Günter Wallraff im Widerspruch

Der stern berichtet über die jüngste Sendung des Rechercheteams um Günter Wallraff auf RTL. Das System Jobcenter soll dort aufgedeckt worden sein. Hier ein Auszug:

„Absurd. Ein anders Wort gibt es für diese Szene nicht. Durch ein Dorf in Süddeutschland führen einige Langzeitarbeitslose Lamas an der Leine. Ja, genau, die spuckenden Lastentiere aus Südamerika sollen in einer Maßnahme, wie es bei der Bundesagentur für Arbeit heißt, zu einem Job verhelfen. Die Arbeitssuchenden sollen nicht Lama˗Führer werden. Die Tiere haben eigentlich keinen nachvollziehbaren Nutzen bei der Jobsuche. Es ist absurd ˗ ein Wort, welches das Journalistenteam während der ganzen Recherche begleiten wird…“.

Wie steht denn Günter Wallraff zu Alternativen, wie steht er dazu, auf solche Einrichtungen wie Jobcenter mit Beaufsichtigungs- und Rechtsdurchsetzungsfunktion zu verzichten? Wenn er das alles für falsch hielte, müsste er dann nicht für ein Bedingungsloses Grundeinkommen plädieren, um gerade aus der Arbeitslosenanimierungs-, verwaltungs- und sanktionsmaschinerie herauszukommen? Er müsste, doch er tut es nicht, er lehnt es ab (siehe hier) – wie andere auch, die die gegenwärtige Sozialpolitik zwar heftig kritisieren, aber nichts von einer wirklichen Befreiung davon wissen wollen. Solange Einkommenssicherungsleistungen wie Arbeitslosengeld und Sozialhilfe nur als Notfallleistungen betrachtet werden, für die Ansprüche erworben oder Arbeitsbereitschaft gezeigt werden muss, solange wird dieser Unsinn fortbestehen, denn er geht auf den Vorrang von Erwerbstätigkeit vor jeglichem anderen Engagement zurück. Es ist heutzutage schon beinahe ein Heimspiel, die Sanktionspraxis der Jobcenter zu kritisieren, solche Artikel gibt es zuhauf, ernst wird es erst, wenn über Alternativen gesprochen wird.

Sascha Liebermann

Bündnis 90/ Die Grünen – Bundesdelegiertenkonferenz und Grundeinkommen

Vom 26. bis 28. April fand die Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/ Die Grünen statt. Für die Grundeinkommensbefürworter ein insofern interessantes Datum als sich die Frage stellte, wie die Partei zu Ihrem Beschluss an der BDK in Hannover im vergangenen November steht und wie manche ihrer Mitglieder zum Grundeinkommen stehen. Ausgewählte Antworten dazu finden Sie hier. Meinen Kommentar zum Beschluss vom November finden Sie hier.

Wie lautet nun das aktuelle vorläufige Programm zur Bundestagswahl in Sachen sozialer Sicherungssysteme (Beschluss G, S. 3):

„Wir wollen die Idee einer finanziellen Basissicherung oder die einer negativen
Einkommenssteuer weiter diskutieren. Gerade in der Debatte um Grundsicherung und ein
bedingungsloses Grundeinkommen für alle muss es darum gehen, unsere Leitbilder von
Gerechtigkeit und emanzipativer Sozialpolitik, die Bedeutung öffentlicher Institutionen und
Finanzierbarkeit zu verbinden. Wir wollen diese Debatte in die Gesellschaft hineintragen…“

Das klang im Novemberbeschluss noch mehr nach BGE als jetzt. Zum Vergleich:

„In diesem Zusammenhang wird in unserer Partei wie auch in Teilen der Gesellschaft die Idee eines
bedingungslosen Grundeinkommens diskutiert, Wir wollen diese Diskussion konstruktiv
weiterführen und nach Wegen suchen, wie die Idee und Elemente eines Grundeinkommens mit
der einer Grünen Grundsicherung sinnvoll verbunden werden können. Schon jetzt gibt es mit
der Kindergrundsicherung, der Garantierente, dem Zwei-Säulen-Modell der Bildungsfinanzierung
und der Brückengrundsicherung Grüne Ansätze und Konzepte, in der Elemente aus beiden
Ideen verknüpft werden.“ (BDK November 2012, Beschluss, S. 18 f.)

Auffällig ist die Formulierung, die „Debatte in die Gesellschaft hineintragen“ zu wollen. Das mag dem Anspruch, Vorreiter zu sein, entsprechen oder wohlwollend gelesen auch bezeugen, eine Debatte weitertragen zu wollen. Die BGE-Debatte gibt es aber schon seit etwa neuen Jahren. Sie wurde öffentlich angestoßen und nötigte die Parteien dazu, sich mit der Idee zu befassen. Was die Grünen hier in die Gesellschaft hineintragen wollen, ist längst dort. Anmaßend ist diese Formulierung also.

