„Nürnberger Kongresse – Mensch sein im Staat“ und Podiumsdiskussion in Treuchtlingen

Vom 16. bis 23. November findet der erste der „Nürnberger Kongresse“ mit dem Titel „Mensch sein im Staat“ statt u.a. mit Sascha Liebermann (20.). Nähere Informationen finden Sie hier.

Die in Kooperation mit diesem Programm veranstaltete Podiumsdiskussion „Freiheit statt Vollbeschäftigung – Vollbeschäftigung durch Freiheit?“ findet am 21. November in Treuchtlingen statt. Nähere Informationen dazu Sie hier.

Grundeinkommensbewegung zerstritten…

…das ist in den letzten Tagen häufiger zu vernehmen. Nicht nur berichtete die taz zweimal in diesem Sinne (Ulrike Hermann, Svenja Bergt), auch unter Grundeinkommensbefürwortern (z.B. hier) scheint diese Einschätzung vorzuherrschen. Wie kommt es zu diesem Eindruck?

Entstanden ist er wohl jüngst vor dem Hintergrund manch offen geäußerter Kritik, z. B. an „Global Change“ bzw. „Unternimm das jetzt“ (siehe auch die Stellungnahme von Ralph Boes) oder am Netzwerk Grundeinkommen. Aber auch zuvor schon wurde immer wieder einmal behauptet, die Unterschiedlichkeit der Vorschläge führte zu einer Zersplitterung der Befürworter. Kritiker haben ebenso regelmäßig den Vorschlag in der Vergangenheit abgetan, weil es doch gar keine Einigkeit bei den Befürwortern gäbe. Darauf reagierten manche Befürworter mit der Forderung, man müsste zusammenstehen. Doch, nur weil es Vorschläge unterschiedlicher Reichweite gibt, die das Grundeinkommen unterschiedlich hoch ansetzen oder gar unterschiedliche Zusatzforderungen aufstellen (z. B. Mindestlöhne und allgemeine Arbeitszeitreduzierung), kann von einer Spaltung der Bewegung oder wie es auch genannt werden mag, keine Rede sein. Das würde voraussetzen, es habe in diesen Fragen je Einigkeit gegeben – das war nie der Fall und ist auch nicht notwendig.

Tatsächlich spiegeln diese Unterschiede nur wider, was für eine Demokratie unerlässlich ist: Interessenvielfalt und offenen Streit im Sinne einer konstruktiven Auseinandersetzung. Mehr nicht, es ist das Selbstverständlichste überhaupt und weder zu beklagen, noch zu überdecken.

Es mag überhaupt unglücklich sein, von einer Grundeinkommensbewegung zu sprechen, weil es zu sehr nach einem eingeschworenen Verein klingt, in dem sich selbst gegenseitig auf die Schulter geklopft wird und nach außen der Eindruck erhalten werden soll, es handele sich um ein Bündnis, das geschlossen zusammensteht. Das mögen manche so sehen und auch gut finden. Doch der gegenwärtige Stand der Grundeinkommensdiskussion samt der Anhörung von Susanne Wiest im Petitionsausschuss resultiert nicht aus einem solchen Zusammenhalten und Unterdrücken von Differenzen, sondern aus der vielfältigen, eben öffentlichen Diskussion um diese Differenzen mit guten Argumenten (man erinnere sich nur der Debatte um die Petition im Netzwerk Grundeinkommen). Erst sie machen sichtbar, was es mit unterschiedlichen Vorschlägen auf sich hat. Diese Vielfalt der Argumente entspricht der Vielfalt der Befüworter.

Unterschiedliche Perspektiven auf und unterschiedliche Vorstellungen von derselben Sache erfordern argumentativen Streit, um sich ein Bild machen, um sich ein Urteil bilden zu können. Wollte man uns Bürgern die Zumutung abnehmen, sich mit diesen Unterschieden auseinanderzusetzen, würde man uns die Aufgabe abnehmen, uns ein Urteil zu bilden. Das wäre der erste Schritt in die Unmündigkeit und gerade kein Erstarken, sondern das Erschwachen der Demokratie.

Sascha Liebermann

Missbrauchsbefürchtungen, Konsumismus und die Verführbarkeit der Bürger

Unter diesem Titel „Grundeinkommen für alle – Das Ende des Sozialstaats“ hat der Hessische Rundfunk am 9. November ein Radio-Feature gesendet, das hörenswert ist (Podcast herunterladen, direkt anhören). Die Sendung informiert ausgewogen über die Diskussion, führt Argumente pro und contra auf.

