Zahlreiche Artikel zum Bedingungslosen Grundeinkommen in den Medien – eine Auswahl

Angesichts der sich in den Medien überschlagenden Berichterstattung über die Volksabstimmung in der Schweiz finden Sie hier eine Auswahl weiterer Beiträge der letzten Tage:

 

 

Da war doch mal etwas – Boris Palmer (Die Grünen) einst Grundeinkommensbefürworter, nun Hartz IV-Verteidiger

In einem Interview mit der FAZ vom 13. April äußert sich Boris Palmer (Bündnis 90/ Die Grünen) zu seinen Vorstellungen Grüner Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Das wäre nicht weiter beachtenswert, denn es ist Wahlkampf. Palmer war allerdings einst Befürworter eines Bedingungslosen Grundeinkommens und votierte dann auf der Bundesdelegiertenkonferenz 2007 dagegen. Damals war es vielleicht Parteiräson, angesichts der jüngeren Äußerungen muss man ernsthafte Zweifel daran haben, dass er es vor Jahren mit seiner Befürwortung ernst meinte. Ausgewählte Stellen kommentiere ich.

Auf eine Frage des Interviewers zu Mindestlohn und Regulierungen am Arbeitsmarkt sagt er dies:

„…Früher gab es erst neue Jobs, wenn das Sozialprodukt um mindestens zwei Prozent wuchs. Seit unseren Reformen ist das bereits bei einem Prozent der Fall. Die Rückkehr in die Zeit vor den Hartz-Reformen ist ein gewagtes Experiment. Damals hatten wir fünf Millionen Arbeitslose, und ich halte die Gefahr für sehr groß, dass wir an diesen Punkt zurückkehren.“

Palmer feiert, wie im letzten Jahr häufiger zu hören, die Erfolge Rot-Grüner Regierungspolitik, also auch die Verschärfungen in der Sozialgesetzgebung. Da kann man staunen. Siehe einen Kommentar zu diesen „Erfolgen“ hier und hier.

Weiter heißt es:

„Den Hartz-IV-Satz auf 420 Euro zu erhöhen geht in Ordnung?
Das finde ich richtig, vorausgesetzt, wir behalten neben dem Fördern auch das Fordern im Auge – und verzichten nicht auf jede Form von Sanktion, wenn sich jemand partout nicht um Arbeit bemüht.“

Das ist eine klare Aussage, die auch den Beschlüssen der Bundesdelegiertenkonferenz vom November entspricht. Unvereinbar ist diese Haltung mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen, auch nicht mit einem Übergang dorthin, denn die Sanktionen sind es, die Druck verstärken, der durch das normative Ideal der Erwerbstätigkeit ohnehin schon vorliegt. Wer mit dem Fördern ernst machen will, sollte auf Sanktionen verzichten, weil das schon innerhalb der Erwerbszentrierung Freiräume ermöglichte, die es heute kaum gibt.

Nun direkt zum Grundeinkommen:

„Fürs Grundeinkommen haben Sie doch selbst gestritten?
Die Idee hat für mich eine große Faszination. Beim Grundeinkommen gibt es weiterhin Anreize zur Arbeitsaufnahme, weil man vom Zuverdienst mehr behalten kann. Aber bis zu solch einem Systemwechsel ist es noch ein weiter Weg, und so lange brauchen wir andere Mechanismen…“

Weshalb braucht es die? Keine Erklärung, nicht einmal ein Versuch, seine Einschätzung zu plausibilisieren. Stattdessen könnte gerade dahingehend ein Anfang gemacht werden, dass auf Sanktionen verzichtet wird. Wie er sagt, hätten diejenigen, die noch erwerbstätig sein wollen ja mehr als diejenigen, die nur Grundeinkommen bezögen. Weshalb soll dieser Weg also noch weit sein? Mit dem Verzicht auf Sanktionen würde ein wichtiges Element des jetzigen Systems ausgehebelt und genau damit ein Anfang für eine Veränderung gemacht – für Palmer offenbar undenkbar. Wie aber geht das mit seiner „Faszination“ für das Grundeinkommen zusammen? Schleierhaft oder eben nie ernst gewesen.