Wie geht es im aktuellen Beschluss weiter:
„…Wir halten deshalb die Einrichtung einer Enquetekommission im Deutschen Bundestag für sinnvoll, in der Idee und Modelle eines Grundeinkommens sowie grundlegende Reformperspektiven für den Sozialstaat und die sozialen Sicherungssysteme diskutiert werden. In einer solchen Enquete
wollen wir der Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen sowie damit verbundene
Veränderungen in den sozialen Sicherungssystemen den nötigen Raum verschaffen. Ziel ist es,
die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen und das individuelle Grundrecht auf Teilhabe
zu verwirklichen.“

Diese Passage entspricht dem Beschluss vom November. Mein damaliger Kommentar hat an Aktualität nichts verloren. Ein sehr zaghafter Beschluss, denn die Einrichtung einer Enquetekommission wird lediglich für sinnvoll gehalten. Enquetekommissionen sind aber unverbindlich, haben ausschließlich beratenden Charakter, was schon unverbindlich ist, wird dadurch noch unverbindlicher, wenn es eine solche Steigerung gibt.

In Beschluss E, S. 6, „Teilhaben an guter Arbeit“ findet sich folgende Passage:

„Zu viele Menschen sind dauerhaft ohne Arbeit trotz guter Konjunktur. Deshalb wollen wir einen
Sozialen Arbeitsmarkt fest in das arbeitsmarktpolitische Instrumentarium aufnehmen und die
Förderinstrumente des SGB II bedarfsgerechter ausgestalten. Als Leitlinie gilt, Arbeit zu finanzieren
statt Arbeitslosigkeit. Dafür sollen die passiven in aktive Leistungen umgewandelt werden,
also das Arbeitslosengeld II und die Kosten der Unterkunft in ein Arbeitsentgelt für ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. 200.000 Menschen in Deutschland könnten
davon profitieren. Mit unserem Sozialen Arbeitsmarkt machen wir Langzeitarbeitslosen ein neues,
zuverlässiges und freiwilliges Angebot. Es ist die Chance zum Neustart für alle diejenigen, die
die Merkel Koalition über Jahre in einer aussichtslosen Situation belassen hat.“

Das las sich im vergangenen November (Beschluss S. 14) noch ganz anders, sehr widersprüchlich und dadurch unglaubwürdig:

„Inklusive und partizipative Arbeitsvermittlung.

Wir fordern eine Arbeitsvermittlung auf Augenhöhe, Wunsch- und Wahlrechte für die Arbeitssuchenden und ein umfassendes Hilfsangebot für diejenigen, die sie benötigen. Die Realität hat gezeigt: die bisherige Sanktionspraxis war nicht erfolgreich und muss grundlegend verändert
werden. Sanktionen gefährden sowohl den kooperativen Charakter des Fallmanagements wie auch ein menschenwürdiges Existenzminimum. Zudem ist die Wirksamkeit von Sanktionsandrohungen
zur Vermittlung in Erwerbsarbeit nicht belegt. Deshalb fordern wir ein Sanktionsmoratorium,
solange bis die Rechtsstellung der Betroffenen gegenüber dem Fallmanager wesentlich verbessert ist.

Die Zahlung einer sozialen Grundsicherung soll weiterhin an die Bereitschaft geknüpft werden,
der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Wir wollen aber statt einer Praxis von Androhung und
Bestrafung klare Verabredungen und verbindliche Zusagen im Rahmen der Antragsstellung.“

Folgerichtig finden sich im aktuellen Beschluss auch keine Aussagen mehr dazu, die Sanktionspraxis abzuschaffen. Denn solange das Sicherungssystem auf dem Erwerbsideal ruht, würde es sich mit einem Verzicht auf Sanktionen selbst überflüssig machen.

Der aktuelle Beschluss macht um so deutlicher, wie schwer es auch den Grünen fällt, von einem System Abschied zu nehmen, das auf Erwerbstätigkeit als Maß aller Dinge baut. Wird nun ein „sozialer Arbeitsmarkt“ vorgeschlagen, wird auf Instrumente zurückgegriffen, die es in dieser Art immer wieder gegeben hat. Im letzten Landtagswahlkampf in Nordrhein Westfalen hatte die jetzige Ministerpräsidentin Hannelore Kraft genau das ins Spiel gebracht. „Arbeit zu finanzieren, statt Arbeitslosigkeit“ heißt eben auch: Erwerbsarbeit zu simulieren in Beschäftigungsmaßnahmen, statt alternative Wege zu gehen. Was hier fürsorgend und fördernd klingt, kann durchaus als zynisch betrachtet werden. Langzeitarbeitslose, wenn damit nicht einfach diejenigen gemeint sind, die schon länger als ein Jahr arbeitslos sind, sondern Personen mit einer traumatisierenden Lebensgeschichte wird dadurch gerade keine Perspektive eröffnet. Was soll man zum Verweis auf die „Merkel Koalition“ sagen, ist das etwas politische Amnesie? Wer hat die Verschärfungen in der Sozialgesetzgebung eingeführt? Waren das nicht die Grünen?

