…so könnte der Vorwurf gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen umgekehrt werden, den Christoph Butterwegge in der Rhein-Neckar-Zeitung erhebt, wenn man sich einmal vor Augen geführt hat, weshalb in einem erwerbszentrierten Sozialstaat eine Grundsicherung, die nicht mit Sanktionen bewehrt ist, weltfremd ist. Selten so klar äußert sich Butterwegge zur „moralichen Verpflichtung … selbst für sein Einkommen“ zu sorgen.
Hier wird nach unbezahlter Arbeit (siehe hier und hier) gefragt:
RNZ: „Es gibt aber auch sehr viele Menschen, die etwas leisten, ohne bezahlt zu werden: in der Erziehung, in der Pflege, im Ehrenamt, in der Kultur. Das ist doch auch nicht gerecht. Wäre das Grundeinkommen nicht eine Möglichkeit, diese Arbeit wertzuschätzen?“
Butterwegge: „Ich sehe nicht, wo die Wertschätzung sein soll, wenn jeder 1000 Euro bekommt. Das Grundeinkommen ist ja unabhängig davon, was jemand macht. Wenn der Mensch ehrenamtlich oder karitativ arbeitet oder einen Angehörigen pflegt, dann wird er mit dem Grundeinkommen nicht dafür entlohnt, sondern seine Existenz nur auf einem niedrigen Niveau gesichert.“
Gefragt wird nicht nach der Entlohnung unbezahlter Arbeit, sondern nach Wertschätzung. Wertschätzung kann nun ganz unterschiedlich erfolgen: 1) durch eine Gegenleistung, sei sie immateriell oder materiell. Letzere könnte auch in Form eines Geschenks geschehen oder aber in Gestalt einer Gratifikation, eines Lohnes z. B. 2) durch die Anerkennung der Person um ihrer selbst willlen als Angehörige einer Gemeinschaft, hier eines politischen Gemeinwesens.
Nun weist Butterwegge zurecht darauf hin, dass ein BGE keine Entlohnung darstellt – die Frage könnte im ersten Teil so verstanden werden – und dass dies auch nicht das Ziel sei. Damit allerdings ist die Frage nach Wertschätzung für ihn erledigt. Weshalb? Nur wenn Wertschätzung und Anerkennung durch Gegenleistung für ihn zusammenfallen, liegt diese Schlussfolgerung nahe. Das bedeutet in der Konsequenz aber, dass immer nur dann, wenn eine Gratifikation, z. B. eine Entlohnung erfolgt, auch Wertschätzung zum Ausdruck gebracht würde. Butterwegge würde damit eine andere Dimension – Anerkennung um der Zugehörigkeit willen – vollkommen unter den Tisch fallen lassen, die für ihn nicht relevant zu sein scheint und er müsste zugleich darauf drängen, dass alle unbezahlte Arbeit bezahlt wird. Damit würde sie aber verwandelt, weil es sich dann um ein anderes Beziehungsgefüge handelt. Hier wird deutlich, weshalb Butterwegge Gemeinwesen nur als Arbeitsgesellschaft betrachten kann, die andere Dimension sieht er gar nicht.
Welche ist die andere Dimension? Wie für jedes politische Gemeinwesen, das auf Volkssouveränität gründet, so auch die politische Grundordnung in Deutschland, sind die Angehörigen als Angehörige in Gestalt der Staatsbürger tragendes Fundament, sie sind Träger von Rechten und Pflichten bezogen auf dieses Gemeinwesen. Diese Rechte können ihnen nicht genommen werden, ohne das ganze Gefüge in Frage zu stellen, dazu gehören ganz entscheidend die Grundrechte im Grundgesetz. Durch diese bedingungslose Bekenntnis zu diesen Rechten bringt das Gemeinwesen Wertschätzung zum Ausdruck, weil es etwas anerkennt, ohne dass es sich in einer konkreten Gegenleistung zu zeigen hat. Dadurch erst werden Freiräume für Lebensführung geschaffen. Was ist nun der Zusammenhang zum BGE?
Unbezahlte Arbeit muss man sich leisten können, sie muss ermöglicht werden, wenn sie nicht in bezahlte Arbeit verwandelt werden soll. Das geht jedoch nur, indem aus dem Zusammenhang von Leistung und Gegenleistung herausgetreten wird. Genau das würde ein BGE tun, indem Einkommenssicherung und Wertschätzung der Person voneinander getrennt werden. Die Bereitstellung eines BGE für Staatsbürger und davon abgeleitet für Personen mit zu definierendem Aufenthaltsstatus würde die Personen um ihrer selbst und um des Gemeinwesens selbst willen anerkennen. Dadurch wird etwas ermöglicht, ohne es in bezahlte Arbeit zu verwandeln. Das BGE als Ermöglichungspauschale. Butterwegge steht mit seiner Haltung diese Dimension betreffend nicht alleine. Immer dann, wenn darauf hingewiesen wird, dass erst durch Wertschöpfung mittels Erwerbstätigkeit die Mittel geschaffen werden, um ein BGE bereitzustellen, muss die Gegenfrage gestellt werden: Woher stammt die Fähigkeit und Bereitschaft Leistung zu erbringen, die dann in Wertschöpfung münden kann? Sie wird vor allem in den Familien erbracht und Einkommen bzw. Güter und Dienste, die damit in Anspruch genommen werden können, sind nur eine Voraussetzung dafür, sich Haushaltstätigkeiten und vor allem Erziehung widmen zu können, sie bringen sie aber nicht hervor. Zeit für Familie, auch der Partner füreinander, Hinwendung zu den Kindern ohne Terminierung – ist auch von einer gewissen Einkommenssicherheit abhängig. Die unbezahlte Arbeit in diesem Sinne, weil ihre Beziehungsgefüge ein anderes ist als in bezahlter Arbeit, ist ebenso unerlässlich wie Wertschöpfung. Das eine auf das andere zu reduzieren ist unsinnig und reißt einen Zusammenhang auseinander – das ist aber genau, was wir heute tun.
