Was uns blockiert: Winfried Kretschmann, das bedingungslose Grundeinkommen und die Gesellschaft der Zukunft

Auf Abgeordnetenwatch (zu 1) antwortet Winfried Kretschmann, Abgeordneter der Grünen im Landtag von Baden Württemberg, darauf, was er von einem bedingungslosen Grundeinkommen hält:

„…Persönlich halte ich das bedingungslose Grundeinkommen für einen überaus interessanten Ansatz, den ich grundsätzlich befürworte. Allerdings ist das bedingungslose Grundeinkommen meines Erachtens höchst voraussetzungsvoll: Nur in einer hoch integrierten Gesellschaft können die erhofften Effekte des Grundeinkommens wie die Aktivierung und Freilegung von Potenzialen und Ressourcen von Menschen zugunsten der Gesamtgesellschaft wirklich eintreten. Da wir eine solche Gesellschaft noch nicht haben, ist das bedingungslose Grundeinkommen für mich noch ein Zukunftsprojekt.“

Wir sind also nicht bereit für ein bGE, weil wir eine „solche Gesellschaft“, eine hochintegrierte, noch nicht haben? Wie will er sie denn erreichen, etwa durch Aktivierungspolitik? Integration durch mehr Verpflichtung und Sanktion? Darüber schweigt er sich aus.

Solche Vorbehalte sind der Hemmschuh für Veränderung. Die einzige Voraussetzung, die wir benötigen, ist eine lebendige Demokratie, ein Gemeinwesen, das sich als Gemeinschaft von Bürgern, die das Fundament unserer Ordnung bilden, ernst nimmt. Daran mangelt es gegenwärtig in der Tat. Ein Grund gegen ein bGE ist das allerdings nicht, vielmehr ist es einer dafür: Gerade ein bGE würde deutlich machen, dass in einer Gemeinschaft der Bürger immer alle füreinander einstehen müssen, und zwar als Bürger, nicht etwa als Arbeitnehmer oder Erwerbstätige.

Kretschmanns Vorbehalt, das macht ihn skandalös, ist letztlich ein Vorbehalt gegen die Demokratie, es ist ein Vorbehalt gegen diejenigen, die die Legitimationsquelle unserer Demokratie sind, die Bürger.

Sascha Liebermann

Infostand auf Cebit und Hannover-Messe – Spender gesucht

Nachdem wir vor kurzem auf die Idee hingewiesen hatten, auf der Cebit (1. bis 5. März Hannover) einen Infostand zum Grundeinkommen zu errichten, haben sich nun Mitstreiter gefunden, die bereit wären, das bGE zu präsentieren. Nun fehlen nur noch die finanziellen Mittel (mindestens 2000 Euro Standmiete), es zu tun.

„… Fünf Personen der Initiative bge-dortmund bieten an, einschließlich Messestand, auf der Cebit vom 1. bis 5. März das bGE den Messebesuchern zu präsentieren. Allerdings können wir nur unsere Arbeitskraft und unsere Erfahrung von vier Jahren Infostandarbeit auf Märkten und Plätzen bieten. Wir sind nicht in der Lage die Standgebühren und die Kosten für Essen, Trinken und Übernachtung zu bezahlen. Wenn unser Angebot weiterhilft, dann bitten wir, auf uns zuzukommen. Natürlich sind wir mit einfachen und schlichten Lösungen zufrieden. Wir haben in den Tagen der Petition in Berlin auch mit sechs Personen in einem einfachen Gartenhaus in Brandenburg übernachtet. …“

Kontakt: www.bge-dortmund.de

Demonstrationen in Ägypten…was hat das mit uns zu tun?

In Grundeinkommensveranstaltungen wird nicht selten die Frage gestellt, wie man es denn nun erreichen könnte, dass der Vorschlag mehr Gehör findet. Wie schaffen wir es, ein Grundeinkommen einzuführen? Ohnmächtig klingt diese Frage, sie lässt einen erstaunen, denn wie anders als durch stetige und beharrliche öffentliche Auseinandersetzung und Verbreitung soll eine Einführung überhaupt möglich werden? Offenbar sind wir uns nicht genügend dessen bewusst, dass ohne beharrlichen und geduldigen Einsatz für die Sache der Tag einer Einführung niemals kommen wird. Dabei haben die Demonstrationen gegen Stuttgart 21 gezeigt und zeigen noch, was möglich ist, wenn die Bürger sich selbst als Bürger ernst nehmen. Beeindruckend sind in diesem Zusammenhang die Ereignisse in Nordafrika, zuerst in Tunesien, nun aber besonders in Ägypten. Auch wenn die Verhältnisse dort anders sind als bei uns, sie lehren uns, was die Macht des Volkes erreichen kann – aber nicht durch Untätigkeit und folgenloses Herummeckern, sondern nur durch tatkräftiges Handeln, Besonnenheit und Diskussionsbereitschaft.