Im gleichen Absatz geht es weiter:

„…Wie der Beschluss zum Aussetzen der Sanktionen auf dem letzten Parteitag zustande kam, hat mich erschreckt: Die Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl hat da unter Beifall von Menschenrechtsverletzungen geredet. Das relativiert diesen Begriff für mich auf nicht erträgliche Weise.“

Was solll diese moralische Empörung? Sicher kann man geteilter Meinung sein, ob es weiterführt, von „Menschenrechtsverletzungen“ zu sprechen, ob es etwas klärt, die Härten des ALG II-Systems so zu bezeichnen. Seine Empörung ist angesichts der Sanktionen und ihrer Folgen allerdings nur weltfremd. Um so mehr befremdet nun seine „Faszination“ für das Grundeinkommen, die in diesem Artikel in der Tat deutlich wurde „Eine Frage der Werte“ (2006). Wir bringt man diese beiden Haltungen nun zusammen?

Sascha Liebermann

Eltern als Störung

Vergangenen Sonntag titelte die FAZ „Alle Kinder müssen in die Kita“ und schrieb diese Äußerung der Ministerpräsidentin Nordrhein Westfalens, Hannelore Kraft, zu. Die Resonanz war enorm – sogleich wurde ihre bevormundende Haltung kritisiert. Der Spitzenkandidat der CDU in NRW, Norbert Röttgen (siehe auch hier) nahm dies in der Fernsehdiskussion mit Hannelore Kraft auf, wohingegen Frau Kraft den Vorwurf, sie fordere eine Kita-Pflicht, zurückwies. Was war passiert?

Hannelore Kraft sagte dies:
„Jeder Kita-Platz ist eine gute Prävention. Wir wissen aus einer Untersuchung des Prognos Instituts, dass sich jeder Kita-Platz volkswirtschaftlich schon nach einem Jahr rechnet, weil Mütter dann erwerbstätig sein können, Steuern und Sozialabgaben zahlen, anstatt Transferleistungen zu beziehen. […] Bisher waren wir uns mit der CDU einig, dass Bildung schon in der Kita beginnen muss. Dann müssen wir aber auch sicherstellen, dass alle Kinder da sind, statt eine Prämie für Kinder zu zahlen, damit sie fernbleiben.“ [Hervorhebungen Fett und Kursiv, SL]

Die FAZ hat sich ein wenig in den Wahlkampf eingeschaltet und die Äußerung von Frau Kraft zugespitzt, eine Zuspitzung indes, die naheliegt. Betrachten wir uns den weiteren Zusammenhang der Äußerung, wird die Aussage noch drastischer. Der Zusammenhang zwischen volkswirtschaftlichem Nutzen und Erwerbstätigkeit der Mütter wird ausdrücklich hergestellt, wobei dort noch davon die Rede ist, dass Mütter erwerbstätig werden können, also nicht sollen oder müssen. Von Prävention ist die Rede – also der Vorbeugung gegen: Defizite, Fehlentwicklungen usw. Schon hieraus wird deutlich, dass Frau Kraft eine frühe Betreuung, es handelt sich wohl um eine für Kinder unter drei Jahren, wie die Kritik am Betreuungsgeld erahnen lässt, für wünschenswert hält – aus dem Können wird schleichend ein Sollen. Das wäre nichts Neues aus SPD-Kreisen, man erinnere sich nur an die „Lufthoheit über den Kinderbetten“, die Olaf Scholz im Jahr 2002 zurückerobern wollte. Die Aussage, dass Bildung schon in der Kita beginnen müsse, lässt noch nicht auf eine Kita-Pflicht schließen, nur auf Frühförderung. Erst der anschließende Satz zeigt den Geist an, der sich hier Ausdruck verschafft: Wenn man also wolle, dass Bildung in der Kita beginne, dann müsse die Anwesenheit der Kinder auch sichergestellt (!) werden. Dazu bedürfe es dann allerdings schon einer Pflicht, denn setzte man darauf, dass Eltern von sich aus Kinder in die Kita bringen würden, bräuchte man dies nur zu ermöglichen, nicht aber sicherzustellen. „Sicherstellen“ – das ist das Syndrom, unter dem wir leiden, seinetwegen stecken wir fest in einem bevormundenden Sozialstaat mit all seinen Ausformungen.

