Vorwände statt Einwände – Jürgen Trittin zum bedingungslosen Grundeinkommen

Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) hat auf Abgeordnetenwatch eine Frage zum bedingungslosen Grundeinkommen beanwortet. Darin schreibt er:

„…wir haben eine intensive Debatte über ein bedingungsloses Grundeinkommen geführt. Wir nehmen diese Vorschläge sehr ernst. Unseres Erachtens ist aber Skepsis angebracht, wenn damit geworben wird, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen eine globale Alternative zum bestehenden Sozialstaat sein könnte…“
Nun, das vertritt kein ernsthafter Befürworter, allenfalls wird dies unterstellt (siehe z.B. hier), die Skepsis ist also unangebracht, sie hängt in der Luft.

Weiter heißt es:
„…Die meisten sozialstaatlichen Institutionen werden nicht entbehrlich sein. Die Rentenversicherung kann nicht über Nacht abgeschafft werden, über viele Jahrzehnte wären die erworbenen Ansprüche zu bedienen…“
Auch eine Abschaffung über Nacht fordert niemand, selbst derjenige nicht, der die Frage an Herrn Trittin gestelllt hat. Erworbene Ansprüche können bedient werden, es ist aber eine Frage des politischen Willens, wie lange das geschehen muss. Außerdem könnte das bGE einen Teil der Ansprüche decken, andere würden aus dem allgemeinen Steueraufkommen gedeckt. Hierüber wird es eine Diskussion geben müssen. Also, auch kein tragfähiger Einwand.

Weiter:
„…Auf die Krankenversicherung, Pflegeversicherung oder auch die Eingliederungshilfe für Behinderte kann gar nicht verzichtet werden…“
Auch das fordert niemand ernsthaft, allerdings: die Krankenversicherung kann anders gestaltet werden, ebenso die Pflegeversicherung, vielleicht wäre sie gar nicht mehr nötig, dasselbe gälte für die Eingliederungshilfe. Sie könnte durch das bGE bis zur Höhe des bGEs ersetzt werden. Einwand dahin.

Weiter:
„…Da viele Bürgerinnen und Bürger arbeiten wollen, wird unseres Erachtens auch Arbeitsmarktpolitik nicht entbehrlich. Ganz davon zu schweigen, dass Bildungseinrichtungen verbessert und ausgebaut werden müssen…“
Arbeitsmarktpolitik könnte, wo sie nötig wäre, aber ganz anders aussehen. Wie unser Bildungswesen auszusehen hätte, damit es das Individuum stärkt, steht auf einem anderen Blatt, ist auch kein Einwand gegen das bGE, vielmehr gilt: gerade das bGE ermöglicht auf einfache Weise Bildungsanstrengungen, weil es das Individuum als solches stärkt. Auch hier wird es eine Diskussion geben müssen. Einwand zerstoben.

Weiter:
„…Ein bundeseinheitliches Grundeinkommen wäre zudem nicht überzeugend. Die sehr unterschiedlichen Wohnkosten müssten zum Beispiel berücksichtigt werden (über eine Regionalisierung oder über das Wohngeld). Auch können die Bedarfe der Antragsteller nicht über einen Kamm geschoren werden. Besondere Bedarfe wären rechtlich also zu decken. Damit müsste auch eine Behörde erhalten bleiben, die über solche Fragen befinden würde…“
Hat sich Jürgen Trittin mit der Diskussion beschäftigt? Kennt er die Argumente? Hier gewinnt man den Eindruck, er hat nicht Einwände, sondern Vorwände. Selbstverständlich sollen Bedarfe oberhalb des bGEs gedeckt werden. Ist das bGE hoch genug, würde sich ein Wohngeld womöglich erübrigen. Abgesehen davon, gibt es triftige Einwände gegen eine regionale Anpassung des bGEs. Eine solche würde die Ballungsraumbildung bestärken. Ohne Wohngeld hingegen wäre der Mietwohnungsmarkt gezwungen, sich den neuen Bedingungen anzupassen, zumindest dann, wenn es weiterhin öffentlichen Wohnungsbau gäbe.

Statt differenzierter Einwände, nur Vorwände, um ein bGE nicht zu unterstützen. Da weiß man zumindest, was man an den Grünen, die in der Mehrheit sind, hat.