Ob diese Beschlüsse in Richtung BGE also mehr als Wahlkampfparolen sind, wird sich weisen müssen. Die Glaubwürdigkeit der Grünen in diesen Fragen ist mehr als beschädigt.

Sascha Liebermann

„Eine Gesellschaft für alle“ – Bündnis 90/ Die Grünen halten Enquete-Kommission zum Grundeinkommen für sinnvoll

Im vorläufigen Beschluss der Bundesdelegiertenkonferenz in Hannover von Bündnis 90/ Die Grünen ist zu lesen, dass die Einrichtung einer Enquetekommission im Deutschen Bundestag in Sachen Grundeinkommen für sinnvoll erachtet wird:

…Wir halten deshalb die Einrichtung einer Enquetekommission im Deutschen Bundestag für sinnvoll, in der Idee und Modelle eines Grundeinkommens sowie grundlegende Reformperspektiven für den Sozialstaat und die sozialen Sicherungssysteme diskutiert werden. In einer solchen Enquete wollen wir der Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen sowie damit verbundenen Veränderungen in den sozialen Sicherungssystemen den nötigen Raum verschaffen. Ziel ist, die Schere zwischen Arm und Reicht zu schließen und das individuelle Grundrecht auf Teilhabe zu verwirklichen… (S. 18 f.)
Diese Formulierung, eine Enquetekommission für sinnvoll zu erachten, ist vorsichtiger als die der Piratenpartei, die eine solche Kommission nicht nur für sinnvoll hielten, sondern sich für die Einsetzung einer solchen aussprachen. Wer dem Grünen Beschluss zufolge das Agens ist, wer also einen Antrag auf Einrichtung stellen wird, bleibt in der Formulierung offen. Dahinter mag Parteiräson stehen oder es zeugt davon, wie stark die Gegner eines BGE noch immer sind.

In einer Urwahl haben die Mitglieder der Grünen Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Tritten zu den Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2012 gewählt. Beide haben sich bislang offen gegen (auch hier) ein Bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen oder dies hinter Vorwänden getan. Frau Göring-Eckardt war eine ausgesprochene Befüworterin der Verschärfung der Sozialgesetzgebung unter Kanzler Schröder. Ihre Auffassung dazu kann sie geändert haben, bekannt sind mir solche Äußerungen nicht.

Liest man folgende Passage, fällt einmal mehr auf, wie zögerlich der Beschluss ist:

…Wir fordern eine Arbeitsvermittlung auf Augenhöhe, Wunsch- und Wahlrechte für die Arbeits- suchenden und ein Sanktionsmoratorium… (S. 14)
Weshalb die Sanktionen nicht abschaffen? Wie kann es eine Arbeitsvermittlung auf Augenhöhe geben, wenn die einzige Verhandlungspartei, die Druckmittel besitzt, die Arbeitsvermittlung ist? Diese Druckmittel zu haben ist konstitutiv für bedarfsgeprüfte Leistungen, denn nicht der Bedarf  oder die Ansprüchsberechtigung der Arbeitsvermittlung wird festgestellt, sondern der des Antragstellers. Selbst wenn nun Sanktionen abgeschafft und Vermittlung auf Augenhöhe tatsächlich erreicht wären, bleibt eine Asymmetrie immer noch bestehen: der Vorrang von Erwerbstätigkeit vor allen anderen Tätigkeiten. Erst wenn der aufgehoben ist, erst wenn es ein Einkommen eigenen Charakters gibt, ein Bedingungsloses Grundeinkommen, verliert auch die Bedarfsprüfung (für Bedarfe darüber) ihren stigmatisierenden Charakter. Stigmatisierend dadurch, den Bezieher als solchen zu betrachten, dem Erwerbsziel nicht nachzukommen, also zu versagen. Es ist allerdings nichts die Bedarfsprüfung selbst, die das hervorruft. Es ist ihre Stellung in einem Sicherungssystem, das Einkommen jenseits von Erwerbstätigkeit immer von dieser ableitet, es damit zu einem Einkommen für Bedürftige macht. Ist aber einmal dieser Zusammenhang aufgehoben und die Einkommensgewährung nur noch an den Status gebunden, rechtfertigen sich weitere Bedarfe auch vor diesem Status und nicht vor dem Erwerbsideal. Diesen Zusammenhang sieht der Beschluss der BDK nicht.

Sascha Liebermann