchen Stellen üblichen Politikschelte ab, in der man sich bequem einrichten kann. Der Verweis Prechts auf das Kommunistische Manifest, in dem skizziert werde, wie es mit einem BGE sein könnte, ist eine Anspielung, wie so viele andere, die in der Sendung fallen. Marx allerdings hatte seine Mühe damit, das Politische als autonome Sphäre zu denken. Wenn Sascha Lobo sich dafür ausspricht, mit einem BGE zu experimentieren, dann ist das zwar sympathisch, weil er einräumt, gegebenenfalls auf unerwünschte Auswirkungen reagieren zu müssen. Diese Selbstverständlichkeit jedoch, politisch gestalten zu müssen, lässt eine andere Selbstverständlichkeit aus: die Demokratie (siehe auch hier). Denn wir leben heute von Voraussetzungen, die wir nicht erst zu schaffen haben, es sind dieselben, die ein BGE erforderte. Von daher ist es nicht utopisch, wie es an anderer Stelle wiederum heißt. Ein BGE ist ganz aus dem Geist der Demokratie begründbar, das ist das stärkste Argument für seine Einführung. Sascha Liebermann

Irrwegige Begründungen für „so etwas wie ein Grundeinkommen“

Von Anerkennung der Bürger um ihrer selbst und des Gemeinwesens um seiner selbst willen, ist keine Silbe zu vernehmen. Die Begründungen, die Richard David Precht für das Grundeinkommen, vom BGE spricht er gar nicht, anführt, beziehen sich auf die Arbeitsmarktsituation. Damit bliebe das BGE jedoch eine Kompensationsleistung, wobei nicht einmal klar ist, ob er ein solches vor Augen hat (genauso wenig wie bei Jean-Claude Juncker oder dem früheren Bundespräsidenten Horst Köhler). Das wird in einem anderen Interview deutlich, wenn er Grundeinkommen und Bürgergeld in einem Atemzug nennt. Prognosen über die Entwicklung des Bedarfs an menschlicher Arbeitskraft sind immer provokant, aber letztlich genauso wenig tragfähig, wie alle Prognosen. Dass BGE in seiner systematischen Bedeutung ist davon jedoch ganz unabhängig. Ganz gleich wie sich das Arbeitsvolumen entwickelt (siehe „Geht der Gesellschaft die Arbeit aus?“), selbst wenn „Vollbeschäftigung“ wieder erreicht würde, wäre es in keiner Form hinfällig. Werden jedoch BGE und Arbeitsvolumen in einen Begründungszusammenhang gebracht, verliert das BGE gerade dann sein Existenzrecht, wenn das Arbeitsvolumen bzw. die Nachfrage nach Arbeitskraft wieder zunimmt. Hilft es der Diskussion weiter, wenn solch, wohlwollend ausgedrückt, missverständliche Argumente vorgebracht werden? Eher nicht.

Sascha Liebermann