„Das Versagen der Vordenker“…

…so Matthias Oppliger in der Tageswoche über die bisherige Diskussion zur Eidgenössischen Volksinitiative. Ein Blick auf die Sache, der allerdings unter Einseitigkeit leidet.

In der langen Nacht des Grundeinkommens in Basel z.B. war das Publikum sicher auf der Seite der Volksinitiative und von daher einseitig. Allerdings kann daraus nicht geschlossen werden, dass es keine guten Argumente für das BGE gegeben hätte. Sowohl die Diskussion zwischen Andi Gross und Kathy Riklin über „Machtumverteilung“ und Demokratie, als auch die zwischen Rudolf Minsch und Anita Fetz über „Sozial ist, wer Arbeit schafft“ machten deutlich, worin sich der Blick der Diskutanten unterschied. Besonders Kathy Ricklin bestach durch ein Misstrauen in die Mündigkeit der Schweizer Bürger, die einen angesichts der praktizierten direkten Demokratie befremden konnte.

Was Oppliger übergeht, wenn er sich darüber beklagt, dass die Gegner ausgebuht worden seien, ist deren Auftreten. Reiner Eichenberger von der Universität Fribourg wie auch Lukas Rühli fielen durch besondere Aggressivität und Zynismus in ihren Stellungnahmen auf. Rühli nahm sich entgegen des Programms schlicht heraus, seine Stellungnahme zeitlich derart auszudehnen, bis ihm die Moderatorin, nachdem er wiederholt auf ihre Intervention nicht reagiert hatte, das Wort nahm. Da nicht die Befürworter in der öffentlichen Diskussion in der Mehrheit sind, sondern die Kritiker, war es erstaunlich genug, dass beide so aufgetreten sind. Es geht beim BGE offenbar ans Eingemachte, wenn man es salopp ausdrücken will.

Wenn Oppliger die Häme konstatiert, die Beiträge z. B. in der Neuen Zürcher Zeitung über das BGE ausschütten, dann wäre es wert gewesen zu erwähnen, wie widersprüchlich und grotestk teil deren Einwände sind.

Durchaus beklagenswert ist es, wenn immer wieder Argumente pro gebraucht werden, deren Triftigkeit behauptet wird, aber keineswegs klar ist (siehe hier), wie es sich mit ihnen tatsächlich verhält. Dazu zählt z. B. die wiederkehrende Behauptung, wir bräuchten ein BGE wegen der Folgen der Digitalisierung – das war auch bei der Future of Work-Konferenz im GDI der Fall. Die häufig zitierte Studie von Carl Frey und Michael Osborne – die in ihren Schlussfolgerungen vorsichtiger ist als viele Rezipienten – bezieht sich auf die USA und kann so z. B. nicht auf Deutschland übertragen werden. Genau diese Argumente meint Oppliger offenbar aber nicht, wenn er von schwachen spricht, er hält sie hingegen für sehr gewichtig.

Das soll nun nicht heißen, etwaige Folgen der Digitalisierung seien nicht bedenkenswert, das sind sie sehr wohl. Und in der Tat würde ein BGE uns ganz anders darüber diskutieren lassen, wenn wir auf einem sicheren Fundament stehen könnten. Heute ist die Diskussion hingegen von der Sorge bestimmt, es werde nicht mehr genug Arbeitsplätze geben. Dabei wäre es viel wichtiger, sich die Frage zu stellen, was wir für wichtig halten im Leben und entsprechend die Möglichkeiten ergreifen, die es gibt, genau dies zu gestalten. Ein BGE wäre eine sehr weitreichende Möglichkeit, kein Allheilmittel.

