„Begrabt es endlich“ – die Süddeutsche Zeitung ist genervt….

…, dass ein Ende der Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen nicht absehbar ist. Dabei ist doch so klar, dass es nicht funktionieren kann, wie der Artikel von Thorsten Denkler zu zeigen meint. Oder wollt er nur einmal so richtig provozieren?

Nach kurzer Einleitung geht es gleich zur Sache (Im Originalartikel sind etliche Verweise enthalten, die ich hier nicht übernommen habe):

„Okay, es ist nicht nett, jetzt sofort mit dem dicksten Hammer zu kommen. Aber es geht nicht anders. Selbst hartgesottene Befürworter eines BGE gehen für Deutschland von immensen Kosten aus: bis zu 1,5 Billion Euro pro Jahr. Je nach Höhe des BGE. Das Problem ist nämlich, dass das BGE nicht nur die bekommen sollen, die es nötig haben. Sondern alle. Also auch der Fabrikant, der Zahnarzt mit seiner Villa am Stadtrand, der Vorstandsboss von Siemens.“

Die Genervtheit bricht sich Bahn, gleich zu Beginn. Wo liegt denn nun das Problem? Selbst der Höchstbetrag ist rein theoretisch gesprochen noch keines, die Frage ist, was ein Gemeinwesen haben will, was es für wünschenswert und für vernünftig hält? Entsprechend würde das Verhältnis zwischen Volkseinkommen und BGE sich anders darstellen als in der Zuspitzung. Wenn ein Gemeinwesen sich dazu entscheiden sollte, einen so großen Teil des Volkseinkommens über ein BGE zu verteilen und nur einen geringen Teil für Löhne/ Gehälter vorzusehen, muss das Gemeinwesen eben für die Konsequenzen gerade stehen, ganz gleich wie sie ausfallen. Wie in etlichen Ausführungen dazu schon dargelegt, soll das BGE in die Einkommensverhältnisse hineinwachsen und nicht einfach oben drauf gesetzt werden.

„Nur so zum Vergleich: Alle Ausgaben des Bundes zusammengerechnet belaufen sich auf gerade einmal 300 Milliarden Euro. Selbst wenn Bund, Länder und Gemeinden ihre jährlichen Ausgaben auf einen Haufen werfen, kommen nur 790 Milliarden Euro zusammen.
Andere Zahlen, noch deutlicher: 2013 betrug das gesamte Volkseinkommen in Deutschland 2,128 Billionen Euro. Würde das Grundeinkommen, wie von vielen BGE-Freunden ernsthaft gefordert, 1500 Euro pro Person und Monat betragen, würde mehr als die Hälfte des Volkseinkommens vom BGE aufgefressen, eben 1,5 Billionen Euro.“

Fordern lässt sich Vieles. Es bleibt dabei, dass das Gemeinwesen als Ganzes darüber zu befinden hat. Selbstverständlich muss es auch finanzierbar sein, wer würde das bestreiten wollen. Warum also die Aufregung? Sie scheint eher daher zu rühren, dass das BGE dem Autor so etwas von zuwider ist („aufgefressen werden“), dass ein Nachdenken über positive Auswirkungen schon von daher nicht sein darf.

„Die BGE-Befürworter kommen jetzt gerne mit dem Argument um die Ecke, dass der Staat ja schon jetzt Sozialausgaben von gut 800 Milliarden Euro trage. Die würden einfach in BGE umgewandelt. Der Rest ließe sich leicht über Steuererhöhungen eintreiben.
Lassen wir uns für einen Moment darauf ein: 1500 Euro im Monat kosten zusammen gut 1,5 Billionen Euro, wir sagten es bereits. Abzüglich 800 Milliarden Euro Sozialkosten müssten noch 700 Milliarden Euro über Steuererhöhungen finanziert werden. Schon das ist eine stolze Summe.“

Ein Befürchtungsszenario zum Verschrecken, so ist das wohl gedacht, deswegen werden immer nur auf die 1,5 Billionen Euro Bezug genommen. Das Gemeinwesen wird über die Einführung als solche, über die Höhe und über die Besteuerungswege, mittels derer die Mittel herangeschafft werden, befinden müssen. Wenn es für ein solch hohes BGE keine Mehrheit geben wird, dann wird es ein solch hohes BGE nicht geben. Ganz einfach.