Sascha Liebermann

Macht der Bürger – die Causa zu Guttenberg

Was geschehen kann, wenn die Möglichkeiten des Internets verantwortungsvoll und vernünftig genutzt werden, hat die Causa zu Guttenberg gezeigt. Seine Erklärung zum Rücktritt hat nochmals bestätigt, dass er weder aufrichtig Reue noch Einsicht zeigt. Ohne die Hilfe Freiwilliger bei der Sichtung der Doktorarbeit (Siehe Artikel von Hans Leyendecker, Süddeutsche Zeitung, und Florian Güßgen, Stern) wäre es nicht möglich gewesen, so schnell einen Eindruck darüber zu gewinnen, was an den Plagiatsvorwürfen dran ist. Das Internet ermöglichte eine Transparenz und Koordination, die zuvor undenkbar gewesen ist.

Wie Herr zu Guttenberg überhaupt soweit kommen konnte (siehe auch hier), weshalb er zumindest so beliebt war, dass er bei Straßenumfragen gut abschneidet (so wenig sie auch aussagen mögen), sagt viel über unser Verhältnis zur Politik. Nicht selten erachten wir sie zu unrecht als schmutziges Geschäft, als Tummelplatz für Opportunisten, die sich in die eigene Tasche wirtschaften usw. usf. Der Vorurteile über Politiker sind viele, sie sind zugleich Vorurteile über politisches Handeln als solches. Damit werfen sie ein Licht auf unser Verhältnis zu unserem Gemeinwesen: wir schelten gerne andere, dass sie nichts zum Gemeinwohl beitragen – und machen es uns in dieser Haltung bequem.

Für die Grundeinkommensdiskussion ist die „Plagiatsffäre“ durchaus ermutigend; es zeigt, wie mächtig Bürger sein können, die sich beharrlich und klar artikulieren – und zwar öffentlich, nicht zuhause am Küchentisch. Ohnmacht – ein verbreitetes Gefühl – weicht alsbald, wenn die Möglichkeiten genutzt werden, die heute schon bestehen, um die Idee eines Grundeinkommens zu verbreiten. Dass wir es nicht so schnell einführen werden, wie der Bundesverteidigungsminister zurückgetreten ist, steht außer Frage – die Zukunft ist offen.

Sascha Liebermann

„Bedingungslos glücklich? – Freiheit und Grundeinkommen“

Am 18. März, zur besten Sendezeit, um 20.15 Uhr, wird der Film „Bedingungslos glücklich? – Freiheit und Grundeinkommen“ auf 3SAT gezeigt. Aus der Ankündigung zur Themenwoche „Sein oder Haben“:

„Bedingungslos glücklich? – Freiheit und Grundeinkommen“, Film von Sabine Jainski und Ilona Kalmbach, Erstausstrahlung

„Was würden Sie arbeiten, wenn für Ihr Einkommen gesorgt wäre?“: Auch in einer Zeit, in der man die großen Utopien ad acta gelegt hat, treiben neue soziale Ideen die Menschen rund um den Globus an. Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle Bürger eines Staates oder sogar für alle Menschen weltweit findet immer mehr Anhänger. Damit wären sie frei, bezahlt nur die Arbeit zu verrichten, die sie wirklich tun möchten, und könnten zugleich wichtige Arbeiten, die kaum oder gar nicht entlohnt werden, zum Wohle des Gemeinwesens umsonst leisten. Das stärkt die individuelle Verantwortung ebenso wie die gesellschaftliche Solidarität, sagen die Befürworter, und könnte auch zur Lösung der kommenden Wirtschafts- und Energiekrisen beitragen. In Deutschland und der Schweiz ist die Bewegung in den letzten Jahren stark gewachsen – das Engagement geht quer durch alle Parteien und Schichten. Im November 2010 beschäftigte sich sogar der Deutsche Bundestag mit einer Petition zum Grundeinkommen. Verschiedene renommierte Institutionen haben bereits Modellrechnungen vorgelegt, die zeigen, dass Grundeinkommen auch finanzierbar ist. Erste Versuche im Ausland verliefen erfolgreich.
Der Film beleuchtet die aktuelle Diskussion mit prominenten Befürwortern und Gegnern und zeigt, wie aus einer utopischen Idee ein sehr reales, neues Lebensgefühl heranwächst.

„Bedingungslos glücklich? – Freiheit und Grundeinkommen“ ist der Auftakt der Themenwoche „Sein oder Haben“, die danach fragt, welche Wirtschaftsordnung wir in Zukunft brauchen. Als nächste Beiträge dieser Themenwoche zeigt 3sat um 21.30 Uhr „makro: Welt im Umbruch“. Um 22.25 Uhr folgt der französische Spielfilm „Auszeit“ von Laurent Cantet.“

Ansehen der Person oder der Sache – was wiegt mehr?