Sascha Liebermann

Future of Work-Konferenz in Zürich – Mitschnitt online

Nicht klar war über weite Strecken auf der Konferenz, welches Grundeinkommen die einzelnen Referenten bzw. Podiumsteilnehmer vor Augen hatten, wenngleich aus manchen Ausführungen – z. B. aus dem Verzicht auf eine Bedarfsprüfung – darauf Rückschlüsse gezogen werden konnten. Ob es von der Wiege bis zur Bahre als eigenständige, mit anderen Einkommen nicht zu verrechnende Leistung verstanden wurde, konnte man hier und da ahnen. Überwiegend wurde das BGE als Antwort auf die Digitalisierung betrachtet und den von manchen prognostizierten Verlust von Arbeitsplätzen. Andere, sehr deutlich war hier Albert Wenger, wiesen auf die Freiräume hin, die es schaffen würde, um initiativ werden zu können. Erstaunlich besonders für die Schweizer Diskussion war, dass so gut wie niemand die Bedeutung des BGE für die Demokratie aufwarf. Guy Standing sprach vom „emancipatory value“ des BGE, der noch viel bedeutender sei als „money“.

Im Mitschnitt können Sie sich am Programmablauf orientieren:

09:30 Begrüssung: David Bosshart (CH), CEO, Gottlieb Duttweiler Institute, Einführung ins Thema – Schweizer Perspektive
09:50 Einführung: Albert Wenger (USA), Union Square Ventures; Armin Steuernagel (DE), Neopolis Network/ Purpose Foundation, Social Policy 4.0 – Internationale Perspektive
10:15 Keynote: Bruno S. Frey (CH), Wirtschaftswissenschaftler, Universität Basel Direkte Demokratie als ein Gesellschaftswerkzeug
10:30 Keynote: Robert Johnson (USA), Institute for New Economic Thinking, Die Reaktionen auf die Technologische Revolution – ein Grundeinkommen als Paradigmenwechsel
11:20
Saal: Podium – Übersicht der Experimente zum Grundeinkommen
Guy Standing (UK), Universität London; Michael Faye (USA), GiveDirectly; Ville-Veikko Pulkka (FI), Kela, Institut für Sozialversicherung; Amira Yehia (DE), Mein Grundeinkommen
Moderation: John Thornhill (UK), Financial Times
Bibliothek: Keynote Enno Schmidt (DE/CH), Autor und Initiant der Schweizer Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen Bedingungslosigkeit – die kulturelle Dimension des Grundeinkommens
Keynote: Rick Wartzman (USA), Drucker Institute, Die Geschichte von garantiertem Lohn und Einkommen
12:15 Saal: Podium – Grundeinkommen – jenseits politischer Lager?
Michael Tanner (USA), CATO Institute; Daniel J. Mitchell (USA), CATO Institute; Robert B. Reich (USA), University of California, Berkeley; Reiner Eichenberger (CH), Ökonom; Moderation:  Alexandra Borchardt (D), Süddeutsche Zeitung
Bibliothek: Podium – Die Zukunft der Arbeit (deutsch)
Daniel Häni (CH), Unternehmer und Mitinitiant der Schweizer Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen; Dirk Helbing (CH), Professor ETH; Albert Wenger (USA), Union Square Ventures; Myke Näf (CH), Doodle; Moderation: Börries Hornemann (DE), Neopolis
14:30 Entrepreneur-Podium: Disruptive Arbeit Albert Wenger (USA), Union Square Ventures; Natalie Foster (USA), peers.org; Robin Chase (USA), Zipcar; Betsy Masiello (USA), Uber; Moderation: John Thornhill (CH), Financial Times
15:30 Keynote: Robert B. Reich (USA) University of California, Berkeley, Technologischer Wandel und die Unausweichlichkeit des bedingungslosen Grundeinkommens
15:55 Podium und Keynote: Labor Panel – Zukunft der Gewerkschaften und soziale Sicherheit
Andrew Stern (USA), ehem. SEIU Gewerkschaft; Nell Abernathy (USA), Roosevelt Institute
Vania Alleva (CH), Unia Gewerkschaft; Dorian Warren (USA), Center for Community Change; Moderation: Alexandra Borchardt (DE), Süddeutsche Zeitung
17:20 Live-Übertragung: Erik Brynjolfsson (USA), Professor MIT 17:35 Trailer „Free Lunch Society“, Christian Tod (AT), Golden Girls
17:45 Keynote: Anthony Painter (UK), The Royal Society of Art, Kreative Bürger, kreativer Staat – die Grundsätze und pragmatischen Überlegungen zum Grundeinkommen
18:05 Keynote: Yanis Varoufakis (GRE), ehem. Griechischer Finanzminister, Wann wird eine Gesellschaft sozial?

