„Hartz-IV-Aufstocker: Staat subventioniert Niedrigeinkommen jährlich mit Milliarden Euro“

…berichtet O-Ton-Arbeitsmarkt.

„2016 erhielten Erwerbstätige vom Staat Hartz-IV-Leistungen in Höhe von 10,78 Milliarden Euro. Die Zahlungen an Hartz-IV-Aufstocker sind gegenüber dem Vorjahr somit um rund 250 Millionen Euro gestiegen, wie aktuelle Daten der Bundesagentur für Arbeit zeigen. Nach Einführung des Mindestlohns müssen nun vor allem sozialversicherungspflichtig Beschäftigte ihr Gehalt mit Hartz IV aufstocken.“

„Ein Grundeinkommen halte ich für moralisch verwerflich“…

…meint der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, und lässt erkennen, wofür er steht. Er stößt damit ins gleiche Horn wie sein ehemaliger Kollege Heinrich Alt Anfang Januar dieses Jahres (siehe auch hier). Scheele weist zu Beginn des Interviews, in dem er das geäußert hat, darauf hin, was es bedeutet, in „unserem Land“ arbeitslos zu werden. Es komme einer Entwertung gleich. Wenig später heißt es dann aber: „Man muss es nicht als Demütigung empfinden. Wenn man arbeitslos wird, hat man Anspruch auf Sozialleistungen“. Dann ist es ja nicht so schlimm, die Arbeitsstelle zu verlieren, oder doch?

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„Hartz-IV-Empfänger: Weniger als die Hälfte ist offiziell arbeitslos“…

…resümiert O-Ton-Arbeitsmarkt den jüngsten Bericht der Bundesagentur für Arbeit: „Im Oktober 2016 gab es über 4,3 Millionen erwerbfähige Hartz-IV-Empfänger, aber weniger als die Hälfte von ihnen gilt als arbeitslos im Sinne der Statistik. Mit 61 Prozent wird der überwiegende Teil von ihnen nicht zu den Arbeitslosen gezählt. Das zeigt der aktuelle Arbeitsmarktbericht der Bundesagentur für Arbeit.“

Rechtsverschärfung durch Rechtsvereinfachung – Neue Anweisung der Bundesagentur für Arbeit

Stefan Sell führt in einem Blogbeitrag aus, was es mit der „Rechtsvereinfachung“ auf sich hat, auch Harald Thomé hat in seinem Newsletter vom 31. August darauf hingewiesen.

Wäre die Konsequenz nicht, das Mindesteinkommen auf andere Weise bereitzustellen und damit die Erwerbszentrierung der Sicherungssysteme zu verlassen, die die Legitimationsbasis für Sanktionen abgibt? Das wäre der Schritt zum Bedingungslosen Grundeinkommen. Über diesen sind sich viele Kritiker des Bestehenden, auch Stefan Sell, doch nicht ganz sicher. Stattdessen fordern manche eine „repressionsfreie Grundsicherung“, als könne ein erwerbszentriertes Sicherungssystem auf Sanktionen verzichten.

Sascha Liebermann

„Wie die Jobcenter Arbeitslose in die Armut treiben“…

…einen Einblick in die Absurditäten und Fallen des gegenwärtigen Sozialstaats gibt ein Beitrag der Süddeutschen Zeitung.

Aus dem Ende des Beitrags:

„…Auch Julia Meier sollte im Augenblick auf neue Schulden verzichten. Seit knapp drei Jahren ist sie im Insolvenzverfahren. Dabei muss sie sich auf ein geringes Einkommen beschränken und weitere Kredite könnten ihr Verfahren scheitern lassen. Für ein neues Bett und einen Kühlschrank hat sie beim Jobcenter deshalb Beihilfe beantragt. „Da Sie diese Gegenstände schon einmal besessen haben, ist eine Bewilligung als Beihilfe (…) nicht mehr möglich“, antwortet ihr das Amt. Aber: „Es besteht die Möglichkeit, ein Darlehen zu beantragen.“

