"Bedingungsloses Grundeinkommen – ein gesellschaftliches Zukunftsmodell?" – Workshop in Dortmund

Unter diesem Titel findet am 13. und 14. Juni ein Workshop in der Sozialforschungsstelle Dortmund, veranstaltet vom „Forum Neue Politik der Arbeit“ (Flyer Workshop.pdf), statt.
Für die Initiative wirken Ute Fischer (gemeinsames Papier mit Helmut Pelzer), Thomas Loer (Thesen) und Sascha Liebermann (Thesen) mit. Papiere weiterer Referenten sind auf der Website in der Rubrik „Workshops“ abgelegt.

Papiere und Fotos zur Veranstaltung finden Sie auch hier.

"Einfache Tätigkeiten", Bildungsabschlüsse, ständisches Denken – und das BGE

Wollen wir erfahren, wie in unserem Land über die Selbstbestimmungsfähigkeiten des Einzelnen gedacht wird und welche Vorstellung davon herrscht, weshalb Menschen sich für etwas engagieren, dann müssen wir uns nur betrachten, wie über „einfache Tätigkeiten“ gesprochen wird.

„Einfache Tätigkeiten“, so heißt es, ergreife jemand dann, wenn er nur geringe berufliche Qualifikationen vorweisen könne, wenn sie nur als Zuverdienst benötigt werden oder auch, weil er oder sie keine andere Wahl habe. Nicht selten wird denjenigen, die solche Tätigkeiten ausüben, attestiert, sich mit ihnen nicht zu identifizieren. Sicher, es wird Arbeitnehmer geben, für die das Geld wichtiger ist als die Sache, um die es geht. Nicht verwunderlich ist das, wenn jemand in Not ist, dennoch aber eine schlechte Voraussetzung dafür, eine Arbeit gut zu machen. Denn Geld selbst ist nicht sinnerfüllend, ist kein Inhalt, sondern lediglich Mittel dazu, sich etwas zu verschaffen. Wenn Geld den Vorrang hat und die Sache unbedeutend ist, mit der es verdient wird, dann ist zweifelhaft, welcher Qualität die Leistung ist, die erbracht wird. Voraussetzung für Leistung ist die Bereitschaft, sich mit einer Sache, ganz gleich welcher, auseinanderzusetzen. Person und Sache müssen sich entsprechen, soll dabei etwas Brauchbares herauskommen. Auch für einfache Tätigkeiten, können wir sagen, bedarf es also eines inneren Antriebes.

Was für diese Tätigkeiten gilt, gilt selbstverständlich im allgemeinen, wie sollte man sonst erklären, dass auch gegen Widerstände und unter widrigen Umständen Menschen dennoch an ihren Zielen festhalten. Die Rede von „einfachen Tätigkeiten“ ist auch irreführend, weil unsere Erfahrung lehrt, dass Automatisierung vor komplexen Tätigkeiten nicht halt macht. Entscheidend ist also, wie routineförmig ein Beruf ist, wieviel der Arbeitsgänge, die mit ihm verbunden sind, auf Maschinen übertragen werden können. Man denke nur an den Geldautomaten, der vor vielen Jahren qualifizierte Bankangestellte ersetzt hat.

Wer nun gegen das BGE den Einwand vorbringt, es werde sich niemand mehr finden, der bereit sei, einfache oder gar „schmutzige“ Tätigkeiten auszuführen, der geht davon aus, dass diese Tätigkeiten nicht sinnerfüllend sein können. Er geht davon aus, dass man keinesfalls damit etwas Positives verbinden könne. Wir kommt das?

Wir denken in festen Definitionen und bemerken es nicht. Wir sehen davon ab, dass die Frage, was sinnerfüllend ist, nur der Einzelne für sich beantworten kann, es gibt darauf keine allgemeine Antwort. Genau damit aber, es dem Einzelnen zu überlassen, tun wir uns schwer. Für das „Volk der Dichter und Denker“ scheint es so zu sein, dass der Mensch nur durch Bildungszertifikate und Arbeit zum Menschen werde, nicht aber durch Bildung, in deren Zentrum der Einzelne als Individuum steht. Eine solche Bildung bestimmt sich durch Erfahrungen, die dem Einzelnen ermöglicht werden. Weil aber Zertifikate Bildung schon ersetzt haben, streben wir danach, möglichst viele durch eine rigide und selektive Schule zu schleusen, einen großen Anteil davon dann wiederum durch ein Studium zu schleusen – und beides folgt mehr denn je den Maximen von Unterwerfung und Anpassung, nicht aber denen von Selbstbestimmung und Auseinandersetzung.

