Bedingungsloses Grundeinkommen in Taizé

Thomas Loer und Sascha Liebermann waren in die Communauté Taizé (Quelle bei Facebook) eingeladen, um über das Bedingungslose Grundeinkommen zu sprechen. Etwa zweihundert der 3500 Teilnehmer aus aller Welt, die in dieser Woche nach Taizé gekommen waren, versammelten sich am 11. August bei sengender Hitze unter einem Zelt und verharrten dort teils drei Stunden. Am Tag darauf gab es die Möglichkeit, mit Thomas Loer noch weiter zu diskutieren. Was gibt es zu berichten? Vor allem, dass Fragen und Einwände dieselben waren wie anderswo auch. Das ist allerdings besonders überraschend, denn das Motto der Woche war „Towards a New Solidarity“. „Trust“ stand dabei im Zentrum und die Bewegunggründe nach Taizé zu reisen, ist wohl im Allgemeinen die Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen in der Welt. Doch auch hier herrschten die Sorgen um mangelnde Arbeitsanreize, Entwertung des Arbeitsbegriffs und abnehmende Bereitschaft zum Gemeinwohl beizutragen vor, für die ein BGE angeblich die Weichen stelle. Es gab natürlich auch andere Stimmen, die im BGE eine Chance erkannten, gerade das hinter sich zu lassen, was heute so oft beklagt wird.

„Eingriff in Grundrechte“…

…unter diesem Titel berichtet die junge welt von einer Veranstaltung mit dem Gothaer Richter Jens Petermann über die Sanktionspraxis der Jobcenter und die dazu bestehende Gesetzgebung (siehe frühere Meldungen bei uns hier). Petermann gehört der Kammer des Gothaer Sozialgerichts an, die im Juni das Bundesverfassungsgericht zu einer Klärung angerufen hat, ob die Gesetzgebung und Sanktionspraxis verfassungsgemäß ist. Eine Passage aus dem Artikel sei hier zitiert:

„Petermann sprach von einer juristischen und einer politischen Ebene, auf der die Praxis angegangen werden müsse. Letztere beschreibe die Stimmung, unter der die Agenda entstanden ist und fortgeführt wird. »Die Mehrheit ist meiner Einschätzung nach pro Sanktionen«, sagte er. Dabei spiele das Menschenbild vom »faulen Erwerbslosen« und gleichzeitiges Ausblenden wirtschaftlicher Faktoren eine tragende Rolle. Hier seien kritische Politiker gefordert. Bundestagsfraktionen könnten beispielsweise eine Normenkontrollklage in Karlsruhe erwirken. Diese würden in der Regel schneller beschieden als Richtervorlagen…“

Auf diesen Umstand habe ich meinem Beitrag zur Aktion von Ralph Boes hingewiesen. Die Gesetze, die die Sanktionspraxis ermöglichen, sind nach demokratischen Verfahren zustande gekommen, dadurch sind sie legitimiert. Wer sie für nicht legitim hält, muss dagegen mit politischen Mitteln vorgehen, wobei stets vorausgesetzt bleiben muss, dass die Würde des Menschen Grundlage jeden Handelns bleibt. Das ist eine eminent politische und keine juristische Frage. Sich über die Geltung des Rechts einfach hinwegzusetzen ist ein Willkürakt und zieht – wir vor etlichen Jahren in der Diskussion um zivilen Ungehorsam deutlich wurde – entsprechende Konsequenzen nach sich. Die Geltung des Rechts muss dann wiederhergestellt werden. Die Alternative wäre, sich der Rechtslage zu beugen, so bitter das für jeden sein muss, der mit ihr nicht einverstanden ist. Ein nach demokratischen Verfahren zustandegekommenes Gesetz steht in seiner Geltung jedoch über dem Einzelnen.