Grundeinkommen gegen Verarmung und zur Stützung von Konsum? Ja, aber…

…so könnte man ein Interview mit Robert Reich kommentieren, dass im Schweizer tagesanzeiger abgedruckt war. Reich führt darin aus, weshalb er ein Grundeinkommen (nicht weiter spezifiziert) für notwendig erachtet. Angesichts der bevorstehenden Automatisierungsschübe durch technologischen Fortschritt sei es ein probates Mittel, um die Verarmung des Mittelstandes in den USA zu verhindern. Zugleich verschaffe ein Grundeinkommen Kaufkraft, da der der technische Fortschritt nur solange trage, wie auch Güter abgesetzt werden können. An dieser Herleitung ist durchaus etwas dran, denn ohne Kaufkraft kein Absatz von Gütern und Dienstleistungen.

Dennoch würde ich ein „Ja, aber“ diesen Ausführungen entgegenstellen.

Ja, ein ausreichend hohes Grundeinkommen, vor allem ein bedingungsloses verhindert Einkommensarmut, sofern Menschen deswegen arm sind, weil es ihnen an Einkommen mangelt. Armut kann jedoch auch andere Gründe haben, gegen die ein BGE nichts auszurichten vermag, zumindest nicht unmittelbar.

Ja, ein BGE verschafft stabile Kaufkraft und stützt damit die Binnenwirtschaft. Aber: Beides lässt sich auch anders erreichen und bedarf nicht unbedingt eines BGE. Hier nun wird häufig der technologische Fortschritt in Gestalt der Digitalisierung als Grund angeführt. Ja, es kann sein, dass er es nötig macht, vielleicht aber auch nicht (siehe hier). Selbst wenn er es nötig machen würde, wäre das alleine oder vor allem eine gute Begründung für ein BGE? Nein, das wäre es nicht, denn so würde ein BGE zur Reparaturleistung degradiert, eine Reparatur, die nicht mehr nötig wäre, wenn der Schadensgrund ausfiele. Und dann? BGE wieder abschaffen(siehe hier)?

Erstaunlich ist, wie häufig in der Debatte ein entscheidender Zusammenhang nicht hergestellt wird, der zur Demokratie. Ein BGE ist, ganz gleich wie der technologische Fortschritt ausfallen wird, davon unabhängig zu betrachten, es hat sein eigenes Recht und zwar aus den Zusammenhängen der Demokratie. Denn die Stellung der Staatsbürger als Souverän ist doch eine bedingungslose. Damit ist der entscheidende Grund dafür benannt, weshalb die  Einkommensabsicherung eine ebenso bedingungslose sein müsste. Sie wäre der Demokratie gemäß, denn sie setzt auf Vertrauen in die Loyalität der Bürger.

Abschließend äußert Reich sich noch so:

„tagesanzeiger: Eine grosse Mehrheit der Schweizer wird das Grundeinkommen wohl ablehnen. Ist das nicht entmutigend für die Befürworter weltweit?
Reich: Nein, wir haben bereits gewonnen, weil über das Grundeinkommen breit diskutiert wird. Es wird noch mindestens ein Jahrzehnt dauern, bis sich in den USA eine politische Mehrheit dafür findet.“

Diese Einschätzung für die USA würde ich noch für vorsichtig halten, denn ein BGE, das auf nationalstaatlicher Ebene eingerichtet werden müsste, trifft in den USA auf große Vorbehalte, da dort – vergleichbar der Schweiz – der Nationalstaat als ein Gegenüber betrachtet wird, ohne dass es zwar nicht gehe, dem jedoch stets mit Skepsis begegnet wird. Sehr deutlich wurde das in der „Langen Nacht des Grundeinkommens“ im Theater Basel.