Besonders aufschlussreich sind zwei Stellungnahmen, die eine von dem Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge (ausführlicher in anderem Zusammenahng auch hier), die andere von dem Soziologen Klaus Dörre (zu einem früheren Kommentar von uns).

Buttwegge (ab Minute 33) befürchtet, das Grundeinkommen könne dazu benutzt werden, weitere Sozialstaatsleistungen abzubauen, ohne eine entsprechende Absicherung zu schaffen. Ein solcher Missbrauch wäre seiner Auffassung nach der Fall mit dem Solidarischen Bürgergeld. Nun weiß auch Butterwegge, dass das Althaus-Modell nicht so weit geht wie andere, also nicht so große Freiräume schaffen will. Den anderen, hier vor allem dem Vorschlag, alle Steuern abzuschaffen und nur eine Konsumsteuer beizubehalten, wirft er hingegen vor, dass er die Armen übermäßig belaste, die Wohlhabenden und Unternehmen jedoch entlaste. Außerdem würde eine hohe Konsumsteuer dazu führen, dass die Preise stiegen, folglich das Grundeinkommen nicht mehr das wert wäre, was seine Befürworter erhoffen – das trügen diejenigen, die ausschließlich auf Grundeinkommen angewiesen wären. Für diesen Einwand sei Christoph Butterwegge darauf verwiesen, sich die Argumente einmal genauer anzusehen, die für den Konsumsteuervorschlag vorgebracht werden (z. B. hier und hier).

Interessant an dem Einwand zum Missbrauch des Grundeinkommens und der Befürchtung weiteren Sozialabbaus ist das bevormundende Misstrauen Butterwegges in die Bürger. Wie die sogenannten Hartz-Gesetze lehren, sind die Daumenschrauben längst angezogen, die Sanktionsmöglichkeiten verschärft worden. Wenn das gewollt ist, und dafür gab es im Fall von Hartz IV Mehrheiten, dann ist es immer möglich. Ist es gewollt, dann ist es auch demokratisch legitimiert. Wer glaubt, Hartz IV habe diesen Rückhalt nicht gehabt, der muss nur einmal eine Grundeinkommensveranstaltung aufsuchen, dann wird ihm das Gegenteil vor Augen geführt. Wenn also all das, was Butterwegge befürchtet und verhindern will, längst mit der Rot-Grünen Bundesregierung eingeführt wurde, geht sein Einwand gegen das Grundeinkommen an der Sache vorbei. Was will er uns dann sagen? Als Bürger will er das bGE nicht, das ist sein gutes Recht. Der Verdacht des Missbrauchs allerdings führt noch auf eine andere Fährte. Er traut den Bürgern zum einen nicht zu, sich für ein freiheitsförderndes Grundeinkommen einzusetzen, daher die Befürchtung, es könne damit schlecht ausgehen. Zum anderen meint er, sie vor sich selbst schützen zu müssen. Er durchschaut, wozu die Bürger verführt werden sollen, zum Abbau des Sozialstaats (ganz ähnlich Matthias Möhring-Hesse). Daran erkennen wir, wie es um den Souverän und seine Mündigkeit in seine Augen bestellt ist: „…das würde wahrscheinlich hinterher bei den meisten zu einem sehr bösen Erwachen führen“.

Klaus Dörre (ab Minute 47’25) setzt einen anderem Akzent. Immerhin sieht er die Chance, mit einem bGE die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer zu stärken, also einen Arbeitsmarkt zu schaffen. Doch schon die Gefahr einer Lohn-„Drift“ nach unten, die er ausmacht, stellt nicht wirklich ein Problem dar, weil niemand für einen in seinen Augen zu niedrigen Lohn arbeiten müsste, gleichwohl könnte er (denn bGE + niedrigerer Lohn = gleiches Einkommen wie heute). Die Verhandlungsmacht ginge nie verloren, es träte nicht der Fall ein, wie Dörre suggeriert, dass die Arbeitgebger über die Löhnhöhe alleine entscheiden würden (zu Mindestlöhnen siehe unseren Kommentar aus anderem Anlass).

