Die Abwehr des Neuen aus dem Geist des Alten – Matthias Zeeb (EKD) zum bedingungslosen Grundeinkommen

Unter dem Titel „Das bedingungslose Grundeinkommen: nicht unbedingt eine gute Idee“ hat sich Matthias Zeeb, Mitarbeiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland, mit dem bedingungslosen Grundeinkommen beschäftigt.

Auf neue Einwände stoßen wir in dem Beitrag nicht, doch die Haltung, mit der sie vorgebracht werden, lassen eine Kommentierung sinnvoll erscheinen. Dabei werde ich nur auf manche seiner Einwände eingehen und folge dabei der Nummerierung der Abschnitte, wie sie im Originaldokument vorgenommen ist.

In Abschnitt 23 „Befreiung vom Zwang zur Arbeit?“ heißt es:

Bedeutet es [das bGE, SL] die Befreiung vom Zwang zur Arbeit? Bei entsprechender Höhe wird zutreffen, dass für Menschen mit sehr geringen Einkommenserwartungen weder die Notwendigkeit noch der sozialbürokratische Zwang eigenständigen Einkommenserwerbs tatsächlich noch besteht. Für die Mehrheit der Bevölkerung findet der ‚Zwang zur Arbeit‘ jedoch auf einem Niveau an Lebensstandard statt, das deutlich über der für ein Bedingungsloses Grundeinkommen realistischen Höhe liegt. Dieser auch selbst gewählte Sachzwang hat stärker autonome Elemente als die Sanktionsdrohungen gegen Arbeitslose, führt jedoch ebenfalls dazu, dass Menschen an krank machenden oder in anderer Hinsicht unbefriedigenden Beschäftigungsverhältnissen festhalten.

Befreien muß sich derjenige, der sich solche Zwänge auferlegt, selbst. Wenn er es nicht allein zustande bringt, wird er sich Unterstützung besorgen. Was für Zeeb ein Einwand gegen das bGE darstellt, läßt doch nur auf eines schließen: Ein Sicherungssystem nach seiner Vorstellung soll die Menschen auch noch von selbst auferlegten Zwängen befreien. Das wäre aber nur dort möglich, wo man ihnen ihre Selbstbestimmung nimmt. Der paternalistische Sozialstaat läßt grüßen. Wer die Freiräume nicht nutzt, die das bGE ihm bietet, und dennoch weiter unter ihn krank machenden Bedingungen arbeitet, muß auch die Verantwortung dafür selbst tragen – sonst wird es totalitär.

Zeeb hingegen folgert daraus:

Ein gesichertes Grundeinkommen mag diese individuelle Entscheidungssituation in Einzelfällen marginal verändern, doch wird ein realistisch finanzierbares Bedingungsloses Grundeinkommen immer nur für bescheidene Menschen und Beschäftigte in niedrigen Einkommensbereichen eine echte Alternative darstellen. Das böse Wort von der ‚Stilllegungsprämie‘ beschreibt den Zynismus dieser Wirkung: Die kritische Situation am Arbeitsmarkt würde auf Kosten bereits heute marginalisierter Gruppen durch deren dauerhafte Ausgrenzung entspannt.

Niedrig muß das bGE nicht notwendig sein, wie die Berechnungen zeigen, die Helmut Pelzer und Ute Fischer angestellt haben. Und selbst ein bGE in der Höhe heutiger ALG II-Leistungen wäre ein Schritt aus der Erwerbsfixierung und hin zur Anerkennung der Bürger um ihrer selbst willen – nicht ausgegrenzt würden manche, sie würden erst wirklich anerkannt. Zeebs Einwand ist konstruiert, keineswegs läuft es auf ein niedriges bGE hinaus, das wird davon abhängen, was wir wollen, an Möglichkeiten mangelt es nicht.

Im Abschnitt 24 geht es um „Mehr oder weniger Teilhabe?“:

Ob diese [durch die Wahrung des Lohnabstandsgebots, wie sie die Negative Einkommensteuer ermöglicht, SL] Anreize ausreichend wären, die anzunehmende passivierende Wirkung des Bedingungslosen Grundeinkommens auszugleichen, ist vorher kaum abschätzbar und wird unter anderem auch von der Entwicklung der Arbeitsnachfrage und der Entlohnung im Niedriglohnbereich abhängen.