Sascha Liebermann

Roboter für Grundeinkommen – the End of Labour Day

Roboter-Manifest, Zürich, 30. April 2016

Der Sozialstaat war die Antwort auf die Industrialisierung, das Grundeinkommen ist die Antwort auf die Digitalisierung
[…]
Wer in Zeiten der Digitalisierung noch am Ideal der Industrialisierung festhält, nämlich der Vollbeschäftigung, ist von gestern. Nicht das Grundeinkommen, sondern die Vollbeschäftigung ist eine Utopie! In Zukunft wird es nicht auf Beschäftigung, sondern auf Betätigung ankommen. Wir werden nur noch das zu tun haben, was wir den Robotern nicht überlassen wollen und können: all das, was nicht berechnet, nicht automatisiert werden kann.
[…]
Die Digitalisierung bietet den Menschen die Chance, in Zukunft jene Fähigkeiten auszubilden, welche sie als Menschen auszeichnen: Kreativität und soziales Geschick. Die Abstimmung über das bedingungslose Grundeinkommen wird zeigen, ob wir unseren eigenen Erfindungen trauen oder hinter ihnen zurückbleiben.“

Weitere Fotos siehe hier.

„Wir brauchen Utopien in der Arbeitswelt“ – Interview mit Theo Wehner im Migros Magazin

Ein sehr interessantes Interview mit Theo Wehner zu Fragen der Arbeitswelt, in dem er auch differenziert über Digitalisierung und Automatisierungsprognosen spricht. Wichtige Überlegungen angesichts einer Digitalisierungsgläubigkeit (siehe auch hier), als hätte es diese Prognosen nicht früher schon gegeben. Entscheidend sei stets die Frage, ob wir so leben wollen, wie wir leben, und wenn nicht, was dann anders gemacht werden könnte.

„…aber der Bürgerstaat, die Idee sozialer Bürgerrechte, das Prinzip der Vergemeinschaftung … finde ich schon seit Jahren richtig“…

…so Andrea Nahles in der aktuellen Ausgabe von Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte. Wir hatten auf das lange Gespräch mit der Bundesministerin schon hingewiesen. Die Passage, in der sie auf das BGE zu sprechen kommt, verdient aber eine nähere Betrachtung. Zuvor geht es um die Folgen der Digitalisierung, die Verantwortung von Unternehmen und die Ungleichheit der Einkommensverteilung. Wie – so die Frage des Interviewers – wäre auf die Veränderungen am besten zu antworten? Nahles hält eine Bürgerversicherung für notwendig, deren Einnahmeseite im Unterschied zu heute breiter ist. In diesem Zusammenhang sagt sie folgendes:

Nahles: Aber für die nächsten 10, 15 Jahre muss man sich gedanklich mit der Frage beschäftigen, wie sich bei einer zunehmenden Veränderung der Erwerbsformen auch die Finanzierung unseres Sozialstaates auf Dauer sichern lässt.
Dabei ist das Bürgerprinzip bei der Berechtigung von Sozialleistungen richtig, aber auch die Finanzierung aus allen Quellen. Aus allen Quellen, und nicht nur aus dem Arbeitseinkommen, das auch – wie gesagt – immer komplizierter zu erheben sein wird. Und wenn etwa der 3D-Drucker auf längere Sicht immer mehr die Fertigung revolutionieren wird, dann stellt sich die Frage, wie wir an den Mehrwert oder die Renditen dieser Wertschöpfungskette rankommen?“

