"Wer Geld von der Gemeinschaft bekommt, muss auch was dafür tun"

Alles beim Alten im Bundesarbeitsmininsterium. Mit Aussagen wie diesen „Wir werden es nicht akzeptieren, wenn jemand ohne nachvollziehbaren Grund nicht oder nur wenige Stunden arbeitet“ und „Gleichzeitig gilt: Wer Geld von der Gemeinschaft bekommt, muss auch was dafür tun“ wird Bundesarbeitsminsterin von der Leyen in der Bild-Zeitung zitiert. Damit greift sie die bekannte Argumentation auf, Transferempfänger seien Kostgänger des Staates. Am selben Tag, dem 10. Januar, war sie bei „Anne Will“ zu Gast, um über zehn Jahre Agenda 2010 zu räsonnieren. Auch dort war an ihren Äußerungen zu erkennen, dass der Druck auf diejenigen, die „Geld von der Gemeinschaft“ erhalten, nicht abnehmen, sondern zunehmen soll. Da folgt sie ganz ihrem Vorgänger Olaf Scholz und den Aussagen Guido Westerwelles und Angela Merkels im Bundestagswahlkampf (siehe „FDP im Kreis der Faulheitsbekämpfer angekommen“).

Zur gleichen Zeit wird deutliche Kritik an der Hartz-Gesetzgebung auch durch einen Beschluss des Landessozialgerichts Hessen (Beschluss zur Grundsicherung für Arbeitsuchende) und schon länger von Helga Spindler geübt (siehe jüngste „Phoenix-Runde“ [Podcast] mit Helga Spindler und Jürgen Borchert, Richter am Landessozialgericht Hessen). Doch, zielt sie etwa darauf, die Prinzipien des Transfersystems, das an Erwerbsleistung gebunden ist, aufzugeben? Was ist von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu erwarten, dass sich – anders als in manchen Medien berichtet – mit der Berechnung der Regelsätze für Kinder und Erwachsene beschäftigt?

Eine Erhöhung der Regelsätze, sollte sie kommen, würde natürlich denjenigen helfen, die von ihnen leben müssen. Das ist unbestritten. Aber schon in der Frage, wer etwas von der Erhöhung des Schonvermögens hat, sieht es diffiziler aus, denn sie trifft nur diejenigen, die auch etwas angespart haben bzw. es konnten. Eine Verbesserung verbleibt also innerhalb des Systems. Es wird gegenwärtig ja nicht einmal über eine Liberalisierung im Sinne einer Negativen Einkommensteuer nachgedacht, die ohne Bedürftigkeitsprüfung auskäme. Wie an den Äußerungen von Frau von der Leyen zu erkennen ist, steht auch die „Aktivierung“ nicht zur Disposition. Bei aller Diskussion über Hartz IV, das Vierte Gesetz über moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, die durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts weitere Nahrung erhalten könnte, ist damit politisch langfristig wenig erreicht. Wir müssen uns vor Augen führen, dass die möglichen Verbesserungen nicht aus dem Parlament heraus vorgeschlagen und verabschiedet werden, sondern vom Bundesverfassungsgericht, das über die Einhaltung des Grundgesetzesfür die Bundesrepublik Deutschland wacht. Statt die Gestaltung aktiv politisch in die Hand zu nehmen, statt in öffentlicher Auseinandersetzung für Vorschläge zur Verbesserung um die Zustimmung der Bürger zu werben, erfolgt eine Verbesserung der gegenwärtigen Lage allenfalls reaktiv. Es hat sich, wie daraus zu schließen ist, im politischen Bewusstsein wenig bis nichts verändert, auch wenn immer wieder Verbesserungsbedarf eingestanden wird. Nun, in diesem Fall gilt durchaus: Vielles wenn nicht alles Schall und Rauch.

Um so mehr gilt es auch in 2010, dem Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens weiter Gehör zu verschaffen. Gelegenheiten und Möglichkeiten gibt es reichlich, auch nach dem Wahlkampf des vergangenen Jahres.

Sascha Liebermann

"Wirtschaftsweiser will Hartz IV um 30 Prozent kürzen"

Mit dieser Meldung setzt sich fort, was die Sozialpolitik der letzten Jahre immer ausgezeichnet hat (siehe unser Faltblatt): Wo erwünschte Wirkungen nicht eintreten, müssen die „Stellschrauben“ fester angezogen werden. Irgendwann geben wir Bürger schon nach, es muss nur ausreichend Druck ausgeübt werden.

Wenn wir das nicht weiter mitmachen wollen, dann hat das neue Jahr schon begonnen: indem wir uns für die Verbreitung des Vorschlags eines bedingungslosen Grundeinkommens einsetzen (siehe unseren Spendenaufruf).

Sascha Liebermann

Hartz IV: Verfassungsrichter bringen Regierung in Erklärungsnot

Als Niederlage der Bundesregierung kann die Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts über die Methoden zur Ermittlung von Hartz IV-Regelsätzen gelten. Zahlreiche Zeitungen berichten darüber: die Süddeutsche, Spiegel Online, Frankfurter Rundschau.

Im Kommentar von Heribert Prantl in der SZ werden die Richter so wiedergegeben:

„Es geht um mehr, nämlich um das soziokulturelle Existenzminimum, also um den Betrag, den man benötigt, um am gesellschaftlichen Leben wenigstens ein wenig teilnehmen zu können. Eine moderne Sozialpolitik sorgt dafür, dass der Mensch Bürger sein kann; seine politischen Rechte brauchen ein soziales Fundament. Die Richter werden es beschreiben und befestigen.“

Doch, eines muss hier festgehalten werden: selbst ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts schafft noch keine Verbesserung. Sie ist nur politisch zu erreichen. Schon früher gab es Urteile des BVerG zum soziokulturellen Existenzminimum, die in der Hartz IV-Gesetzgebung nicht beachtet wurden.