Es wäre unfair, Gedanken zu einer oder zumindest den Geist der Kita- oder Kindergartenpflicht (siehe z.B. Grüne Grundsicherung) für ein SPD-Thema zu halten. Die Grünen wie auch die CDU teilen sie oder sind davon nicht weit entfernt. Das Elterngeld verkörpert denselben Geist, es ist Aufforderung, am besten immer erwerbstätig zu sein, und möglichst nach dem Elterngeldbezug wieder erwerbstätig zu werden. Überhaupt ist diese Haltung mittlerweile weit verbreitet (siehe meinen jüngsten Kommentar dazu).

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, die größte Störquelle für Bildungsprozesse und das Gedeihen der Kinder seien die Eltern. Wäre es dann nicht naheliegend, diese Störquelle auszuschalten? Eltern abschaffen also? Dann könnten Kinder schon direkt nach der Geburt rund um die Uhr betreut werden, der Einfluss der Eltern wäre endlich unterbunden.

Wer hingegen der Überzeugung ist, Eltern seien nicht ersetzbar und sollten Möglichkeiten haben, sich ihren Kindern möglichst frei zu widmen, der muss ihnen diese Möglichkeiten verschaffen. Das geht nur mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen.

Sascha Liebermann

Grundlagen unseres Wohlstands werden durch bedingungsloses Grundeinkommen in Frage gestellt…

…so lautet Sigmar Gabriels Einschätzung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:

„…Die Grundlagen unseres Wohlstands werden gegenwärtig von zwei Seiten in Frage gestellt. Zum einen durch das weit verbreitete Gefühl, wir bräuchten die Industrie mit all ihren Belastungen und Risiken nicht mehr – das hat damit zu tun, dass ein immer größerer Teil der Gesellschaft nicht mehr im produzierendem Gewerbe oder Handwerk tätig ist, sondern im Dienstleistungssektor oder im öffentlichen Dienst. Zum anderen durch Debatten wie die um ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das Bewusstsein dafür, dass Arbeit und Leistung die Grundlage für Wohlstand sind, nimmt ab. Die SPD will nicht zurück zur Technikgläubigkeit und Bruttoregistertonnenmentalität der sechziger, siebziger Jahre mit diesem völlig unreflektierten Fortschrittsglauben. Aber wir müssen klar sagen, dass Grundlage unseres Lebens Leistung, Qualifikation und auch die Akzeptanz von Belastungen ist. Wir sind die Partei der Arbeit und der fleißigen Leute…“

Weit hat es die Diskussion schon gebracht, wenn der Vorschlag eines bedingungsloses Grundeinkommens auf höchster Ebene als Gefahr betrachtet wird. Weiter so.

„Das Janusgesicht der Staatsschulden“

Unter diesem Titel ist in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. Juni ein Beitrag von Carl Christian von Weizsäcker erschienen. Er ist für die Diskussion über Staatsverschuldung, Schuldenbremse und Sparpakete aufschlussreich, da er die Staatsschulden ins Verhältnis zum privaten Vermögen in Deutschland setzt. Da stellt sich die Lage gleich ganz anders dar, als wenn nur auf die Schuldenseite verwiesen wird, ohne auf die Gläubigerseite (Privatvermögen) zu schauen.

Es gibt auch eine ausführliche Ergänzung zum Zeitungsbeitrag.

Siehe auch ein Interview im Manager-Magazin „Wir sparen uns die Krise“.

"Was sozial ist, schafft Arbeit" – und wo bleibt die Freiheit?

Heiner Flassbeck greift unter dem Titel „Was sozial ist, schafft Arbeit“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.6.2009) einen Slogan der CDU – „Sozial ist, was Arbeit schafft“ – auf und wendet ihn. Das hat in demselben Dossier der FAZ, „Zukunft des Kapitalismus“, auch Martin Walser getan. Viele Argumente, die im Beitrag gegen einzelwirtschaftliches Denken vorgebracht werden, sind plausibel und treffend. Gespenstisch jedoch ist, dass die Frage nach dem Zweck des zu erwirtschaftenden Wohlstands nicht gestellt wird – oder besser gesagt: der Zweck – Arbeit bzw. Arbeitsplätze zu schaffen – wird als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt.

