„Mir machen die Jungen wesentlich mehr Sorgen…“

…, nicht die Frauen, meint Monika Rühl von Economiesuisse, einem Schweizer Thinktank, im Schweizer Maschinenmarkt. Hier die Frage, auf die sie antwortete:

„Stefan Vannoni von Economiesuisse sagt, dass durch die Annahme des bedingungslosen Grundeinkommen es zu einem Hausfrauenboom kommen wird. Co-Initiator der Grundeinkommensinitiative Daniel Straub entgegnet darauf, dass die Economiesuisse die Frauen nicht ernst nimmt. Nimmt die Economiesuisse die Frauen nicht ernst?
M. Rühl: Ich denke in diesem Zusammenhang ist die Frauendiskussion nicht der springende Punkt. Mir machen die Jungen wesentlich mehr sorgen. Wenn jemand ohne Ausbildung 2500.- bekommt, dann fragt sich die Jugend warum sie überhaupt eine Lehre machen sollen. Das ist ein schädlicher Effekt. Ausserdem stört mich Geld zu bekommen, ohne etwas dafür zu tun. Das mindert den Wert von Arbeit.“

Ganz ähnlich argumentierte von wenigen Wochen Rudolf Strahm im tagesanzeiger, wenn er behauptete „Grundeinkommen ist nur für die Robinsoninsel“. Weshalb sollte die Jugend denn an einer Ausbildung nicht mehr interessiert sein, nur des Geldes wegen? Einen Beruf auszuüben bedeutet doch viel mehr, als Geld zu verdienen. Man muss sich zuerst einmal auf den Beruf einlassen, sich auf eine Sache einlassen, Aufgaben bewältigen, die sich einem stellen. Ohne dies kann es keine erfolgreiche Berufsausübung geben. Das verlangt aber ein Interesse an der Sache selbst. Einen Beruf auszuüben oder erwerbstätig zu sein bedeutet zugleich, für andere Güter und Dienste bereitzustellen, damit sie sie in Anspruch nehmen können. Ist das nicht auch erfüllend und sinnvoll, daran mitzuwirken, sofern man die Chance hat, etwas zu tun, das man für sinnvoll hält. Warum sollte „die Jugend“ das nicht wollen? Vielleicht sollten wir die Frage einmal umdrehen – weshalb wird so leichtfertig unterstellt, dass die Jugend nicht will (siehe hier)? Sagt manche Verweigerung womöglich etwas über heutige Arbeitsbedingungen, einen beschränkten Leistungsbegriff, einen mangelnden Respekt der Unternehmen für ihre Mitarbeiter? Das wäre zumindest zu erwägen.

Dass es Frau Rühl stört, Geld zu erhalten, ohne dafür etwas zu tun, ist ihr gutes Recht. Aber was genau stört sie daran? Ist es nicht so, dass wir im Leben ständig ganz elementare Dinge erhalten, ohne dafür etwas tun zu müssen, ja gar nichts dafür tun zu können? Warum wird die Gegenleistung so hoch veranschlagt, wenn der Zusammenhalt eines Gemeinwesens gerade dadurch gestiftet wird, etwas bedingungslos zu erhalten, ohne eine Gegenleistung erbringen zu müssen? Man schaue nur in die Verfassungen der Demokratien und wird schnell herausfinden, dass die Stellung der Bürger eine ist, in der man alles erhält, ohne etwas tun zu müssen, zumindest für das Nicht-Tun nicht sanktioniert werden zu können?

Sascha Liebermann

„Omnibus für direkte Demokratie holt Volksabstimmung nach Deutschland“…

…aus der Pressemitteilung:

Der OMNIBUS FÜR DIREKTE DEMOKRATIE IN DEUTSCHLAND holt die Volksabstimmung aus der Schweiz nach Deutschland – 1000 Schweizer Abstimmungshefte für Berliner Bundestagsabgeordnete

Am 12. Mai, nehmen wir in Bern 1000 Abstimmungsbüchlein für die am 5. Juli 2016 anstehende Schweizer Volksabstimmung zum Bedingungslosen Grundeinkommen in Empfang und laden die Büchlein, schön verpackt, in den Omnibus für Direkte Demokratie, der sie dann nach Berlin fährt. Dort schenken wir sie den Abgeordneten des Deutschen Bundestags.