Nur Engagement also wird zu Verbesserungen führen können, ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt uns niemand, wir – die Bürger – müssen es schaffen.

Bürgergeld und Hartz IV – alles beim Alten

In der Phoenix-Runde vom 14. Oktober wurde über die Frage „Bürgergeld statt Hartz IV – Ist das sozial?“ diskutiert (Sendung als Videostream oder Podcast). Gäste waren Norbert Blüm, CDU (Ehem. Bundesarbeitsminister), Andreas Pinkwart, FDP (Stellv. Bundesvorsitzender), Michael Schlecht (ver.di, Bereichsleiter Wirtschaftspolitik, seine Sicht auf das bedingungslose Grundeinkommen) und Wolfgang Engler (Kultursoziologe). Was gibt es zu berichten? Deutlich wurde, wie sehr das FDP-Bürgergeld den Druck auf die Bürger, die es beziehen, erhöhen soll – die FDP will Hartz IV lediglich „unbürokratischer“ gestalten. Auch hält die FDP an der Statussicherung, auf die die Sicherungssysteme wie Arbeitslosengeld bislang ausgerichtet sind, beibehalten. Gekrönt wurden Andreas Pinkwarts Ausführungen durch den Spruch „Solidarität ist keine Einbahnstraße“ – den hätten Norbert Blüm und Michael Schlecht sofort unterschreiben können. Frühere Kommentare zur FDP im Bundestagswahlkampf siehe hier.

Wundern kann einen, wie ungenau Wolfgang Engler über das Grundeinkommen spricht, das er einfach mit einer Negativen Einkommensteuer gleichsetzt, die letztlich nur eine sehr liberale Form der Ersatzleistung darstellt. Früher schon hat er verlauten lassen, dass ein Grundeinkommen auf jeden Fall an eine Bildungsverpflichtung gekoppelt sein sollte. Einen Mindestlohn hält er für unabdingbar, denn er sei kein blauäugiger Grundeinkommensbefürworter. Ohne Mindestlohn geschehe, was Götz Werner vorhabe: Löhne durch den Arbeitgeber um das Grundeinkommen zu kürzen. Bitte, wie? Gewiss, Herr Werner hat sich schon missverständlich geäußert, doch in seinem Buch „Einkommen für alle“ (S. 100 f.) bleibt die Aushandlung der Löhne beiden Verhandlungsparteien aufgegeben. Von einer direkten Verrechnung auf Arbeitgeberseite ist keine Rede. Dass die Verfügbarkeit des Grundeinkommens zu jeder Zeit sich auf die Verhandlungen auswirkt, ist selbstverständlich. Außerdem: Weshalb, sofern das Grundeinkommen ausreichend hoch ist, soll der Arbeitnehmer nicht auch niedrige Löhne akzeptieren dürfen? Nieman wäre gezwungen, sich darauf einzulassen.

Wie sieht es mit Norbert Blüm und Michael Schlecht aus? Das alte Lied.

Blüm kann die Welt nur in Erwerbsarbeit denken. Zwar redet er auch von Erziehungsarbeit usw., doch wie soll die möglich sein, wenn es kein Grundeinkommen gibt? Und wie wird sie ohne Grundeinkommen davon befreit, nur zweite Wahl zu sein gegenüber der Erwerbsarbeit? Gar nicht. Weil das so ist, sind Erwerbstätige das Maß aller Dinge. Es sei eine Ungerechtigkeit, dass Erwerbstätige, die dreißig Jahre eingezahlt haben, nach einem Jahr ALG I denselben Status haben, wie jemand, der nie eingezahlt hat – Erwerbsfixierung und Statusdenken fallen zusammen. Wer nur Erwerbstätige kennt, kann auch „Teilhabe“ nur als Erwerbsteilhabe denken und erklärt dann, subsidiär solidarisch sei nur, wer versucht, sein Einkommen selbst zu erzielen. Eine verbreitete Darstellung, die mit dem Subsidiaritätsgedanken jedoch gar nichts zu tun hat.

Michael Schlecht fordert, was die Gewerkschaften schon lange fordern: Arbeit, Arbeit, Arbeit. Es werde einfach nicht genügend Arbeit angeboten, das müsse geändert werden. Es geht natürlich nur um Erwerbsarbeit. Für die Herrschaften gilt es mehr, Kinder gegen Bezahlung betreuen zu lassen, als selbst für sie zu sorgen. Was stört Michael Schlecht eigentlich an der ausgleichenden Wirkung des bedingungslosen Grundeinkommens, fragt man sich, wenn er sich vehement dagegen ausspricht, Unternehmen darin zu unterstützen, niedrige Löhne zahlen zu können? Hat er noch nicht davon gehört, dass, ganz gleich welche Kosten einem Unternehmen aufgebürdet werden, ganz gleich, welche Mindestlöhne eingeführt würden, sie ohnehin vor allem der Verbraucher tragen müsste?

Also, doch alles beim Alten, keine Denkbewegung, kein Fortkommen.

Sascha Liebermann

Rücktritt von Beck und Rückkehr von Müntefering – Herausforderung für BGE-Befürworter

Der Rücktritt des SPD-Parteivorsitzenden Kurt Beck, die Rückkehr von Franz Müntefering als Parteivorsitzender und die Nominierung von Walter Steinmeier hat die uneingeschränkten Befürworter der Agenda 2010 wieder nach vorne gebracht. Auch wenn Kurt Beck nur wenig von der Agenda-Linie abgewichen war, so sind nun die Hardliner zurückgekehrt. Einen in vielerlei Hinsicht – auch die Verfassung der SPD-Mitglieder und -unterstützer betreffenden – aufschlussreichen Kommentar von Albrecht Müller (Nachdenkseiten) finden Sie hier.

Lesen Sie auch das Streitgespräch zwischen Karl Lauterbach und Ottmar Schreiner in der Frankfurter Rundschau.

