Grundlagen unseres Wohlstands werden durch bedingungsloses Grundeinkommen in Frage gestellt…

…so lautet Sigmar Gabriels Einschätzung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:

„…Die Grundlagen unseres Wohlstands werden gegenwärtig von zwei Seiten in Frage gestellt. Zum einen durch das weit verbreitete Gefühl, wir bräuchten die Industrie mit all ihren Belastungen und Risiken nicht mehr – das hat damit zu tun, dass ein immer größerer Teil der Gesellschaft nicht mehr im produzierendem Gewerbe oder Handwerk tätig ist, sondern im Dienstleistungssektor oder im öffentlichen Dienst. Zum anderen durch Debatten wie die um ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das Bewusstsein dafür, dass Arbeit und Leistung die Grundlage für Wohlstand sind, nimmt ab. Die SPD will nicht zurück zur Technikgläubigkeit und Bruttoregistertonnenmentalität der sechziger, siebziger Jahre mit diesem völlig unreflektierten Fortschrittsglauben. Aber wir müssen klar sagen, dass Grundlage unseres Lebens Leistung, Qualifikation und auch die Akzeptanz von Belastungen ist. Wir sind die Partei der Arbeit und der fleißigen Leute…“

Weit hat es die Diskussion schon gebracht, wenn der Vorschlag eines bedingungsloses Grundeinkommens auf höchster Ebene als Gefahr betrachtet wird. Weiter so.

Bedingungsloses Grundeinkommmen auf dem außerordentlichen Parteitag der SPD

Auf dem jüngsten Parteitag der SPD in Berlin war auch das bedingungslose Grundeinkommen wieder Thema, wenn auch offenbar vor allem im Antragsbuch. Der Ortsverein Ammerbuch (Landesverband Baden Württemberg) hat einen Antrag dazu eingebracht. Er steht auf S. 216, Antrag 10.

Schon länger setzt sich der Kreisverband Rhein Erft der SPD für ein bGE ein.

Rücktritt von Beck und Rückkehr von Müntefering – Herausforderung für BGE-Befürworter

Der Rücktritt des SPD-Parteivorsitzenden Kurt Beck, die Rückkehr von Franz Müntefering als Parteivorsitzender und die Nominierung von Walter Steinmeier hat die uneingeschränkten Befürworter der Agenda 2010 wieder nach vorne gebracht. Auch wenn Kurt Beck nur wenig von der Agenda-Linie abgewichen war, so sind nun die Hardliner zurückgekehrt. Einen in vielerlei Hinsicht – auch die Verfassung der SPD-Mitglieder und -unterstützer betreffenden – aufschlussreichen Kommentar von Albrecht Müller (Nachdenkseiten) finden Sie hier.

Lesen Sie auch das Streitgespräch zwischen Karl Lauterbach und Ottmar Schreiner in der Frankfurter Rundschau.

Für die Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens bestätigt diese Entwicklung, dass Veränderungen gegenwärtig nur von den Bürgern und einer starken öffentlichen Diskussion in Gang gebracht werden können, nicht aber von den Parteien. Wer wirklich eine Veränderung will, der muss sich engagieren.

Wie das aussehen kann, zeigt die Woche des Grundeinkommens vom 15.-21 September.

SPD Rhein Erft für bedingungsloses Grundeinkommen

Im Sommer 2006 wurden wir zweimal von der SPD Rhein Erft zur Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeladen. Nun hat der Kreisverband sich dafür ausgesprochen, das bGE ins Grundsatzprogramm der SPD aufzunehmen. Ein Bericht zum Parteitag findet sich hier.

Gerechtigkeit von "oben" oder Entmündigung durch Fürsorge

…diese Überschrift könnte man den Äußerungen von Andrea Nahles, Mitglied im SPD-Bundesvorstand, einst Kritikerin der Agenda-Politik des ehemaligen Bundeskanzlers Schröder, geben. In einem Gespräch mit Katja Kipping über den Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens hat sie sich zur gegenwärtigen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in aufschlußreicher Weise geäußert.

Schon der Auftakt ist bemerkenswert: Dieses Grundeinkommen wird es so niemals geben. Man kann ein Sozialsystem nicht gegen das Gerechtigkeitsempfinden der Mehrheit der Bevölkerung organisieren.