Wir laden herzlich ein:

– zur Inempfangnahme der Schweizer Abstimmungsbüchlein Am 12. Mai 2016 um 11.00 Uhr, Bern, Bundesplatz
u.a. mit Daniel Häni, Grundeinkommensinitiative Schweiz Brigitte Krenkers (Gründerin OMNIBUS für Direkte Demokratie in Deutschland), Susanne Wiest (Grundeinkommen Deutschland)

– zur Auslegung des längsten Satzes der Welt „Was würden Sie arbeiten wenn für Ihr Einkommen gesorgt wäre?“
Am 29.Mai in Berlin /Der genaue Ort ist noch in Arbeit.
Zeit: Aufbau: 8.00Uhr -11.00 Uhr
Kernzeit: 11.00Uhr bis 13.00 Uhr
Abbau: ab 13.00 Uhr
Aus dem größten Plakat der Welt in Genf wird der längste Satz der Welt in Berlin.

– zum gemeinsamen Fest grundeinkommen-abstimmen
29. Mai ab 17 Uhr
Berlin, Molkenmarkt 2, Spreewerkstätten

Hier die: Einladungskarte

– zur öffentlichen Schenkaktion der Schweizer Abstimmungsbüchlein an alle Abgeordneten des Deutschen Bundestags am 30. Mai um 12.00 Uhr, Ort: Deutscher Bundestag, Paul-Löbe Allee, Berlin.
Jede/r Abgeordnete ist herzlich eingeladen vor dem Bundestag ein Abstimmungsbuchpäckchen in Empfang zu nehmen und miteinander ins Gespräch zu kommen…

… für die Bundesweite Volksabstimmung und für das Bedingungslose Grundeinkommen.
Fotos von der Übergabeaktion in Bern stehen am 12.5.2016 ab 14.00 Uhr für Sie bereit unter https://www.flickr.com/photos/volksabstimmung/albums/72157668081840766

Unsere Presseerklärung zur Abstimmung am 5.6.2016:
http://www.omnibus.org/fileadmin/omnibus.org/PDF/Pressemitteilungen/PE_2016_05_10.pdf

Den Aufruf „grundeinkommen-abstimmen“ im Wortlaut finden Sie hier:
http://www.omnibus.org/fileadmin/o/pdf/Material/2016_Aufruf_grundeinkommen_abstimmen.pdf

Die Liste der Erstunterstützer finden Sie hier:
http://www.wirwollenabstimmen.de/

Susanne Wiest, Grundeinkommen Deutschland
http://grundeinkommenimbundestag.blogspot.de/

Volksinitiative für ein Bedingungsloses Grundeinkommen, Schweiz
http://www.grundeinkommen.ch/

Erklärung und Vorschlag zur Volksabstimmung in Deutschland
http://wirwollenabstimmen.de/ueber-die-volksabstimmung/ Kontakt:
OMNIBUS FÜR DIREKTE DEMOKRATIE
Kurt Wilhelmi
Büroleiter Berlin
berlin@omnibus.org
Tel.: 030-42804390 Mobil: 0177-3957073
www.omnibus.org

„Wir kokettieren mit unserem Stress“…

…so ist ein Interview mit Theo Wehner im Schweizer Der Bund überschrieben. Darin heißt es unter anderem:

„…Viele klammern sich an rationale Rechenspielchen und denken primär darüber nach, dass das Grundeinkommen nie oder eher nicht oder vielleicht doch finanzierbar ist. Man kann Experimente aber nie zu Ende denken – es bleiben Experimente. Man muss den Willen für eine konkrete Utopie haben – und dann geht vieles. Nehmen wir die Einführung des Euro, auch eine konkrete Utopie. Damals waren wir tatsächlich bereit, all die Risiken auf uns zu nehmen, die dieser Systemwechsel erst heute zeigt.“

Korruptionsvermeidung vor politischer Legitimation? Zum Feldexperiment in Kenia

Die Verbreitung der Nachricht, dass es in Kenia ein Feldexperiment zum Grundeinkommen geben soll, ist unter Grundeinkommensbefürwortern überwiegend begrüßt worden (siehe hier). Es haben sich wenige nachdenkliche Stimmen zu Wort gemeldet, die zu bedenken geben, dass einem solchen Vorhaben die politische Legitimation fehle (siehe z. B. meinen Kommentar hier), wenn die Regierung des Landes nicht selbst das Experiment trage. Das unterscheidet dieses Vorhaben grundsätzlich von den Überlegungen in Finnland, Kanada oder den Niederlanden. Und was bedeutet es, wenn eine Regierung das eigene Volk „teste“, wie es auf „cash transfers“ reagiere? Was bedeutet es, wenn ein solches Projekt nicht von der eigenen Regierung, vom eigenen Land getragen wird? Ist es dann nicht gewollt, aber geduldet, weil zusätzliches Geld ins Land kommt? Und was bedeutet es für diejenigen, die ihre Hoffnungen auf das Projekt und seinen Fortgang gesetzt haben, wenn sie danach wieder allein gelassen werden? (Siehe meinen früheren Kommentare dazu hier)

Nebenbei sei bemerkt, dass es schon seit 12 Jahren Pilotprojekte gibt. Guy Standing, der daran einen großen Anteil hat, verwies in seinem Vortrag auf der Future of Work-Konferenz darauf (etwa ab Minute 19 des Panels). Ob es tatsächlich zu dem Projekt in Kenia kommen wird, ist offen, weil bislang noch nicht genügend Spenden eingegangen sind.