Für die Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens bestätigt diese Entwicklung, dass Veränderungen gegenwärtig nur von den Bürgern und einer starken öffentlichen Diskussion in Gang gebracht werden können, nicht aber von den Parteien. Wer wirklich eine Veränderung will, der muss sich engagieren.

Wie das aussehen kann, zeigt die Woche des Grundeinkommens vom 15.-21 September.

Das Menschenbild des Grundeinkommens „ist nicht wünschenswert“ (Prof. Gerhard Bosch)

Im Funkhausgespräch auf WDR 5, am 30. März diesen Jahres, haben Götz W. Werner und Gerhard Bosch (Professor an der Universität Duisburg Essen) über ein bedingungsloses Grundeinkommen diskutiert („Grundeinkommen – der Traum vom sorgenfreien Leben“). Die Einwände des Arbeits- und Wirtschaftssoziologen verdienen eine Kommentierung, denn an ihnen wird deutlich, wie tief das Mißtrauen gegenüber den Bürgern ist, wie sehr wir eine Politik machen, die von der Ausnahme und nicht von der Regel ausgeht.

Zuerst fiel das individualistische Menschenbild des Soziologen auf, der partout nichts vom „Staat“ geschenkt haben will. Er will sein Leben selbst gestalten und sein Geld selbst verdienen. – Was hat dies mit dem bedingungslosen Grundeinkommen zu sein? Offenbar hat es vor allem mit einem Menschenbild zu tun, das glaubt, es gebe einen einzigen Bürger in unserem Land, der sich selbst versorgen, der ohne die kollektive Unterstützung unseres Gemeinwesens überhaupt leben könne. Gerade Gerhard Bosch als Professor müßte es besser wissen, er muß sich nicht am Markt bewähren, kann als Beamter geschützt forschen und lehren. Und nicht einmal für den privatwirtschaftlichen Markt gilt, was er für den Einzelnen behauptet. Sonderbar, daß er genau für den Markt etwas einräumt, was er für den Einzelnen nicht gelten läßt: daß beide nämlich vom Gemeinwesen abhängig sind. Der Markt ist nur existent durch die ordnungspolitische Stabilisierung, die das Gemeinwesen leistet. Erstaunlich genug, daß ein Soziologe all dies behauptet, denn wir alle leben vom und im Gemeinwesen.

Darüber hinaus verbietet ein Grundeinkommen nicht, ein zusätzliches Erwerbseinkommen zu erzielen, genausowenig wie es vorsieht, die Lebensgestaltung in die Hand des „Staates“ zu legen – auch das behauptet Gerhard Bosch in der Sendung. Heute haben wir doch viel weniger Möglichkeiten, unser Leben zu gestalten, als es mit einem bedingungslosen Grundeinkommen der Fall wäre. Fragt man sich, woher all die sonderbar verdrehten Einwände gegen das Grundeinkommen herrühren, stößt man letztlich auf das, was dann auch eingeräumt wird: Gerhard Bosch hält das Menschenbild des Grundeinkommens für nicht wünschenswert. Eigentlich müßt er dann auch gegen die Demokratie sein, die auf den Gestaltungswillen des Einzelnen setzt; gegen die die marktwirtschaftliche Ordnungspolitik, die darauf setzt, daß Unternehmer und Unternehmen Güter und Dienstleistungen erzeugen.

Wo er mit den Konsequenzen seiner Einwände polemisch konfrontiert wird, gibt er sich erschrocken. Doch Sachhaltigkeit und Nüchternheit sind nicht dasselbe. Ein sachhaltiges Argument kann durch polemische Zuspitzung an Klarheit gewinnen – in nüchterner Askese läßt sich alles behaupten, ohne ein einziges Argumente vorzubringen.

Im Unterschied zum Paradies, also zu einem sorgenfreien Leben, wie es Gerhard Bosch einem Leben mit Grundeinkommen attestiert, wäre es eine enorme Herausforderung. Jeder Mensch stünde viel mehr als heute vor der Frage, was er mit seinem Leben anfangen will. Nicht mehr, sondern weniger Intervention des „Staates“ würde das Grundeinkommen bedeuten.

Wer Arbeitslosengeld II für ein Grundeinkommen hält, wie Gerhard Bosch, hat sich entweder nicht mit den Vergabebedingungen beschäftigt oder hält die rigide Kontrolle für erstrebenswert. „Aktivierung von Arbeitslosen“, „Druck“ sei notwendig, sonst würden wir die Bedürftigen sozial vernachlässigen. „Drogenabhängige Jugendliche“ benötigen sozialarbeiterische Unterstützung – wer hätte etwas dagegen – doch unter welchen Bedingungen findet sie heute statt? Freiwillig oder erzwungen?

Wer ALG II erhalten will, muß eine rigide Kontrolle und Durchleuchtung über sich ergehen lassen. Was wie beratende Hilfe dargestellt wird, ist heute tatsächlich eine Bevormundung und unterläuft die Voraussetzungen für eine gelingende Hilfe: nur wenn Rat und Hilfe freiwillig gesucht werden, werden die Selbstheilungskräfte des Einzelnen gestärkt. Erzwungene Hilfeleistungen setzen nur die Stigmatisierung fort, die wir heute schon erleben. Statt von den Ausnahmen her unser Sozialsystem zu entwerfen, wie es Gerhard Bosch tut, müssen wir von der Regel her denken. Statt ein Szenario der „sozialen Vernachlässigung“ zu entwerfen, die mit dem Grundeinkommen einhergehe, sollten wir uns einmal fragen, weshalb Einzelne nicht oder kaum in der Lage sind, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Wer in dieser Lage ist, wird durch ein Grundeinkommen gestärkt, er muß sich vor keiner Behörde mehr rechtfertigen, er könnte vom Grundeinkommen leben, solange es hoch genug ist.

