Fremdkontrolle – Selbstkontrolle! Ausweg?

In einer Diskussionsveranstaltung, die vom WDR (WDR Forum Kultur) aufgezeichnet und am vergangenen Sonntag, dem 10. Januar, gesendet wurde, ging es unter anderem um die Frage, wie wir heute dem „Kreativitätsdispositiv“ entgehen können, das neue Zwänge hervorgebracht habe. Viele interessante Fragen wurden angesprochen und Missstände sowie mögliche Auswege aus der Situation aufgezeigt. Auffällig war allerdings an der Diskussion, wie sehr an vielen Stellen so argumentiert wurde, als herrsche etwas über uns, das schon lange in uns eingedrungen sei, so dass wir nicht mehr von anderen kontrolliert werden müssen, sondern uns selbst kontrollieren. Das sei der Grund dafür, weshalb wir alle im Kreativitätsdispositiv gefangen seien. Es erzeuge einen Zwang zur Selbstoptimierung. Das sei eine neue Dimension – was so allerdings nicht stimmt, denn Gefolgschaft in Herrschaftsverbänden oder sozialen Milieus war immer auch vom Legitimitätsglauben an eine normative Ordnung abhängig. So erklärt sich die Gefolgschaft für das Regime der DDR genauso wie die für das Dritte Reich.

In der gegenwärtigen Diskussion wird sich für die Dispositivitäts-These auf Theorien von Michel Foucault bzw. im konkreten Zusammenhang auf die von Andreas Recktwitz berufen. Es geht, so auch in der Podiumsdiskussion, darum, diese Zwänge aufzubrechen, hieß es mehrfach. Wenn etwas aufgebrochen werden soll, setzt das voraus, dass es aufgebrochen werden kann. Dann aber ist es kein unabänderlicher Zwang, der über uns herrscht, es ist auch kein hermetisches Gefängnis, aus dem sich nicht heraustreten lasse. Es wäre also nötig, sich zu fragen, woher die Bedeutung dessen rührt, was in der Diskussion als Zwang gedeutet wurde, wenngleich manche Beiträge erkennen ließen, dass sie sehr wohl die Gründe dafür in der Ausrichtung der Bildungspolitik am Arbeitsmarkt erkannten.

Schaut man sich z. B. Dokumente zur „kulturellen Bildung“ an, um die es auf der Tagung ging, in deren Rahmen die Podiumsdiskussion stattfand, dann fallen die programmatischen Ziele auf, die formuliert werden. Kulturelle Bildung soll doch wieder alle erreichen, dazu müssen alle Kinder da sein. Es wird vor allem in der Logik von Einrichtungen gedacht, nicht aber zuerst einmal in der von Freiräumen zur Selbstbestimmung, derer es bedarf, um sich auf etwas einlassen und gleichermaßen auch sich ihm verweigern zu können.

Allzu deutlich wurde anhand mancher Ausführungen, wie sehr die Probleme, um die es ging, auf sehr bestimmten Vorstellungen davon beruhen, worin ein gutes und richtiges Leben zu bestehen habe. Will man aus diesen Vorstellung hinausgelangen, muss an einer Stelle angesetzt werden: an der Erwerbsfixierung. In ihr hätte man eine Erklärung für manches der Symptome, die Gegenstand der Diskussion waren. Meine Versuche, darauf hinzuweisen, stießen, so mein Eindruck, jedoch auf wenig Resonanz.

Siehe auch meinen Beitrag zur ersten Podiumsdiskussion zu dieser Tagung.

Interessante Dokumentationen zur Fragen der Bildungsprozesse und des Bildungswesens:
SRF Doku Unschooling
SRF Faszination Entwicklung
Remo Largo Bildungskongress 2013

Sascha Liebermann

Grundeinkommen in den SAT.1 News

Die SAT.1-News berichteten am 10. Januar über das Grundeinkommen ab Minute 5:36. Aufhänger waren die Volksabstimmung in der Schweiz in diesem Sommer, etwaige Experimente in Finnland und das Gespräch mit einer Gewinnerin der Lotterie von Mein Grundeinkommen. Missverständlich allerdings ist, dass es in Zusammenhang damit gebracht wurde, alle anderen Leistungen der Sozialen Sicherung abzuschaffen. Zwar gibt es solche Vorschläge, doch wird ebenso dafür plädiert, dass Grundeinkommen in die Sicherungssysteme hineinwachsen zu lassen und nur die Leistungen zu ersetzen, die der Höhe des Grundeinkommensbetrages entsprechen.

Tagesspiegel und New York Times über das Grundeinkommen

Im Tagesspiegel steht der Beitrag unter der Überschrift „Die Menschen von der Arbeit befreien“, in der New York Times Sunday Review unter dem Titel „It’s Payback-Time for Women“. Sie hebt die Bedeutung des BGE für Frauen, aber auch im Allgemeinen heraus, wobei missverständlicherweise davon gesprochen wird, das BGE sei „a way to reimburse mothers and other caregivers for the heavy lifting they now do free of charge“. Das BGE stellt indes keine Bezahlung oder Entschädigung dar, es handelt sich vielmehr um eine Ermöglichungspauschale, die es erlaubt, Dinge tun zu können, ohne dafür einen Marktpreis erzielen zu sollen.

„Das bedingungslose Grundeinkommen – realitätsferne Utopie oder praxisnahes Zukunftsmodell?“…

…eine Diskussion zwischen Philip Kovce und Julian Nida-Rümelin in Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte. Zum Beitrag auf grundeinkommen.ch.

Ein früherer Kommentar zu Nida-Rümelins Kritik am BGE von Sascha Liebermann finden Sie hier, die überarbeitete und aktualisierte Fassung hier.