Besonders erstaunen kann, mit welchen Begründungen das Projekt in der deutschen Rezeption befürwortet wird. Es sei ein Vorteil eines solch spendenfinanzierten Experiments, dass es das „Korruptionsrisiko minimiere“, weil das Geld nicht an die Regierung fließe, so komme es wenigstens bei den Menschen an. Ist dieses Misstrauen in die Regierung eines Landes nicht zugleich Entmündigung der Bürger des Landes, denn immerhin ist es ihre Regierung, eine andere haben sie nicht? Die Kenianer selbst, um bei dem Beispiel zu bleiben, sind es, die für eine andere Regierung streiten müssen, wenn sie denn eine andere haben wollen. Dasselbe gilt für ein Grundeinkommen, wenn sie es denn haben wollen. Womöglich gibt es ja Bestrebungen in Kenia in diese Richtung, die Ausführungen von Michael Faye auf der Future of Work-Konferenz (ab Minute 10) haben zumindest erkennen lassen, dass GiveDirectly mit den Behörden zusammenarbeitet.

Pfarrerin Ute Hedrich vom Amt für Mission, Ökumene und Weltverantwortung der Ev. Kirche von Westfalen (EKvW) berichtete kürzlich an einer Veranstaltung der Bonner Initiative Grundeinkommen über ethische Zweifel, die bezüglich einer Weiterführung des Projekts in Otjivero (Namibia) von kirchlicher Seite aufgekommen seien. Denn wie wolle man ein solches Projekt an einem Ort rechtfertigen, wenn es um diesen herum etliche weitere Dörfer gäbe, die ebenso arm sind?

Gilt nicht dasselbe für ein etwaiges Experiment in Kenia? Es ist ja etwas anderes, aufgrund beschränkter Mittel in einem Land zu überlegen, was damit nun als erstes finanziert werden soll und darüber durch politisch legitimierte Gremien zu befinden oder grundsätzlich zu sagen, dass nur bestimmte Personen oder Personengruppen bzw. Gemeinden davon profitieren werden, weil es sich um ein spendenfinanziertes Projekt handelt.

Sascha Liebermann

Meinungsumfragen und Onlineabstimmungen – Illusionierung oder Demokratisierung?

Auf der Future of Work-Konferenz in Zürich wurden Ergebnisse einer Meinungsumfrage zum Bedingungslosen Grundeinkommen in den sechs größten EU-Ländern vorgestellt (Videomitschnitt, ab 8:47:00; siehe auch den Bericht im tagesanzeiger). Es war die erste Umfrage dieser Art im EU-Raum laut Nico Jaspers, CEO bei Dalia Research, der die Ergebnisse vorstellte. Dass BGE wurde den Befragten als etwas erläutert, dass alle „social security payments“ ersetzen solle (8:48:55). 64 Prozent der Befragten befürworteten die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens laut Umfrage. Dass es sich selbstverständlich um eine „hypothetical question“ handelte, die gestellt wurde, erwähnte Nico Jaspers, womit deutlich sein sollte, was die Ergebnisse besagen. Was lässt sich aus solchen Befragungen schließen? Folgendes möchte ich hierzu anmerken:

1) Meinungsumfragen arbeiten standardisiert, d. h. Fragen wie Antwortoptionen stehen fest. Dort wo andere Antworten möglich sind, müssen diese wiederum standardisiert werden, um sie verarbeiten zu können. Was nicht in die festgelegten Optionen fällt, wird nicht erhoben. Diese Art des Vorgehens in der Datenerhebung führt dazu, dass man nichts Genaues darüber erfährt, weshalb die Antworten gegeben wurden, die gegeben wurden, was die Befragten dabei konkret beschäftigte, ob sie überhaupt verstanden haben, worum es ging. Die Daten, die man dabei erhält, sind recht grob und haben vom wirklichen Leben wenig in sich aufgenommen. Um so misslicher, dass es eine verbreitete Auffassung ist, solche Daten seien präzise (weiterführende Überlegungen finden sich hier).