Doch dem Einzelnen zu vertrauen, das fällt uns besonders schwer (siehe auch „Grundeinkommen – ein gefährlicher Traum“, von Carsten Schneider (MdB, SPD): ) da werden alle möglichen Einwände mobilisiert und Gefahren mahnend beschworen, die doch letztlich nur eines offenbaren: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – und genau damit würde das bedingungslose Grundeinkommen Schluß machen.

Sascha Liebermann

"Nie wieder Hartz IV" (Die Zeit) – wahrlich weltfremd

In Die Zeit vom 12.4.2007 hat sich Kolja Rudzio in dem Beitrag „Nie wieder Hartz IV“ mit dem Grundeinkommen beschäftigt. Derselbe Autor hatte sich schon einmal im September 2005 in dem Beitrag „Sozialhilfe für alle“ zum Grundeinkommen geäußert.

Nach einer kurzen Darstellung kursierender Vorschläge zum Grundeinkommen, in der auch wieder einmal manches durcheinander geht, die Negative Einkommensteuer mit dem bedingungslosen Grundeinkommen gleichgesetzt wird und betont werden muß, daß das Grundeinkommen nichts Neues sei, sind die abschließenden Ausführungen die eigentlich interessanten.

Dort heißt es z.B.: „Alle Rechenspiele haben einen Pferdefuß: Ihr Ergebnis steht und fällt mit der Frage, wie sich das Verhalten der Menschen ändert, wenn das mühelose Einkommen gesellschaftliche Realität ist.“

Ganz genau, das können wir nicht vorhersagen, wir können aber sehr wohl daraus, wie die Menschen in der Vergangenheit gehandelt haben, nach welchen Überzeugungen sie dies taten, Schlußfolgerungen darauf ziehen, was ihnen wichtig ist und ob es wahrscheinlicher ist, daß sie Möglichkeiten der Selbstbestimmung ergreifen oder sich dirigieren lassen werden.

Weiter heißt es in dieser Passage: „Werden die, die heute noch brav [Hervorhebung SL] zur Arbeit gehen und Steuern zahlen, dann genauso viel schuften wie bisher? Oder würden sich immer größere Milieus an Alimentierung gewöhnen und dauerhaften Anstrengungen gar nicht mehr gewachsen sein?“

Ob die Einzelnen brav, also gehorsam und obrigkeitsliebend zur Arbeit gehen werden, das scheint den Autor mehr zu kümmern als die Frage, was denn dagegen spricht, daß sie die Freiheiten ergreifen werden. Man könnte meinen, heute lebten wir in einem Gefängnis, als kontrollierten Wärter die Folgsamkeit der Insassen – dabei leben wir in einer Demokratie. Kolja Rudzio hat in die Bürger und ihr Verantwortungsempfinden wenig Vertrauen. Was ist nun weltfremd, die Einschätzung Kolja Rudzios oder das Vertrauen in die Bürger?

An einer anderen Stelle heißt es: „Menschenbilder bietet die Wissenschaft zuhauf. Aber eine Prognose, wie sich eine Gesellschaft langfristig verändern würde, lässt sich nicht ableiten. Auch in der Praxis gibt es kaum Erfahrungen.“

Was wäre daraus nun zu folgern? Etwa dies, daß es abwegig ist, den Bürgern zu vertrauen, weil ihr Handeln nicht berechenbar ist; daß also, weil man die Bürger nicht berechnen kann, ihnen auf keinen Fall vertraut werden sollte?

Weise heißt es später: „’Aber viele junge Leute müssen wir mit unendlich viel Aufwand für Arbeit begeistern, weil sie immer wieder die Erfahrung machen, dass sie auch so Geld bekommen.’ Sie wüssten genau, was sie im Amt erzählen müssten, damit ihnen keine Leistungen gestrichen würden.“

Diese jungen „Leute“ sind also lebensklug, könnten wir sagen, sie spüren genau, in welche Mühle wir sie drängen. Was haben wir der Jugend denn zu bieten, außer den ewiggleichen, freiheitsfeindlichen Sprüchen der vergangenen 10 Jahre? Daß eine gewisse Verweigerungshaltung auch Protest ist, aus einem Ohnmachtsempfinden heraus geschieht – wer würde das bezweifeln. Wenn tagein tagaus in der öffentlichen Diskussionen, den politischen Stellungnahmen und der Schule verkündet wird, individuelle Neigungen und Interessen seien unbedeutend oder nachrangig, die Hauptsache es werde irgendeine Arbeit gemacht – dann sollte uns das nicht überraschen. Statt dessen täte es not, nach den Gründen zu fragen.

In der Fortsetzung der Äußerung wird es noch deutlicher: „’Die haben ihr bedingungsloses Grundeinkommen schon!’ Deshalb sei auch die Bereitschaft groß, eine Lehre abzubrechen. ‚Es fehlt immer häufiger der Wille, bei der Arbeit auch einmal einen Konflikt durchzustehen’, sagt Henke, der seit über 30 Jahren im Arbeitsamt tätig ist.“

Auch hier sollten wir uns nach den Gründen fragen. Weshalb einen Konflikt durchstehen und woher die Kraft dafür nehmen, wenn man sich mit der Sache, um die es geht, nicht identifiziert, wenn sie den eigenen Interessen nicht entspricht?