Folgerichtig kann auch die Frage danach nicht in den Blick geraten, ob der Wohlstand dazu dienen könnte, die Selbstbestimmungsmöglichkeiten von uns Bürgern zu erweitern, Selbstbestimmungsmöglichkeiten, die in ihrem engeren Sinne auch schon Grundlage des Wohlstands sind, den wir erreicht haben. Dazu müsste aber unsere Freiheit als Bürger und nicht als Erwerbstätige gestärkt werden, statt an alten Vorstellungen festzuhalten, dass erste Bürgerpflicht sei, Erwerbsarbeit zu leisten.

Nichts wäre naheliegender, nimmt man unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung beim Wort, das Attribut „sozial“ so zu verstehen, dass es nur heißen kann: „Freiheit“ durch mehr Freiraum. Und diese Freiheit kann nichts anderes bedeuten als: Selbstbestimmung. Das ist kein Widerspruch zur unerlässlichen Solidarität in unserem Gemeinwesen, ohne die es nicht bestehen könnte. Doch solidarisch kann nur sein, wer sich zur Solidarität entscheiden kann, um sie aus freien Stücken zu tragen. Alles andere wäre Zwangssolidarität – und damit ein Widerspruch in sich. Solidarität kann aus Freiheit, nicht aber aus Zwang und Bevormundung erwachsen.

So erweist sich einer, der seine Kritik an der sogenannten neoliberalen Politik mit viel Tam Tam vorbringt und anderen vorhält, das Ganze nicht zu sehen, in mindestens einer Hinsicht als ebenso engstirnig: der Erwerbsfixierung. Heiner Flassbeck hat sich in den vergangenen Jahren wiederholt ablehnend zum Grundeinkommen geäußert, doch diese Ausführungen lassen nur erkennen, wie wenig er sich mit der Idee auseinandergesetzt hat. Da ist er bei den „Neoliberalen“ in guter Gesellschaft.

Sascha Liebermann

„Althaus‘ Radikalkur“. Kommentar zum Leitartikel von Heike Göbel in der FAZ vom 15.11.2006

„Das deutsche Sozialsystem ist in hohem Maße ineffizient“, so Heike Göbel in ihrem Leitartikel, in dem sie sich mit dem Vorschlag eines Bürgergeldes beschäftigt, wie es der Thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus vorgeschlagen hat. Die FAZ, nachdem sie schon kurz nach Veröffentlichung des Vorschlages im Sommer diesen Jahres zu erkennen gab, was davon zu halten sei, sieht sich offenbar nun aufgerufen, noch einmal Stellung zu beziehen. Da die Wirtschaftsredaktion der FAZ sich als Hüter der liberalen Idee begreift, wäre zu erwarten, daß das Bürgergeld genau in dieser Hinsicht ausgeleuchtet wird. Was geschieht statt dessen?
Ich möchte hier gar nicht auf die Höhe und Architektonik des Vorschlages eingehen, der seine Schwächen hat. Die Freiräume, die ein Bürgergeld bzw. ein bedingungsloses Grundeinkommen eröffnen, hängen ganz von seiner Höhe und den Vergabebedingungen ab. Geht der Leitartikel darauf ein und worin bestehen die Einwände?

