Strukturelle Zwänge vs. individuelles Bestreben,…

…treffend bemerkt, dass es nicht am Einzelnen liegt, ob es „Augenhöhe“ gibt oder nicht. Es kann sie nicht geben, wenn der eine sanktionieren kann und der andere nicht. Statt solche Euphemismen zu verwenden, sollte man einfach sagen, wie es ist. Trotz des Machtgefälles allerdings kann es einen helfenden und unterstützenden Umgang geben oder einen, der herablassend ist.

Sascha Liebermann

Auch nur eine Befragung…

…und nur, weil Mitarbeiter der Auffassung seien, die veränderte Sanktionspraxis stelle ein Problem dar, folgt daraus nicht, dass in der Verschärfung eine Lösung bestehe. Wie insgesamt in der Debatte, lassen sich Vorurteile auch bei Mitarbeitern im Jobcenter feststellen.

Hier der Link zur Studie des DIW.

Eine standardisierte Befragung bleibt bezüglich der Denkwelten oberflächlich, auch wenn sie „repräsentativ“ wäre, das liegt in der Methodik begründet und sollte einen dazu veranlassen, sich anderes Datenmaterial zu verschaffen. Wenn das nicht möglich ist, kann ein Anfang sein, die Komplexität von Alltagsbeobachtungen ernst zu nehmen.

Sascha Liebermann

„…das komplette System vom Kopf auf die Füße stellen“…

…darüber spricht Carsten Linnemann in diesem Kurzinterview und sieht im Vorschlag der CDU, eine neue Grundsicherung einzuführen, offenbar den großen Wurf. Man fragt sich allerdings, ob das denn der Fall wäre. Vom Kopf auf die Füße wird den Ausführungen im Gespräch zufolge nichts gestellt, es sind doch eher Anpassungen innerhalb des bestehenden Gefüges, teils wäre es die Rückkehr zu Altbekanntem im Arbeitslosengeld II. Zu behaupten, es gebe keine verbindliche Kooperation mehr zwischen „Staat“ und „Bürgergeldempfänger“ muss man wohl als Wahlkampfgetöse verstehen. Linnemann sagt selbst, dass die Mehrheit der Bezieher gar nicht im Fokus der Neuen Grundsicherung stehe – „wir reden über den ganz harten Kern“. Das ganze Getöse dient also der Aufmischung weniger Bezieher, als handele es sich dabei um gewiefte, hartgesottene, sich durch nichts beirren lassende Bürgergeldbezieher, die wirklich mit allen Wassern gewaschen sind. Man könnte meinen, es gebe heute keine Sanktionsmöglichkeiten im Bürgergeldbezug. Linnemann begründet das Getöse damit, es den „Menschen schuldig“ zu sein, „die jeden Tag arbeiten gehen“. Hat er die denn gefragt und haben sie dem zugestimmt? Oder handelt es sich nicht eher um unverhältnismäßige Mittel, die wenig Erfolg – gemessen an dem vorausgesetzten Ziel – versprechen? Wenn man den Worten der Leiterin eines Jobcenters (Interview im NDR) folgt, gelangt man zu einer ganz anderen Einschätzung (siehe auch hierhier und hier). Beratungsprozesse benötigen Zeit, gerade wenn es um den Personenkreis geht, der hier im Fokus steht, der in der Regel vielfältige Beschwernisse hat. Kurzfristige Erfolge seien unrealistisch. Sind das ganz neue Einsichten? Nein, sie sind altbekannt (siehe die Verlinkungen oben). Zuguterletzt meint Linnemann noch, wir brauchten „dringend in Deutschland einen Mentalitätswandel“ – starker Tobak, würde ich denken. Sicher, wir stehen vor Herausforderungen; sicher ist auch, dass Altbewährtes sich nicht mehr eignen mag, dazu gehört aber gerade auch die Haudrauf-Sozialpolitik, die kein Problem löst.

Sascha Liebermann

„Wir brauchen einen gesunden Druck“…

…sagt Stefan Graaf, Geschäftsführer der Jobcenter StädteRegion Aachen im Interview auf Zeit Online, das im November veröffentlicht wurde. Worum geht es?

„ZEIT ONLINE: Die Umstellung von Hartz IV auf das Bürgergeld soll den Druck auf Arbeitssuchende verringern, es soll künftig mehr gefördert als gefordert werden. Derzeit werden allerdings in vielen Bereichen händeringend Arbeitskräfte gesucht. Kommt die Reform da nicht zum völlig falschen Zeitpunkt?