Schließlich zeigt sich, was für real gehalten wird: „Die Idee eines allgemeinen Grundeinkommens erscheint da manchen wie ein Befreiungsschlag zur Überwindung der sozialpolitischen Ohnmacht. Ginge es aber nur um das Ziel, den Menschen Alternativen zur Erwerbsarbeit zu ermöglichen, so ließe sich das auch ohne einen kompletten Systemwechsel erreichen. Geld ohne klassische Arbeit – Beispiele für eine schrittweise Umsetzung sind das Elterngeld [man höre und staune, als sei das ein Schritt in die Freiheit] oder die Anrechnung von Erziehungszeiten bei der Rente. Auch Bafög, Altersteilzeit oder Arbeitslosengeld könnten weniger restriktiv gewährt werden. Selbst eine staatliche Förderung von Sabbaticals ist denkbar. Das alles ist zwar weniger berauschend als die große Sozialutopie vom Einkommen ohne Arbeit – aber real.“

Da läßt sich nur resümieren: Wer nicht verstanden hat, daß wir schon heute in die Bürger vertrauen müssen und es tun, auch wenn wir dies nicht wahrhaben wollen, denn ohne Vertrauen ist eine Demokratie gar nicht möglich; wer nicht wahrhaben will, daß Mitarbeiter in Unternehmen produktiv und kreativ sind, wenn sie eine Aufgabe gerne übernehmen, sich mit ihr identifizieren, wer also all das verleugnet und für irreal hält, der – und nicht das bedingungslose Grundeinkommen – ist wahrlich weltfremd.

Sascha Liebermann

Hellseher und Durchblicker oder Wie unsere Journalisten uns expertenhaft bevormunden

Seitdem in der letzten Märzwoche zwei Studien zur Finanzierbarkeit des Solidarischen Bürgergelds (Dieter Althaus, CDU) vorgestellt wurden, überschlagen sich die Meldungen zum Grundeinkommen. Die Kommentare und Erwägungen nehmen zu, damit aber auch die alten Mißverständnisse und bevormundenden Kommentare der Journalisten. Aus diesem Anlaß seien hier drei Zeitungsartikel etwas ausführlicher besprochen.

Wenn es in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in einem Beitrag mit dem Titel Geld für alle“ heißt, der Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens sei nicht neu, wird man hellhörig. Dann folgt der Vergleich mit dem Modell einer Negativen Einkommensteuer. Sie ist nun gerade nicht, was mit dem bedingungslosen Grundeinkommen bezweckt wird: während letzteres eine Vorleistung darstellt und sich am Bürgerstatus orientiert, hält die Negative Einkommensteuer am Erwerbsideal fest, sie ist eine Ausgleichsleistung für zu geringes Erwerbseinkommen. Wir haben dies schon mehrfach kommentiert (Hier und hier), aber es kann nicht oft genug gesagt werden.

Im selben Artikel wird auch darauf hingewiesen, daß heute Sonderbedarfe geltend gemacht werden können, z.B. von Menschen mit Behinderung, und daß es ungerecht sei, wenn sie nach Einführung eines bGE wegfielen. Dieser Einwand hat nun nichts mit dem bedingungslosen Grundeinkommen zu tun, sondern damit, ob wir diese Sonderbedarfe weiter bereitstellen wollen. Wenn es der Zweck des bGEs ist, die Bürger in ihrer Selbstentfaltung zu stärken, dann müssen diese Sonderbedarfe weiter geltend gemacht werden können. Nicht allzuviel Denkanstrengung verlangt es, diesen Einwand gegen das bGE auszuräumen, sofern man dazu bereit ist. Es wird eine vernünftige Entscheidung auf einmal zum Problem erklärt, wie folgendes Zitat zeigt: „Schon bei den vergleichsweise kleinen Änderungen von Hartz IV hätte keiner gedacht, wie sich das auf das Verhalten der Menschen auswirkt. Da wurde Jugendlichen angeboten, ihnen eine eigene Wohnung zu bezahlen, und sie sind ausgezogen.“ Wunderbar, können wir nun sagen, denn das Elternhaus zu verlassen, um einen eigenen Haushalt zu gründen ist der erste Schritt ins Erwachsenendasein. Wollen wir das etwa nicht, wollen wir nicht die Selbstbestimmung der Bürger fördern, für die ein eigener Haushalt eben wichtig ist? Über einen solchen Einwand kann man nur staunen, er muß aus der verzweifelten Abwehr des bGEs geboren sein. Dann darf die Bemerkung nicht fehlen: Wo keine Ausbildung verlangt werde, um Einkommen zu erzielen, werden Jugendliche verwahrlosen – wer so denkt, sollte die DDR wieder errichten mit all den Erziehungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die doch unsere „Superliberalen“ eigentlich gar nicht wollen. Sonderbar, daß gerade sie immer den Untergang voraussehen, wenn mit der Freiheit der Bürger ernst gemacht werden soll.

Der Beitrag schließt mit der Bemerkung: „Und so werden wohl vor allem abgewandelte Modelle in der politischen Diskussion Umsetzungschancen haben – solche, bei denen die Empfänger immer noch Arbeit haben oder suchen müssen.“ Diese Schlußfolgerung erwächst aus der Ungewißheit darüber, wie denn nun die Einzelnen mit der Freiheit umgehen werden – als sei dies heute nicht ebenso ungewiß und wenig vorhersehbar, außer: Wir gehen davon aus, daß die Einzelnen vernünftige Entscheidungen treffen und tun, was sie für richtig halten. Weshalb sollte ein bGE daran etwas ändern?

Daß es beim bGE um eine alte Idee geht, diese Scheinweisheit muß auch Hannes Koch in der taz im Beitrag „Ein rasches Ende für Hartz IV“ verbreiten. Bei aller Kritik an Hartz IV heißt es undifferenziert: „Die Konzepte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, des thüringischen CDU-Ministerpräsidenten Dieter Althaus oder des Drogerie-Unternehmers Götz Werner unterscheiden sich in der Höhe der vorgeschlagenen Geldzahlung – nicht aber im Bruch mit dem Hartz-IV-System.“ Auch wenn ein Wegfall der Kontrollbürokratie schon ein wichtiger Schritt wäre, darf doch nicht übersehen werden, was die Folge eines niedrigen bGEs ist. Durch einen zu niedrig angesetzten Betrag, wie bei Straubhaar und Althaus, entsteht ein mittelbarer Erwerbszwang. Wer ist in der Lage, mit einem Bürgergeld von 400 oder 600 € tatsächlich noch Jobs abzulehnen, in denen nur 2,50 € pro Stunde bezahlt werden, wie es Hannes Koch behauptet? Zwar würde es die Sozialbürokratie nicht mehr geben, verdingen müßten sich die Bürger dennoch, denn ein solch niedriges Grundeinkommen läßt einem nicht die Wahl, die Kontrolle bzw. der Zwang werd en nur anonymisiert: Statt von der Arbeitsagentur wird er von den niedrigen Einkommensverhältnissen ausgeübt.