Unter der Überschrift „Die Lüge ist ministrabel geworden“ findet sich bei Spiegel online ein treffender Kommentar zu Vorgängen um die Plagiatsvorwürfe, denen sich Bundesverteidigungsminster zu Guttenberg seit mehr als einer Woche konfrontiert sieht. Da die Belegstellen in der Doktorarbeit öffentlich einsehbar sind, war er gezwungen, zumindest „gravierende Fehler“ einzuräumen, die er gemacht habe (siehe auch Zu Guttenbergs Stellungnahme 18.2.2011). Mittlerweile hat ihm die Universität Bayreuth den Doktorgrad aberkannt.

Wer sich mit den Vorwürfen beschäftigt, wird die Rede von „Fehlern“ schnell als eine Verharmlosung dessen erkennen, worum es geht. Texte anderer ohne Kennzeichnung und Quellenangabe zu übernehmen, sie leicht zu modifizieren – das unterläuft einem nicht einfach so. Schließlich hat der Verfasser der Arbeit die verarbeiteten Texte eigenständig zum Thema seiner Arbeit zusammengesucht, um sie zu verwenden. Das Einpassen verwendeter Textpassagen ist ein weiterer gezielter Arbeitsschritt und die Anpassung von Datumsangaben aus Zitaten so, dass sie in die Dissertation passen, bezeugt ein absichtliches Vorgehen (siehe auch „Guttenberg hat systematisch getäuscht“).

Wer akademische Grade auf diese Weise erwirbt, täuscht die Gemeinschaft der Wissenschaftler – und nicht zuletzt die Öffentlichkeit. Sicher mag es verwundern, wie eine solche Arbeit überhaupt das Verfahren bestehen konnte, auch das sollte geprüft werden. Das schmälert allerdings das Täuschungsvergehen in keiner Weise. Sowohl im Täuschen als auch in der Verteidigung oder Verharmlosung desselben (siehe z.B. bei „Anne Will„; kritisch dazu „Vgl. auch Guttenberg 2009“ – FAZ und das Interview mit Professor Löwer – Spiegel online) kommt eine Verachtung von Wissenschaft (siehe auch den Kommentar von Thomas Steinfeld), letztlich jeglicher Form geistigen Eigentums, zum Ausdruck. Wissenschaft, Forschung um der Erkenntnis selbst willen, ist eine kulturelle Errungenschaft, die so mit Füßen getreten wird. Wer die Achtung geistigen Eigentums und die Gepflogenheiten wissenschaftlichen Arbeitens geringschätzt, gefährdet das Fortbestehen von Wissenschaft. Genau das steht in der Causa zu Guttenberg auf dem Spiel und noch mehr: Leistung als solche verhöhnt. Wer überindividuell geltende Regularien aus persönlichen Motiven außer Kraft setzt, spricht jenen ihre Geltung ab. Das führt die Debatte im Deutschen Bundestag vom 23. Februar vor Augen, sie zeigt, wo unsere politische Kultur steht und welche Folgen eine Verharmlosung der Vorgänge haben können (Video der Bundestagssitzung, Protokoll der Plenarsitzung).

Was hat dieser Vorgang mit der Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen zu tun?

In den Vorgängen um Herrn zu Guttenberg geht es um Glaubwürdigkeit, Integrität, Redlichkeit, Anerkennung der Leistung anderer, Achtung von Institutionen, um Kollegialität und nicht zuletzt darum, die eigene Person nicht hochmütig über Regularien zu setzen, die sich das Gemeinwesen oder auch die Community of Scientists gegeben haben. Zurecht wird von manchen beschworen, was passieren könnte, wenn diese Überheblichkeit zur Nebensache erklärt würde und Bestand hätte: das Vertrauen in Institutionen könnte weiter erodieren, ein Misstrauen in sie ist ohnehin verbreitet.

Hierin liegt die Gemeinsamkeit mit der Diskussion ums Grundeinkommen. Vertrauen in Institutionen und Bürger sowie ihre Achtung ist Voraussetzung dafür, dass ein Gemeinwesen bestehen kann. Geben wir das auf, geben wir uns auf.

Sascha Liebermann

Grundeinkommensfrühling…

…dazu laden Ralph Boes und Günter Sölken ein. Hier geht es zur Einladung.

Beginnen soll der Grundeinkommensfrühling mit der Umwidmung des Tags der Arbeit zum Tag des Einkommens. In den Folgetagen könnten sich weitere Aktionen anschließen. In einem eigens dazu eingerichteten Blog kann darüber diskutiert und sich ausgetauscht werden: Hier geht es zum Blog