Auf den ersten Blick könnte man denken, dass Andrea Nahles hiermit doch dem BGE die Tür öffnet, wenn sie das „Bürgerprinzip“ als Basis dafür erkennt, Sozialleistungen zu beziehen. Was hat sie hier wohl vor Augen? Wäre es ein Unterschied zu heute? In der Passage wird das nicht klar, der Interviewer fragt leider nicht nach. Sie wird kaum darauf hinauswollen, dass nur Bürger im Sinne von Staatsbürgern bezugsberechtigt sind, vielleicht eher Personen mit dauerhaftem Aufenthalt und einer entsprechenden Bewilligung in Deutschland. Im zweiten Teil erst kann man sich einen Reim darauf machen, dass der Unterschied zwischen einem Arbeitnehmer- und einem Bürgerprinzip wohl der sein muss, dass im Arbeitnehmerprinzip nur Arbeitnehmer für die Finanzierung herangezogen werden (Sozialabgaben), dem Bürgerprinzip folgend jedoch alle in einem System abgesichert werden, also auch Beamte und andere Gruppen, die bisher ein eigenständiges Versicherungssystem haben, z. B. Ärzte, einbezogen werden. Was hat das nun mit dem „Bürger“ zu tun? Es handelt sich bei der Bürgerversicherung, wie sie hier angedeutet wird, um eine erweiterte Arbeitnehmer- und Selbständigen-Versicherung. Diese wären ja noch immer beitrags- und nicht steuerfinanziert. Erst mit der Umstellung auf Steuerfinanzierung würde jedoch das Erwerbsprinzip nicht mehr im Zentrum des Versicherungssystems stehen. Das nun scheint die Bundesministerin hier aber nicht zu wollen.

Wir können hier festhalten, dass es nicht um einen starken Bürgerbegriff geht, wie er im Grundgesetz zum Ausdruck kommt. Bürger im Sinne des Staatsbürgers meint hier nicht nicht den Souverän als Legitimationsquelle politischer Ordnung, sondern es ist ein um seinen Kern beraubtes Verständnis von Bürger.

Daran schließt unmittelbar die Passage an, in der es um das BGE geht.

NG/FH: An dieser Stelle kommt dann meist sofort der Vorschlag des bedingungslosen Bürgereinkommens. Dann sind alle irgendwie geschützt, es wird steuerfinanziert und wir haben bei der Berechtigung und bei der Finanzierung klare Verhältnisse.“

Dem Interviewer, obwohl er das BGE einführt, ist es nicht behaglich damit. „Dann sind alle irgendwie geschützt“ – klingt fast schon verächtlich. Sie sind ja nicht „irgendwie“ geschützt, sondern von der Wiege bis zur Bahre haben sie eine verlässliche Rückendeckung, die die Bürger als Staatsbürger gerade ernst nimmt. Sie wären in einem Mape abgesichert, wie es heut nicht gilt, sofern das BGE eine entsprechende Höhe hätte.

„Nahles: Ich halte nichts von diesem bedingungslosen Grundeinkommen, weil es ein weiterer Beitrag zur Entwertung der Arbeit ist. In der Digitalisierung werden bestimmte Tätigkeiten möglicherweise mehr wertgeschätzt werden. Analytische Fähigkeiten, die Dienstleistung von Mensch zu Mensch werden tendenziell aufgewertet…“

Weshalb trägt das BGE zur „Entwertung von Arbeit“ bei? Hat Arbeit denn einen Eigenwert, ist sie Selbstzweck? Wenn wir unter Arbeit im allgemeinen Sinne verstehen, dass Leistungen für andere erbrachtet werden, dann bestimmt sich die Bedeutung von Arbeit danach, diese Leistung in einer angemessenen Weise zu erbringen. Wir können viel über Standards und Kriterien diskutieren, wann dies der Fall ist, der Zweck von Arbeit ändert sich dadurch jedoch nicht. Wo Arbeit auf Maschinen übertragen werden kann, ohne dass der Zweck von Arbeit beschädigt oder beeinträchtigt wird, würde doch menschliche Arbeitskraft frei, um sich Aufgaben zu widmen, die nicht auf Maschinen übertragen werden können. Dass sich hier die Frage stellt, wie die Maschinennutzung so möglich ist, dass wir nicht unsere eigene Existenzgrundlage schädigen, ist eine Frage, die sich darüber hinaus stellt. Menschliche Arbeitskraft nun von Arbeit zu entlasten, die Maschinen übernehmen können, und damit Freiräume für diejenige Arbeit zu schaffen, die Maschinen nicht angemessen übernehmen können, würde doch gerade eine Aufwertung menschlicher Fähigkeiten nach sich ziehen, statt sie in einen Wettbewerb gegen Maschinen zu stellen.