Hannes Koch führt weiter aus: „Hartz IV steht für das Prinzip der Vergesellschaftung durch Zwang, das Grundeinkommen für Sozialisierung durch Würde. Darüber zu streiten, welches der beiden Menschenbilder richtig ist, macht Spaß, führt aber nicht zum Ergebnis. Weil beide Seiten letztlich nur anekdotische Evidenzen anführen und Glaubenssätze vorbringen können, ist die Frage nicht zu entscheiden.“ Um sicher zu gehen, daß man ihn verstanden hat, sollte der Satz noch einmal gelesen werden. Die Verläßlichkeit der Bürger, ihre Loyalität zu unserem Gemeinwesen, das umfangreiche ehrenamtliche Engagement, das Wissen darum, daß Leistung nur dort erbracht wird, wo der Einzelne sich mit einer Sache identifiziert – all das ist nur anekdotische Evidenz? Hat den Verfasser das Denken verlassen? Die von ihm gezogene Schlußfolgerung wird dann verstehbar, wenn als Kriterium sicheren Wissens nur gilt, was gezählt und gemessen werden kann – was nicht gezählt und gemessen werden kann, das gibt es nicht. Erstaunlich ist die Zahlengläubigkeit und noch erstaunlicher die Denkvergessenheit, denn wäre Berechnungen an erster Stelle jemals Grundlage politischer Entscheidungen gewesen, hätte sich in der Weltgeschichte nicht allzuviel bewegt. Es hätte die Wiedervereinigung nicht gegeben – die manche genau deswegen für einen Fehler halten, weil die Folgen nicht berechnet worden sind.

„Nicht nur deshalb fällt es schwer, an die baldige Einführung des Grundeinkommens zu glauben. Den gigantischen Systemwechsel, bei dem wir 800 Milliarden Euro umlenken, alle Sozialabgaben abschaffen, wahlweise die Einkommensteuer oder Mehrwertsteuer auf 50 Prozent erhöhen, wird es vorerst nicht geben. Diese Megareform überfordert das Politiksystem und seine Politiker.“ Hier spricht der Hellseher, der stets schon weiß, was möglich sein wird und den anderen Unvermögen attestiert, um daraus sogleich sein Urteil zum Besten zu geben. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, da war unsere Bundeskanzlerin klüge
r. Wer nichts verändern will, muß nur stets verkünden, daß Veränderung nicht möglich sei – die wahren Blockierer sind also die Journalisten, die sich diese Urteile anmaßen, nicht die Politiker und das System, dem Unfähigkeit bescheinigt wird.

Wer nun schon zu dieser Einschätzung gelangt ist, faßt kleinere Schritte ins Auge, denn er will ja nicht den jugendlichen Irreleitungen der Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens anheimfallen, er will ja Realist sein und die wahrhaft wirklichen Möglichkeiten ausloten. Zumindest soll es, so Hannes Koch, eine liberalere Grundsicherung als die heutige geben. Auch hält er Beträge von 400 bzw. 600 €, wie sie im Zusammenhang mit dem Solidarischen Bürgergeld genannt werden, für zu niedrig und fordert mindestens 800. Doch nicht alle sollen es erhalten, nur Bedürftigen soll es bereitgestellt werden, denn: „Die Drohung mit verschärfter Armut fiele damit weg – die Pflicht zur Arbeit aber keineswegs. Der Verzicht des Staates auf juristische und materielle Strafen bedeutet ja nicht, dass die Gemeinschaft keine berechtigten Ansprüche an die Erwerbslosen mehr richten dürfte. Es bleibt richtig, von jedem erwachsenen Menschen zu verlangen, dass er sein eigenes Leben durch selbstverantwortliche Tätigkeit gestaltet und finanziert. Man soll ihn drängen, überzeugen, überreden, wenn nötig nerven. Nur hat es in den wenigsten Fällen Sinn, Selbstverantwortung zu erpressen. Erzwungene Arbeit nützt meist weder dem Arbeitenden, noch bringt sie der Allgemeinheit einen ökonomischen Vorteil.“ Besonders der Schluß klingt liberal freimütig, eine Bedürftigkeitsprüfung bliebe erhalten, damit auch eine Kontrolle. Die Bereitschaft zum großen Schritt fehlt dem Verfasser; was anderen attestiert wird, scheint aus einem Vorbehalt gegen sich selbst entstanden zu sein.