Graaf: Die Frage ist doch: Schaffen wir es mit Druck, eine langfristige, erfolgreiche Arbeitsmarktintegration hinzubekommen? Eine kurzfristig erfolgreiche Vermittlung sicher, aber nach meiner praktischen Erfahrung keine langfristige. Eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration gelingt nur mit den Menschen und nicht gegen sie. Ja, wir brauchen einen gesunden Druck. Aber das Thema Sanktionen wird immer viel zu hoch gehangen, weil die Mehrzahl der Betroffenen ordnungsgemäß mitwirkt. Das ist teilweise eine Phantomdiskussion, die wir in Deutschland führen. Wichtig ist, dass die Mitarbeiter der Jobcenter ganz eng an den Menschen mit einer guten Beziehungsarbeit dran sein können.“

Graaf spricht aus Erfahrung und gerade deswegen überrascht die Zweischneidigkeit seiner Aussage. Auf der einen macht er deutlich, dass nur „mit den Menschen und nicht gegen sie“ das Ziel der „Arbeitsmarktintegration“ erreicht werden könne. Auf der anderen aber schließt er „Druck“ nicht aus, „gesunden Druck“. Was er damit meint, denn Druck, so wie er es hier verwendet, ist einer, der von außen einwirkt. Inwiefern kann er hilfreich sein und ist es tatsächlich so, dass solcher Druck förderlich ist?

„ZEIT ONLINE: Wie viel Druck ist denn notwendig aus Ihrer Sicht?

Graaf: Es muss zumindest die Verpflichtung bestehen, einer Einladung des Jobcenters auch Folge zu leisten, und das steht im Gesetzentwurf auch drin. Jetzt kann man sich politisch streiten, ob das erst bei der zweiten Einladung greift, wie es jetzt vorgesehen ist, oder ob es schon bei der ersten Einladung greifen soll. Für uns wäre es einfacher, wenn das schon beim ersten Mal der Fall wäre. Dann hätten wir klare Spielregeln. Aber das ist eine politische Entscheidung, die aus Sicht der Praktiker nicht so zentral ist.“

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„Die Debatte über die Sanktionen war überzogen“…

…ein sehr interessantes Interview mit der Leiterin des Frankfurter Jobcenters in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Bezahlschranke). Sie sagt zwar nichts, was einen überraschen kann, wenn man sich mit der Materie ein wenig befasst hat, aber ihre Ausführungen sprechen aus Erfahrung, sind bodenständig und verklären nicht die Asymmetrie zwischen Jobcenter und Leistungsbezieher zu einem Verhältnis „auf Augenhöhe“.

Sie bedauert, dass das Bürgergeld in einer veränderten Variante zur Entscheidung steht, weil dem Jobcenter damit Möglichkeiten verloren gehen, auf Sanktionen zu Beginn zu verzichten. Sie erkennt darin dennoch eine neue Grundlage für ihr Handeln und hält es auch für wichtig „Menschen dauerhaft aus der Arbeitslosigkeit zu holen“, das sei „das richtige Ziel“. Hier ist sie der gängigen Deutung treu, als müssten sie herausgeholt werden, statt sie dort hinausgehen zu lassen, wenn sie es für richtig erachten.

Vollkommen klar sieht sie die Lage derer, mit denen das Jobcenter zu tun hat. Unter denjenigen, die das Jobcenter aufsuchen, sind Langzeitarbeitslose gemäß der Definition des Sozialgesetzbuches:

„Darunter sind viele Menschen, die schon sehr lange arbeitslos sind, viele Alleinerziehende, viele Ausländer, viele Geringqualifizierte ohne eine abgeschlos­sene Berufsausbildung. Neu hinzugekommen sind die Soloselbständigen, deren Einkommen in der Pandemie plötzlich wegbrach. Daneben gibt es nicht wenige, die Vollzeit arbeiten, aber ergänzend Grundsicherung beziehen, weil das Geld sonst für sie und ihre Familie nicht reicht.“

Ungeschminkt, von Arbeitsverweigerung, Hängematten usw. ist keine Rede. Und sie fährt fort:

„Da kommen oft mehrere Probleme zusammen: Ein großer Teil der Langzeitarbeitslosen hat Schulden oder eine schwere Erkrankung, zum Beispiel eine Suchtproblematik oder psychosoziale Nö­te. Auch eine fehlende Qualifizierung und mangelnde Motivation können eine Rolle spielen. Und manchmal ist es alles auf einmal. Dann haben die Menschen gar nicht den Kopf dafür frei, sich eine Arbeit zu suchen.“

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„Das Jobcenter nimmt die nächste drohende Stromsperre in Kauf“…

…ein Beitrag von Alina Leimbach in der taz über die ganz alltäglichen Nöte, die dadurch entstehen, dass in der Sozialverwaltung etwas „vergessen“ wurde. Diese menschliche Seite der Verwaltung, für die sicher jeder Verständnis hat, denn so etwas kann immer einmal vorkommen, hat hier drastische Folgen. Ebenso verhält es sich mit der Fehlberechnung in der Leistungsermittlung, was hier ein Fehler bleibt, ist in seinen Wirkungen ein Leistungsausfall – es geht jedoch um das Existenzminimum.

Wenn es um das Existenzminimum geht, sollte so etwas nicht passieren können. Das wäre dann der Fall, wenn es keiner Absicherung bedarf, die von einer Bewilligung abhängt. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen leistet genau das.

Sascha Liebermann