Aus diesem Grund, weil jemand ohne gehobenen Abschluß nichts ist, werten wir einfache Tätigkeiten und die Menschen, die sie ausüben, ab. Deswegen können wir uns nicht vorstellen, dass jemand eine solche Tätigkeit seinen Ambitionen entsprechend ausüben will. Mit einem BGE täten wir den ersten Schritt, um die Beantwortung dieser Frage dem Einzelnen zu überlassen.

Sascha Liebermann

Beitrag zum BGE in "Streetworker" nicht von uns autorisiert

Im Streetworker, einem Magazin, das durch Strassenverkäufer angeboten wird, ist offenbar ein Artikel über das Bedingungslose Grundeinkommen erschienen, der auf uns bezug nimmt und unsere Kontaktadresse angibt. Wir haben schon mehrere Zuschriften erhalten, die sich über den Artikel äußern. Aus diesem Grund möchten wir darauf hinweisen, dass wir weder den Artikel verfasst noch ihn autorisiert haben. Auch ist uns der Text nicht bekannt, so dass wir hätten Stellung beziehen können.

Kinder- und Jugendhilfe – und das BGE

Es ist immer wieder faszinierend zu erkennen, wie strikt unser gesamtes sozialstaatliches Gefüge um die Erwerbsverpflichtung herum gebaut ist. Solange sie besteht, behalten Transferleistungen des Gemeinwesens an Individuen oder Haushaltsgemeinschaften den Status von Ersatz- bzw. Notfallleistungen, ihr Bezug soll eine Ausnahme bleiben bzw. müssen Bezugsansprüche erst erworben werden. Meist wird in diesem Zusammenhang über das Arbeitslosengeld I und II, das Sozialgeld, das Krankengeld, Sozialhilfe usw. gesprochen. Die Erwerbsverpflichtung als Quelle von Einkommen wirkt sich allerdings auf Bereiche aus, die bislang wenig Aufmerksamkeit erhalten haben.

Viele Aufgaben, die heute durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz als staatliche bestimmt und geregelt sind, stellten sich unter Bedingungen eines BGEs anders dar. Wo heute fördernde und fürsorgende Hilfen unter Aufsicht staatlicher Gewalt stattfinden und ihnen verpflichtet sind, würde ein BGE eine davon unabhängige Praxis ermöglichen. Einige dieser Hilfen könnten sich – vergleichbar mit der ärztlichen und therapeutischen Praxis – in von staatlicher Aufsicht unabhängige Arbeitsbündnisse verwandeln, in denen der Klient im Zentrum steht.

Solche Veränderungen wären dann z.B. auch in der Kinder- und Jugendhilfe möglich. Ein Kind, das in seiner Herkunftsfamilie nicht verbleiben kann, weil die Eltern mit der Erziehung überfordert sind oder weil sie sie aus Krankheitsgründen nicht wahrnehmen können, benötigt eine Ersatzzuhause. Wo Freunde und Verwandte der Familie nicht einspringen und das Kind aufnehmen können, muss das Jugendamt seiner Verpflichtung nachkommen, das Kindeswohl zu schützen. Es sucht dann nach einer Möglichkeit, das Kind unterzubringen, z.B. in einem Heim oder einer Pflegefamilie und alimentiert diese, damit sie die Aufgabe wahrnehmen können. Es kommt auch vor, dass Eltern sich selbst um eine Unterbringung kümmern, doch meist sind sie nicht in der Lage, die entstehenden Kosten zu decken. Also muss das Jugendamt eingeschaltet und eine Unterstützung beantragt werden.