Ich überspringe den nächsten Absatz und gehe gleich zum Schlusspassus:

„Die Steuer- und Abgabenlast liegt heute schon im Schnitt bei 50 Prozent. Ohne Verbrauchssteuern. Sie würde sich mit BGE vermutlich auf 80 bis 90 Prozent erhöhen. Klar, machbar ist das. Aber wer will dann noch arbeiten gehen?
Gut, den einen oder anderen wird es sicher geben, der sich nicht mit dem BGE zufrieden gibt, der mehr will, der richtig reich sein will. Oder der seinem Leben in der Erwerbsarbeit einen Sinn geben will. Aber warum noch arbeiten, wenn eine vierköpfige Familie vom Staat 4000 Euro oder mehr netto geschenkt bekommt? Da muss der Job schon verdammt viel Spaß machen, um nicht sofort zu kündigen.“

Die Sorgen oder Befürchtungen des Autors könnte er mit seinem Schlusssatz aufheben. Wer etwas wirklich gerne macht, was die beste Basis dafür ist, etwas gut zu machen, den interessiert das Einkommen nicht, sofern es mindestens dazu ausreicht, um die Lebenshaltungskosten zu decken, die er decken will. Abgesehen davon geht es beim BGE um etwas, dass das Gemeinwesen als Gemeinschaft von Bürgern an seine Angehörigen ausschüttet und an diejenigen, die einen Aufenthaltsstatus in seinem Territorium inne haben. Es ist als eine Leistung der Gemeinschaft an seine Angehörigen und hebt nicht die Frage auf, wie der Einzelnen zum Wohlergehen derselben beitragen kann und will.

Sascha Liebermann

Bedingungsloses Grundeinkommen in Taizé

Thomas Loer und Sascha Liebermann waren in die Communauté Taizé (Quelle bei Facebook) eingeladen, um über das Bedingungslose Grundeinkommen zu sprechen. Etwa zweihundert der 3500 Teilnehmer aus aller Welt, die in dieser Woche nach Taizé gekommen waren, versammelten sich am 11. August bei sengender Hitze unter einem Zelt und verharrten dort teils drei Stunden. Am Tag darauf gab es die Möglichkeit, mit Thomas Loer noch weiter zu diskutieren. Was gibt es zu berichten? Vor allem, dass Fragen und Einwände dieselben waren wie anderswo auch. Das ist allerdings besonders überraschend, denn das Motto der Woche war „Towards a New Solidarity“. „Trust“ stand dabei im Zentrum und die Bewegunggründe nach Taizé zu reisen, ist wohl im Allgemeinen die Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen in der Welt. Doch auch hier herrschten die Sorgen um mangelnde Arbeitsanreize, Entwertung des Arbeitsbegriffs und abnehmende Bereitschaft zum Gemeinwohl beizutragen vor, für die ein BGE angeblich die Weichen stelle. Es gab natürlich auch andere Stimmen, die im BGE eine Chance erkannten, gerade das hinter sich zu lassen, was heute so oft beklagt wird.

„Eingriff in Grundrechte“…

…unter diesem Titel berichtet die junge welt von einer Veranstaltung mit dem Gothaer Richter Jens Petermann über die Sanktionspraxis der Jobcenter und die dazu bestehende Gesetzgebung (siehe frühere Meldungen bei uns hier). Petermann gehört der Kammer des Gothaer Sozialgerichts an, die im Juni das Bundesverfassungsgericht zu einer Klärung angerufen hat, ob die Gesetzgebung und Sanktionspraxis verfassungsgemäß ist. Eine Passage aus dem Artikel sei hier zitiert:

„Petermann sprach von einer juristischen und einer politischen Ebene, auf der die Praxis angegangen werden müsse. Letztere beschreibe die Stimmung, unter der die Agenda entstanden ist und fortgeführt wird. »Die Mehrheit ist meiner Einschätzung nach pro Sanktionen«, sagte er. Dabei spiele das Menschenbild vom »faulen Erwerbslosen« und gleichzeitiges Ausblenden wirtschaftlicher Faktoren eine tragende Rolle. Hier seien kritische Politiker gefordert. Bundestagsfraktionen könnten beispielsweise eine Normenkontrollklage in Karlsruhe erwirken. Diese würden in der Regel schneller beschieden als Richtervorlagen…“