Die „passivierende“ Wirkung eines bGEs wird behauptet – aus einfachem Grund, so läßt sich vermuten. Matthias Zeeb kann, wie weit verbreitet, Engagement in jeglicher Form auch im Beruf nicht als sinnerfüllend denken. Sonst würde er hier zum Umkehrschluß kommen müssen. Wer durch ein bGE die Möglichkeit erhält, sich dort zu engagieren, wo er es will, wird es auch tun. Wer sich mit seinem Beruf identifiziert, wird selbstverständlich ihn weiter ausüben, aber nicht unter allen Bedingungen. Statt einer „Passivierung“ ist von einem bGE das Gegenteil zu erwarten. Überall, wo Leistungen erbracht werden, bedarf es eines inneren Antriebs des Einzelnen, einer Motivierung, um sie zu erbringen. Auch heute gilt das, das bGE würde dies nur noch fördern. Da nicht nur jegliches Engagement möglich ist, sondern auch jedes Erwerbsengagement sich lohnt, wenn es anrechnungsfrei bleibt (wie bei Götz Werner oder auch uns vorgesehen), wird für jedes Erwerbsengagement auch noch das Lohnabstandsgebot eingehalten.

Weitere Erwägungen Matthias Zeebs zur Frage, wie denn das Bildungsinteresse der Menschen gesteigert werden könne, erübrigen sich, wenn man mit Sonntagsreden ernst machte und den Menschen mehr zutraute. Sonderbar und merkwürdig ist für uns doch nicht die Wißbegierde von Kindern, bevor sie unsere Schulen besuchen. Sonderbar und erschreckend ist eher, wie wenig die kindliche Neugierde in Schulen gefördert und gefestigt wird. Wo Zentralisierung und Standardisierung voranschreiten, nämlich durch Zentralabitur und straffere Lehrpläne in unseren Schulen und durch Bachelor- und Masterstudiengänge an den Universitäten, wo wir gerade dafür sorgen, dass „Pauken“ und Wissensverwaltung an die Stelle von Erfahrung und Problemlösung treten, müssen wir uns über die Folgen nicht wundern. Wer sich den gegenwärtigen Bemühungen in unserem Bildungswesen entzieht, die danach streben, den Nürnberger Trichter zu optimieren – der hat es schwer. Doch diese Verweigerung, die allerorten beklagt wird, ist auch eine Verweigung einer Bildungsvorstellung gegenüber, die den Einzelnen nicht zum Ausgangspunkt nimmt, sondern ihn als Störfaktor betrachtet. Auch hier ist das Mißtrauen in die Fähigkeiten des Einzelnen groß, wie Zeebs Ausführungen uns lehren.

Auch die Frage nach „Beschäftigung“, Abschnitt 27, darf nicht fehlen.

Insbesondere das Entstehen zusätzlicher Niedriglohnarbeitsplätze ist wahrscheinlich, da die Kombination aus reduzierten Lohnnebenkosten und verstärkten positive Anreizen zur Arbeitsaufnahme sich in diesem Bereich besonders stark auswirken dürfte.

Wer im Alten festhängt, sieht das Neue nicht. Das bGE führt zu einer anderen Zusammensetzung des Einkommens. Wer zusätzlich erwerbstätig ist, erhält also das bGE plus Erwerbseinkommen. Selbst wenn das Erwerbseinkommen niedriger ist als unter heutigen Bedingungen, kann die Einkommenssumme gleich oder höher sein. Die Prognose eines Entstehens von Niedriglohnarbeitsplätzen verfehlt die Veränderungen, die ein bGE mit sich bringt. Ganz unbeachtet bleibt in Zeebs Überlegungen, wie attraktiv es wird, Automatisierungspotentiale offensiv zu nutzen, wenn sie dem politischen Konsens nicht mehr zuwiderlaufen, wie es heute der Fall ist. Die
Frage nach der Beschäftigung, an der wir heute kleben, wird der Vergangenheit angehören, denn das bGE erkennt jedes Engagement als „Beschäftigung“ an, aber als eine, die der Einzelne sich sucht oder auch schafft, weil er sich mit etwas beschäftigen will.

Und auch hier, noch im selben Abschnitt, hängt Zeeb fest:

Dem ist gegenüberzustellen, dass die Grundeinkommensleistung als solche mit Sicherheit dämpfend auf das Arbeitsangebot wirken würde. Insbesondere Haushalten mit Kindern, aber auch Geringqualifizierten und Leistungsgeminderten böte sich das Grundeinkommen als Alternative zur Erwerbsbeteiligung an – dies gilt umso mehr, je höher das Grundeinkommen ausfällt.