Gäbe es ein BGE, dann sähe die Situation anders aus, z.B. wäre eine Pflegefamilie durch ein ausreichend hohes Grundeinkommen finanziell abgesichert. Das Kind, das von ihr aufgenommen würde, brächte ein Grundeinkommen mit, über das es mit Erreichen der Volljährigkeit verfügte. Das Jugendamt könnte sich darauf beschränken (sofern das BGE kostendeckend wäre), seine staatliche Aufsichtspflicht wahrzunehmen und müsste nur eingeschaltet werden, wenn Bedarfe durch das BGE nicht gedeckt werden könnten oder das Kindeswohl gefährdet wäre.

Heute hingegen trifft das Jugendamt die Entscheidung, ob eine solche Maßnahme finanziert wird. Familien, die mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind und Hilfe benötigen, erhalten womöglich keine Unterstützung. Mit einem BGE wären also die Möglichkeiten für diese Familien ebenfalls erweitert. Sowohl die Eltern des Kindes als auch die Pflegefamilie wären unabhängig, zumindest aber unabhängiger vom Jugendamt und bedürften lediglich einer Beratung durch eine professionalisierte, aber ebenso unabhängige Einrichtung (Siehe auch Kindesunterhalt, Neues Unterhaltsrecht).

Und eine weitere Veränderung würde durch die Einführung eines BGEs womöglich deutlicher gesehen als bislang, wenngleich ein BGE nur das politische Signal wäre, sich darüber Gedanken zu machen: die Trennung von Aufsichtspflicht und Beratung. Heute nimmt das Jugendamt beide Aufgaben wahr. Es entscheidet zum einen darüber, ob zum Schutz des Kindeswohls per Gesetzesauftrag in eine Familie interveniert und ein Kind in Obhut genommen wird. Zum anderen soll das Jugendamt beratend tätig sein, es soll also die Familie, in die es eingedrungen und deren Trennung es erwirkt hat, beraten. Schon hieran wird deutlich, dass beides nicht zusammengeht. Damit sind beide Aufträge gegenläufig, der eine erfolgt im Namen der Rechtsgemeinschaft und zur Wahrung der Rechtsordnung, der andere zum Schutz des Individuums und seiner spezifischen Problemlage (solange sie sich nicht eindeutig gegen die Rechtsordnung richtet). Am besten wäre es, beides voneinander zu trennen, dann würden beide Aufträge nicht mehr miteinander in Konflikt geraten. Die Beratung im Sinne eines Arbeitsbündnisses mit den Klienten könnte sich ganz auf den Klienten konzentrieren, im Zuge dessen professionalisieren, denn sie wäre nicht mehr dem Jugendamt als Auftraggeber verpflichtet, sondern dem Klienten.

Eine Professionalisierung der Sozialen Arbeit, die durch das BGE gefördert werden könnte, bedürfte zuallererst einer Selbstbesinnung des Berufstandes. Erst wenn er sich als Profession begriffe, die ihre Standards selbst setzte und ihre Einhaltung prüftr, in der eine Selbstverwaltung nach dem Prinzip der Kollegialität selbstverständlich wäre, die über eine berufsvorbereitende Ausbildung eines zweistufigen Studiums verfügte, in dem in der ersten Phase der Habitus des Forschers/Generalisten, in der zweiten der des Klinikers eingeübt würden, in der der Klient und die Wiedererlangung seiner Autonomie erster Zweck wären – erst dann könnte von einer Profession ernsthaft die Rede sein.

Für beides böte das BGE eine Chance auf Veränderung.

Sascha Liebermann

"Viel ist schon erreicht worden, was steht nun an?" – Grußwort an das Hamburger Netzwerk Grundeinkommen

Auf Einladung des Hamburger Netzwerk Grundeinkommens haben wir ein Grußwort an die Mitglieder gerichtet. Es ist auch als Stellungnahme zum Stand der Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen zu verstehen. Einen Kommentar dazu von Jörg Drescher finden Sie hier.

„Förderung des Kindeswohls“ ohne Eltern – neues Unterhaltsrecht vs. BGE

Seit Anfang dieses Jahres gibt es ein neues Unterhaltsrecht, das dem Motto „Förderung des Kindeswohls“ folgen soll . Wer würde dem auf den ersten Blick nicht zustimmen – doch auf den zweiten fragt man sich unweigerlich, wie Kinder einen Vorrang erhalten können, ohne dass ihre Eltern zugleich gefördert werden.