Das Bürgergeld, so wird der Vorschlag kurz referiert, versetze die Bürger in die Lage, unternehmerische Risiken einzugehen. Wünschenswert müßte dies aus Sicht der Wirtschaftsredaktion sein – sollte man meinen. Denn ein Mangel daran wird immer wieder beklagt. Ein bedingungsloses Grundeinkommen in ausreichender Höhe würde Unternehmensgründer auch von den unternehmerisches Denken und Handeln eher behindernden Praktiken der Vergabe von Risikokapital unabhängiger machen. Abgesehen von diesem Effekt wäre der, auch im Leitartikel erwähnte, Effekt eines transparenteren Sicherungssystems gegeben. Kontroll- und Sanktionsapparate, die wir heute vorhalten, könnten verschwinden. Die Vergabepraxis und –praktiken würden auf ganz anderer Grundlage stehen, die Bürger tatsächlich stärken, statt den Generalverdacht des Mißbrauchs zu pflegen.
Rasch aber wird das bedingungslose Grundeinkommen im Leitartikel von Heike Göbel der Linkspartei zugeordnet, damit auf jeden Fall der rechte Gegner als Popanz aufgebaut werden kann. Daß Unternehmer wie Götz W. Werner sich auch dafür einsetzen, paßt in dieses Klischee nicht hinein, zumal auch sein Vorschlag viel weiter reicht als der in der Linkspartei diskutierte. Er, wie auch die Initiative Freiheit statt Vollbeschäftigung, will eine wirklich radikale Veränderung und nicht durch die Hintertür wieder die Arbeitsverehrung einführen, wie es dort geschieht, wo der Vorschlag eines Grundeinkommen mit einer Mindestlohnforderung und einer Arbeitszeitverkürzung verbunden wird. Diese beiden Forderungen konterkarieren geradezu den Zweck des Grundeinkommens, dem Einzelnen maximale Aushandlungsmöglichkeiten zu geben, die natürlich nur bestehen, wenn er entsprechend abgesichert ist.

So bescheinigt Heike Göbel dem Althaus’schen Konzept, daß es „an die Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft“ gehe, „weil es die Notwendigkeit und damit die Motivation verringert, sich auszubilden, die eigenen Fähigkeiten zu nutzen und zu arbeiten, um ein Leben aus eigener Kraft aufzubauen“. Da geht er hin, der vermeintlich liberale Geist der Wirtschaftsredaktion: Sich ausbilden und die eigenen Fähigkeiten nutzen wird also nur, wer die Notwendigkeit der Einkommenserzielung verspürt. Daß Bildung und Ausbildung zuallererst die Begeisterung für eine Sache und dann vielleicht auch für einen Beruf erfordern, damit tatsächlich etwas geleistet und nicht nur gearbeitet wird, scheint hier ebenso fremd wie dort, wo der Beruf nur als Leiden und Last gedeutet wird. Ganz konsequent ist es dann, dem Konzept zu bescheinigen, es fördere ein hedonistisches Verhältnis zur Arbeit, wenn „Spaß“ darüber entscheide, ob überhaupt gearbeitet werde.

Ist es nicht erstaunlich, wie wenig Mühe darauf verwandt wird zu fragen, ob dort, wo salopp von „Spaß“ gesprochen wird, es tatsächlich um Erfüllung geht? Daß die Voraussetzung dafür wiederum, also für ein Engagement in einer Sache, ein intrinsisches Motiv sein muß, damit dieses Engagement auch erfüllend sein kann? Nicht der „Notwendigkeit“, also des Drucks, zu einer Einkommenserzielung bedarf der Einzelne, sondern der Freiheit, sich für etwas entscheiden zu können.

Auf einmal erkennen wir in der wirtschaftsliberalen Ablehnung des bedingungslosen Grundeinkommens ähnliche Überlegungen am Werk wie auf Seiten der Gewerkschaften und der Sozialisten. Nicht zwischen Sozialisten und Wirtschaftsliberalen verläuft die Scheidelinie in der Diskussion um eine Reform, sondern zwischen denjenigen, die die Freiheit der Bürger fürchten – Sozialisten und Wirtschaftsliberale gemeinsam – und denjenigen, die darin den einzigen Weg aus unserer Misere erkennen: den radikalen Vertretern eines bedingungslosen Grundeinkommens. Bestätigt findet sich hier, was schon länger zu erkennen war: Arbeitsverehrer und Marktverklärer sind sich gar nicht spinnefeind, sie stehen auf derselben Seite und damit gemeinsam gegen die Freiheit der Bürger.

