…so muss ein Kommentar von Barbara Dribbusch in der taz zu den Sanktionen im Arbeitslosengeld II betrachtet werden. Andrea Nahles (Reaktionen auf Nahles Vorschlag, siehe hier) äußerte jüngst die erstaunliche Einsicht, die Sanktionen könnten bei jungen Erwachensen kontraproduktiv sein. Was schreibt Frau Dribbusch?
„Es ist der Albtraum für so manche Sozialpolitiker: Der junge Mensch aus einem sogenannten sozialen Brennpunkt, vielleicht Berlin-Neukölln, der auf die Frage nach seiner beruflichen Zukunft vor laufender Kamera antwortet: „Ich werde Hartz IV.“ Der Albtraum war vor einigen Jahren so bedrückend, dass man in Deutschland die Sanktionen für jüngere EmpfängerInnen von Hartz IV verschärfte.“
Dribbusch beschreibt zielsicher, wofür der Ausspruch „Ich werde Hartz IV“ steht. Reflektiert wird die Äußerung allerdings selten (siehe auch hier). Heute kann der Ausspruch als Protest gegen die Zumutungen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik verstanden werden, als Provokation der Erwachsenenwelt aus der Perspektive Jugendlicher, die gerade ihren Ort in der Welt zu finden versuchen. Wie gut diese Provokation funktioniert, lässt sich an der häufigen Bezugnahme darauf ablesen.
Treffend beschreibt Dribbusch den Zweck der Sanktionen:
„Die stärkere Sanktionierung [Jugendlicher, SL] ist ein Teil der Disziplinierungspakete der Jobcenter. Dazu gehört auch eine vielfältige Latte an Berufsbildungsmaßnahmen, in die man junge Menschen steckt, so dass nur ja niemand auf die Idee kommt, sich an den Hartz-IV-Bezug zu gewöhnen. Dieser Disziplinierungsgedanke für Jüngere hat allerdings mit der Praxis oft wenig zu tun.“
In der Tat – weshalb aber gilt das nur für Jugendliche? Ist die Realitätsferne der Sanktionen bei Erwachsenen weniger stark? Keineswegs, wie verschiedene Studien gezeigt haben (Siehe unsere Beiträge zu Sanktionen im Sozialgesetzbuch. Forschungsergebnisse über Auswirkungen von Sanktionen finden Sie hier. Weitere Beiträge zu Sanktionen hier.)
„In Berlin beispielsweise hatten die Sanktionen zur Folge, dass viele junge Leute abtauchten, sich beim Jobcenter nicht mehr meldeten, vielleicht sogar obdachlos wurden und als junge Bettler mit Psychoknacks und Suchtproblemen vor den U-Bahnhöfen landeten. Hauptsache, man hat Ruhe vor den Behörden.“
Eine alte Einsicht wird hier angeführt, die für „verdeckte Armut“ im Allgemeinen gilt (siehe hier und hier). Sanktionen sind nicht autonomiefördernd, sie werden als Drohung und normative Stigmatisierung erfahren. Das hängt mit dem Erwerbsgebot zusammen.
„Die Forderung ist daher richtig, wieder zurückzurudern: Die schärferen Sanktionen müssen gestrichen und nur noch einheitliche Sanktionen für alle Altersgruppen festgelegt werden, wie es heute die Bundesarbeitsagentur selbst fordert. Grundsätzlich alle Kürzungen für Hartz-IV-Empfänger abzuschaffen, die jede Mitwirkung ablehnen, wie es die Linke etwa vorschlägt, wäre äußerst fragwürdig.“
Die Logik dieser Schlussfolgerung erschließt sich nicht, denn bei Erwachsenen sind die Sanktionen genausowenig autonomiefördernd wie bei Jugendlichen. Es kann zu den Märchen gezählt werden, dass der Leistungsbezug dazu führe, sich in ihm auszuruhen oder es sich gemütlich zu machen (siehe hier). Naheliegend ist angesichts dieser Logik Dribbusch Schlussfolgerung:
„Hartz IV würde damit zu einer Art Grundeinkommen ohne jede Gegenleistung. Die Spaltung zwischen SteuerzahlerInnen, die Hartz IV finanzieren, und den Leistungsempfängern würde sich vertiefen. Das Verhetzungspotenzial ist groß. Es wäre einfach keine gute Idee.“
Das entspricht etwa dem „die einen zahlen für die anderen“, als ginge es vor allem darum.
Sascha Liebermann