Das BGE im Wahlkampf – zahlreiche Wahlen dieses Jahr. Was kann getan werden?

Zahlreiche Wahlen finden dieses Jahr statt, die besondere Gelegenheit geben, das bedingungslose Grundeinkommen ins Gespräch zu bringen, hier eine Auswahl (vollständige Liste): in Hamburg (20. Februar), in Sachsen-Anhalt (20. März), in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz (27. März), in Bremen (22. Mai), in Mecklenburg-Vorpommern (4. September), in Berlin (18. September), in Schleswig-Holstein (30. September). Wahlen sind eine besonders gute Gelegenheit, unsere Repräsentanten und ihre Parteien mit dem Vorschlag eines bGE zu konfrontieren. Was kann getan werden?

  • Gehen Sie zu Wahlveranstaltungen und konfrontieren Sie Politiker mit der Idee. Fragen Sie danach, wie Parteien und Politiker dazu stehen, dass wir uns Bürgern mehr Freiräume schaffen sollten.
  • Organisieren Sie Info-Stände.
  • Legen Sie dar, welche Sicherheiten und binnenwirtschaftlichen Effekte gerade ein BGE hätte (Info 1, Info 2).
  • Dass es eine transparente Unterstützung für alle Bürger ganz im Sinne unserer freiheitlich demokratischen Ordnung darstellt.

Erhoffen Sie nicht, dass Sie hiermit große positive Resonanz erhalten. Wichtig aber ist, dass andere sehen können, wie Parteien und Politiker antworten. Auch das fördert die Diskussion. Viele kennen das BGE noch gar nicht, haben davon nichts gehört.

„Es gibt kein Beschäftigungswunder…“

…das melden nun auch die VDI-Nachrichten, nachdem bislang meist das Gegenteil behauptet wurde:

„…Das Beschäftigungswunder ist in Wahrheit keines, sagt der Ökonom Kooths. Entscheidend sei nicht die Zahl der Arbeitsplätze, sondern das Arbeitsvolumen, also die Zahl der pro Jahr geleisteten Arbeitsstunden. Und die liegt in Deutschland aktuell auf dem Niveau des Jahres 2000 und der Mitte der 90er-Jahre. Seinerzeit waren es rund 57,6 Mrd. Stunden. Kooths: „Damals hat niemand das deutsche Jobwunder ausgerufen.“ Die Ursache für die steigende Erwerbstätigkeit seien mehr Teilzeitarbeit und Mini-Jobs. Die Bruttolöhne je Arbeitnehmer sollen, so der Jahreswirtschaftsbericht, in diesem Jahr um 2,1 % steigen, die Inflation soll bei 1,8 % liegen. Real würden dann die Löhne um 0,3 Prozentpunkte zulegen. Dennoch geht Brüderle davon aus, dass der Konsum um 1,6 % wachsen wird..“

Wir hatten darauf auch schon hingewiesen anlässlich einer Feier der Beschäftigungszunahme durch Rainer Hank in der FAZ.

„Basic Income, low aspiration“

„Basic income, low aspiration. The idea that the state should give everyone a basic income has seized the imagination of Germany’s middle class and politicians. Their enthusiasm is testament only to the poverty of their ambition.“ Der Beitrag von Johannes Richardt bei spiked online bespricht im wesentlichen das neue Buch von Götz W. Werner und Adrienne Göhler. Dabei geht er auch auf die Grundeinkommensdiskussion im allgemeinen ein.

„Jedes Leid hat einen Namen“

Auf diese Formel bringt Götz W. Werner den Missstand, dass wir individuelle Lebenssituationen allzu leicht hinter Konzepten und statistischen Größen verschwinden lassen (siehe seine Kolumne im dm-Kundenmagazin), das damit verbundene Leid folglich nicht mehr sehen. In Erinnerung ruft er hierbei eine Diskussion mit der Soziologin und gegenwärtigen Präsdentin des Wissenschaftszentrums Berlin, Jutta Allmendinger, aus dem Jahr 2008 in dem Magazin Chrismon (der Artikel ist online nicht mehr verfügbar, siehe aber unseren Beitrag von damals dazu). Sie hält darin der Perspektive auf das Individuum, die Werner stark macht, das Konzept der Vollbeschäftigung entgegen, wenn sie sagt, 3% Arbeitslose bedeuten beinahe Vollbeschäftigung. Nun, was hilft das dem Einzelnen? Ganz anders wäre es mit einem bedingungslosen Grundeinkommen.

Würde haben oder erhalten?

In einem Interview mit der taz äußert sich die Spitzenkandidatin der Linkspartei in Bremen, Kristina Vogt, zum bedingungslosen Grundeinkommen. Diese Ausführungen sind nicht weiter erwähnenswert, fallen sie doch weit hinter den Stand der Diskussion zurück (siehe z.B. unseren Beitrag zum Mindestlohn). Tief blicken lässt hingegen eine beinahe nebensächliche Bemerkung, an der aufscheint, weshalb es der Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens so schwer hat. Lesen Sie selbst:

„Ich finde, dass man den Menschen ihre Würde geben muss, Hartz IV ist entwürdigend, das geht gar nicht“.

Das klingt auf den ersten Blick vielleicht fürsorglich, gemeinwohlorientiert, mit Sinn für die Schwachen und Armen. Schauen wir genauer hin, zeigt sich hingegen etwas anderes. Die Äußerung weist auf eine grundsätzliche Frage politischer Ordnung, auf die Frage danach, wie das Verhältnis von Individuum und Gemeinwesen gedeutet wird. Weshalb?