An der folgenden direkt an die vorangehende anschließenden Stelle wird erst deutlich, worin das vermeintliche Problem besteht:

„…Bestimmte Formen der monotonen, körperlich anstrengenden Tätigkeiten werden durch den verstärkten Einsatz von Robotern ersetzt und möglicherweise werden auch die Menschen, die das besonders gut konnten, in ihrer Identität, in dem, was sie an Werten schaffen, infrage gestellt. Das ist ein ganz schwieriger Prozess…

Weshalb ist das ein schwieriger Prozess? Zum einen ist er schwierig, sofern diejenigen, deren Aufgabenbereich verschwindet bzw. von Maschinen übernommen wird, in dem Glauben gelebt haben, sie seien nicht ersetzbar für diesen Prozess. Diese Schwierigkeit resultiert nicht aus der Bedeutung ihrer Arbeit für andere, sie ist vielmehr Ergebnis einer Überschätzung dessen, welche Bedeutung der Einzelne für die Leistungserstellung hat. Die Digitalisierung würde zu einer Klärung dahingehend führen, dass hinsichtlich der Bewältigung von Aufgaben jeder ersetz- bzw. austauschbar ist. Zum anderen ist aus heutiger Sicht dieser Prozess schwierig, weil die Überhöhung von Erwerbstätigkeit keine Alternativen kennt. Wer seinen Erwerbsarbeitsplatz verliert, verliert mit dem Einkommen zugleich die Möglichkeit, demjenigen Gebot zu folgen, das wir gegenwärtig für den höchsten Zweck halten: erwerbstätig zu sein.

Sowohl die erste wie die zweite Schwierigkeit sind jedoch auf einfache Weise zu bewältigen. Die erste, indem wir uns darüber klarwerden, dass nicht Arbeit Menschen in ein Gemeinwesen integriert, sondern die Zugehörigkeit qua Status. Insofern ist auch die Behauptung, Flüchtlinge würden durch Erwerbsarbeit am besten integriert werden, ein Trugschluss. Erwerbsarbeit ist der Inbegriff davon, dass nicht der Einzelne zählt, sondern die Arbeitskraft für einen bestimmten Zweck, dem sie zu dienen hat. Das steht erst dann in Frage, wenn die Würde des Menschen dabei nicht geachtet wird. Wir würden also endlich dahinkommen zu begreifen, dass wir nicht als Arbeitsgesellschaft zusammenhalten und füreinander einstehen müssen, sondern als Bürgergemeinschaft. Die zweite Schwierigkeit würde gerade und nur durch ein BGE gelöst, indem die Einkommenserzielung vom Erwerb in Gestalt eines Mindesteinkommens grundsätzlich abgekoppelt wird, d. h. wer ein BGE bezöge, wäre nicht mehr in einer Notlage, in der es zu helfen gelte. Nein, das BGE wäre der Normalfall, immer und zu jeder Zeit da, um dem Einzelnen den Rücken zu stärken. Es wäre auf diese Weise Ausdruck dessen begriffen zu haben, dass wir eine Bürgergemeinschaft sind und unseren Sozialstaat auf dieses Fundament stellen müssen. Für Frau Nahles scheint diese Überlegung weit weg zu sein.

