Leiharbeit, Zeitarbeit, prekäre Lebensverhältnisse – wie sähe es mit einem BGE aus?

Seit einiger Zeit wird viel über die Zunahme von Leiharbeit, Zeitarbeit und prekäre Lebensverhältnisse berichtet und diskutiert. Es scheint auf den ersten Blick eindeutig, worum es dabei nur gehen kann: um befristete Arbeitsverhältnisse, die zu Einkommensunsicherheit führen; um Beschäftigungsverhältnisse mit niedrigen, nicht existenzsichernden Einkommen sowie um Statusunsicherheit als Arbeitnehmer – der Einzelne verliert an Verhandlungsmacht. Unter den gegenwärtigen Bedingungen der Einkommenserzielung werden die Freiheiten enger, nicht nur für diejenigen mit geringen Qualifikationen, auch für andere: in keinem Bereich mehr sind Arbeitsplätze sicher. Diese Entwicklung hat zahlreiche Folgen. Entscheidungen, die über einen längeren Zeitraum sich auswirken und die zu treffen eine gewisse finanzielle Absicherung voraussetzt, werden so erschwert, wenn nicht gar unmöglich. Auch für die Frage der Familiengründung ist diese Lage nicht ohne Wirkung, wenngleich sie nicht alleine entscheidend ist.

Doch all die aufgelisteten Phänomene werde nur zu Problemen, weil wir keine Absicherung vorsehen, die von einer Einkommenserzielung über geregelte Erwerbsarbeit unabhängig ist. Gäbe es ein bedingungsloses Grundeinkommen in ausreichender Höhe, was wäre an Leiharbeit problematisch? Verhandlungsmacht würden Leiharbeiter im Unterschied zu heute nicht einbüßen, sie würden erst welche gewinnen. Zeitarbeit könnte zu Projektarbeit werden, ohne dass Einkommensungewißheit damit verbunden wäre. Was bliebe von „prekären Lebensverhältnissen“ übrig?

Etwas ganz anderes, als heute damit verbunden wird. „Prekär“ kann eine Lebenssituation in zwei ganz verschiedenen Bedeutungen sein. Die eine benennt schwierige, die Existenz bedrohende Einkommensverhältnisse. Letztlich bleibt dann der Gang zur Sozialbehörde mit all seinen stigmatisierenden Folgen. „Prekär“ kann aber ein Leben auch in einem anderen Sinn werden, der für gewöhnlich mit dem Ausdruck nicht verbunden wird: dem einer Lebenskrise als Sinnkrise. Sie kann durch keine Einkommensgarantie aufgehoben werden, keine Bildungspolitik kann sie verhindern. Solche Krisen gibt es heute auch, jeder hat auf sie eine Antwort zu finden, allerdings geben wir heute noch eine Antwort vor, die wir für besonders gut halten: Erwerbsarbeit. Auch wenn jeder schon vor die Frage gestellt ist, was er mit seinem Leben anfangen, was er aus ihm machen will, kann er doch heute an dieser einen Krücke gehen, in ihr eine Antwort erkennen. Wer Erwerbsarbeit leistet, macht nach allgemeiner Anschauung auf jeden Fall etwas Sinnvolles. Das spürt besonders, wer zur Arbeitsagentur geht und ihr Kunde wird.

Längst schon ist diese Antwort aber brüchig geworden, die Sinnfrage verlangt nach individuierten Antworten, jeder muß die geben, die ihm gemäß ist. Gäbe es ein BGE, stellt sich die Frage radikaler, es gäbe keine Krücke mehr, an der wir gehen könnten. Nicht würden wir in einem Schlaraffenland leben, wie immer wieder suggeriert wird. Vielmehr wäre es genau anders herum, wir wären mit der Frage der Freiheit und des Lebensinns viel härter konfrontiert. Keine kollektiv posivtiv besetzte Antwort würden den Weg weisen, wir müßten ihn selbst finden. Die wirklichen Lebensfragen träten um so deutlicher hervor, wenn wir von Einkommenssorgen befreit wären, Fragen, auf die keine politische Planung eine angemessene Antwort zu geben vermag.

