Das Sammeln von Unterschriften für die EBI Grundeinkommen ist nun abgeschlossen. Mit rund 285 Tsd. Unterschriften in den EU Mitgliedstaaten wurde das Ziel von einer Million nicht erreicht. Eine Einschätzung des Netzwerk Grundeinkommen, weshalb nur etwa ein Drittel der notwendigen Stimmen – in Deutschland mit etwa 40 Tsd. weniger als bei den Petitionen von Susanne Wiest (etwa 53 Tsd.) und Inge Hannemann (etwa 90 Tsd.) – erreicht wurde, nennt mögliche Gründe für das Scheitern. Es ist immer schwer zu sagen, woran ein solcher Verlauf gelegen hat. Drei Gründe, die sicher von Bedeutung sind, werden dabei allerdings ausgespart.
Da ist zum einen die Konzentration der Kampagne darauf, Stimmen vor allem online zu sammeln, zumindest liegt der geringe Anteil auf Papier von etwa 2700 Unterschriften das nahe. Gemessen an der Zahl, die online zustande kam, hätten es durch ausgiebige und wiederholte Straßenaktivitäten womöglich viel mehr sein können. Für ein solches Vorhaben ist eine persönliche Begegnung mit den Bürgern im öffentlichen Raum wichtig. Es geht ja immerhin um eine res publica, eine Sache von öffentlichem Interesse. Etwas ändern zu wollen ist immer eine Frage danach, ob es die, die es als Initiative anstreben, ernst meinen, ob sie glaubwürdig sind. Das lässt sich besser einschätzen, wenn einem die Personen vor Augen treten. Das Sammeln im öffentlichen Raum eröffnet zugleich immer Gespräche und schafft eine konkrete Erfahrung – für beide Seiten. Wie so etwas vor sich gehen kann, hat die Volksinitiative in der Schweiz gezeigt, die nach anfänglichen Schwierigkeiten, die notwendigen Unterschriften nicht nur erreicht, sondern sogar weit übertroffen hat. Wer Unterschriften möchte, muss auf andere zugehen, und zwar konkret (siehe „Begegnung der Bürger – ein Erfahrungsbericht vom Unterschriftensammeln in der Schweiz“). Online zu sammeln ist ungleich abstrakter und unverbindlicher, das zumindest legen auch die Erfahrungen mit der Petition von Susanne Wiest nahe. Denn aus den mehr als 52 Tsd. Unterschriften sind nicht tausende aktiver BGE-Befürworter geworden. Die letzte Demonstration im September 2013 – nach Angaben des Netzwerk Grundeinkommen mit etwa 2500 Teilnehmern – war in dieser Hinsicht niederschmetternd oder positiv ausgedrückt: desillusionierend.
Vollständig verwundern muss, dass in den Ausführungen des Netzwerks kein Wort zum unverbindlichen Charakter der EBI gesagt wird. Auch die Piratenpartei scheint dies nicht zu sehen, wie aus ihrer Stellungnahme hervorgeht. Wenn Bürger kein verbindliches, rechtsgültiges Votum abgeben, sondern nur eine Bittschrift, ein Gesuch einreichen können, mehr ist eine Petition nicht, dann ziehen sie die richtigen Schlüsse daraus, wenn sie sich nicht beteiligen. Der unverbindliche Charakter wirkt in doppelter Hinsicht. Er hält diejenigen zurecht davon ab, sich zu beteiligen, die die Unverbindlichkeit erkannt haben und er frustriert diejenigen, die sich in der Hoffnung beteiligt haben, doch etwas zu erreichen, dann aber erfahren, das aus der Petition nichts Verbindliches folgt (siehe unseren früheren Kommentar und die Einschätzung von Gerald Häfner).
Das gilt auch für die sogenannten Bürgerbeteiligungen, die sich seit einigen Jahren großer Beliebtheit erfreuen.
[Update: 23.1.: Meine Bezugnahme auf die Piratenpartei war nicht ganz zutreffend. Den Schlusspassus ihrer Pressemitteilung hatte ich übersehen, der so lautet: „Um zu einem effektiven Mitbestimmungswerkzeug zu werden, muss die Europäische Bürgerinitiative ausgebaut werden. Bei komplexen Themen wird es schwierig, in nur einem Jahr eine Million Unterschriften zu sammeln. Das ist praktisch nur von großen Organisationen mit viel Geld zu meistern. Außerdem müssen erfolgreiche Initiativen auch tatsächlich einen Gesetzgebungsprozess in Gang setzen, anstatt der Kommission lediglich zur Beratung vorgelegt zu werden. Nur durch diese Reformen kann der Name “Europäische Bürgerinitiative” halten, was er verspricht«, fügt Reda an.“ Diese Forderung müsste allerdings beinhalten, dem Europäischen Parlament volle Kontroll- und Initiativrechte zu geben und dadurch die Stellung der Europäischen Kommission zu relativieren, sonst hätte eine Bürgerinitiative größere Bedeutung als das Parlament.]