Entweder hat der Mensch per se eine Würde. Dann kann ein Gemeinwesen nur eines tun: eine Ordnung gestalten, die diese vorstaatlich begründete Würde achtet und zur Geltung kommen lässt. Die Würde erhält der Mensch nicht durch das Gemeinwesen, sie geht ihm voran. Wird sie verletzt, muss das Gemeinwesen gegen die Verletzung vorgehen. Dass die Frage, was die Würde auszeichnet, nicht ein für allemal beantwortet werden kann, ist klar. Mit dem Wandel des Verständnisses davon, was die Würde auszeichnet, ist auch eine Umgestaltung der politischen Ordnung notwendig. In einer Demokratie kann darüber nur die öffentliche Auseinandersetzung im Meinungsstreit nach geltenden Verfahren befinden.

Oder die Würde erhält der Mensch vom Gemeinwesen, so stellt sich das Frau Vogt offenbar vor. Dann ist er ohne das Gemeinwesen würdelos, er ist ein Nichts. Es ist nicht übertrieben, diese Vorstellung als totalitär zu bezeichnen, denn das Individuum hier nichts Eigenständiges.

An dieser Unterscheidung bilden sich zwei radikal entgegengesetzte Vorstellungen von politischer Ordnung. In ersterer muss das Verhältnis von Individuum und Gemeinwesen stets so austariert werden, dass es beiden gerecht wird. In zweiterer ist das Individuum vollkomman abhängig vom Gemeinwesen, es ist nichts Eigenständiges, hat keine Geltung über das Gemeinwesen hinaus.

Wer sich ein wenig mit der Grundeinkommensdiskussion befasst hat, wird schnell bemerkt haben, dass diese bevormundende, den Einzelnen entmündigende Haltung weiter verbreitet ist, als uns lieb sein kann. Sie findet sich in allen politischen Lagern gleichermaßen, es ist ein strukturelles Phänomen, auch wenn die Inhalte, mit denen es auftritt sehr verschieden sind. Die einen artikulieren diese Entmündigung offen, die anderen im Mantel der Fürsorglichkeit, dem Misstrauen in das bürgerliche Subjekt usw. – siehe z.B. Christoph Butterwegge und Klaus Dörre,
Gerhard Bosch, Nachdenkseiten und Frigga Haug.

Diese Tendenz, das Gegenüber zu entmündigen, ist das größte Hemmnis auf dem Weg zum Grundeinkommen. Um so mehr kann einen das erstaunen, als diese Denkhaltung unserer politischen Ordnung weit hinterherhinkt. Sie ist viel freiheitlicher und setzt selbstverständlich auf mündige Bürger – das scheinen wir aber nicht wahrhaben zu wollen.

Sascha Liebermann

„Souverän bedingunglos“ – Beitrag von Sascha Liebermann

„Souverän bedingungslos“, so lautet ein Beitrag Sascha Liebermanns, den er für eine Publikation verfasst hat, die die 12. Potsdamer Begegnungen dokumentiert. Die Veranstaltung stand unter dem Thema „Wünschenswerte Zukünfte. Deutschland und Russland im 21. Jahrhunder“ und wurde vom Deutsch-Russischen Forum veranstaltet. Der Beitrag befasst sich mit der Frage, welchen Stellenwert demokratische Willensbildung in der öffentlichen Diskussion angesichts gegenwärtiger Herausforderungen hat.

„Vereinbarkeit“ von Familie und Beruf oder doppelter Verzicht?

Im Dezember-Heft 2010 von brandeins, das sich der Familie widmet, ist ein Beitrag abgedruckt mit dem Titel „Gleichung mit Unbekannten“. Es geht darin auch um die vielgeforderte und -befeierte Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die als fortschrittlich gilt und die manches Förderprogramm auf den Weg gebracht hat. Der Schluss des Beitrags allerdings macht deutlich, wie wenig treffend die Formel von der Vereinbarkeit ist und wie viel angemessener es wäre, vom doppelten Verzicht zu sprechen. Es heißt dort:

„Seine Managerkollegen von früher schmunzeln vermutlich schon über die Wortwahl. Alexander May ist ein Beispiel dafür, was in keiner erbaulichen Ministeriumsbroschüre steht, aber jeder schnell merkt, der Kinder bekommt: Familie hat ihren Preis. Karriere auch. Ob die Gleichung aufgeht, muss jeder für sich selbst entscheiden.“

Denn Familie und Beruf lassen sich nicht vereinbaren, ohne dass in beider Hinsicht Verzicht geübt werden muss, so lässt sich herauslesen. Wer beides haben will, von dem ist doppelter Verzicht gefordert. Ganz zu recht schließt der Beitrag mit dem Hinweis, dass dies jeder für sich entscheiden muss, will man keine staatliche Vorschrift einführen. Moment mal, Vorschrift? Die gibt es heute zwar nicht, es gibt aber eine normative Erwartung: Erwerbstätigkeit. Wir haben zwar keine Vorschrift, aber sehr wohl eine Wertigkeit in unserem Gemeinwesen. Denn heute kann maximal ein Elternteil zuhause bleiben, denn der andere muss Einkommen beschaffen. Der Familie die Priorität einzuräumen ist also nur einem von beiden möglich, und das nur, wenn er zu den Besserverdienenden gehört. Wäre es nicht wünschenswert, beide könnten zuhause bleiben, wenn sie wollten? Das geht aber nur und wird erst anerkannt als gleichwertige Entscheidung, wenn ein bedingungsloses Grundeinkommen verfügbar ist.

Sascha Liebermann