Chronik der Ereignisse bei Aljazeera
Live-Stream von Aljazeera
Nachrichten-Ticker bei Spiegel Online

Das BGE im Wahlkampf – zahlreiche Wahlen dieses Jahr. Was kann getan werden?

Zahlreiche Wahlen finden dieses Jahr statt, die besondere Gelegenheit geben, das bedingungslose Grundeinkommen ins Gespräch zu bringen, hier eine Auswahl (vollständige Liste): in Hamburg (20. Februar), in Sachsen-Anhalt (20. März), in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz (27. März), in Bremen (22. Mai), in Mecklenburg-Vorpommern (4. September), in Berlin (18. September), in Schleswig-Holstein (30. September). Wahlen sind eine besonders gute Gelegenheit, unsere Repräsentanten und ihre Parteien mit dem Vorschlag eines bGE zu konfrontieren. Was kann getan werden?

  • Gehen Sie zu Wahlveranstaltungen und konfrontieren Sie Politiker mit der Idee. Fragen Sie danach, wie Parteien und Politiker dazu stehen, dass wir uns Bürgern mehr Freiräume schaffen sollten.
  • Organisieren Sie Info-Stände.
  • Legen Sie dar, welche Sicherheiten und binnenwirtschaftlichen Effekte gerade ein BGE hätte (Info 1, Info 2).
  • Dass es eine transparente Unterstützung für alle Bürger ganz im Sinne unserer freiheitlich demokratischen Ordnung darstellt.

Erhoffen Sie nicht, dass Sie hiermit große positive Resonanz erhalten. Wichtig aber ist, dass andere sehen können, wie Parteien und Politiker antworten. Auch das fördert die Diskussion. Viele kennen das BGE noch gar nicht, haben davon nichts gehört.

„Es gibt kein Beschäftigungswunder…“

…das melden nun auch die VDI-Nachrichten, nachdem bislang meist das Gegenteil behauptet wurde:

„…Das Beschäftigungswunder ist in Wahrheit keines, sagt der Ökonom Kooths. Entscheidend sei nicht die Zahl der Arbeitsplätze, sondern das Arbeitsvolumen, also die Zahl der pro Jahr geleisteten Arbeitsstunden. Und die liegt in Deutschland aktuell auf dem Niveau des Jahres 2000 und der Mitte der 90er-Jahre. Seinerzeit waren es rund 57,6 Mrd. Stunden. Kooths: „Damals hat niemand das deutsche Jobwunder ausgerufen.“ Die Ursache für die steigende Erwerbstätigkeit seien mehr Teilzeitarbeit und Mini-Jobs. Die Bruttolöhne je Arbeitnehmer sollen, so der Jahreswirtschaftsbericht, in diesem Jahr um 2,1 % steigen, die Inflation soll bei 1,8 % liegen. Real würden dann die Löhne um 0,3 Prozentpunkte zulegen. Dennoch geht Brüderle davon aus, dass der Konsum um 1,6 % wachsen wird..“

Wir hatten darauf auch schon hingewiesen anlässlich einer Feier der Beschäftigungszunahme durch Rainer Hank in der FAZ.

„Basic Income, low aspiration“

„Basic income, low aspiration. The idea that the state should give everyone a basic income has seized the imagination of Germany’s middle class and politicians. Their enthusiasm is testament only to the poverty of their ambition.“ Der Beitrag von Johannes Richardt bei spiked online bespricht im wesentlichen das neue Buch von Götz W. Werner und Adrienne Göhler. Dabei geht er auch auf die Grundeinkommensdiskussion im allgemeinen ein.