Drittens, und das ist symptomatisch, wird die Bedeutung konkreter politischer Vergemeinschaftung mit vollen Rechten unterschätzt. Es sind notwendigerweise die Staatsbürger bzw. die Unionsbürger (eine Art Bürger ohne volle Kontrollrechte), die über Wohl und Wehe eines Gemeinwesens bestimmen und nicht diejenigen, die sich in einem Land aufhalten („Bevölkerung“), aber einem anderen Land gegenüber als Bürger verbunden sind. Demokratie kann es nicht ohne Staatsbürger geben. Das Netzwerk stellt diesen Zusammenhang nicht her, sondern hebt durch die Rede von der „Bevölkerung“ sogar den Unterschied zwischen Wohnbevölkerung und Staatsbürgern auf, als seien beide dasselbe (siehe auch die Stellungnahme von Werner Rätz, attac AG Genug für alle). Das ist zwar in gewisser Hinsicht gute deutsche Tradition, wie im Reichstagsgebäude an der Installation von Hans Haacke zu sehen ist, aber nur die Fortsetzung des Obrigkeitsstaates.
Zu überlegen wäre auch, ob nicht ein gewisser Aktionismus dafür verantwortlich ist, dass die Diskussion in Deutschland etwas nachgelassen hat. Die Neigung dazu, Großveranstaltungen auf die Beine zu stellen, kann auch ermüden. Nun wurde flugs das nächste Netzwerk gegründet „Unconditional Basic Income Europe“. Wer sitzt da wohl drin? Dass bestimmte Zirkel in den verschiedensten Zusammenhängen auftauchen und Bündnisse in eine Richtung eingegangen werden, die die Diskussion gerade nicht offenhalten (siehe oben die Stellungnahme von Werner Rätz) mag auch dazu beitragen. Statt dieser Vergruppung und Engführung benötigt die Diskussion um ein BGE vor allem Beharrlichkeit und Geduld, Offenheit gegenüber Kritik und ernsthafte Auseinandersetzung mit Einwänden. Die gelebte Vielfalt in der Grundeinkommensdiskussion war sehr wahrscheinlich der Grund für die große Resonanz schon in den ersten Jahren.
Beschwörungen werden vorgenommen: „Dennoch war die EBI Grundeinkommen ein politischer Erfolg. Sie brachte die größte Kampagne zur Idee des Grundeinkommens, die die Welt bisher gesehen hat. Mehr Menschen als je zuvor in Europa haben nun von dieser Idee erfahren und werden sie verbreiten.“
Wer sagt denn, dass die Menschen die Idee verbreiten werden? Wer kann das wissen? Typischer Polit-Sprech dringt durch, der Niederlagen zu Erfolgen verklärt. Dass gerade Länder, aus denen man bislang wenig bis gar nichts zum BGE gehört hatte, mit dem Sammeln der Unterschriften relativ besser abschnitten als Deutschland, ist überraschend. Doch, wie ist das zu verstehen, was steckt dahinter? Wird in diesen Ländern nun eine Diskussion angestoßen?
Weiter heißt es: „In Mitgliedsländern der EU, aus denen bisher nichts Nennenswertes zum Grundeinkommen zu hören war – zum Beispiel Bulgarien, Slowenien, Kroatien, Estland und Ungarn – , wurde das Grundeinkommen durch die EBI zum Thema und es entstanden erste Initiativgruppen. In Ländern wie Frankreich, in denen noch keine umfassenden Grundeinkommensnetzwerke existierten, wurden sie gegründet. Der Aufbau nationaler Initiativen und Netzwerke ist also gelungen. Die Anstrengungen für die EBI dürften maßgeblich dazu beigetragen haben.“
Ist das gewiss oder ein Wunsch? Oder nur das Klopfen auf die eigenen Schultern?
Für die deutsche Diskussion wäre es hilfreich, die Erwartungen nicht zu hoch zu hängen und keine Illusionen zu schaffen. Das steht dem Engagement für ein BGE in keiner Weise entgegen, es entspräche vielmehr dem Realitätsprinzip.
Sascha Liebermann