Genau eine solche Situation wäre unserer Demokratie gemäß: sie ruht auf der Bereitschaft der Bürger, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Ein BGE würde sie darin bestärken, ihnen den Rücken stärken, damit sie ihren Weg zu finden zum Gemeinwohl beizutragen. Mit einem BGE im Rücken trifft einen die Sinnfrage erst mit voller Wucht.

Sascha Liebermann

"Bedingungsloses Grundeinkommen – ein gesellschaftliches Zukunftsmodell?" – Workshop in Dortmund

Unter diesem Titel findet am 13. und 14. Juni ein Workshop in der Sozialforschungsstelle Dortmund, veranstaltet vom „Forum Neue Politik der Arbeit“ (Flyer Workshop.pdf), statt.
Für die Initiative wirken Ute Fischer (gemeinsames Papier mit Helmut Pelzer), Thomas Loer (Thesen) und Sascha Liebermann (Thesen) mit. Papiere weiterer Referenten sind auf der Website in der Rubrik „Workshops“ abgelegt.

Papiere und Fotos zur Veranstaltung finden Sie auch hier.

"Einfache Tätigkeiten", Bildungsabschlüsse, ständisches Denken – und das BGE

Wollen wir erfahren, wie in unserem Land über die Selbstbestimmungsfähigkeiten des Einzelnen gedacht wird und welche Vorstellung davon herrscht, weshalb Menschen sich für etwas engagieren, dann müssen wir uns nur betrachten, wie über „einfache Tätigkeiten“ gesprochen wird.

„Einfache Tätigkeiten“, so heißt es, ergreife jemand dann, wenn er nur geringe berufliche Qualifikationen vorweisen könne, wenn sie nur als Zuverdienst benötigt werden oder auch, weil er oder sie keine andere Wahl habe. Nicht selten wird denjenigen, die solche Tätigkeiten ausüben, attestiert, sich mit ihnen nicht zu identifizieren. Sicher, es wird Arbeitnehmer geben, für die das Geld wichtiger ist als die Sache, um die es geht. Nicht verwunderlich ist das, wenn jemand in Not ist, dennoch aber eine schlechte Voraussetzung dafür, eine Arbeit gut zu machen. Denn Geld selbst ist nicht sinnerfüllend, ist kein Inhalt, sondern lediglich Mittel dazu, sich etwas zu verschaffen. Wenn Geld den Vorrang hat und die Sache unbedeutend ist, mit der es verdient wird, dann ist zweifelhaft, welcher Qualität die Leistung ist, die erbracht wird. Voraussetzung für Leistung ist die Bereitschaft, sich mit einer Sache, ganz gleich welcher, auseinanderzusetzen. Person und Sache müssen sich entsprechen, soll dabei etwas Brauchbares herauskommen. Auch für einfache Tätigkeiten, können wir sagen, bedarf es also eines inneren Antriebes.

Was für diese Tätigkeiten gilt, gilt selbstverständlich im allgemeinen, wie sollte man sonst erklären, dass auch gegen Widerstände und unter widrigen Umständen Menschen dennoch an ihren Zielen festhalten. Die Rede von „einfachen Tätigkeiten“ ist auch irreführend, weil unsere Erfahrung lehrt, dass Automatisierung vor komplexen Tätigkeiten nicht halt macht. Entscheidend ist also, wie routineförmig ein Beruf ist, wieviel der Arbeitsgänge, die mit ihm verbunden sind, auf Maschinen übertragen werden können. Man denke nur an den Geldautomaten, der vor vielen Jahren qualifizierte Bankangestellte ersetzt hat.

Wer nun gegen das BGE den Einwand vorbringt, es werde sich niemand mehr finden, der bereit sei, einfache oder gar „schmutzige“ Tätigkeiten auszuführen, der geht davon aus, dass diese Tätigkeiten nicht sinnerfüllend sein können. Er geht davon aus, dass man keinesfalls damit etwas Positives verbinden könne. Wir kommt das?

