„Wir wissen, was gut für dich ist“ – Eine Reportage des „Zündfunks“ über ’nudging‘

Aus der Ankündigung: „Niemand lässt sich gerne was verbieten. Ein sanfter Schubs in die richtige Richtung? Den nimmt man schon eher in Kauf. „Nudging“ heißt das Schubsen auf Englisch und ist inzwischen nicht nur im Kanzleramt sehr gefragt.“ Hier geht es zur Sendung.

„Alltagskampf bis zur Erschöpfung“ – Alleinerziehende in Deutschland

In dieser Reportage des Deutschlandradios wird wieder einmal deutlich, in welche Zwänge uns die unnachgiebige Erwerbsfixierung führt, hier am Beispiel alleinerziehender Eltern. Progressive Geister werden an dieser Stelle womöglich herausstellen, wie wichtig Ganztagsbetreuung sei, damit diese Mütter, die in der Reportage porträtiert werden, vollzeit erwerbstätig sein können. Genau diese Haltung wäre jedoch kein Ausweg, sondern eine Verfestigung der Erwerbsfixierung, denn der Preis wäre, keine Zeit für die Familie, für die Kinder zu haben. Da bleibt nur ein Ausweg: Bedingungsloses Grundeinkommen

Siehe auch „Alleinerziehende – der Mut der Mücke“, „Alleinerziehende müssen Vollzeit arbeiten“ und „Das ‚Alles ist möglich‘-Mantra ist eine Lüge“

„Was wäre Arbeit dann noch wert“ – Pola rennt #3

Pola rennt #3: Was wäre Arbeit dann noch Wert – Beate Kostka, Bundesagentur für Arbeit from grundeinkommen.tv on Vimeo.

„…dass Arbeit das ist, was soziale Teilhabe auch ermöglicht, sehr sinnstiftend ist und wichtig für die Menschen, das treibt mich auch noch an.“

„Was ist Arbeit dann noch wert?“, wenn es ein Bedingungsloses Grundeinkommen gibt, fragt Frau Kostka. Ganz unaufgeregt und in ihrer Überzeugung gefestigt, spricht sie über Arbeitslosigkeit, Arbeitssuche, BGE und welche Aufgaben der Staat habe. Arbeit ist natürlich in ihren Augen nur Erwerbsarbeit, der Staat ein Leistungsanbieter, aber keine Bürgergemeinschaft. Um Demokratie und die Stellung der Bürger darin geht es nicht, das sollte es aber, da sie im Zentrum des BGE stehen. Solange wir davon kein Bewusstsein haben, wird es kein BGE geben.

Sascha Liebermann

„Ich bin dafür, den Menschen das Gefühl zu geben, gebraucht zu werden…“

…so Heinrich Alt, Mitglied im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 15. Dezember, Seite 18. Darin äußert er sich positiv über den Mindestlohn und ablehnend zum Bedingungslosen Grundeinkommen.

Der Interviewer fragt, nachdem Alt darüber gesprochen hat, dass die Hälfte der „Personalressourcen“ in die Leistungsberechnung des Arbeitslosengeldes fließen:

„SZ: Wäre es daher nicht sinnvoll, dieses ganze System abzuschaffen und den Menschen einfach ein bedingungsloses Grundeinkommen zu gewähren?

ALT: Das ist eine faszinierende Idee. Aber wir würden den Menschen damit eine falsche Botschaft vermitteln. Im Kern heißt das doch: Wir brauchen euch nicht, aber wir lassen euch auch nicht verhungern. Das halte ich für einen zutiefst inhumanen Gedanken. Ich bin dafür, den Menschen das Gefühl zu geben, gebraucht zu werden. Es gibt kein anstrengungsloses Glück. Bundespräsident Gauck hat zu Recht gesagt: Es schwächt die Schwachen, wenn wir nichts mehr von ihnen erwarten.“