„Jedes Leid hat einen Namen“

Auf diese Formel bringt Götz W. Werner den Missstand, dass wir individuelle Lebenssituationen allzu leicht hinter Konzepten und statistischen Größen verschwinden lassen (siehe seine Kolumne im dm-Kundenmagazin), das damit verbundene Leid folglich nicht mehr sehen. In Erinnerung ruft er hierbei eine Diskussion mit der Soziologin und gegenwärtigen Präsdentin des Wissenschaftszentrums Berlin, Jutta Allmendinger, aus dem Jahr 2008 in dem Magazin Chrismon (der Artikel ist online nicht mehr verfügbar, siehe aber unseren Beitrag von damals dazu). Sie hält darin der Perspektive auf das Individuum, die Werner stark macht, das Konzept der Vollbeschäftigung entgegen, wenn sie sagt, 3% Arbeitslose bedeuten beinahe Vollbeschäftigung. Nun, was hilft das dem Einzelnen? Ganz anders wäre es mit einem bedingungslosen Grundeinkommen.

Würde haben oder erhalten?

In einem Interview mit der taz äußert sich die Spitzenkandidatin der Linkspartei in Bremen, Kristina Vogt, zum bedingungslosen Grundeinkommen. Diese Ausführungen sind nicht weiter erwähnenswert, fallen sie doch weit hinter den Stand der Diskussion zurück (siehe z.B. unseren Beitrag zum Mindestlohn). Tief blicken lässt hingegen eine beinahe nebensächliche Bemerkung, an der aufscheint, weshalb es der Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens so schwer hat. Lesen Sie selbst:

„Ich finde, dass man den Menschen ihre Würde geben muss, Hartz IV ist entwürdigend, das geht gar nicht“.

Das klingt auf den ersten Blick vielleicht fürsorglich, gemeinwohlorientiert, mit Sinn für die Schwachen und Armen. Schauen wir genauer hin, zeigt sich hingegen etwas anderes. Die Äußerung weist auf eine grundsätzliche Frage politischer Ordnung, auf die Frage danach, wie das Verhältnis von Individuum und Gemeinwesen gedeutet wird. Weshalb?

Entweder hat der Mensch per se eine Würde. Dann kann ein Gemeinwesen nur eines tun: eine Ordnung gestalten, die diese vorstaatlich begründete Würde achtet und zur Geltung kommen lässt. Die Würde erhält der Mensch nicht durch das Gemeinwesen, sie geht ihm voran. Wird sie verletzt, muss das Gemeinwesen gegen die Verletzung vorgehen. Dass die Frage, was die Würde auszeichnet, nicht ein für allemal beantwortet werden kann, ist klar. Mit dem Wandel des Verständnisses davon, was die Würde auszeichnet, ist auch eine Umgestaltung der politischen Ordnung notwendig. In einer Demokratie kann darüber nur die öffentliche Auseinandersetzung im Meinungsstreit nach geltenden Verfahren befinden.

Oder die Würde erhält der Mensch vom Gemeinwesen, so stellt sich das Frau Vogt offenbar vor. Dann ist er ohne das Gemeinwesen würdelos, er ist ein Nichts. Es ist nicht übertrieben, diese Vorstellung als totalitär zu bezeichnen, denn das Individuum hier nichts Eigenständiges.

An dieser Unterscheidung bilden sich zwei radikal entgegengesetzte Vorstellungen von politischer Ordnung. In ersterer muss das Verhältnis von Individuum und Gemeinwesen stets so austariert werden, dass es beiden gerecht wird. In zweiterer ist das Individuum vollkomman abhängig vom Gemeinwesen, es ist nichts Eigenständiges, hat keine Geltung über das Gemeinwesen hinaus.

Wer sich ein wenig mit der Grundeinkommensdiskussion befasst hat, wird schnell bemerkt haben, dass diese bevormundende, den Einzelnen entmündigende Haltung weiter verbreitet ist, als uns lieb sein kann. Sie findet sich in allen politischen Lagern gleichermaßen, es ist ein strukturelles Phänomen, auch wenn die Inhalte, mit denen es auftritt sehr verschieden sind. Die einen artikulieren diese Entmündigung offen, die anderen im Mantel der Fürsorglichkeit, dem Misstrauen in das bürgerliche Subjekt usw. – siehe z.B. Christoph Butterwegge und Klaus Dörre,
Gerhard Bosch, Nachdenkseiten und Frigga Haug.

Diese Tendenz, das Gegenüber zu entmündigen, ist das größte Hemmnis auf dem Weg zum Grundeinkommen. Um so mehr kann einen das erstaunen, als diese Denkhaltung unserer politischen Ordnung weit hinterherhinkt. Sie ist viel freiheitlicher und setzt selbstverständlich auf mündige Bürger – das scheinen wir aber nicht wahrhaben zu wollen.

Sascha Liebermann