Petermann wird weiter so zitiert:

„…Juristisch gehe es um die Auslegung von Gesetzen. Die sei sehr unterschiedlich. So deklarierte das BVerfG das physische und soziokulturelle Existenzminimum als »dem Grunde nach unverfügbar«. Aus dem Zusatz »dem Grunde nach« bastelten einige »Experten« die Einschränkung, dass Bedürftige verpflichtet werden könnten, ihr Minimum nur unter Einhalten von Auflagen zu erhalten. »Das ist schlicht falsch«, rügte Petermann. Ein weiteres Problem sieht er darin, dass Jobcenter bei Klagen von Betroffenen von der Zahlung der Gerichtskosten ausgenommen seien. Andere Behörden und Krankenkassen müssten etwa 150 Euro pro Verfahren löhnen. »Hätten Jobcenter auch diesen Druck, würde sich vielleicht etwas ändern«, vermutet Petermann.“

Wie Petermann selbst herausstellt, ist die juristische Frage eine, in der es um die Auslegung von Gesetzen im Verhältnis zur Verfassung geht. Es geht also nicht mehr um demokratische Verfahren, sondern um juristische Methodenlehre. Petermann legt die Verfassung anders aus, als es bisher getan wurde, andere legen sie anders aus. Wenn er davon spricht, dass die hier monierte Auslegung „falsch“ sei, ist das dann eine Schlussfolgerung aus der juristischen Auslegungstechnik oder eine aus einem politischen Werturteil? Nehmen wir den Fall, dass das Bundesverfassungsgericht die Gesetzeslage und Sanktionspraxis für verfassungsgemäß hielte, was dann? Sollte deswegen das politische Ringen um eine Veränderung unterlassen werden? Natürlich nicht, da es hierbei nicht um juristische Auslegungstechnik geht, sondern um Willensbildung. Das Bundesverfassungsgericht fragt und prüft nicht, wie wir zusammenleben wollen, genau darum jedoch geht es jedoch in der Diskussion und in der Aktion von Ralph Boes. Die Selbstbestimmung des Souveräns einer politischen Ordnung, also der Gemeinschaft von Bürgern, findet ihren entscheidenden Ausdruck gerade in der Gesetzgebung. Sie findet im Parlament statt. Aus gutem Grund hat das Bundesverfassungsgericht keine Durchsetzungsmacht, es kann keine Exekutive beauftragen, seine Urteile durchzusetzen. Das sollten wir ernst nehmen.

Ohnehin ist es eine sonderbare Eigenheit des Grundgesetzes, die Würde des Menschen nicht in ihrer Geltung vorauszusetzen und sich zu ihr in der Präambel zu bekennen, wie es in anderen Verfassungen der Fall ist. Das Grundgesetz erhebt mit Artikel 1 die Würde zu einem Wert, der erst durch es geschaffen werde. Eine Abschaffung oder Außerkraftsetzung der Verfassung würde dann eine Abschaffung oder Außerkraftsetzung der Würde zur Folge haben. Das wäre die Konsequenz daraus, die Würde des Menschen juristisch zu betrachten, nicht politisch.

Sascha Liebermann

„Im Grunde die gleichen Gründe – Argumente der Gegner des bedingungslosen Grundeinkommens“…

…ein lesenswerter Artikel von Harald Schauff, Redakteur der Kölner Arbeits-Obdachlosen-Selbsthilfe-Mitmachzeitung Querkopf ist und der sich insbesondere auf die jüngeren Ausführungen von Christoph Butterwegge, Armutsforschung und Professor an der Universität Köln bezieht. Butterwegges Beitrag wurde von den Nachdenkseiten veröffentlicht. Siehe einen Kommentar von Sascha Liebermann.