Wenn Alt beklagt, dass BGE sende die Botschaft „Wir brauchen euch nicht“, könnte mit Fug und Recht genau das Gegenteil über das BGE gesagt werden: Wir stellen als Gemeinwesen ein BGE bereit, weil wir uns um unserer selbst und das Gemeinwesen um seiner selbst willen anerkennen. Das von Alt konstruierte „Wir“ und „Ihr“ lässt sich nicht auseinanderdividieren, da das „Wir“ zugleich das „Ihr“ beinhaltet. Gerade durch ein BGE würden diejenigen, die heute durch die Sozialgesetzgebung unter Druck gesetzt (siehe frühere Äußerungen von Heinrich Alt hier und hier) und an den Rand gedrängt werden, in die Mitte aufgenommen. Statt dieser Befreiung vom Paternalismus hält Alt diesen Paternalismus hoch, wenn er „Menschen das Gefühl“ geben will, gebraucht zu werden. Statt einer solchen pädagogischen Vereinnahmung, die dann doch nur ein „Gefühl“ vermittelt, würde ein BGE reale Möglichkeiten schaffen, das eigene Leben zu leben und nicht eines, das andere für richtig halten. Zuletzt darf der Hinweis nicht fehlen, dass es kein „anstrengungsloses Glück“ geben könne – wozu der Hinweis? Ist vielleicht die Sanktionspraxis nach dem Sozialgesetzbuch eine ganz brauchbare Knute, um das „Gefühl“ zu vermitteln, unter welchen Bedingungen jemand und wofür „gebraucht“ wird?

Sascha Liebermann

„Total freedom – Filmprojekt aus den USA“

grundeinkommen.ch meldet: „Tree Media aus Californien plant einen Film zum bedingungslosen Grundeinkommen. Das Team um Mathew Schmid – Director, Leila Conners – Producer, Thom Hartmann und George DiCaprio – Executive Producer wollen den Film nicht nur ins Kino bringen, sondern damit eine breite Bewegung in den USA starten. Hier kann man den Film supporten: Indiegogo Crowdfunding„.

Das Bedingunslose Grundeinkommen und Menschen mit Behinderungen oder gravierenden Erkrankungen

Pressenza Berlin hat ein Interview Interview von Magali Corpataux, Secrétaire romande, AGILE.CH veröffentlicht, in dem einmal – was wirklich sehr selten vorkommt – die Sprache darauf kommt, was ein Bedingungsloses Grundeinkommen für Menschen bedeuten könnte, die mit einer oder verschiedenen Behinderungen leben bzw. gravierend erkrankt sind.

Julien Dubouchet-Corthay, Vorstandsmitglied von BIEN-Schweiz und Zentralsekretär des Westschweizer Zweigs von Pro Mente Sana, gibt einen Einblick in etwaige Verbesserungen:

Was macht das BGE zu einer würdigen Lösung für Menschen mit Behinderung?
Erstens richtet es ein gemeinsames System ein. Es behandelt Menschen mit und ohne Behinderung gleich. Zum Beispiel gäbe es kein Bitten, Rechtfertigen, medizinisches Argumentieren mehr, um eine IV-Rente zu erhalten. Nebenbei gesagt, gäbe es schönere Ausdrücke als «Invalidenversicherung», wenn es um die Selbstachtung geht. Zweitens würden die zahlreichen Menschen, die einen legitimen Anspruch auf Unterstützung haben, aber heute keine entsprechenden Schritte unternehmen – da zu kompliziert, zu erniedrigend –, ebenfalls das BGE erhalten. Aus diesem Blickwinkel ist das BGE ein wesentlicher Schritt in Richtung Inklusion. Drittens ist die IV ein in mancherlei Hinsicht überholtes System, insbesondere wenn es um Menschen mit einer psychischen Erkrankung geht. Auch wenn sie oft völlig genesen, so ist der Weg zur Genesung doch kein langer, ruhiger Fluss. Auf Phasen mit Krisen folgen stabile Perioden, während denen es durchaus möglich ist zu arbeiten. Die IV ist indessen nicht für solche Sachlagen gedacht.

Tut das BGE nicht den Arbeitgebern einen Gefallen, die wenig Druck erfahren, Menschen mit Behinderung einzustellen? Es wäre doch einfach, sich auf diese Entschädigung zu berufen, damit man um alles, was zugunsten von Mitarbeitenden mit Behinderung wäre, herumkommt.
Okay, lassen Sie uns darüber diskutieren, wenn sich die Arbeitgeber um Menschen mit Behinderung zu reissen beginnen! (lacht) Aber im Ernst: Seit langem bezahlen die Arbeitgeber lieber Sozialabgaben, als dass sie Menschen mit Behinderung integrieren. Zurzeit, angesichts der hohen Arbeitslosigkeit, ist es illusorisch, eine signifikante Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt zu erwarten. Der Arbeitsmarkt, der heute übrigens einen ziemlich unzutreffenden Namen trägt. Wie jeder Markt sollte er eigentlich den Gesetzen von Angebot und Nachfrage entsprechen. Tatsächlich aber herrschte nie zuvor ein solches Ungleichgewicht zwischen Angestellten, die eine Stelle dringend nötig hätten, um leben zu können, und Arbeitgebern, die aus ihrer Position der Stärke heraus in einem unerschöpflichen Teich fischen können! Wir appellieren an das Verantwortungsbewusstsein für Menschen, die keine Wahl haben. So ist die Garantie für ein bedingungsloses Einkommen ein echtes Empowerment für alle – egal ob sie bei guter Gesundheit sind oder nicht!“

Vor etlichen Jahren hatte einst Martina Steinheuer darüber geschrieben, was es in Deutschland heißt, auf Unterstützungsleistungen in diesem Falle angewiesen zu sein.