„Warum das Bürgergeld leider nicht funktioniert“, titelte die Welt und attestiert dem Althausmodell bei allen Vorteilen „…zwei entscheidende Mängel, einen politischen und einen psychologischen. Im föderalen Partei- und Verbändestaat wird dieses radikale Modell niemals durchgehen…“. Auch hier sind wieder hellseherische, also bevormundende Kräfte am Werk. Ist denn jemals eine weitreichende Reform irgendwo durchgeführt worden, die nicht erst erkämpft werden mußte? Wie stellen sich Journalisten politische Gestaltung vor, etwa wie bei „Mensch ägere Dich nicht“? Selbstverständlich muß es eine breite öffentliche Diskussion geben, sie ist auf dem besten Wege. Dann sehen wir weiter. Der eigentliche Grund des Vorbehalts findet sich allerdings an anderer Stelle: „Der psychologische Fehler liegt in der Annahme, daß Menschen freiwillig arbeiten werden, auch wenn sie bedingungslos Geld vom Staat bekommen. Für eine Mehrzahl mag das gelten, aber die Minderheit derer, die sich ins Private zurückzieht, wird dramatisch anwachsen und das System sprengen“. Also, die Mehrheit wird schon arbeiten und sich engagieren, dann ist die „psychologische“ Vermutung doch richtig, die dem bGE innewohnt. Diejenigen, die sich zurückziehen wollen, sind ja nur eine Minderheit, auch wenn sie „dramatisch anwächst“, eine Minderheit, die wir ohnehin nie erreichen werden, es sei denn durch bevormundende Maßnahmen. Auch hier treffen wir sie wieder, die Freunde des DDR-Sozialismus: „Alle, die heute hart in einem Job arbeiten, der ihnen keinen Spaß macht, werden eine Neigung zum Privatisieren verspüren“. Um so besser, dann behindern sie nicht weiter den Wertschöpfungsprozeß – für unser Gemeinwesen ein Effekt, den wir nur willkommen heißen können. Überraschend der Beginn der folgenden Äußerung: „Nicht jeder wird dem Impuls nachgeben, aber die völlige Entstigmatisierung von staatlicher Hilfe führt unweigerlich zu einem Ansturm auf die Leistungen. Gesellschaftliches Stigma, so häßlich es auch ist, schützt die Staatskasse vor dem Kollaps“. Hatte der Verfasser nicht der Analyse von Althaus zuvor noch zugestimmt? Ist es nicht heute gerade so, daß die Sicherungssysteme nicht mehr taugen? Wer die volkswirtschaftlichen Wertschöpfung kennt, weiß, wie leistungsfähig unser Land schon heute ist und wie leistungsfähig es wäre, wenn wir anerkennten, daß Freiwilligkeit die Grundlage aller Leistung ist. Genau dies hat der Verfasser nicht begriffen, wenn es am Ende heißt: „Das solidarische Bürgergeld konterkariert den Erwerbstrieb und bedroht damit die Grundlage von Wirtschaft, Wohlstand und Sozialstaat“. Wo ein Trieb ist, will er sich entfalten, dazu bedarf es also keiner Kontrollapparate. Das Streben nach Selbstbestimmung ist heute Grundlage unseres Gemeinwesens, ohne sie wäre es gar nicht denkbar. Doch unsere Journalisten scheinen dies gar nicht oder allenfalls nur für sich selbst gelten zu lassen.

Sascha Liebermann

Gerechtigkeit von "oben" oder Entmündigung durch Fürsorge

…diese Überschrift könnte man den Äußerungen von Andrea Nahles, Mitglied im SPD-Bundesvorstand, einst Kritikerin der Agenda-Politik des ehemaligen Bundeskanzlers Schröder, geben. In einem Gespräch mit Katja Kipping über den Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens hat sie sich zur gegenwärtigen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in aufschlußreicher Weise geäußert.

Schon der Auftakt ist bemerkenswert: Dieses Grundeinkommen wird es so niemals geben. Man kann ein Sozialsystem nicht gegen das Gerechtigkeitsempfinden der Mehrheit der Bevölkerung organisieren.

Zwar ist Frau Nahles hier in einer Hinsicht zuzustimmen: daß es nur die Sozialpolitik gibt, die wir wollen und uns gefallen lassen und eine bessere nicht ohne unser Engagement kommen wird. Doch geht sie dort zu weit, wo sie uns Bürgern dekretiert, was wir für gerecht zu halten haben. Denn der Ist-Zustand sagt nichts darüber, ob es nicht eine Mehrheit für das Grundeinkommen geben kann, wenn einmal eine breite öffentliche Diskussion in Gang gekommen ist. Sie ist ja schon auf dem besten Wege, denn im Unterschied zur bürgervergessenen Politik der etablierten Parteien findet die Diskussion zum Grundeinkommen dort statt, wo die Bürger sich auf gleicher Augenhöhe begegnen und ein Gemeinwesen über Neuerungen streiten muß: in der Öffentlichkeit. Betrachtet man, wo die Diskussion ungefähr vor drei Jahren begonnen hat und wo sie heute steht, wie die Parteien auf sie reagieren, dann spricht alles für einen Umschwung.

Weiter heißt es: Wer Leistungen von der Gemeinschaft erhält, muss auch eine Gegenleistung bringen. Sonst geht die Ausgewogenheit von Geben und Nehmen verloren.

Dies mag Frau Nahles Deutung von Gerechtigkeit sein, ist sie aber gerecht, bringt sie uns weiter, löst sie eines unserer Probleme? Vielmehr hat uns doch gerade diese Vorstellung in die Sackgasse von Hartz IV, von Aktivierung, Anreizen und Gängelung geführt. Wie ein Reflex auf verloren gegangene Gewißheiten wirkt das ängstliche Festhalten an der Maxime des Gebens und Nehmens, die für Frau Nahles klar definiert ist: Wer empfängt, muß sich alle Gängelungen – hier als „Fördern“ kosmetisch verpackt – gefallen lassen. Als würde nicht schon heute gegeben, ohne daß genommen würde, und zwar durch das vielfältige Engagement in allen für unsere Gemeinschaft wichtigen Bereichen, doch diese gelten uns nicht viel. Statt dessen soll es wohl Arbeitsdienste, Elternbeaufsichtigungsbehörden und einen Bürger-TÜV geben.

Der Kerngedanke von Hartz IV war und ist richtig. Kein Mensch darf auf alle Zeiten in die Sozialhilfe abgeschoben werden, sondern jedem muss man die Chance auf einen Arbeitsplatz eröffnen.