Von der christlichen Botschaft ist nicht mehr allzuviel übrig in der Evangelischen Kirche, muß man hier schließen. Wer Kinder hat, könnte endlich mehr Zeit für sie aufwenden, ohne in Einkommensnot zu geraten – für Zeeb offenbar eine Verfehlung. Ist das nicht im Sinne ders christlichen Botschaft? Aber nicht nur der, unser Gemeinwesen ohne Familien wäre gar nichts. Die Entscheidung, sich um die Kinder zu kümmern, kann uns nur willkommen sein, wenn wir es mit den Familien ernst meinen. Das will die Kirche wohl nicht.

„Geringqualifizierte“ und „Leistungsgeminderte“ haben ohnehin im Arbeitsmarkt kaum Möglichkeiten, da die Anforderungen an Mitarbeiter weiter zunehmen werden. Statt ihnen etwas aufzudrängen, das sie nicht erfüllen können oder wollen, wäre ihnen mit dem bGE ein Leben in Würde und ein Engagement in anderen Bereichen möglich. Sie könnten sich dann Betätigungsfelder suchen, in denen es nicht auf berufsspezifische Qualifikationen ankommt – wäre das kein Fortschritt?

In Abschnitt 30, „Der Sonderfall Götz Werner“, wird dann richtig schwarzgemalt:

Mit einiger Gewissheit lässt sich sagen, dass die reine Mehrwertsteuerfinanzierung die europäische Wirtschafts- und Währungsunion sprengen dürfte. Deutschland würde eine gigantische Exportwirtschaftszone, wie sie gelegentlich in Entwicklungsländern eingerichtet werden. Die mit der praktisch völligen Steuerentlastung der Exporte einhergehende Abwertung des realen Wechselkurses hätte Hochkonjunktur im Inland und Anpassungsrezession in den anderen Euroländern zur Folge bis gegenläufige Lohnentwicklungen zu einem Ausgleich führen würden.

Einer Einführung eines bGE gehen zuerst einmal lange Diskussionen voran. Je näher die Diskussionen an eine Umsetzung heranrücken, desto mehr werden die Länder um uns herum sich fragen, wie sie darauf reagieren. Das Szenario ist also eine Illusion, es sei denn, man spricht unseren europäischen Nachbarn ihre Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit ab. Auf Selbstentmachtung liefe es hinaus, wenn wir unsere politische Gestaltung von einer EU-Politik abhängig machen, die in die Vergangenheit führt und nicht in die Zukunft. Auch hier gilt zwar, daß geschlossene Verträge einzuhalten sind, doch schließt das keine Verhandlung über ihre Geltungsdauer oder gar Auflösung aus. Gerade an solche Auseinandersetzungen könnte eine politische Union in Europa, die wir bislang nicht haben, wachsen.

Unkenntnis ausführlicher Darlegungen der Zusammenhänge und mangelnde Bereitschaft, sich auf Sachfragen einzulassen, werden besonders an folgender Stelle im selben Abschnitt deutlich:

Aber vielleicht käme alles auch ganz anders, denn eine stärkere Aufforderung zum Steuerbetrug als eine 50%ige (und in der Spitze noch höhere) Mehrwertsteuer lässt sich kaum vorstellen. Kritisch ist an sein Modell, wie auch an andere Vertreter der Fraktion ‚Der Arbeitsgesellschaft geht die Arbeit aus‘, die Frage zu richten, wie lange angesichts knapper werdender Energie- und anderer Ressourcen sich der historisch mit der Nutzung fossiler Rohstoffe zusammenfallende rasante Produktivitätsfortschritt wird fortsetzen lassen und welche Verteilungsmuster dann, und vorbeugend möglicherweise heute schon, greifen sollten?

Die Konsumsteuer soll langfristig alle Einkommensteuerarten ablösen, die Preise, so die Argumentation von Götz Werner und Benediktus Hardorp, würden nicht einmal steigen müssen. Zeeb ignoriert die Zusammenhänge zwischen Unternehmensbelastung und Weiterwälzung dieser Belastung in die Güterpreise. Die Konsumsteuer kommt nicht hinzu, mit ihrer Erhöhung soll die Einkommensteuer in ihren verschiedenen Arten abgesenkt werden bis sie ganz verschwunden ist.