Zwar ist Frau Nahles hier in einer Hinsicht zuzustimmen: daß es nur die Sozialpolitik gibt, die wir wollen und uns gefallen lassen und eine bessere nicht ohne unser Engagement kommen wird. Doch geht sie dort zu weit, wo sie uns Bürgern dekretiert, was wir für gerecht zu halten haben. Denn der Ist-Zustand sagt nichts darüber, ob es nicht eine Mehrheit für das Grundeinkommen geben kann, wenn einmal eine breite öffentliche Diskussion in Gang gekommen ist. Sie ist ja schon auf dem besten Wege, denn im Unterschied zur bürgervergessenen Politik der etablierten Parteien findet die Diskussion zum Grundeinkommen dort statt, wo die Bürger sich auf gleicher Augenhöhe begegnen und ein Gemeinwesen über Neuerungen streiten muß: in der Öffentlichkeit. Betrachtet man, wo die Diskussion ungefähr vor drei Jahren begonnen hat und wo sie heute steht, wie die Parteien auf sie reagieren, dann spricht alles für einen Umschwung.

Weiter heißt es: Wer Leistungen von der Gemeinschaft erhält, muss auch eine Gegenleistung bringen. Sonst geht die Ausgewogenheit von Geben und Nehmen verloren.

Dies mag Frau Nahles Deutung von Gerechtigkeit sein, ist sie aber gerecht, bringt sie uns weiter, löst sie eines unserer Probleme? Vielmehr hat uns doch gerade diese Vorstellung in die Sackgasse von Hartz IV, von Aktivierung, Anreizen und Gängelung geführt. Wie ein Reflex auf verloren gegangene Gewißheiten wirkt das ängstliche Festhalten an der Maxime des Gebens und Nehmens, die für Frau Nahles klar definiert ist: Wer empfängt, muß sich alle Gängelungen – hier als „Fördern“ kosmetisch verpackt – gefallen lassen. Als würde nicht schon heute gegeben, ohne daß genommen würde, und zwar durch das vielfältige Engagement in allen für unsere Gemeinschaft wichtigen Bereichen, doch diese gelten uns nicht viel. Statt dessen soll es wohl Arbeitsdienste, Elternbeaufsichtigungsbehörden und einen Bürger-TÜV geben.

Der Kerngedanke von Hartz IV war und ist richtig. Kein Mensch darf auf alle Zeiten in die Sozialhilfe abgeschoben werden, sondern jedem muss man die Chance auf einen Arbeitsplatz eröffnen.

Diese Reaktion soll wohl ein Vorwurf an die Adresse der Grundeinkommensbefürworter sein. Sicher hängt es von der Höhe ab, welche Freiheit wir uns ermöglichen, doch Andrea Nahles zieht Fürsorge und Beaufsichtigung der Freiheit vor, sie kann die Freiheit, die ein Grundeinkommen eröffnet, gar nicht denken, würde sie sonst die Chance auf einen Arbeitsplatz nicht höher bewerten als die Freiheit, sich entscheiden zu können.

Das ist kein Grund, 40 Millionen Menschen staatliche Leistungen zu geben, obwohl sie die gar nicht brauchen. Wer denkt an diejenigen, die im Schweiße ihres Angesichts für wenig Geld arbeiten und trotzdem Steuern zahlen?

Dieser Einwand gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen wird ja auch von Grundeinkommensbefürwortern selbst erhoben, die bestimmen wollen, wer es braucht und wer nicht (siehe auch den Bericht zum Kongress „Wege aus der Armut“), wer bedürftig ist und wer nicht. Der Gedanke des bGE ist aber ein ganz anderer, es will mit der Bedürftigkeitsprüfung brechen, die immer eine Beaufsichtigung und Definition notwendig macht, damit auch Sanktionen erfordert. Wer also die Bedürftigkeitsprüfung überwinden will, muß für ein bGE plädieren, denn als Bürgereinkommen stellt es alle gleich, egal, über welche weiteren Einkommen sie verfügen. Nur, wenn alle es erhalten, ist mit der Idee, die das bGE trägt, ernst gemacht, nur dann anerkennen wir uns Bürger als Bürger ausdrücklich als Grundlage unseres Gemeinwesens.