Siehe auch „Behinderung, häusliche Pflege und das Bedingungslose Grundeinkommen“.

Es wäre angebrachter, darüber zu debattieren, was für eine Gesellschaft wir sein wollen, …

… so Peter Schallberger, Schweizer Soziologe, in einem Interview in der „Wochenzeitung“. Die Missstände, die er dabei aufdeckt, sind nicht schweiz-spezifisch; wir finden sie in ähnlicher Form auch in der Bundesrepublik. Dort geht es um sogenannte Sozialfirmen, die folgendermaßen mit Arbeitskräften versorgt werden: „Sozialämter weisen dieser Firma Klienten zu. Die Zuweisung kommt allerdings nicht über einen freien Arbeitsvertrag zustande, sondern über eine administrative Verfügung. Wer sich dieser über die kantonale Sozialhilfegesetzgebung abgesicherten Verfügung widersetzt, wird sanktioniert. Das Arbeitsverhältnis basiert also auf Zwang, es handelt sich formal folglich um eine Zwangsbeschäftigung.“ Um Zwangsbeschäftigung handelt es sich auch hier in der Bundesrepublik, wenn Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger in Arbeitsverhältnisse eintreten müssen um Sanktionen zu entgehen; letztlich aber handelt es sich auch um Zwangsbeschäftigung, wenn man „freiwillig“ einen Arbeitsvertrag schließt, um ein Einkommen zu erzielen, denn die Alternative wäre der Verzicht auf Erwerbseinkommen, das Eintreten in die Mühlen von „Arbeitsagentur“, „Jobcentern“ und „fördern und fordern“, womit man wieder am Ausgangspunkt wäre. Also nicht lediglich diese Form der „Förderung“ ist ein Problem, wie Schallberger aufzeigt: „Den Lohn bezahlt die Sozialhilfe. Es findet also ein Transfer von Sozialhilfegeldern zu privaten Unternehmen statt.“ Dies fordern ja auch bundesdeutsche Ökonomen wie etwa Hans-Werner Sinn und seine Kollegen vom IFO-Institut mit ihrem Modell der „aktivierenden Sozialhilfe„: den Kombilohn zur Erhaltung des Niedriglohnsektors. Schallberger hält dem entgegen: „Es gibt glücklicherweise Alternativen“. Welche sind dies nun? „Es gibt glücklicherweise Alternativen, die eine echte Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt anstreben. Beispielsweise mit unterstützendem Jobcoaching. Ein Coach begleitet Personen zurück in eine ordentliche Anstellung, er berät auch die Unternehmen in diesem Prozess. Hier geht es um ordentliche Anstellungen, die Löhne bezahlen die Unternehmen – und nicht der Staat.“ – Da allerdings verkennt Schallberger die oben benannte grundsätzliche Zwangsstruktur der erwerbsorientierten Sozialpolitik. Denn was passiert mit demjenigen, der nicht zum „Jobcoach“ geht? Wenn der „Coach begleitet“ – was tut er dann? Führen und fordern? Oder beraten? Zur Beratung gehört aber unabdingabar die Freiwilligkeit und zu der gehört, dass man eine echte Alternative hat. Wie könnte die eröffnet werden? Da wundert man sich, dass Schallberger, bei aller triftigen Kritik, nicht über den Tellerrand der Erwerbsarbeit hinausschaut zu seinen ja gerade in der Schweiz sehr rührigen Eidgenossen, die aufzeigen, wie die für die Freiwillgkeit erforderliche Alternative eröffnet werden kann, und die dies in der Schweiz ja auch öffentlichkeitswirksam diskutieren. – Wenn diejenigen, die sich der Kritik der De-Autonomisierung der Bürger annehmen, nicht die Bedingungen einer Autonomie der Bürger aufzeigen – einer Autonomie, die unsere Demokratie gleichzeitig als Fundament in Anspruch nimmt –, gießen sie letztlich Wasser auf die Mühlen dessen, was sie kritisieren. Erst ein Anerkennung der Chancen, die ein Bedingungsloses Grundeinkommen eröffnete, würde diesen Mühlbach in den Strom einer freien Gesellschaft von freien Bürgern münden lassen.

Thomas Loer