Wie geht es weiter im Interview?
RNZ: „Aber es könnte Menschen Freiräume eröffnen: Nehmen wir jemanden, der als Künstler arbeitet, aber Pakete ausfahren muss, um sein Leben zu finanzieren. Wäre demjenigen nicht geholfen?
Butterwegge: „1000 Euro im Monat befreien einen doch nicht von dem Zwang, Erwerbsarbeit zu leisten. Zumindest besteht ein indirekter Erwerbsarbeitszwang fort, weil man davon nicht gut leben kann und die Preise vermutlich deutlich anziehen würden, wenn jeder 1000 Euro erhielte.“
Hier wird der Unwille erkennbar, sich auf das BGE überhaupt einzulassen. Als Einkommen, das jedem zur Verfügung stehen soll, wäre gerade für Künstler heute damit ein Sockel geschaffen, den es nicht gibt – die Höhe ist natürlich von Bedeutung. In Haushalten kumuliert es jedoch, je mehr Personen darin leben. Wenn dieser Künstler Familie hat, würde der Haushalt eben über das zwei-, drei- oder vierfache BGE verfügen. Damit sieht die Sache ganz anders aus. Dass die Preise anziehen ist eine Behauptung, der man immer wieder begegnet. Und was ist schon „gute Arbeit“?
Weiter heißt es:
RNZ: „Es gibt mit Sicherheit Leute, die von ähnlichen Beträgen leben – aber dafür schlecht bezahlte Jobs machen müssen, statt sich anderem widmen zu können …“
Butterwegge: „Das ist aber keine gesellschaftlich relevante Gruppe. Befürworter des Grundeinkommens sind größtenteils junge Hipster, Start-up-Unternehmer und städtische Kreative, die sich lieber selbst verwirklichen wollen, als Lohnarbeit zu verrichten. Gehen Sie mal zum Daimler in Mannheim und fragen die Facharbeiter, was die dazu sagen!“
Was hat das einen nun mit dem anderen zu tun? Will Butterwegge darauf hinaus, dass es bislang keine Mehrheiten für ein BGE gibt? Das wäre trivial – spricht aber noch nicht gegen ein BGE. Auf die Frage geht er gar nicht ein – und was heißt die erwähnte Gruppe sei nicht „relevant“? Für wen, aus welcher Perspektive?
Butterwegge benutzt als nächstes Vorurteile, um gegen das BGE zu wettern:
RNZ: „Und was sagen sie?
Butterwegge: „Die sagen: ‚Wieso sollen wir am Band den Rücken krumm machen und jemand anderes lebt auf unsere Kosten?'“
Was sagen also die Facharbeiter beim Daimler? Butterwegge macht nun genau, was oben schon erkennbar war, er reißt den Zusammenhang auseinander. Es wäre genauso treffend umgekehrt zu sagen: die Facharbeiter beim Daimler leben auf Kosten derer, die die unbezahlte Arbeit verrichten, die sie während ihrer Arbeitszeit nicht verrichten können. Dafür erwerben sie noch Renten- und Arbeitslosengeldansprüche während die anderen das Nachsehen haben. Das ist natürlich eine Zuspitzung, beide Vereinseitigungen gehen an der Sache vorbei. Ein Gemeinwesen lebt nicht von Erwerbstätigkeit, sondern davon, dass Bürger füreinander einstehen, das ist etwas ganz anderes.
Abschließend noch eine Passage, in der wie selten deutlich wird, dass Butterwegge sehr wohl Sanktionen in Kauf nehmen muss, auch wenn er stets für eine repressionsfreie Grundsicherung wirbt (siehe auch hier):
RNZ: „Gibt es Ihrer Meinung nach eine Verpflichtung der Gesellschaft gegenüber, etwas zu leisten?“
Butterwegge: „Ja, wer erwerbsfähig ist, wer gut ausgebildet und beruflich qualifiziert ist, der hat meiner Überzeugung nach die moralische Verpflichtung, selbst für sein Einkommen zu sorgen. Und nur der, der das nicht kann – sei es weil er gesundheitlich oder psychisch beeinträchtigt ist oder weil er auf dem Arbeitsmarkt wenig Chancen hat -, sollte vom Staat unterstützt werden. Das ist eine Scheidelinie zwischen Befürwortern und Kritikern des Grundeinkommens. Eine weitere ist die Frage: Sollte nach dem Bedarf gegangen werden oder nicht? Und da würde ich eher auf der Seite der Bedürftigen die Sozialleistungen erhöhen, statt alle gleich zu behandeln, obwohl sie nicht gleich sind.“
Butterwegge spricht von einer moralischen Verpflichtung, um dann zu sagen, wer vom „Staat unterstützt“ werden sollte. Wer also grundsätzlich erwerbsfähig ist, soll erwerbsfähig sein. Ist er das nicht, wird er nicht unterstützt. Kurz und bündig spricht sich Butterwegge also für das heutige Sanktionsregime aus, vielleicht mit kleineren Modifikationen, denn die Einschränkungen, die er macht, gibt es in ähnlicher Form schon. Das Erwerbsgebot bleibt bestehen, die Arbeitsgesellschaft lebt fort – ein Hoch auf sie und auf den Abgesang auf die Grundrechte in der Demokratie.
Sascha Liebermann