Deshalb halte ich daran fest, dass jeder im Hier und Jetzt das Recht auf einen Arbeitsplatz behält.

Wer dies fordert, ist vom Arbeitsdienst nicht weit entfernt, auch wenn dieser Arbeitsdienst heute „Fördern und Fordern“ genannt wird. Andrea Nahles will das Tauschprinzip des Marktes, Gegenleistung nur für Vorleistung, zum allgemeinen Prinzip erheben, demzufolge alles bilanziert und aufgerechnet wird, aus dem Gemeinwesen wird ein Tauschbetrieb. All die Befürchtungen darüber, Bürger könnten durch ein Grundeinkommen „abgeschoben“ werden, sollen ganz offensichtlich nur verdecken, wie sehr ihr Blick auf Erwerbsarbeit als einzige wertzuschätzende Leistung festgelegt ist.

Mit Ihrem Grundeinkommen würden wir vielen Menschen den quasi offiziellen Status legitimierter Arbeitslosigkeit verleihen. Die Mehrheit der Menschen will aber arbeiten und etwas für andere tun, etwas produzieren, das Nutzen und Anerkennung bringt

Wenn die „Menschen“ nun ohnehin arbeiten wollen, dann bräuchten wir sie ja nicht weiter in den Arbeitsmarkt zu drängen und könnten darauf vertrauen, daß Erwerbsarbeit ein Ort des Engagements sein würde, zu dem ohnehin viele streben. Doch diesen Widerspruch bemerkt Frau Nahles gar nicht, also vertraut sie doch nicht wirklich in dieses Wollen der Bürger, könnte sie sonst ein bedingungsloses Grundeinkommen begrüßen.

Wer würde denn in Ihrer schönen Welt den Müll entsorgen? Das ist einer der härtesten Jobs, den wir in diesem Land haben…Mein Vater ist Maurer. Das macht er sehr gerne. Er produziert etwas, das er vorzeigen kann. Er fährt mit mir durch die Stadt und sagt, das habe ich gemacht, dort habe ich gearbeitet. Das ist befriedigend für ihn. Arbeit ist Sinn. Den gibt es auch außerhalb der Erwerbsarbeit, ja. Aber für viele Menschen ist Arbeit, auch harte Arbeit, sehr zentral im Leben.

Der Klassiker unter den Einwänden darf nicht fehlen, seine Überhöhung allerdings spricht Bände, sollten wir deshalb etwas „harte“ Arbeiten aufrechterhalten, wenn wir Maschinen einsetzen könnten? Nur, wer Arbeit als Mühsal und Last versteht, wie Frau Nahles, verehrt die körperliche Arbeit: Je anstrengender desto wertvoller ist sie. Würden wir heute noch so denken, gäbe es wohl keine Schulen, keine Universitäten, keine Wissenschaft, es gäbe keine Kunst und keine Tätigkeiten – denn die Leistungen, die dort erbracht werden, sind ni
cht so leicht, wenn überhaupt, sichtbar zu machen. Auch wenn die Müllentsorgung wichtig ist, wer würde das bestreiten, ist sie dennoch nicht wichtiger und „härter“ als andere Tätigkeiten. Dies anzuerkennen, davon ist Frau Nahles weit entfernt.

Ich gehe von den Leuten bei mir im Dorf in der Eifel aus. Die Menschen dort wollen und brauchen einen bezahlten Job, der sie ernährt.

Mit diesem Beispiel ließe sich auf wunderbare Weise aufzeigen, was ein bedingungsloses Grundeinkommen für strukturschwache Gebiete und Regionen leisten könnte. Statt dort künstlich Arbeitsmärkte durch zweckgebundene Subventionen zu schaffen oder durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Einkommensplätze bereitzustellen, würde das bedingungslose Grundeinkommen den Bürgern ein Einkommen zur Verfügung stellen und ihnen erlauben, in ihrer Heimat zu bleiben und sich zu engagieren, wo immer sie es für wichtig und richtig erachten. Sie müßten nicht wegen des Einkommenserwerbs ihre Heimat verlassen.

Statt Bürgerarbeit, wie sie neuerdings als Errungenschaft gefeiert wird, würde ein bedingungsloses Grundeinkommen Freiheit ermöglichen, auch Freiheit dazu, sich für die Müllentsorgung zu engagieren.

Sascha Liebermann