Daß gerade ein bGE ernst macht mit der Frage „Wie wollen wir leben?“, damit auch unseren Wachstumsfetischismus und unser Konsumverhalten in Frage stellt, sei hier nur angemerkt. Wer wenig konsumiert, für den muß weniger erzeugt werden, ergo benötigt er auch einen geringeren Anteil seines bGEs für den Konsum. Diesen ökologischen Effekt hat das bGE, ohne den moralischen Zeigefinger zu heben, denn konsumieren kann dennoch weiterhin jeder nach seinen Möglichkeiten. Er wird dafür nur auch entsprechende Steuern zahlen müssen. Was Zeeb vollkommen übersieht oder übersehen will, ist die Umwertung unseres Handelns durch ein bGE. Wo heute ein Teil des Konsums eine Art Wiedergutmachung für eine als fremdbestimmt empfundene Erwerbstätigkeit ist, wird diese Art von Konsum verschwinden, wenn die Fremdbestimmung einer Ermöglichung von Freiheit gewichen ist. Wer das nicht sieht, hat das bGE nicht verstanden.

Sascha Liebermann

Einer Übermacht von Zauberern muß mit Verstand begegnet werden – Neues zum Grundeinkommen aus den Gewerkschaften

Eine Verhöhnung sollte es werden, das ließ schon der Titel des Beitrages „Freibier für alle hilft den Durstigen nicht“, von Hans-Joachim Schabedoth in der Frankfurter Rundschau, erkennen. Das bedingungslose Grundeinkommen werde von seinen Befürwortern als Zauberwaffe präsentiert, ihr muß mit Verstand begegnet werden, heißt es in dem Beitrag. So geheimnisvoll stellt sich der Vorschlag allerdings gar nicht dar. Ausgefeilte Argumente und Begründungen liegen vor, weshalb bestimmte Effekte zu erwarten wären. Jeder kann diese Thesen anhand seiner Lebenserfahrung prüfen. Die schon im Titel erkennbare Verleumdung ist wohl eher Ausdruck von Verzweiflung angesichts der Resonanz, die das bGE mittlerweile erhält – gerade auch von seinen Gegnern (Horst Sieberts Beitrag in der FAZ vom 27. Juni, S. 12, liegt dieser Vortrag zugrunde. Siehe auch unseren Kommentar).

Aufgrund dieser Resonanz fühlen sich Gewerkschaftsvertreter offenbar als einsame Rufer in der Wüste, als stünden sie einem Millionenheer von Grundeinkommensbefürwortern gegenüber, gegen deren „Heilslehre“ und „Phantasterei“ (Michael Schlecht) sie ankämpfen müssen – mit dem gesunden Verstand. Daß Gewerkschaftsvertreter dies so wahrnehmen, ist für die Diskussion um ein bGE ein gutes Zeichen: je größer die aufgefahrenen Geschütze, desto gefährlicher der Feind.

Wer ist denn in der Übermacht angesichts der guten Organisiertheit der Gewerkschaften und der Millionen Euro, die für Kampagnen ausgegeben werden? Wer erhält denn problemlos Zugang zu Fernsehsendungen und Printmedien, um seine Thesen, Kritik und Kommentare zu verbreiten? Da waren und sind die Grundeinkommensbefürworter, wenn sich auch viel geändert hat, noch immer in einer anderen Lage. Wo ist die Übermacht, da von einer breiten Debatte noch gar keine Rede sein kann? – Die Übermacht, so kann aus dem scharfen Ton des Beitrags in der Frankfurter Rundschau geschlossen werden, ist wohl eher eine der Argumente: Argumente kann man leugnen, abwehren oder aufgreifen und sich mit ihnen auseinandersetzen. Alles ist gleichermaßen Ausdruck dessen, daß sie man an ihnen nicht vorbeikommt.

Alleine schon, daß Herr Schabedoth das bedingungslose Grundeinkommen und den Vorschlag eines Bürgergeldes, wie ihn die FDP vertritt, in einen Topf wirft, offenbart mangelnde Sachkenntnis bzw. böswillige Verzerrung. Der Vorschlag der FDP sieht lediglich eine Zusammenfassung der Transferleistungen in einer Leistung vor, die Bedürftigkeitsprüfung wird aber beibehalten. Das bGE will diese ja gerade abschaffen – das weiß Herr Schabedoth, dennoch hält er beides nicht auseinander.

Es heißt dann: „Es geht den Gewerkschaften nicht um Stilllegungsprämien für Arbeitskräfte, sondern um die Integration aller Arbeitswilligen in das Erwerbssystem. Nicht zuletzt hat das etwas zu tun mit dem gewerkschaftlichen Verständnis von der Würde des Menschen“.