Auf diesen Umstand habe ich meinem Beitrag zur Aktion von Ralph Boes hingewiesen. Die Gesetze, die die Sanktionspraxis ermöglichen, sind nach demokratischen Verfahren zustande gekommen, dadurch sind sie legitimiert. Wer sie für nicht legitim hält, muss dagegen mit politischen Mitteln vorgehen, wobei stets vorausgesetzt bleiben muss, dass die Würde des Menschen Grundlage jeden Handelns bleibt. Das ist eine eminent politische und keine juristische Frage. Sich über die Geltung des Rechts einfach hinwegzusetzen ist ein Willkürakt und zieht – wir vor etlichen Jahren in der Diskussion um zivilen Ungehorsam deutlich wurde – entsprechende Konsequenzen nach sich. Die Geltung des Rechts muss dann wiederhergestellt werden. Die Alternative wäre, sich der Rechtslage zu beugen, so bitter das für jeden sein muss, der mit ihr nicht einverstanden ist. Ein nach demokratischen Verfahren zustandegekommenes Gesetz steht in seiner Geltung jedoch über dem Einzelnen.

Petermann wird weiter so zitiert:

„…Juristisch gehe es um die Auslegung von Gesetzen. Die sei sehr unterschiedlich. So deklarierte das BVerfG das physische und soziokulturelle Existenzminimum als »dem Grunde nach unverfügbar«. Aus dem Zusatz »dem Grunde nach« bastelten einige »Experten« die Einschränkung, dass Bedürftige verpflichtet werden könnten, ihr Minimum nur unter Einhalten von Auflagen zu erhalten. »Das ist schlicht falsch«, rügte Petermann. Ein weiteres Problem sieht er darin, dass Jobcenter bei Klagen von Betroffenen von der Zahlung der Gerichtskosten ausgenommen seien. Andere Behörden und Krankenkassen müssten etwa 150 Euro pro Verfahren löhnen. »Hätten Jobcenter auch diesen Druck, würde sich vielleicht etwas ändern«, vermutet Petermann.“

Wie Petermann selbst herausstellt, ist die juristische Frage eine, in der es um die Auslegung von Gesetzen im Verhältnis zur Verfassung geht. Es geht also nicht mehr um demokratische Verfahren, sondern um juristische Methodenlehre. Petermann legt die Verfassung anders aus, als es bisher getan wurde, andere legen sie anders aus. Wenn er davon spricht, dass die hier monierte Auslegung „falsch“ sei, ist das dann eine Schlussfolgerung aus der juristischen Auslegungstechnik oder eine aus einem politischen Werturteil? Nehmen wir den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht die Gesetzeslage und Sanktionspraxis für verfassungsgemäß hielte, was dann? Sollte deswegen das politische Ringen um eine Veränderung unterlassen werden? Natürlich nicht, da es hierbei nicht um juristische Auslegungstechnik geht, sondern um Willensbildung. Das Bundesverfassungsgericht fragt und prüft nicht, wie wir zusammenleben wollen, genau darum jedoch geht es jedoch in der Diskussion und in der Aktion von Ralph Boes. Die Selbstbestimmung des Souveräns einer politischen Ordnung, also der Gemeinschaft von Bürgern, findet ihren entscheidenden Ausdruck gerade in der Gesetzgebung. Sie findet im Parlament statt. Aus gutem Grund hat das Bundesverfassungsgericht keine Durchsetzungsmacht, es kann keine Exekutive beauftragen, seine Urteile durchzusetzen. Das sollten wir ernst nehmen.

Ohnehin ist es eine sonderbare Eigenheit des Grundgesetzes, die Würde des Menschen nicht in ihrer Geltung vorauszusetzen und sich zu ihr in der Präambel zu bekennen, wie es in anderen Verfassungen der Fall ist. Das Grundgesetz erhebt mit Artikel 1 die Würde zu einem Wert, der erst durch es geschaffen werde. Eine Abschaffung oder Außerkraftsetzung der Verfassung würde dann eine Abschaffung oder Außerkraftsetzung der Würde zur Folge haben. Das wäre die Konsequenz daraus, die Würde des Menschen juristisch zu betrachten, nicht politisch.