„Wir trauen Menschen nicht zu, …

…mit einem pauschalierten Regelsatz verantwortungsvoll umzugehen. Wir setzen es aber selbstverständlich und zu Recht voraus, sobald sie eine Arbeit haben. Eigenverantwortung stärken lautet der gesetzliche Auftrag, nicht portionierte Fürsorge.“, so Heinrich Alt, der nun in Rente gehende Vorstand der sogenannten Bundesagentur für Arbeit in einem Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 27. Juni 2015. Er plädiert dafür, die vielen Einzelfall- und Einzelantragsentscheidungen („Duschgeld“!), die mittlerweile in die Hartz IV-Vergabe Einzug gehalten haben, zurückzufahren und den Empfängern zuzutrauen, verantwortlich mit dem Sozialtransfer umzugehen. Aber so ganz konsequent ist er dabei nicht, will er doch weiter vorschreiben: „Die Menschen sollen sich darauf konzentrieren, wie sie in eine existenzsichernde Arbeit kommen“. Wenn er die Verantwortungsübernahme durch die Bürger ernstnehmen würde, könnte er weder von „Kunden“ sprechen, noch etwa die Formulierung wählen, dass „der Arbeitsmarkt derzeit sehr aufnahmefähig ist.“ Denn weder können die Bürger, die auf Zahlungen angewiesen sind, wie Kunden auf einem Markt wählen, ob sie eine Ware erwerben (etwa eine „Maßnahme“ annehmen) wollen oder nicht, noch können sie über den Verkauf ihrer Arbeitskraft ernsthaft verhandeln, dient doch die auf dem sogenannten Arbeitsmarkt angebotene Arbeitsstelle der Existenzsicherung und nicht der Produktivität – wie die norwegische Literaturnobelpreisträgerin Sigrid Undset schon 1908 in ihrer Erzählung „Den lykkelige alder“ schrieb: „Bürosklaven! Wir alle haben eine Arbeit, von der wir leben müssen – wir können nicht für sie leben.“ – Was also wäre konsequent? Nun, den Bürger als Bürger ernstzunehmen, seine Existenz mit einem BGE bedingungslos und in einem kulturell angemessenen Umfang zu sichern und es ihm zuzutrauen und zuzumuten, mit seinem Leben etwas anzufangen – ob es nun ein „für die Arbeit leben“ ist oder nicht – wobei also das „etwas“ eben nicht vorgeschrieben würde, sondern Moment der Verantwortung wäre, Moment der Verantwortung, die Herr Alt doch offensichtlich selbstverständlich und zu Recht wertschätzt.

Thomas Loer

„Was wäre Arbeit dann noch wert“ – Pola rennt #3

Pola rennt #3: Was wäre Arbeit dann noch Wert – Beate Kostka, Bundesagentur für Arbeit from grundeinkommen.tv on Vimeo.

„…dass Arbeit das ist, was soziale Teilhabe auch ermöglicht, sehr sinnstiftend ist und wichtig für die Menschen, das treibt mich auch noch an.“

„Was ist Arbeit dann noch wert?“, wenn es ein Bedingungsloses Grundeinkommen gibt, fragt Frau Kostka. Ganz unaufgeregt und in ihrer Überzeugung gefestigt, spricht sie über Arbeitslosigkeit, Arbeitssuche, BGE und welche Aufgaben der Staat habe. Arbeit ist natürlich in ihren Augen nur Erwerbsarbeit, der Staat ein Leistungsanbieter, aber keine Bürgergemeinschaft. Um Demokratie und die Stellung der Bürger darin geht es nicht, das sollte es aber, da sie im Zentrum des BGE stehen. Solange wir davon kein Bewusstsein haben, wird es kein BGE geben.

Sascha Liebermann

„Ich bin dafür, den Menschen das Gefühl zu geben, gebraucht zu werden…“

…so Heinrich Alt, Mitglied im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 15. Dezember, Seite 18. Darin äußert er sich positiv über den Mindestlohn und ablehnend zum Bedingungslosen Grundeinkommen.

Der Interviewer fragt, nachdem Alt darüber gesprochen hat, dass die Hälfte der „Personalressourcen“ in die Leistungsberechnung des Arbeitslosengeldes fließen:

„SZ: Wäre es daher nicht sinnvoll, dieses ganze System abzuschaffen und den Menschen einfach ein bedingungsloses Grundeinkommen zu gewähren?

ALT: Das ist eine faszinierende Idee. Aber wir würden den Menschen damit eine falsche Botschaft vermitteln. Im Kern heißt das doch: Wir brauchen euch nicht, aber wir lassen euch auch nicht verhungern. Das halte ich für einen zutiefst inhumanen Gedanken. Ich bin dafür, den Menschen das Gefühl zu geben, gebraucht zu werden. Es gibt kein anstrengungsloses Glück. Bundespräsident Gauck hat zu Recht gesagt: Es schwächt die Schwachen, wenn wir nichts mehr von ihnen erwarten.“

Wenn Alt beklagt, dass BGE sende die Botschaft „Wir brauchen euch nicht“, könnte mit Fug und Recht genau das Gegenteil über das BGE gesagt werden: Wir stellen als Gemeinwesen ein BGE bereit, weil wir uns um unserer selbst und das Gemeinwesen um seiner selbst willen anerkennen. Das von Alt konstruierte „Wir“ und „Ihr“ lässt sich nicht auseinanderdividieren, da das „Wir“ zugleich das „Ihr“ beinhaltet. Gerade durch ein BGE würden diejenigen, die heute durch die Sozialgesetzgebung unter Druck gesetzt (siehe frühere Äußerungen von Heinrich Alt hier und hier) und an den Rand gedrängt werden, in die Mitte aufgenommen. Statt dieser Befreiung vom Paternalismus hält Alt diesen Paternalismus hoch, wenn er „Menschen das Gefühl“ geben will, gebraucht zu werden. Statt einer solchen pädagogischen Vereinnahmung, die dann doch nur ein „Gefühl“ vermittelt, würde ein BGE reale Möglichkeiten schaffen, das eigene Leben zu leben und nicht eines, das andere für richtig halten. Zuletzt darf der Hinweis nicht fehlen, dass es kein „anstrengungsloses Glück“ geben könne – wozu der Hinweis? Ist vielleicht die Sanktionspraxis nach dem Sozialgesetzbuch eine ganz brauchbare Knute, um das „Gefühl“ zu vermitteln, unter welchen Bedingungen jemand und wofür „gebraucht“ wird?

Sascha Liebermann