Diese Reaktion soll wohl ein Vorwurf an die Adresse der Grundeinkommensbefürworter sein. Sicher hängt es von der Höhe ab, welche Freiheit wir uns ermöglichen, doch Andrea Nahles zieht Fürsorge und Beaufsichtigung der Freiheit vor, sie kann die Freiheit, die ein Grundeinkommen eröffnet, gar nicht denken, würde sie sonst die Chance auf einen Arbeitsplatz nicht höher bewerten als die Freiheit, sich entscheiden zu können.

Das ist kein Grund, 40 Millionen Menschen staatliche Leistungen zu geben, obwohl sie die gar nicht brauchen. Wer denkt an diejenigen, die im Schweiße ihres Angesichts für wenig Geld arbeiten und trotzdem Steuern zahlen?

Dieser Einwand gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen wird ja auch von Grundeinkommensbefürwortern selbst erhoben, die bestimmen wollen, wer es braucht und wer nicht (siehe auch den Bericht zum Kongress „Wege aus der Armut“), wer bedürftig ist und wer nicht. Der Gedanke des bGE ist aber ein ganz anderer, es will mit der Bedürftigkeitsprüfung brechen, die immer eine Beaufsichtigung und Definition notwendig macht, damit auch Sanktionen erfordert. Wer also die Bedürftigkeitsprüfung überwinden will, muß für ein bGE plädieren, denn als Bürgereinkommen stellt es alle gleich, egal, über welche weiteren Einkommen sie verfügen. Nur, wenn alle es erhalten, ist mit der Idee, die das bGE trägt, ernst gemacht, nur dann anerkennen wir uns Bürger als Bürger ausdrücklich als Grundlage unseres Gemeinwesens.

Deshalb halte ich daran fest, dass jeder im Hier und Jetzt das Recht auf einen Arbeitsplatz behält.

Wer dies fordert, ist vom Arbeitsdienst nicht weit entfernt, auch wenn dieser Arbeitsdienst heute „Fördern und Fordern“ genannt wird. Andrea Nahles will das Tauschprinzip des Marktes, Gegenleistung nur für Vorleistung, zum allgemeinen Prinzip erheben, demzufolge alles bilanziert und aufgerechnet wird, aus dem Gemeinwesen wird ein Tauschbetrieb. All die Befürchtungen darüber, Bürger könnten durch ein Grundeinkommen „abgeschoben“ werden, sollen ganz offensichtlich nur verdecken, wie sehr ihr Blick auf Erwerbsarbeit als einzige wertzuschätzende Leistung festgelegt ist.

Mit Ihrem Grundeinkommen würden wir vielen Menschen den quasi offiziellen Status legitimierter Arbeitslosigkeit verleihen. Die Mehrheit der Menschen will aber arbeiten und etwas für andere tun, etwas produzieren, das Nutzen und Anerkennung bringt

Wenn die „Menschen“ nun ohnehin arbeiten wollen, dann bräuchten wir sie ja nicht weiter in den Arbeitsmarkt zu drängen und könnten darauf vertrauen, daß Erwerbsarbeit ein Ort des Engagements sein würde, zu dem ohnehin viele streben. Doch diesen Widerspruch bemerkt Frau Nahles gar nicht, also vertraut sie doch nicht wirklich in dieses Wollen der Bürger, könnte sie sonst ein bedingungsloses Grundeinkommen begrüßen.

Wer würde denn in Ihrer schönen Welt den Müll entsorgen? Das ist einer der härtesten Jobs, den wir in diesem Land haben…Mein Vater ist Maurer. Das macht er sehr gerne. Er produziert etwas, das er vorzeigen kann. Er fährt mit mir durch die Stadt und sagt, das habe ich gemacht, dort habe ich gearbeitet. Das ist befriedigend für ihn. Arbeit ist Sinn. Den gibt es auch außerhalb der Erwerbsarbeit, ja. Aber für viele Menschen ist Arbeit, auch harte Arbeit, sehr zentral im Leben.

Der Klassiker unter den Einwänden darf nicht fehlen, seine Überhöhung allerdings spricht Bände, sollten wir deshalb etwas „harte“ Arbeiten aufrechterhalten, wenn wir Maschinen einsetzen könnten? Nur, wer Arbeit als Mühsal und Last versteht, wie Frau Nahles, verehrt die körperliche Arbeit: Je anstrengender desto wertvoller ist sie. Würden wir heute noch so denken, gäbe es wohl keine Schulen, keine Universitäten, keine Wissenschaft, es gäbe keine Kunst und keine Tätigkeiten – denn die Leistungen, die dort erbracht werden, sind ni
cht so leicht, wenn überhaupt, sichtbar zu machen. Auch wenn die Müllentsorgung wichtig ist, wer würde das bestreiten, ist sie dennoch nicht wichtiger und „härter“ als andere Tätigkeiten. Dies anzuerkennen, davon ist Frau Nahles weit entfernt.

Ich gehe von den Leuten bei mir im Dorf in der Eifel aus. Die Menschen dort wollen und brauchen einen bezahlten Job, der sie ernährt.

Mit diesem Beispiel ließe sich auf wunderbare Weise aufzeigen, was ein bedingungsloses Grundeinkommen für strukturschwache Gebiete und Regionen leisten könnte. Statt dort künstlich Arbeitsmärkte durch zweckgebundene Subventionen zu schaffen oder durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Einkommensplätze bereitzustellen, würde das bedingungslose Grundeinkommen den Bürgern ein Einkommen zur Verfügung stellen und ihnen erlauben, in ihrer Heimat zu bleiben und sich zu engagieren, wo immer sie es für wichtig und richtig erachten. Sie müßten nicht wegen des Einkommenserwerbs ihre Heimat verlassen.

Statt Bürgerarbeit, wie sie neuerdings als Errungenschaft gefeiert wird, würde ein bedingungsloses Grundeinkommen Freiheit ermöglichen, auch Freiheit dazu, sich für die Müllentsorgung zu engagieren.

Sascha Liebermann