Entsprechend heißt es an der unmittelbar folgenden Stelle:

Nahles: …Aber dass das Konzept von Arbeitseinsatz und Vergütung oder Leistung als movens einer kreativen Arbeitsgesellschaft grundlegend infrage gestellt oder verändert wird, glaube ich nicht. Das ist für mich eines der zentralen Argumente gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen…“

Wenn es ein BGE gäbe, würde es auch weiter eine Vergütung geben für diejenigen, die erwerbstätig wären. Das eine schließt das andere nicht aus, insofern konstruiert die Bundesministerin hier einen Scheingegensatz. „Arbeitseinsatz“ allerdings zum „zum Movens einer kreativen Arbeitsgesellschaft“ zu verklären bezeugt nur, dass sie die anderen Quellen von Kreativität nicht gelten lässt. Schon heute sind diese anderen Quellen von Bedeutung, sie erhalten nur nicht den Rang, den sie verdienen.

Nahles: Im Übrigen glaube ich auch, dass dadurch die Ängste der Mittelschicht nicht etwa bekämpft würden, wie sich das viele denken, sondern dass der Solidarcharakter des Sozialstaates als solcher sogar infrage gestellt würde. Dieser Ansatz ist also meines Erachtens nicht die Lösung, aber der Bürgerstaat, die Idee sozialer Bürgerrechte, das Prinzip der Vergemeinschaftung, welches ein Teil der Grundlage dieses Konzeptes ist, finde ich schon seit Jahren richtig. Man muss hier also differenzieren.“

Hier wird es noch einmal interessant, denn zuerst macht Nahles klar, dass ein BGE den Solidarcharakter des Sozialstaates in Frage stelle, ja, des gegenwärtigen schon, der ein Arbeitnehmersozialstaat ist. Er stellt aber nicht den Sozialstaat in Frage, der einem demokratischen Gemeinwesen gemäß wäre, das in seinem Zentrum selbstverständlich den Bürger hätte. Dem würde der zweite Teil des Absatzes noch entsprechen, den Frau Nahles „schon seit Jahren richtig“ findet. Ja, nun, er ist das Fundament unserer Demokratie, wenn sie das nicht richtig fände, wäre alles zu spät. Offenbar sieht sie aber den Widerspruch zwischen dem „Prinzip der Vergemeinschaftung“, einer Vergemeinschaftung von Bürgern als Staatsbürgern auf der einen und der erwerbszentrierten Sozialsysteme auf der anderen Seite nicht. Weshalb sieht sie ihn nicht? Weil sie in einem Selbstverständnis lebt, unser Gemeinwesen als Arbeitsgesellschaft zu begreifen. Das wird auch an folgender Stelle deutlich:

Nahles: …Ich bin für ein Recht auf Weiterbildung. Ich möchte, dass die Bundesagentur für Arbeit zu einer Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung wird. Ich möchte, dass präventiv lebensbegleitend eine Weiterbildungsberatung stattfindet und dass zwischen BA, Unternehmen und den Arbeitnehmern ein Arrangement gefunden wird, wie Weiterbildung auch bei Klein- und mittelständischen Unternehmen funktionieren kann. Und der Betriebsrat ist hierbei ein ganz wichtiger Mediator, um die Sache dann auch ins Rollen zu bringen.“

„Präventiv lebensbegleitend“ soll eine Weiterbildungsberatung stattfinden?! Wir wissen, wie diese Beratung heute aussieht. Wer Leistungen beziehen will, hat nicht die Möglichkeit, sich beraten zu lassen, er wird zwangsberaten und kann dem nur entgehen, indem er den Leistungsbezug verlässt. Dann hat er eben kein Einkommen. Wofür steht Andreas Nahles nun? Das Gespräch offenbart die Widersprüche, in denen wir gegenwärtig stecken; es sind die Widersprüche eines Gemeinwesens, dass ein demokratisch-republikanisches Fundament hat, in dem die Staatsbürger einen bedingungslose Status innehaben. Dasselbe Gemeinwesen versteht sich aber als Arbeitsgesellschaft und kennt eine Arbeitnehmersolidarität. Beides gilt zugleich. Das bezeugt dieses Gespräch – wie einfach wäre eine Aufhebung dieser Widersprüche durch das BGE.

Sascha Liebermann