Hier wird ganz offensichtlich Menschenwürde mit Erwerbstätigenwürde verwechselt, aus dem politischen Bürger wird ein Arbeitsbürger. Denn ob der Einzelne, wenn es einmal ein bGE gäbe, der Auffassung wäre, daß seine Menschenwürde nur mit Erwerbsarbeit zu erhalten ist, das könnte ihm überlassen werden. Genau das allerdings, den Einzelnen entscheiden zu lassen, wollen die Gewerkschaften nicht.

Weiter: „Die pauschale Unterstützung von Nicht-Hilfebedürftigen geht prinzipiell zu Lasten jener, die aufgrund ihrer individuellen Bedarfs- und Lebenslage einer abgestimmten Unterstützung bedürfen“.

Ein Mythos, der nur dazu dient, die Bedürftigkeitsprüfung als Kontrolle aufrechtzuerhalten. Ein bGE schließt in keiner Weise aus, daß auch Sonderbedarfe gedeckt werden, denn nur dann ist die Würde des Menschen, nicht des Erwerbstätigen, gewahrt. Die Frage ist, welche Würde grundlegender ist? Für die bGE-Befürworter ist die Antwort eindeutig, denn Würde kann es nur geben, wo es Freiheit und Vertrauen in den Einzelnen, in die Bürger also, gibt.

Er fährt fort: „Die Finanzierungslasten eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle müßten die Summe aller eingesparten staatlichen Transferleistungen erheblich überschreiten, wenn das Grundeinkommen das Existenzminimum absichern soll“.

Auch das ist ein Mythos. Doch wer Haushalte als statische Größen betrachtet, muß dies so sehen. Hier wird die gestaltende Kraft, die ein bGE entfalten könnte, mit dem Taschenrechner bestimmt, statt sich die Wirkzusammenhänge vor Augen zu führen.

Und weiter: „Die Vorstellung, zusätzliche Gegenfinanzierungsmittel über eine drastische Erhöhung der Verbrauchsteuern einzunehmen, verrät unschwer die Absicht neuerlicher Umverteilung zu Lasten aller, die den größten Teil ihres Einkommens für den Konsum ausgeben müssen. Das Grundeinkommen, wie bei Götz W. Werner angelegt, ist im eigentlichen Sinne Nebenprodukt einer neuen Steuersystematik, die den Unternehmen und Vermögenden nützt und allen anderen schadet. (Paul Kirchhoff lässt grüßen!)“.

Da muß der alte Klassenfeind bemüht werden. Eine Auseinandersetzung mit Götz W. Werners bzw. Benediktus Hardorps Argumentation zeigt auf einfache Weise, wer heute bei aller Einkommenbesteuerung die Steuerlast trägt: der Verbraucher. Wenn von einer gerechten Verteilung der Lasten die Rede ist, dann muß auch betrachtet werden, was ein Steuersystem wie bewertet: Wollen wir die Nutzung von Geldmitteln für Investitionen, Schenkungen und Konsum zum Ausgangspunkt der Besteuerung machen oder die Verfügbarkeit über Geldeinkommen? Messen wir jemanden an seinem Handeln, was er also mit seinem Geld macht, oder daran, wieviel er hat? Die Konsumsteuer bewertet das Handeln, denn das ist für unser Gemeinwesen entscheidend.

Zum Schluß heißt es: „Die individuelle Entscheidung, nicht am Erwerbsleben teilhaben zu wollen, gehört nach dem Grundverständnis der Gewerkschaften – und wohl auch nach allgemeiner Auffassung der meisten Bürgerinnen und Bürger – nicht zu den Tatbeständen, die eine gesellschaftliche Unterstützungsleistung auslösen sollten“.

Und warum nicht? Etwa weil all die anderen Leistungen in Familie, Ehrenamt und bürgerschaftlichem Engagement wertlos sind? Hier sollten die Gewerkschaften offen aussprechen, daß sie Erwerbsarbeitsfetischismus betreiben und dem Einzelnen nicht vertrauen, statt sich hinter allgemeinen Formeln zu verstecken.

Das Fazit, das Herr Schabedoth zieht, ist bezeichnend: „Das vorerst letzte gesellschaftliche Großexperiment, einen gesamten Staat als eine Art Beschäftigungsgesellschaft zu organisieren, ist bekanntermaßen gescheitert“. Genau, ließe sich ihm zustimmen, das will das bGE eben nicht, eine Erwerbstätigengesellschaft. Phänomenal ist die Verkehrung der Sachlage ins Gegenteil. Es sin
d doch die Gewerkschaften unter anderen, die genau diese Haltung nicht aufgeben wollen: das Gemeinwesen als Beschäftigten- und Beschäftigungsgesellschaft zu begreifen. Verkehrte Welt.

