„Ohne Druck“ und eine individualistische Verkürzung…

… – Hannes Koch schreibt in der taz über eine Teilnehmerin des Pilotprojekts Grundeinkommen, das vom Verein Mein Grundeinkommen initiiert und u.a. vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung begleitet wird. Wie schon viele der von Mein Grundeinkommen gesammelten und erzählten Geschichten ist auch die von Koch insofern interessant, als sie Einblick in die Lebensvorstellung eines Menschen gibt, der ohne Grundeinkommen schon seine Vorstellungen hatte und seinen Weg gemacht hat. Beeindruckend ist an diesen Geschichten immer die Vielfalt der Lebensentwürfe, auf die man stößt, das Ringen mit Lebensbedingungen und die Beharrlichkeit darin, Anliegen zu verfolgen. Zugleich kehren bestimmte Fragen, die sich jedem stellen, wieder, so dass die Lebensentwürfe immer als Antwort auch auf allgemeine Fragen verstanden werden können.

Diese Vielfalt, die Eigensinnigkeit des Lebens und seine Autonomie zu erforschen – dazu bräuchte es allerdings keines Pilotprojekts, dessen Erkenntnisse ohnehin beschränkt sein werden, was am Charakter solcher Feldexperimente liegt (siehe meinen Kommentar dazu hier). Doch lassen die Geschichten aufhorchen und verlangen nach einer Forschung, die diese konkreten Lebensentwürfe ernst nimmt und sie nicht nur in ihrer Einzigartigkeit betrachtet, sondern als Antwort auf eine allgemeine Frage versteht und ihre Gemeinsamkeiten herausstellt. Zu leisten ist das allerdings nicht mit Instrumenten der standardisierten Sozialforschung, deren Weg zum Individuum durch seine Subsumtion unter vordefinierte Antworten bzw. zu erhebende Merkmalskategorien beschränkt ist (siehe den vorangehenden Hinweis).

„Ohne Druck“ und eine individualistische Verkürzung… weiterlesen

Mindestlohn, Grundeinkommen und die Frage nach dem sozialen Zusammenhalt…

…darum geht es im Interview mit Christian Neuhäuser, Professor für Philosophie an der TU Dortmund, auf Zeit Online (paywall)Neuhäuser hatte sich bislang gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen, was hat ihn dazu bewogen, seine Einschätzung zu revidieren?

„Neuhäuser: Als zweite Maßnahme würde ich mehr diskursive demokratische Elemente in Unternehmen etablieren, die Arbeitnehmer sollen mitsprechen dürfen, was Löhne anbelangt. Und als dritte Maßnahme – und das passiert jetzt auch, aber aus meiner Sicht noch zu zaghaft – sollte man den Mindestlohn anheben. Oder man sollte eine Kombination aus Mindestlohn und bedingungslosem Grundeinkommen einrichten. Das Grundeinkommen sollte ein bisschen niedriger liegen als der Mindestlohn, damit es einen Anreiz gibt, arbeiten zu gehen. Das würde den Menschen eine erhebliche Autonomie und Verhandlungsmacht verschaffen, um diesen Diskurs zu starten: Welche Arbeit hat eigentlich welchen Lohn verdient?“

Neuhäuser plädiert dafür, den Mindestlohn anzuheben, um Löhne nach unten abzusichern. Alternativ sei eine Kombination aus Mindestlohn und Grundeinkommen einzurichten – das sind zwei unterschiedliche Mittel, denn das eine sichert Erwerbstätige ab, Nicht-Erwerbstätige hingegen gar nicht, das andere hilft beiden. Wie verhalten sie sich zueinander? Das Grundeinkommen sollte „ein bißchen“, also wirklich wenig, niedriger sein als der Mindestlohn, um den „Anreiz“ zu erhalten, erwerbstätig zu werden. Zum einen stellt sich hier die Frage, worin er den „Anreiz“ erkennt, wenn der Unterschied nur gering ist? Damit rückt er vom Stellenwert des Lohnabstandsgebots schon weitgehend ab, das sich auf das Armutsfallentheorem gründet. Welche Art von Grundeinkommen mag Neuhäuser hier vor Augen haben, wenn es doch ohnehin so wäre, dass ein BGE immer ausbezahlt würde und jedes andere Einkommen „oben drauf“ käme und – je nach Vorschlag – besteuert würde? Das alleine würde immer bedeuten, dass jemand, der erwerbstätig wäre, auch über mehr Einkommen verfügte (BGE plus Lohn). Wozu dann noch den Abstand, der ohnehin gering sein soll? Neuhäusers Überlegungen wirken hier nicht ganz durchdacht. Wenn ein Grundeinkommen „erhebliche Autonomie und Verhandlungsmacht“ verleihe, wozu braucht es dann einen Anreiz? Apropos, Autonomie lässt sich stärken, aber nicht verleihen, denn sie zeichnet den Menschen aus. Verhandlungsmacht allerdings würde durch ein Grundeinkommen erheblich gestärkt, weil nun auf Erwerbstätigkeit verzichtet werden kann – anders als heute. Direkt im Anschluss an diese Passage geht es wie folgt weiter:

Mindestlohn, Grundeinkommen und die Frage nach dem sozialen Zusammenhalt… weiterlesen

„Is it most important to keep the supposedly undeserving from sneaking in?“

„Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens birgt große Potentiale“,…

…allerdings wird hier noch zu sehr ein BGE vor dem Hintergrund begründet, welche Leistungen es ermöglicht und nicht die Anerkennung der Bürger um ihrer selbst willen und um des Gemeinwesens willen der entscheidende Punkt ist, der sich aus den Grundfesten der Demokratie begründen lässt. Dazu benötigt es keinen „neuen Gesellschaftsvertrag“, denn politisch ist die Verfasstheit dafür, ein BGE einzuführen, längst gegeben – das Grundgesetz kennt keine Erwerbsobliegenheit. Dass aus dieser Anerkennung dann sich all die anderen Möglichkeiten ergeben, als Folge, nicht als Ausgangspunkt, ist unstrittig. Die Reihenfolge ist allerdings wichtig, denn Würde kann nicht erworben werden.

Sascha Liebermann

„Es ist der ewige Kampf ums Geld, der müde und krank macht…

[…] ich habe viele Menschen kennengelernt, die in diesem Kampf mit den Behörden resigniert haben und lieber Flaschen sammeln gehen als ihren Anspruch auf Unterstützung einzufordern“.

Was Frau Breuhaus hier beschreibt, ist als „verdeckte Armut“ bekannt und eine Folge dessen, dass Erwerbstätigkeit (folglich auch daraus erworbene Ansprüche) normativ erwünscht und anerkannt sind, das Nicht-Erreichen eines auskömmlichen Einkommens auch im Alter demzufolge als Scheitern an dieser Norm bewertet wird. Wer also auf Ergänzungsleistungen angewiesen ist, muss seine Lage erklären, denn das Minimum erhält er nur, wenn er sich erklärt hat. Auch wenn diese Absicherung als Rechtsanspruch besteht, signalisiert das Gemeinwesen durch die Nachrangigkeit, dass der Regelfall sein soll (Norm), auf solche Leistungen nicht angewiesen zu sein. Wer also angewiesen ist, hat etwas falsch gemacht.

Sascha Liebermann

Selbstbestimmung immer – Erwerbstätigkeit nur ein Teil davon

Wofür sie dabei steht, hatte sie schon früher geäußert, siehe hier.

Sascha Liebermann

Wirtschaftsdienst Zeitgespräch „Von Hartz IV zum Bürgergeld“ – Annahmen und Engführungen

Das Zeitgespräch hatte ein bestimmtes Thema, von daher mag es nahegelegen haben, dazu beinahe ausschließlich Ökonomen einzuladen, deren Kurz-Vorträge zuvor schon auf der Website des Veranstalters als Beitrag erschienen waren. Eine fachliche Ausnahme bildete Michael Opielka, der gemeinsam mit Wolfgang Strengmann-Kuhn vortrug. Im Video des Veranstalters, das in der nächsten Woche veröffentlicht werden soll, ist, so steht zu hoffen, auch die Diskussion enthalten, die Gelegenheit zu Rückfragen und Klärungen gab. Ich möchte an dieser Stelle wenige Anmerkungen zu den Vorträgen und der Diskussion machen.

Zuerst einmal wurde in der Veranstaltung deutlich, wie mühsam und kleinteilig sozialpolitische Diskussionen sein können. Es ist ein entscheidender Unterschied, ob sie von einer eher politikberatenden Warte geführt oder grundsätzliche Fragen gestellt werden, die gleichwohl für Politikberatung ebenfalls relevant sind. Ersteres umfasst Vorschläge, wie im bestehenden Gefüge angesetzt werden könnte, um Veränderungen zu erreichen, verbleibt aber im Gefüge des Bestehenden. Hier gilt es allerhand zu berücksichtigen. Große Bedeutung hat es dabei, welche Auswirkungen Veränderungen wiederum haben könnten, z. B. dass mehr Personen in den Grundsicherungsbezug eintreten, welche „Anreize“ wünschenswert seien und welche nicht. Zweiteres, also die grundsätzlichen Fragen, richtet sich darauf, die Annahmen, auf denen das bestehende Gefüge beruht, zu hinterfragen, die in der Debatte bislang eher als gesetzt gelten – so auch überwiegend in dieser Runde. Solche Fragen richten sich darauf, warum Menschen so handeln, wie sie handeln und ob die Gründe nicht differenzierter sind, als in der Debatte angenommen.

Wirtschaftsdienst Zeitgespräch „Von Hartz IV zum Bürgergeld“ – Annahmen und Engführungen weiterlesen

„Nehmt diesen ‚offenen Strafvollzug‘ […] zurück“