Auch in folgender Passage klingt deren Gemeinsamkeit an: „Auf der Strecke bleibt aber auch ein Stück Solidarität: Ein Einheitsbetrag, der frei von Notwendigkeit und Umständen gewährt wird, gibt den einen zuviel, den anderen zuwenig“. Das hängt ja nun ganz von der Höhe ab. Sonderbedarfe müssen ebenfalls geltend gemacht werden können, stünden aber mit einem Grundeinkommen auf einem anderen Fundament. Es klingt die Marx’sche Rede vom Reich der Notwendigkeit nach, die die Gegner der Freiheit all zu gerne dem Grundeinkommen entgegenhalten. Abgesehen davon, daß stets unklar bleibt, worin diese Notwendigkeit denn bestehe – wir leben schon lange im Überfluß – gibt sich ein Generalmißtrauen zu erkennen, daß, wer sich liberal dünkt, nicht aussprechen will: Letztlich ist man doch davon überzeugt, daß die Bürger nur herumhängen, wenn nicht die Plage der Existenzsicherung sie antreibt. Würde denn unser demokratisches Gemeinwesen noch bestehen, wenn sich dies so verhielte? Zahlen wir den Bürgern etwa Wahl- und Loyalitätsprämien, damit sie sich engagieren und unsere normative Ordnung aktiv tragen? Sollte nicht dieses Fehlen von „Leistungsprämien“ oder „Anreizen“ den Wirtschaftsliberalen und ihren sozialistischen Freunden zu denken geben? Wie kommt es nur, daß unsere Demokratie so stabil ist und wir einen solchen Wohlstand erwirtschaften konnten, wenn wir nicht für alles Prämien zahlen? Auch für Bildung werden noch keine Prämien gezahlt oder sollen diese etwa in der Schule und den Universitäten eingeführt werden, etwa an Noten gebunden?

Des Generalmißtrauens wegen ist auch die größte Furcht vor einem Grundeinkommen die folgende: „…die Unberechenbarkeit der Anreizwirkungen, die von [ihm] ausgehen“. Ohne Anreiz, kein Handeln – ohne Stimulus keine Reaktion. Ein Handeln aus inneren Antrieben scheint undenkbar, oder gehören diese auch zu Anreizen? Wohl kaum, zumindest nicht dort, wo der Begriff gebraucht wird. Aus eigenem Antrieb etwas zu unternehmen, das können sich die Wirtschaftsliberalen nicht vorstellen, als zeichnete dies nicht unsere erfolgreiche Wirtschaft seit langem aus.

So liest sich das Plädoyer von Heike Göbel am Ende wie jedes Erziehungsprogramm für erwachsene Menschen, die als Bürger das Fundament unseres Gemeinwesen bilden: „Der Weg zur Absicherung gegen die finanziellen Folgen von Alter, Krankheit und Arbeitslosigkeit überläßt er [der Staat, S.L.] möglichst dem Markt. So entsteht ein über Preise transparent gesteuertes Vorsorgesystem, das zu Kostenbewußtsein erzieht und der Ergänzung durch Steuertransfers nur in der Not bedarf. So ließe sich Solidarität erhalten, ohne die zu überfordern, die sie gewähren – und ohne jene zu unterfordern, die sie in Anspruch nehmen.“

Dem bedingungslosen Grundeinkommen wird immer wieder bescheinigt, es erschaffe ein Wolkenkuckucksheim, eine schöne Welt in Gedanken, die nicht wirklich sei. Doch was an dem hier
besprochenen Beitrag deutlich wird, ist etwas anderes: Ein Wolkenkuckucksheim erschafft, wer nicht wahrhaben will, daß unser Gemeinwesen gar nicht wäre, würden die Bürger sich nicht unablässig für es einsetzen, ganz gleich wie. Es gäbe keine Vereine, keine caritativen Einrichtungen, keine Parteien, keine Familien und keinen Wohlstand, könnten wir nicht immer darauf vertrauen, daß die Bürger ihren Beitrag leisten wollen – ganz ohne Prämien und Anreizsysteme. Wir müssen sie dies nur dort tun lassen, wo sie es für richtig und wichtig erachten, und nicht dort, wo Wirtschaftsliberale und ihre sozialistischen Freunde die Bürger hindefinieren wollen: in Erwerbsarbeit, jenseits ihrer ist nach deren Dafürhalten alles nichts.
Wer so denkt, für den ist die Freiheit der Bürger eine Bedrohung, auch wenn er anderes behauptet. Statt eines bedingungslosen Grundeinkommens, das die Bürger in Freiheit entließe, muß er, in welchem Gewand auch immer, Kontrollen fordern, sei es in Gestalt der Sozialadministration, sei es in Gestalt des Existenzdrucks.

Sascha Liebermann