Sascha Liebermann

Das Bedingungslose Grundeinkommen auf „Ratten“-Fang (Hans-Olaf Henkel)

„Rattenfänger“ seien die Vertreter eines bedingungslosen Grundeinkommens, eine „spinnerte“ Idee sei es – so eröffnete Hans-Olaf Henkel seine Diskussion über das Grundeinkommen im ZDF Nachtstudio am 20. Mai. Götz W. Werner und Michael Opielka hätten an dieser Stelle zurecht die Sendung verlassen können, denn sie waren direkt angesprochen – sie blieben aber, um viel wirkungsvoller und für die Sache klärend auf die Einwände zu antworten.

Was von Hans-Olaf Henkel in dieser Sendung zu erwarten war, das ist zu Beginn deutlich geworden. Berufen dazu, die Nation aufzuklären und zu erziehen, die „Ratten“ – also uns Bürger – vor der Verführung zu bewahren, wie er in der Sendung bekannte („Wir müssen die Menschen dazu erziehen, für sich selbst sorgen zu können“), zeigte er nicht den Funken eines Bemühens, sich mit der Idee auseinanderzusetzen. Statt dessen spulte er die Thesen zum Untergang der deutschen Wirtschaft, des Bildungswesens usw. ab, die man in den letzten Jahren immer wieder von ihm vernehmen konnte. Er bemerkte nicht, wie sehr er mit dieser Haltung urdeutsche Besserwisserei zur Schau stellte, die er des öfteren schon anderen attestiert hat. Er weiß schon immer, was richtig ist, ein argumentativer Streit ist deswegen überflüssig.

Die dramatischen Folgen der Konsumsteuer wollte er Götz Werner vor Augen führen, was dann wohl in grenznahen Gebieten mit seinen DM-Märkten geschähe? Als dieser darauf entgegnete, in Konstanz seien, trotz der in Deutschland im Vergleich zur Schweiz viel höheren Mehrwertsteuer, die Umsätze der DM-Märkte hervorragend, wich Henkel aus. War wohl ein schlechtes Beispiel.

Eine Konsumsteuer von 50% wäre eine Katastrophe für grenznahe Unternehmen – kein Wort verlor er darüber, daß es dann keine Einkommensteuer mehr geben soll, die Einkommen von Unternehmen und Privatpersonen also entlastet würden. Die Binnenwirtschaft würde gestärkt, ein wirklicher Arbeitsmarkt könnte entstehen.

Wenn er nun selbst nichts zu sagen hatte – auf einen Gegenvorschlag wartete man vergebens –, weshalb dann nicht wenigstens gute Einwände oder Nachfragen zum Grundeinkommen vorbringen? Dazu hätte er sich damit beschäftigen müssen, das wollte er auf keinen Fall. Vielmehr erkennt er in der Diskussion eine gesellschaftspolitische Fehlentwicklung, die Diskussion sei gefährlich.

Ganz gleich, ob über die dynamisierenden Effekte des bGEs auf die Wirtschaft, die Freiheit zum Wollen und die Befreiung vom Müssen, die Entlastung der Arbeit und der Wertschöpfung diskutiert wurde – alles hoffnungslos, denn Hans-Olaf Henkel wußte schon immer Bescheid.

Erstaunen mußte die Überheblichkeit, die sowohl Herr Henkel als auch Herr Druyen gegenüber der Politik an den Tag legten. Sie haben leicht reden, müssen sich politisch nicht bewähren und um Stimmen kämpfen – da ist es ein Leichtes, die Welt zu belehren. Thomas Druyen, der das bGE für vollkommen absurd hielt und die Grundeinkommensdiskussion auf den Mangel politischer Kompetenz zurückführte, hatte auch keinen Gegenvorschlag zu bieten – das ist nicht ganz richtig: ein Beschäftigungsmarkt müsse her, für über 60 Jährige. Auch er hat das bGE nicht verstanden, wie es scheint, denn mit einem solchen müßte niemand beschäftigt werdener könnte sich aber mit allem beschäftigen, das er für interessant hielte.

In einem waren sich beide – Henkel und Druyen – sicher: sie wußten schon immer Bescheid, und genau das ist ein ernsthaftes Problem für eine Diskussion über Lösungen für unsere Probleme.