„Das Speenhamland-System – eine Art garantiertes Grundeinkommen?“…

…so fragt Ronald Blaschke in einem Beitrag beim Netzwerk Grundeinkommen und bezieht sich dabei auf eine anhaltende Diskussion darüber, ob „Speenhamland“ nicht exemplarisch für ein Bedingungsloses Grundeinkommen und auch sein Scheitern stehe. Vor etwa eineinhalb Jahren schrieb ich dazu folgendes:

„…Die Speenhamland-Gesetzgebung im England des frühen 19. Jahrhunderts wird häufig als Beleg dafür bemüht, wohin es führen könne, wenn die Armen durch ein Mindesteinkommen unterstützt werden. Doch, war das durch die Gesetzgebung gegeben? Wer mit solchem Aplomb auftritt, wie Borchert es in seinem Buch tut, sollte den Forschungsstand zur Kenntnis genommen haben. Selbst ein schneller Blick bei Wikipedia (deutsch, englisch) hätte ihn zur Vorsicht mahnen müssen. Für seine Einschätzung verweist Borchert auf die Ausführungen Karl Polanyis in „The Great Transformation“ (1944). Dieser kritisierte zwar die bisherige Rezeption „Speenhamlands“, verließ sich aber gleichermaßen wie andere auf die historischen Quellen. Die herausragende dazu war ein Bericht der „Royal Commission“ über die Folgen von Speenhamland aus dem Jahre 1834, also kurz nachdem die Gesetzgebung aufgehoben wurde. Ein Artikel von Fred Block und Margret Somers, „In the Shadow of Speenhamland“ (2003), der online zugänglich und leicht auffindbar ist, hat sich mit der Rezeption der Speenhamland-Gesetzgebung und ihrer Ergebnisse in der dazu verfügbaren Literatur befasst. Sie legen in ihrem Beitrag ausführlich dar, wie schlecht die Datenlage zu Speenhamland ist, wie lückenhaft die Dokumentation, wie sehr die spezifische Situation Folge der Industrialisierung und einer wirtschaftlichen Problemlage im Süden Englands ist. Weiterhin gab es keine einheitliche Gesetzgebung, die von Speenhamland als Ganzem reden ließe und deswegen auch keine einheitliche Umsetzung. Darüber hinaus zeigen sie, wie sehr der Bericht der „Royal Commission“, auf den sich bezogen wird, mit feststehenden Theoremen arbeitete und lediglich auf Befragungen einzelner Personen in den jeweiligen Gemeinden (parishes) beruhte. Um ein BGE im heute diskutierten Sinne ging es gar nicht, allenfalls wäre der Begriff Kombilohn treffend. Zuletzt ist es ein Anachronismus, die Situation zur Zeit Großbritannies im frühen 19. Jahrhundert mit der heutigen in Deutschland zu vergleichen, eine Feudalstruktur mit einer demokratischen…“ (Zum Originalbeitrag, siehe auch hier)

Sascha Liebermann

Ralph Boes‘ „Sanktionshungern“ dauert an

Vor etwas mehr als vier Wochen hat Ralph Boes wieder mit dem „Sanktionshungern“ begonnen. Wir haben in einem Beitrag darauf hingewiesen und Sascha Liebermann hat dazu Stellung bezogen, wie er zu der Haltung steht, mit der um den Preis des eigenen Lebens für ein politisches Ziel gekämpft wird. Die Aktion hat Befürwortung wie Kritik gefunden, eine differenzierte Kritik von Inge Hannemann. Die Originalquelle bei Facebook konnten wir leider nicht finden.

Nachtrag vom 14. August: Ralph Boes hat mittlerweile auf Inge Hannemann erwidert.

Ein Unternehmer und der Finanzminister Österreichs über ein Bedingungsloses Grundeinkommen

Im Standard ist ein Interview mit dem Chocolatier Josef Zotter und dem Finanzminister Hans Jörg Schelling abgedruckt. Während letzterer Hartz IV als Alternative zur Österreichischen Sozialpolitik herausstellt, spricht sich ersterer für ein Bedingungsloses Grundeinkommen aus. Hier geht es zum Interview.

Ein anderer Blick auf historische „Vorläufer“ eines Grundeinkommens

Das Netzwerk Grundeinkommen hat bisher zwei Beiträge von Ronald Blaschke veröffentlicht, in denen er sich häufig als Vorläufer eine Argumenation für ein Grundeinkommen eingstufte Autoren näher anschaut. Bislang hat er sich mit Thomas Morus und Juan Luis Vives befasst. In den Beiträgen finden sich auch Literaturhinweise.