Günter Wallraff im Widerspruch

Der stern berichtet über die jüngste Sendung des Rechercheteams um Günter Wallraff auf RTL. Das System Jobcenter soll dort aufgedeckt worden sein. Hier ein Auszug:

„Absurd. Ein anders Wort gibt es für diese Szene nicht. Durch ein Dorf in Süddeutschland führen einige Langzeitarbeitslose Lamas an der Leine. Ja, genau, die spuckenden Lastentiere aus Südamerika sollen in einer Maßnahme, wie es bei der Bundesagentur für Arbeit heißt, zu einem Job verhelfen. Die Arbeitssuchenden sollen nicht Lama˗Führer werden. Die Tiere haben eigentlich keinen nachvollziehbaren Nutzen bei der Jobsuche. Es ist absurd ˗ ein Wort, welches das Journalistenteam während der ganzen Recherche begleiten wird…“.

Wie steht denn Günter Wallraff zu Alternativen, wie steht er dazu, auf solche Einrichtungen wie Jobcenter mit Beaufsichtigungs- und Rechtsdurchsetzungsfunktion zu verzichten? Wenn er das alles für falsch hielte, müsste er dann nicht für ein Bedingungsloses Grundeinkommen plädieren, um gerade aus der Arbeitslosenanimierungs-, verwaltungs- und sanktionsmaschinerie herauszukommen? Er müsste, doch er tut es nicht, er lehnt es ab (siehe hier) – wie andere auch, die die gegenwärtige Sozialpolitik zwar heftig kritisieren, aber nichts von einer wirklichen Befreiung davon wissen wollen. Solange Einkommenssicherungsleistungen wie Arbeitslosengeld und Sozialhilfe nur als Notfallleistungen betrachtet werden, für die Ansprüche erworben oder Arbeitsbereitschaft gezeigt werden muss, solange wird dieser Unsinn fortbestehen, denn er geht auf den Vorrang von Erwerbstätigkeit vor jeglichem anderen Engagement zurück. Es ist heutzutage schon beinahe ein Heimspiel, die Sanktionspraxis der Jobcenter zu kritisieren, solche Artikel gibt es zuhauf, ernst wird es erst, wenn über Alternativen gesprochen wird.

Sascha Liebermann

Keine Überraschungen von Günter Wallraff in Sachen Grundeinkommen

In einem Interview auf Zeit Online sagt er, dass das Bedingungslose Grundeinkommen zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft führe. Das war’s dann auch schon mit dem Interview, wie Sie nachstehend lesen können:

„ZEIT ONLINE: Würde ein bedingungsloses Grundeinkommen die Arbeitswelt gerechter machen?
Wallraff: Ich sehe das Problem beim Grundeinkommen darin, dass es zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft führen könnte. Deshalb sehe ich als Gegenkonzept die Humanisierung der Arbeit selbst: Die Arbeit muss wieder humaner, erträglicher und sinnstiftender werden. Niedere Arbeit muss aufgewertet werden.“

Wallraff hatte sich im März 2014 schon zum BGE in aufschlussreicher Weise geäußert. Dort sagte er in einer Diskussion mit Götz W. Werner:

“…ich bin da nicht ganz meiner Überzeugung, ich bin da noch schwankend, weil es wieder die Gesellschaft spaltet in diejenigen, die dann ja das Grundeinkommen haben und nicht animiert werden, sich sonstwo zu verwirklichen…”

Der Geist von Hartz IV lässt grüßen, manifestiert er genau diese Haltung der „aktivierenden Sozialpolitik“, die der Auffassung ist, dass Animation not tue. Ist das unter „Humanisierung der Arbeitswelt“ zu verstehen, die Wallraff so ein großes Anliegen ist?

Sascha Liebermann

„…und nicht animiert werden, sich sonst wo zu verwirklichen…“

Hier geht es zur kompletten Sendung

Es ist immer wieder aufschlussreich, genau hinzuhören, wenn über Alternativen zum Ist-Zustand diskutiert wird. In diesem Zusammenschnitt einer Diskussion zwischen Götz W. Werner und Günter Wallraff sagt letzterer in Minute 24’14 als es um das Bedingungslose Grundeinkommen geht: „…ich bin da nicht ganz meiner Überzeugung, ich bin da noch schwankend, weil es wieder die Gesellschaft spaltet in diejenigen, die dann ja das Grundeinkommen haben und nicht animiert werden, sich sonstwo zu verwirklichen…“. Zwar sieht Günter Wallraff den positiven Effekt, den ein BGE auf heute schlecht bezahlte Tätigkeiten haben könnte, zugleich aber diagnostiziert er eine Spaltung. Den Grund dafür sieht er in fehlender Animierung derer, „die das Grundeinkommen haben“. Abgesehen von Missverständnissen über die Bereitstellung des BGE – es sollen ja alle erhalten, nicht nur einige oder wenige – meint Wallraff doch, dass es der Animierung bedürfe, damit Menschen sich einbringen. Das ist bezeichnend und – sicher ganz entgegen der Absicht Wallraffs – eine der Hartz-Gesetzgebung verwandte Haltung (siehe auch hier). Weshalb haben wir noch kein BGE haben, wird oft gefragt: deswegen.

Sascha Liebermann