Sascha Liebermann

Grüne Grundsicherung – ein Nachtrag

Vor einigen Wochen haben wir in unserem Blog den Entwurf zu einer „Grünen Grundsicherung“ kommentiert und auf systematische Schwächen dieses Vorschlages aufmerksam gemacht. Anlaß war, daß es mehr und mehr Vorschläge gibt, die als bedingungsloses Grundeinkommen dargestellt werden, in ihrer Konzeptionierung aber das bedingungslose in ein bedingtes Grundeinkommen verwandeln, z.B. durch einen zu niedrig angesetzten Betrag.

Mittlerweile hat Bündnis 90/ Die Grünen (Baden Württemberg) ein Diskussionsportal zur Grünen Grundsicherung eingerichtet. Der dort abgelegte längere Eröffnungsbeitrag, verfaßt von Thomas Poreski (einem der Verfasser des kommentierten Vorschlags), ist hier Anlaß zu einem Nachtrag.
Es heißt dort: „Jede Alternative muss deshalb so konkret ausformuliert sein, dass sie nicht nur philosophischen, sondern auch politischen Maßstäben genügt“. In der Tat ist dies wichtig, doch läßt die Gegenüberstellung von philosophisch und politisch erahnen, wodurch ein Vorschlag „konkret“ wird. Grundsätzliche Erwägungen, wie wir sie seit Beginn vorgenommen und in der öffentlichen Diskussion zu verbreiten versucht haben, gelten wohl eher als philosophisch. Sie sind nicht darauf gerichtet, Umsetzungsschritte zu entwerfen, sondern grundlegende Fragen auszuleuchten, die es dann erst erlauben, bedacht über Umsetzungsschritte zu diskutieren. Das „Philosophische“ ist also in der Tat sehr „praktisch“, wenn es darum geht, Wirkungszusammenhänge menschlichen Handelns deutlich zu machen und damit mögliche Wirkungen eines bedingungslosen Grundeinkommens auszuleuchten.

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Leserbrief zu einem Artikel im Rheinischen Merkur: "Solidarität neu denken"

Ein gutes Zeichen, daß nun auch der Rheinische Merkur mit einem Beitrag von Thomas Straubhaar die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen aufgenommen hat. Angesichts der nun schon mehr als zwei Jahre öffentlich geführten Diskussion um ein Grundeinkommen ist ein deutlicher Wandel zu verspüren. War es letztes Jahr noch undenkbar, daß Parteien und Gewerkschaften sich mit dem Vorschlag öffentlich beschäftigen, hat sich seit Jahresanfang der Wind deutlich gedreht. Parteien laden zu öffentlichen Veranstaltungen zum Grundeinkommen ebenso ein wie Gewerkschaften. Offenbar ist das bedingungslose Grundeinkommen der einzige Weg aus unserer Misere.

Eine Stärke des Grundeinkommens ist es, die Bürger als Bürger, als Fundament unseres Gemeinwesens anzuerkennen, ihnen zu vertrauen. Sie werden schon, so die Maxime des Vorschlages, ihren Beitrag leisten, wenn wir ihnen die Entscheidung voll und ganz überlassen. Das bedingungslose Grundeinkommen soll ja auch deswegen leistungslos gewährt werden, weil wir schon heute in die Autonomie, den freien Entschluß der Bürger, ihren Beitrag leisten zu wollen, vertrauen: sonst wäre Demokratie unmöglich. Mit der Einführung entschieden wir uns dazu, unsere Lebensvorstellungen umzuwerten. Egal was, egal wo, egal wie: der Einzelne wird sich dort engagieren, wo er es für richtig und wichtig hält. Was auch immer er unternimmt, er gehört zum Gemeinwesen, in dem sich alle auf Augenhöhe begegnen. Die Gemeinschaft der Bürger ist die einzige, die den Einzelnen um seiner selbst willen anerkennt, egal woher er kommt – ganz im Unterschied zu heute, da seit Jahren eine Politik des Arbeitshauses regiert.