Als es um die Höhe des bGEs geht, erachtet Klaus Dörre 1500-1600 € für notwendig. Seine Begründung allerdings ist sonderbar: Er geht von einer Tendenz aus, „…die wir ja auch immer haben…“, dem Konsumismus zu frönen, Güter anzustreben, um „nach außen etwas darzustellen“, um „mitreden zu können“. Nun, selbst wenn es so wäre, ist es doch nicht Aufgabe des Gemeinwesens, diese „Tendenz“ zu finanzieren, die Statusorientierung zur Grundlage öffentlicher Leistungen zu machen. Wer meint, er müsse „positionale Güter“, also Statussymbole erwerben, der hätte die Freiheit dazu. Was er dafür an Einkommen benötigte, das über das bGE hinausgeht, müsste er sich selbst beschaffen.

Dörre meint, damit ein bGE überhaupt funktionieren könnte, „…bedürfte [es] eines anderen Lebensstils“, um sich darauf einzulassen. – Ja und Nein. Sollte es dazu kommen, dass wir ein bGE einführen, wäre die Entscheidung für die Einführung schon Ausdruck eines geänderten „Lebensstils“. Die größte Hürde, die wir zu nehmen haben, ist, das Misstrauen in das Gegenüber zu überwinden, das allerorten herrscht, und uns als Bürgergemeinschaft zu begreifen. Erst wenn das erreicht ist, wird eine Einführung des bGE möglich sein. Die Einführung ist also schon die Veränderung. Was darüber hinaus sich ändern müsste, wäre der Erfahrung des Einzelnen überlassen, das müsste er selbst herausfinden. Er könnte aber auch weiter dem „Konsumismus“ frönen, den würde aber nicht die Gemeinschaft tragen, denn das stellt keine öffentliche Aufgabe dar. Überhaupt kann der „Lebensstil“ sich nur dadurch ändern, dass dem Einzelnen Möglichkeiten dazu an die Hand gegeben werden, ohne ihm eine Veränderungspflicht aufzuerlegen. Das ist eine Banalität, die schon heute gilt, es sei denn, man erwägt Umerziehungsprogramme zur Befreiung der Bürger. Dazu neigen wir in der Tat, auch das ist eine Erfahrung aus Grundeinkommensveranstaltungen. Demokratie heißt jedoch, Vielfalt nicht nur zuzulassen, sondern sie zu fördern, denn Demokratie lebt gerade davon, keine Lebensinhalte und -ziele zu definieren, auch keine Änderung des Lebensstils.

Wird den Bürgern nicht zugetraut, mit der durch ein bGE ermöglichten Freiheit umzugehen, heißt das letztlich, den Bürgern ihre Mündigkeit abzusprechen. Es heißt aber auch, sie in ihrer schon heute gelebten Autonomie zu unterschätzen, denn eine Demokratie wären wir schon lange nicht mehr, wenn es an der Bereitschaft fehlte, sich einzubringen und die politische Ordnung loyal zu tragen. Die Vorbehalte sind also das Problem, nicht die Lebenswirklichkeiten.

Sascha Liebermann

Grundeinkommen im Petitionsausschuss – ein Fest

Jubel für Susanne Wiest von Annette Köhn auf Vimeo.

Gestern fand die Beratung über die Petition von Susanne Wiest im Petitionsausschuss des Bundestages statt. Es war ein Fest für uns Bürger, denn Frau Wiest hat in aller Klarheit ausgesprochen, worum es geht: unsere Souveränität. Die Ausschussmitglieder brachten die für Grundeinkommensbefürworter bekannten Fragen und Zweifel vor, so dass Gelegenheit war, entsprechend zu antworten.

Frau Wiest hat es vermocht, viele Seiten des bedingungslosen Grundeinkommens und der Möglichkeiten, die es schaffen würde, herauszustellen (siehe Redemanuskript). Abgesehen davon, dass alleine der Umstand einer Anhörung womöglich schon Wasser auf die Mühlen der Grundeinkommensdiskussion ist, wurde noch etwas anderes deutlich: Wie wenig das Petitonswesen, so hilfreich es in diesem Fall war, der Stellung des Souveräns in einem demokratischen Gemeinwesen entspricht. Direkte Demokratie, Volksentscheid – das sind dem bGE adäquate Verfahren.

Hier geht’s zur Videoaufzeichnung der Anhörung
Die üblichen Experten-Einwände, zitiert in der FAZ
Weitere Pressemeldungen im Archiv Grundeinkommen
Dazu auch ein Bericht des Schweizer Fernsehens (ab Minute 4’08)

Grundeinkommen in der Presse

Auf einige Artikel, die anlässlich von Anhörung, Fest und Demonstration erschienen sind, sei hier hingewiesen.