Wir denken in festen Definitionen und bemerken es nicht. Wir sehen davon ab, dass die Frage, was sinnerfüllend ist, nur der Einzelne für sich beantworten kann, es gibt darauf keine allgemeine Antwort. Genau damit aber, es dem Einzelnen zu überlassen, tun wir uns schwer. Für das „Volk der Dichter und Denker“ scheint es so zu sein, dass der Mensch nur durch Bildungszertifikate und Arbeit zum Menschen werde, nicht aber durch Bildung, in deren Zentrum der Einzelne als Individuum steht. Eine solche Bildung bestimmt sich durch Erfahrungen, die dem Einzelnen ermöglicht werden. Weil aber Zertifikate Bildung schon ersetzt haben, streben wir danach, möglichst viele durch eine rigide und selektive Schule zu schleusen, einen großen Anteil davon dann wiederum durch ein Studium zu schleusen – und beides folgt mehr denn je den Maximen von Unterwerfung und Anpassung, nicht aber denen von Selbstbestimmung und Auseinandersetzung.

Aus diesem Grund, weil jemand ohne gehobenen Abschluß nichts ist, werten wir einfache Tätigkeiten und die Menschen, die sie ausüben, ab. Deswegen können wir uns nicht vorstellen, dass jemand eine solche Tätigkeit seinen Ambitionen entsprechend ausüben will. Mit einem BGE täten wir den ersten Schritt, um die Beantwortung dieser Frage dem Einzelnen zu überlassen.

Sascha Liebermann

Beitrag zum BGE in "Streetworker" nicht von uns autorisiert

Im Streetworker, einem Magazin, das durch Strassenverkäufer angeboten wird, ist offenbar ein Artikel über das Bedingungslose Grundeinkommen erschienen, der auf uns bezug nimmt und unsere Kontaktadresse angibt. Wir haben schon mehrere Zuschriften erhalten, die sich über den Artikel äußern. Aus diesem Grund möchten wir darauf hinweisen, dass wir weder den Artikel verfasst noch ihn autorisiert haben. Auch ist uns der Text nicht bekannt, so dass wir hätten Stellung beziehen können.

Kinder- und Jugendhilfe – und das BGE

Es ist immer wieder faszinierend zu erkennen, wie strikt unser gesamtes sozialstaatliches Gefüge um die Erwerbsverpflichtung herum gebaut ist. Solange sie besteht, behalten Transferleistungen des Gemeinwesens an Individuen oder Haushaltsgemeinschaften den Status von Ersatz- bzw. Notfallleistungen, ihr Bezug soll eine Ausnahme bleiben bzw. müssen Bezugsansprüche erst erworben werden. Meist wird in diesem Zusammenhang über das Arbeitslosengeld I und II, das Sozialgeld, das Krankengeld, Sozialhilfe usw. gesprochen. Die Erwerbsverpflichtung als Quelle von Einkommen wirkt sich allerdings auf Bereiche aus, die bislang wenig Aufmerksamkeit erhalten haben.

Viele Aufgaben, die heute durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz als staatliche bestimmt und geregelt sind, stellten sich unter Bedingungen eines BGEs anders dar. Wo heute fördernde und fürsorgende Hilfen unter Aufsicht staatlicher Gewalt stattfinden und ihnen verpflichtet sind, würde ein BGE eine davon unabhängige Praxis ermöglichen. Einige dieser Hilfen könnten sich – vergleichbar mit der ärztlichen und therapeutischen Praxis – in von staatlicher Aufsicht unabhängige Arbeitsbündnisse verwandeln, in denen der Klient im Zentrum steht.

Solche Veränderungen wären dann z.B. auch in der Kinder- und Jugendhilfe möglich. Ein Kind, das in seiner Herkunftsfamilie nicht verbleiben kann, weil die Eltern mit der Erziehung überfordert sind oder weil sie sie aus Krankheitsgründen nicht wahrnehmen können, benötigt eine Ersatzzuhause. Wo Freunde und Verwandte der Familie nicht einspringen und das Kind aufnehmen können, muss das Jugendamt seiner Verpflichtung nachkommen, das Kindeswohl zu schützen. Es sucht dann nach einer Möglichkeit, das Kind unterzubringen, z.B. in einem Heim oder einer Pflegefamilie und alimentiert diese, damit sie die Aufgabe wahrnehmen können. Es kommt auch vor, dass Eltern sich selbst um eine Unterbringung kümmern, doch meist sind sie nicht in der Lage, die entstehenden Kosten zu decken. Also muss das Jugendamt eingeschaltet und eine Unterstützung beantragt werden.