Nur ein Effekt des bedingungslosen Grundeinkommens, nicht sein Zweck, wie es der Beitrag von Thomas Straubhaar nahelegt, ist es, das Initiativwerden, die freie Entfaltung auch im unternehmerischen Sinne zu fördern. Sie ist nur eine Form des Engagements im Gemeinwesen und nicht die wichtigste. Wenn es in dem Beitrag heißt, daß das Grundeinkommen und die in seinem Gefolge notwendige Umgestaltung „die Anreize zu eigener Erwerbstätigkeit erhöht und legale gegenüber illegaler Arbeit nicht mehr so sehr benachteiligt wie heute“, wird noch so argumentiert, als bedürfe der Mensch eines von außen kommenden Impulses, eines „Anreizes“, um sich in Gang zu setzen. Das Grundeinkommen, heißt es weiter, sorge dafür „daß die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht durch einen Wegfall der sozialen Unterstützung bestraft wird. Das erhöht gerade im Niedriglohnbereich die Anreize zu arbeiten noch einmal beträchtlich“. Leiden wir an einem Autonomiedefizit, leiden wir daran, von uns aus initiativ zu werden? Wir leiden doch vielmehr an Autonomieverhinderung – die Bürger würden schon, wenn man sie ließe. Was wie ein Streit um des Kaisers Bart erscheinen mag, ist tatsächlich eine andere Perspektive auf die Problemlage. Schon heute müßten wir doch angesichts der Freiheitsfeindlichkeit uns eher darüber wundern, daß bei all der Autonomieverhinderung wir Bürger noch immer uns engagieren. Offensichtlich wollen die Einzelnen in der Regel ihren Beitrag leisten, dort, wo sie es für richtig und wichtig erachten.

Auch soll das Grundeinkommen nicht denjenigen Schutz gewähren, die keine Arbeit haben, wie es an anderer Stelle heißt: „Menschen, die keine Arbeit haben…benötigen sozialpolitischen Schutz und Unterstützung und nicht jene, die einen Job haben“. Damit wird die Idee gerade in ihr Gegenteil verkehrt. Soll das Grundeinkommen Berufstätigen nicht gewährt werden, soll es angerechnet werden? – Dann hätte es mit dem bedingungslosen Grundeinkommen nichts mehr zu tun. Nur wenn es zu jeder Zeit gewährt wird, gibt es allen gleichermaßen die Freiheit zur Entscheidung, ganz gleich ob sie einer Erwerbsarbeit nachgehen oder nicht. Würde es immer gewährt, fände auch keine Anrechnung statt. Jedes zusätzlich Einkommen würde auf das Grundeinkommen oben drauf gelegt. Es sind zwei voneinander unabhängige und anders legitimierte Einkommen, um die es geht.

Und wie ist die paternalistische Fürsorge – ein Rest an Mißtrauen – zu verstehen, wenn es im Zusammenhang mit der Krankenversicherung heißt: „Hier könnte der Staat auch Gutscheine ausgeben, die bei jeder Kranken- oder Unfallkasse für eine Grundsicherung eingelöst werden können“. Wozu Gutscheine, weshalb es nicht dem Einzelnen überlassen bzw. ihn direkt beim Arzt bezahlen lassen, zumindest für die ihm direkt zumutbaren Beträge? Der Solidarteil könnte ebenfalls über Steuern finanziert werden. Die Gutscheine führten eine Kontrolle ein, derer wir nicht bedürfen.

„Klar ist: Je höher das Grundeinkommen, desto teurer wird das Konzept für die öffentlichen Kassen und umso höher müssen die Steuereinnahmen liegen. Je höher aber die steuerliche Belastung ist, desto geringer wird der Anreiz, steuerpflichtige Tätigkeiten auszuüben.“ Da ist sie wieder, die Autonomievergessenheit, als sei der in Rede stehende Zusammenhang mit einer Art Sozialmechanik zu erklären. Wenn die Bürger sich für ein solches Grundeinkommen aussprechen, wenn das System transparent ist und ihre Freiheit stärkt, werden sie auch bereit sein, die Steuern abzuführen, die zu seiner Finanzierung notwendig sind. Da die Dynamik, die das Grundeinkommen wohl ermöglichte, kaum vorhersagbar ist, erscheinen unsere heutigen Kalkulationsversuche schon, als seien sie von gestern. Es muß ja nicht bei der Einkommensbesteuerung bleiben, weshalb nicht auf Konsumbesteuerung vollends umstellen? Benediktus Hardorp hat die Argumente dafür schon lange auf den Tisch gelegt.

„Im Sinne der „Politik der kleinen Schritte“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel sollte das Konzept zunächst neben das bestehende System gestellt werden. Die Bevölkerung hätte dann die Möglichkeit, sich freiwillig entweder für das alte oder das neue System zu entscheiden.“ Keinesfalls sollte die „Bevölkerung“ dies entscheiden, sondern diejenigen, die die politische Ordnung tragen: die Bürger. Erst wenn wir das begreifen, daß es kein Gemeinwesen ohne seine Bürger geben kann, daß die Bürger alles tragen, wird das Grundeinkommen eine breitere Aufnahme finden: ob das gelingt, hängt von jedem Einzelnen ab.

Sascha Liebermann

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