Die Lieblingsvision der SPD (Kölner Stadtanzeiger)
Zersplitterter Protest ohne Kraft (taz)
2000 wollen König sein (taz)
Ende einer Petition (taz)
Eine Idee erhitzt die Gemüter (FAZ)

Parlamentsfernsehen – Übertragung der Anhörung (auch Video on demand) – von 13-16 Uhr
Pressemitteilung Deutscher Bundestag

Anhörung von Susanne Wiest/ Kritik am Netzwerk Grundeinkommen

Um die Anhörung von Susanne Wiest zu unterstützen, haben wir ein Schreiben an die Ausschussmitglieder verfasst. Hier geht’s zum Schreiben.

Diese Möglichkeit nutzen auch andere wie das Netzwerk Grundeinkommen (siehe Beschlussvorschlag 2 (BV)). Hier geht es zum Text.

Bei diesem Anlass wird zum wiederholten Mal deutlich, dass das Netzwerk parteilich agiert und seine Ansprüche überzieht. Seine Aufgabe, dem eigenen Selbstverständnis nach (siehe Statuten und das genannte Schreiben), wäre es, die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen zu fördern, indem es verschiedene Grundeinkommensvorschläge gelten lässt, wie sie sind. Diesmal trifft die Parteilichkeit die Petition von Frau Wiest. Auf Seite 2 der Stellungnahme heißt es:

„Das von Susanne Wiest vorgeschlagene Grundeinkommensmodell lehnt sich an die Eckpunkte für ein Grundeinkommen nach Götz W. Werner und Benediktus Hardorp an, weicht aber in der Höhe von den derzeit von beiden diskutierten Höhen für ein Grundeinkommen nach oben ab. Dieses Grundeinkommensmodell ist geprägt von mehreren Eckpunkten: Abschaffung aller Sozialleistungen und Steuern zugunsten des Grundeinkommens und einer alleinigen Mehrwehrsteuer. Neuverhandlungen der Erwerbseinkommen sind möglich. Diese Eckpunkte sind Alleinstellungsmerkmale des Grundeinkommensansatzes nach Götz Werner und Benediktus Hardorp.“

Es ist Frau Wiest, die in der Begründung ihrer Petition davon spricht: „Alle bestehenden Transferleistungen, Subventionen und Steuern einstellen und als einzige(!) Steuer eine hohe Konsumsteuer einführen“. Ob sie daran in der Anhörung festhält, bleibt abzuwarten. In jüngeren Äußerungen betrachtet sie das bGE nur als Boden, auf dem man bedingungslos steht, während bedingte Leistungen weiterhin möglich sind. Götz W. Werner hingegen spricht sich schon länger für eine Beibehaltung bedarfsgeprüfter Leistungen oberhalb des Grundeinkommens aus, wie jüngst in Hamburg anlässlich der Gespräche über morgen sowie im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 15. August der Fall:

FAS: Alle anderen Sozialleistungen, Kindergeld, Rente et cetera würden im Gegenzug gestrichen?
GWW: Nein, die 1000 Euro sind die Basis. Hat jemand höhere Ansprüche, etwa durch die Rente, kriegt er die Differenz obendrauf. Die 1000 Euro gibt’s in jedem Fall.“

Was bezweckt das Netzwerk mit seinem Vorgehen? Weshalb verbreitet es Behauptungen, die den Äußerungen der betreffenden Grundeinkommensbefürworter nicht entsprechen? Sollen unliebsame Positionen verunglimpft werden?

Das Netzwerk Grundeinkommen gebärdet sich wie der Vorstand der Bewegung, der entscheidet, wer anerkannt wird und wer nicht. Statt glasklare Kritik zu üben, wo Vorschläge kritisierenswert sind – unter Einbeziehung korrigierender Äußerungen der entsprechenden Person – wird abgeurteilt.

Das Netzwerk ist nicht der Vertreter deutscher Grundeinkommensintiativen, sondern nur der Verbund einiger unter anderen. Mehr Bescheidenheit und Zurückhaltung würde der Stellung des Netzwerks eher entsprechen (siehe unsere frühere Kritik).

Wer nun meint, die hohe Mitgliederzahl rechtfertige es, dem Netzwerk eine herausragende Bedeutung zuzusprechen, sei daran erinnert, dass Netzwerkmitglieder die einfachste Verpflichtung nicht haben: Beiträge zu zahlen (siehe Statuten). Die Mitgliederzahlen sagen also nicht viel mehr aus als die Anzahl von Abonnenten eines Newsletters.