Gäbe es ein BGE, dann sähe die Situation anders aus, z.B. wäre eine Pflegefamilie durch ein ausreichend hohes Grundeinkommen finanziell abgesichert. Das Kind, das von ihr aufgenommen würde, brächte ein Grundeinkommen mit, über das es mit Erreichen der Volljährigkeit verfügte. Das Jugendamt könnte sich darauf beschränken (sofern das BGE kostendeckend wäre), seine staatliche Aufsichtspflicht wahrzunehmen und müsste nur eingeschaltet werden, wenn Bedarfe durch das BGE nicht gedeckt werden könnten oder das Kindeswohl gefährdet wäre.

Heute hingegen trifft das Jugendamt die Entscheidung, ob eine solche Maßnahme finanziert wird. Familien, die mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind und Hilfe benötigen, erhalten womöglich keine Unterstützung. Mit einem BGE wären also die Möglichkeiten für diese Familien ebenfalls erweitert. Sowohl die Eltern des Kindes als auch die Pflegefamilie wären unabhängig, zumindest aber unabhängiger vom Jugendamt und bedürften lediglich einer Beratung durch eine professionalisierte, aber ebenso unabhängige Einrichtung (Siehe auch Kindesunterhalt, Neues Unterhaltsrecht).

Und eine weitere Veränderung würde durch die Einführung eines BGEs womöglich deutlicher gesehen als bislang, wenngleich ein BGE nur das politische Signal wäre, sich darüber Gedanken zu machen: die Trennung von Aufsichtspflicht und Beratung. Heute nimmt das Jugendamt beide Aufgaben wahr. Es entscheidet zum einen darüber, ob zum Schutz des Kindeswohls per Gesetzesauftrag in eine Familie interveniert und ein Kind in Obhut genommen wird. Zum anderen soll das Jugendamt beratend tätig sein, es soll also die Familie, in die es eingedrungen und deren Trennung es erwirkt hat, beraten. Schon hieran wird deutlich, dass beides nicht zusammengeht. Damit sind beide Aufträge gegenläufig, der eine erfolgt im Namen der Rechtsgemeinschaft und zur Wahrung der Rechtsordnung, der andere zum Schutz des Individuums und seiner spezifischen Problemlage (solange sie sich nicht eindeutig gegen die Rechtsordnung richtet). Am besten wäre es, beides voneinander zu trennen, dann würden beide Aufträge nicht mehr miteinander in Konflikt geraten. Die Beratung im Sinne eines Arbeitsbündnisses mit den Klienten könnte sich ganz auf den Klienten konzentrieren, im Zuge dessen professionalisieren, denn sie wäre nicht mehr dem Jugendamt als Auftraggeber verpflichtet, sondern dem Klienten.

Eine Professionalisierung der Sozialen Arbeit, die durch das BGE gefördert werden könnte, bedürfte zuallererst einer Selbstbesinnung des Berufstandes. Erst wenn er sich als Profession begriffe, die ihre Standards selbst setzte und ihre Einhaltung prüftr, in der eine Selbstverwaltung nach dem Prinzip der Kollegialität selbstverständlich wäre, die über eine berufsvorbereitende Ausbildung eines zweistufigen Studiums verfügte, in dem in der ersten Phase der Habitus des Forschers/Generalisten, in der zweiten der des Klinikers eingeübt würden, in der der Klient und die Wiedererlangung seiner Autonomie erster Zweck wären – erst dann könnte von einer Profession ernsthaft die Rede sein.

Für beides böte das BGE eine Chance auf Veränderung.

Sascha Liebermann

"Viel ist schon erreicht worden, was steht nun an?" – Grußwort an das Hamburger Netzwerk Grundeinkommen

Auf Einladung des Hamburger Netzwerk Grundeinkommens haben wir ein Grußwort an die Mitglieder gerichtet. Es ist auch als Stellungnahme zum Stand der Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen zu verstehen. Einen Kommentar dazu von Jörg Drescher finden Sie hier.