Offenbar antwortet die Gesetzesänderung auf eine Schieflage im alten Unterhaltsrecht. Ihm wohnte die Annahme inne, dass die Scheidung einer Ehe einen Ausnahmefall darstellt. Dies konnte dazu führen, dass unterhaltspflichtige Väter, die wieder geheiratet haben, unverhältnismäßig stark durch Unterhaltsverpflichtungen belastet wurden. Die geschiedene Ehefrau hatte den Vorrang vor der aktuellen Ehefrau. In dieser Hinsicht ist eine Novellierung wohl überfällig gewesen, aber in welche Richtung?

Bisher galt für eine geschiedene Mutter, bei der Kinder leben, eine Freistellung von der Erwerbsverpflichtung bis zum 8 Lebensjahr. Danach wurde ihr zugemutet, halbtags und nach dem 16. Lebensjahr ganztags zu arbeiten. Für nicht-eheliche Mütter galt die Freistellung von der Erwerbsverpflichtung nur bis zum 3. Lebensjahr des Kindes. Das alte Unterhaltsrechts räumte der Fürsorge für die Kinder einen deutlichen Vorrang vor der Erwerbsverpflichtung ein, wenngleich auch nur für einen begrenzten Zeitraum.

Die Neuerung hingegen sieht nun folgendes vor:

§ 1570 Unterhalt wegen Betreuung eines Kindes. (1) Ein geschiedener Ehegatte kann von dem anderen wegen der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes für mindestens drei Jahre nach der Geburt Unterhalt verlangen. Die Dauer des Unterhaltsanspruchs verlängert sich, solange und soweit dies der Billigkeit entspricht. Dabei sind die Belange des Kindes und die bestehenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung zu
berücksichtigen.


§ 1574 Angemessene Erwerbstätigkeit. (1) Dem geschiedenen Ehegatten obliegt es, eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben. (2) Angemessen ist eine Erwerbstätigkeit, die der Ausbildung, den Fähigkeiten, einer früheren Erwerbstätigkeit, dem Lebensalter und dem Gesundheitszustand des geschiedenen Ehegatten entspricht, soweit eine solche Tätigkeit nicht nach den ehelichen Lebensverhältnissen unbillig wäre. Bei den ehelichen Lebensverhältnissen sind insbesondere die Dauer der Ehe sowie die Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes zu berücksichtigen.

Bei aller Berechtigung der Novellierung, wird nun – wie schon beim Elterngeld – die Verpflichtung zur Erwerbstätigkeit aufgewertet. Wie kann von einer „Förderung des Kindeswohls“ die Rede sein, wenn es den Eltern, die für Kinder sorgen, nur nach „Billigkeit“ ermöglicht wird, auch über das 3. Lebensjahr des Kindes hinaus zuhause zu bleiben? Eine Mutter bzw. ein Vater soll also, damit ist ein normatives Ideal errichtet, erwerbstätig werden und eine Betreuungseinrichtung in Anspruch nehmen, auch wenn sie es nicht für richtig hält. Was ist vom besonderen Schutz der Familie, den wir in unserem Grundgesetz festgeschrieben haben, noch übrig, wenn die Erwerbsverpflichtung doch höher steht?

Um wieviel besser stellte sich die Lage dar, würden wir uns zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens entscheiden, dass es Eltern ermöglicht, auf Erwerbsarbeit zu verzichten? Eine solche Versorgung von Familien mit Unterhalt (siehe Kindesunterhalt; siehe auch „Freiheit, seine Kinder zuhause zu erziehen“) machte ernst mit dem Schutz der Familie und würde sie nicht gegen den Vorrang der Erwerbstätigkeit ausspielen.

Mit einem BGE würde deutlich, dass die Erziehung der Kinder und die Fürsorge für ihr Wohlergehen erste Aufgabe der Eltern wäre. Wir, als Gemeinwesen, würden sie darin unterstützen, statt ihnen Knüppel zwischen die Beine zu werfen.

Sascha Liebermann