„…möglichst alle Kinder und Jugendlichen möglichst früh zu erreichen…“

Im Rahmen einer Podiumsdiskussion über  „kulturelle Bildung“ vom 29. Oktober 2015 zum Thema „Wie Kreativität entsteht“ äußerte sich die amtierende Ministerin Christina Kampmann, Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW folgendermaßen:

„…Ich komm selber wahrscheinlich aus einer Familie die man vielleicht als bildungsfern bezeichnen würde ich habe auch erst in der Schule mit dem Thema [Kunst und Kultur, SL] zu tun bekommen […] und unser Ziel ist es, möglichst alle Kinder und Jugendlichen möglichst früh zu erreichen…“

Was heißt das genau? Sind damit, wie an späteren Ausführungen der Ministerin in der Diskussion anklingt, Bildungsangebote gemeint? Oder doch Bildungsmaßnahmen verpflichtenden Charakters? Das würde wiederum, wie sie selbst äußerte, dem widersprechen, dass die Entfaltung von Kreativität und Phantasie Freiräume benötigt, Zwang das Gegenteil bewirken würde. Davon zu sprechen, jemanden zu erreichen, heißt jedoch wörtlich, mit ihm tatsächlich in Kontakt zu treten – nicht nur es zu versuchen oder anzustreben. Erreicht wären alle Kinder und Jugendlichen tatsächlich erst, wenn sie an Angeboten teilnähmen. Um dahin zu gelangen bedürfte es mindestens einer Pflicht, von der jedoch nicht die Rede ist. Damit wäre es kein Angebot mehr, denn das müsste ausgeschlagen werden können. Diese widersprüchliche Haltung, die in den Ausführungen zum Ausdruck kommt, ist der Haltung der Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (siehe einen früheren Kommentar) ähnlich, die vor wenigen Jahren in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeine Zeitung folgendes sagte:

„…Jeder Kita-Platz ist eine gute Prävention. Wir wissen aus einer Untersuchung des Prognos Instituts, dass sich jeder Kita-Platz volkswirtschaftlich schon nach einem Jahr rechnet, weil Mütter dann erwerbstätig sein können, Steuern und Sozialabgaben zahlen, anstatt Transferleistungen zu beziehen. In vielen Fällen möchten gerade Alleinerziehende gerne wieder arbeiten, haben aber keine verlässliche Betreuung. Deshalb stellen wir uns auch so massiv gegen das Betreuungsgeld. Bisher waren wir uns mit der CDU einig, dass Bildung schon in der Kita beginnen muss. Dann müssen wir aber auch sicherstellen, dass alle Kinder da sind [Hervorhebung SL], statt eine Prämie für Kinder zu zahlen, damit sie fernbleiben. Das ist vollkommen unsinnig. Es würde auch keiner auf die Idee kommen, jemandem einen Bonus zu zahlen, der nicht ins Museum geht.“

Im markierten Passus widerspricht das Vorhaben, die Anwesenheit von Kindern sicherzustellen den vorangehenden Ausführungen darüber, Möglichkeiten zu schaffen („…Mütter erwerbstätig sein können…“). Sicherstellen kann man Anwesenheit bestenfalls, wenn es eine Pflicht gibt, anwesend zu sein – wobei auch diese Pflicht die Anwesenheit nicht wirklich garantiert, zumindest aber die Abwesenheit unter Strafe stellt wie bei der Schulpflicht (zur Diskussion um ihre Abschaffung siehe hier, hier, hier und hier).

Der Geist aktivierender Sozialpolitik, wie sie in der Agenda 2010 formuliert wurde, zeigt sich in seiner Widersprüchlichkeit. Auf der einen Seite soll es darum gehen, dass Bürger ihr Leben in die eigenen Hände nehmen, auf der anderen will man aber nicht dazu lediglich Freiräume eröffnen und Angebote bereitstellen, man will auch sicherstellen, dass die Freiräume wie die Angebote richtig genutzt werden. Wollen und Können schlagen in Müssen um (siehe auch hier und hier). Dieser Geist entsprang nicht der Agenda 2010, er machte sie möglich und reicht weiter zurück als oft angenommen. Auch findet er sich durchaus bei denjenigen, die gegen diesen Geist wettern (siehe z. B. hier).

Das ist der Grund, weshalb es ein Bedingungsloses Grundeinkommen so schwer hat, weil diese widersprüchliche Haltung nicht auf so hermetische Weise zutage tritt, dass sie eine klare Unterscheidung in Befürworter und Gegner zulässt.

Sascha Liebermann

P.S: Im kommenden WDR 3 Forum am 10. Janaur wird eine weitere Podiumsdiskussion gesendet, an der ich beteiligt war.

„Eine knappe Weltgeschichte der Arbeit in praktischer Absicht“…

…ein Feature im Deutschlandfunk von Mathias Greffrath vom 3. Januar.

„Homo sapiens ist der Primat, der Werkzeuge herstellen kann, vom Faustkeil und Pflug über Windmühle und Dampfmaschine bis zu den Computersystemen, die die geistige Arbeit automatisiert und die Fantasieproduktion standardisiert haben. Und wie es scheint, ist der neuerliche Automatisierungsschub erst am Anfang.“

Was von den Erwartungen bzw. Befürchtungen um die Automatisierung zu halten ist, ist schwer zu sagen. Einen jüngeren Kommentar dazu von unserer Seite hier, eine Übersicht über ältere hier. In der NZZ am Sonntag wurde die Digitalisierung ebenfalls thematisiert unter dem Titel: „Uns braucht es bald nur noch als Konsumenten“. Dazu auch ein Interview mit Erik Brynjolfsson daselbst.

Greffrath hat sich schon wiederholt ablehnend mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen befasst, siehe hier und hier.