Sascha Liebermann

„Im Grunde die gleichen Gründe – Argumente der Gegner des bedingungslosen Grundeinkommens“…

…ein lesenswerter Artikel von Harald Schauff, Redakteur der Kölner Arbeits-Obdachlosen-Selbsthilfe-Mitmachzeitung Querkopf ist und der sich insbesondere auf die jüngeren Ausführungen von Christoph Butterwegge, Armutsforschung und Professor an der Universität Köln bezieht. Butterwegges Beitrag wurde von den Nachdenkseiten veröffentlicht. Siehe einen Kommentar von Sascha Liebermann.

„Das Speenhamland-System – eine Art garantiertes Grundeinkommen?“…

…so fragt Ronald Blaschke in einem Beitrag beim Netzwerk Grundeinkommen und bezieht sich dabei auf eine anhaltende Diskussion darüber, ob „Speenhamland“ nicht exemplarisch für ein Bedingungsloses Grundeinkommen und auch sein Scheitern stehe. Vor etwa eineinhalb Jahren schrieb ich dazu folgendes:

„…Die Speenhamland-Gesetzgebung im England des frühen 19. Jahrhunderts wird häufig als Beleg dafür bemüht, wohin es führen könne, wenn die Armen durch ein Mindesteinkommen unterstützt werden. Doch, war das durch die Gesetzgebung gegeben? Wer mit solchem Aplomb auftritt, wie Borchert es in seinem Buch tut, sollte den Forschungsstand zur Kenntnis genommen haben. Selbst ein schneller Blick bei Wikipedia (deutsch, englisch) hätte ihn zur Vorsicht mahnen müssen. Für seine Einschätzung verweist Borchert auf die Ausführungen Karl Polanyis in „The Great Transformation“ (1944). Dieser kritisierte zwar die bisherige Rezeption „Speenhamlands“, verließ sich aber gleichermaßen wie andere auf die historischen Quellen. Die herausragende dazu war ein Bericht der „Royal Commission“ über die Folgen von Speenhamland aus dem Jahre 1834, also kurz nachdem die Gesetzgebung aufgehoben wurde. Ein Artikel von Fred Block und Margret Somers, „In the Shadow of Speenhamland“ (2003), der online zugänglich und leicht auffindbar ist, hat sich mit der Rezeption der Speenhamland-Gesetzgebung und ihrer Ergebnisse in der dazu verfügbaren Literatur befasst. Sie legen in ihrem Beitrag ausführlich dar, wie schlecht die Datenlage zu Speenhamland ist, wie lückenhaft die Dokumentation, wie sehr die spezifische Situation Folge der Industrialisierung und einer wirtschaftlichen Problemlage im Süden Englands ist. Weiterhin gab es keine einheitliche Gesetzgebung, die von Speenhamland als Ganzem reden ließe und deswegen auch keine einheitliche Umsetzung. Darüber hinaus zeigen sie, wie sehr der Bericht der „Royal Commission“, auf den sich bezogen wird, mit feststehenden Theoremen arbeitete und lediglich auf Befragungen einzelner Personen in den jeweiligen Gemeinden (parishes) beruhte. Um ein BGE im heute diskutierten Sinne ging es gar nicht, allenfalls wäre der Begriff Kombilohn treffend. Zuletzt ist es ein Anachronismus, die Situation zur Zeit Großbritannies im frühen 19. Jahrhundert mit der heutigen in Deutschland zu vergleichen, eine Feudalstruktur mit einer demokratischen…“ (Zum Originalbeitrag, siehe auch hier)

Sascha Liebermann

Ralph Boes‘ „Sanktionshungern“ dauert an

Vor etwas mehr als vier Wochen hat Ralph Boes wieder mit dem „Sanktionshungern“ begonnen. Wir haben in einem Beitrag darauf hingewiesen und Sascha Liebermann hat dazu Stellung bezogen, wie er zu der Haltung steht, mit der um den Preis des eigenen Lebens für ein politisches Ziel gekämpft wird. Die Aktion hat Befürwortung wie Kritik gefunden, eine differenzierte Kritik von Inge Hannemann. Die Originalquelle bei Facebook konnten wir leider nicht finden.

Nachtrag vom 14. August: Ralph Boes hat mittlerweile auf Inge Hannemann erwidert.