2a) Es wird eine hypothetische Frage gestellt. Die Befragten sollen so antworten, als wüssten sie, was sie in einer Situation tun würden, die nicht real vorliegt. Dabei wird unterstellt, als wisse man selbst genau, was man in einer solchen Situation tun würde. Das ist aber nicht so, wie jedem vertraut ist, der mit nicht-standardisierten Daten arbeitet. Was hier also einzig in gewisser Weise abgefragt wird, sind Teile eines Selbstbildes, das der Befragte von sich hat, das aber keineswegs seinem Handeln entsprechen muss. Diese Diskrepanz zwischen „Einstellung“ und „Verhalten“, wie sie in der Methodenliteratur gefasst wird, ist die Krux dieser Befragungen. Sie sagen nichts darüber aus, was jemand tun wird

(Nicht zu verwechseln sind diese Befragungen mit den ex-post-Befragungen am Wahlabend, nachdem Wähler eine Entscheidung getroffen haben. Allerdings geben diese Befragungen auch keinen Aufschluss darüber, warum jemand tatsächlich die Wahl getroffen hat, die er getroffen hat. Dafür sind die Daten ebenfalls zu grob.)

2b) Da es beim BGE nun um etwas geht, das wir heute in dieser Form nicht haben, ist die hypothetische Frage noch weiter entfernt vom konkreten Leben, als das ohnehin schon der Fall ist bei hypothetischen Fragen. Wie soll jemand zu einer solchen Frage eine aussagekräftige Einschätzung haben, wenn er zum Befragungszeitpunkt weder Erfahrungen mit einem BGE hat machen können, noch sich eingehender damit befasst hat?

Kurzum: Solche Meinungsumfragen sind aus vielerlei Gründen unbrauchbar, um etwas darüber zu erfahren, was Menschen in ihrem Handeln leitet bzw. um herauszufinden, was sie tatsächlich tun würden, wenn…

Darüber hinaus sind Umfragen eben keine Entscheidungen, der Befragte hat seine Antwort nicht zu verantworten, sie ist unverbindlich, es folgt nichts aus ihr. Ganz anders als bei Wahlen oder – wie in der Schweiz – bei Volksabstimmungen. Entscheidungen wie diese haben ganz konkrete Folgen. Sie müssen von Bürgern dann mit allen Konsequenzen getragen werden.

Ähnlich wie damit verhält es sich mit einer App, die auf derselben Konferenz euphorisch gemeinsam mit ein wenig Deutschland-Bashing angekündigt wurde (Future of Work-Konferenz ab Minute 46:20). „Democracy needs an update“ – mittels Votesapp soll per Smartphone zu Fragen des öffentlichen Lebens Stellung bezogen werden. Es können auch Fragen gestellt oder von anderen gestellte Fragen bewertet werden. Da 60% der Deutschen, laut Armin Steuernagel, – der neben Michael Bohmeyer, Johannes Ponader und anderen zum Team gehört – die deutsche Demokratie nicht für eine Demokratie halten, soll mittels App offenbar eine Demokratisierung der Demokratie erreicht werden. Votesapp reduziere die Barrieren, um Demokratien zu machen und führe direkte Demokratie ein.

Weder sind die Abstimmungen per App ein legitimiertes demokratisches Verfahren, noch sind sie verbindlich oder initieren ein Gesetzgebungsverfahren. Wie bei Meinungsumfragen bleiben sie unverbindlich, die abgegebenen Stimmen müssen nicht verantwortet werden – es folgt aus ihnen nichts. Votesapp, so wie es vorgestellt wurde, entspricht damit bislang all den unverbindlichen Petitions- und Bürgerbeteiligungsverfahren (siehe dazu hier und hier), in denen Meinungen bekundet werden können – ohne dass sie berücktsichtigt werden müssen.

Sind solche Unverbindlichkeiten nicht gerade ein Problem? Verstärkt die Abstimmungsapp nicht genau diese Unverbindlichkeit?

Eines lässt sich mit Sicherheit sagen: mit Demokratie als politischer Ordnungsform der Selbstverwaltung eines Gemeinwesens hat eine unverbindliche Befragung nichts zu tun. Davon abgesehen unterschätzt das Deutschland-Bashing die Möglichkeiten, die gegenwärtig bestehen, um sich einzumischen. Ich würde das Problem, das die Macher womöglich umtreibt, anders verorten: In Deutschland begreifen sich die Bürger zu wenig als Bürger, nutzen zu wenig die Möglichkeiten, die sie haben. Apropos Demokratie: die Abstimmungsbeteiligung in der Schweiz schwankt erheblich und ist oft niedriger als in Deutschland bei Bundestagswahlen. Darauf kommt es also nicht an.

Sascha Liebermann