„Apropos Reifeprüfung“…

…ein Beitrag vn Martin Senti in der Neuen Zürcher Zeitung über die Mündigkeit des Volkes, der folgendermaßen schließt:

„Es ist also die Direktdemokratie als Verfahren, welche die Politik legitimiert, und nicht das sachpolitisch tatsächlich Erreichte. Damit wird auch jede situativ bewertete «Mündigkeit» der Stimmbürger obsolet – das bleibt Geschmacksache. Wenn schon pädagogisiert werden muss, dann passt «Reife» am ehesten auf das System der Konkordanz selber, das auch verhaltensauffällige Parteien wie die SVP auszuhalten versteht.“

Siehe auch „Niemand sagt, Direktdemokratie sei das Allheilmittel“

Erziehung zur Unmündigkeit

Manuela Schwesig, Bundesfamilienministerin, forderte schon lange ein Rückkehrrecht von Eltern, insbesondere Müttern, auf ihren Arbeitsplatz. Nun zeigt sich deutlich, dass nicht die Erweiterung von Rechten sie antreibt, sondern eine bestimmte Vorstellung vom richtigen Leben, die für alle gelten soll – und das richtige Leben heißt, wen wundert’s, Erwerbsarbeit. Dafür will sie „Anreize“ setzen, damit Mütter sich schneller wieder der Erwerbsarbeit zuwenden (FAZ, 22.3.2014, S. 18) – dies ist ein Verständnis von Emanzipation, zu der Frauen so gedrängt werden sollen; zudem, das ist das andere Verständnis von Emanzipation, sollen Männer mit finanziellen Zugaben gedrängt werden, ebenfalls ‚mal für gewisse Zeit zu Hause zu bleiben – auch dass letztlich für das Ziel, den Familien die Erwerbsarbeit der Mütter schmackhaft zu machen. Zwar erklärte Schwesig es so: „Die Wirtschaft muss flexibler werden und Eltern, die ihre Arbeitszeit für die Familie reduzieren“ wollen dies ermöglichen – in einem Nachsatz jedoch zeigt sich wieder die Fixierung auf die Erwerbsarbeit: „Die Wirtschaft muss“ diesen Eltern, „gute Karriere-Chancen ermöglichen.“ Was „für die Familie“ heißt, bleibt bei ihr unbestimmt, bloße Floskel. Demgegenüber ist ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht mit einem bestimmten Lebensentwurf verknüpft, sondern eröffnet dem Bürger, Familien dabei insbesondere, echte Wahlmöglichkeiten, die Freiheit, selbst zu entscheiden, welchem Familienmodell sie folgen wollen, ob sie dem Aufbau des Urvertrauens des Säuglings und Kleinkindes die erforderliche Intensität und Zeit gewähren wollen oder ob sie der Ansicht sind, der früheste Kontakt zu Gleichaltrigen in der Babykrippe sei besser für das Kind. Dass diese Freiheit – wie jede Freiheit – zugleich eine Verantwortungslast mit sich bringt, steht dabei außer Frage. Darin aber, sich dem zu stellen, besteht und entfaltet sich Mündigkeit – nicht im Befolgen von Anreizen und im Erfüllen von Lebensmodellen, die Politiker wie Frau Schwesig meinen vorgeben zu müssen.

Thomas Loer

Pädagogisierung der Bürger oder praktizierte Demokratie? – Anmerkungen zu einem Vortrag von Franz Segbers

Die jüngsten Ereignisse in Tunesien, Ägypten und Lybien haben uns vor Augen geführt, was möglich ist, wenn sich die Bürger gegen ihre Regierung erheben und nicht klein bei geben. Beharrlichkeit, Einsatzbereitschaft und Mut waren und sind gefragt. Genausowenig, wie vorhersehbar war, dass diese Aufstände gelingen, also Erfolg haben würden, genausowenig wissen wir, ob daraus nun eine lebendige Demokratie erwächst. Wäre jemand auf den Gedanken gekommen, einer solchen Erhebung müsse eine Art Umerziehung vorausgehen oder pädagogische Beratung an die Seite gestellt werden?

Besonders erstaunlich ist eine solche Überlegung, wenn sie in Deutschland nach 60 Jahren Demokratie angestellt, wie es in der Grundeinkommensdiskussion der Fall ist. Die Mündigkeit dazu, der Freiheit gewachsen zu sein, wird von Kritikern wie durchaus auch von Befürwortern des bGEs immer wieder bezweifelt. Entsprechend besorgt schaut man darauf, was wohl passieren wird, wenn die Bürger mit den Möglichkeiten eines bGEs einmal wirklich konfrontiert sind. Würden diese Zweifel nur daran erinnern wollen, dass ein überstürztes Vorgehen in Sachen Einführung nicht zu empfehlen und eine Umsetzung des bGEs mit Bedacht vorzunehmen wäre, wären sie nichts anderes als Ausdruck gesunden Menschenverstandes. Sie reichen meist aber viel weiter, werden zu Zweifeln an der Demokratiefähigkeit (siehe z.B. hier, hier, unsere Kritik an den Nachdenkseiten sowie die Antwort eines CDU-Abgeordneten auf eine Anfrage bei Abgeordnetenwatch).

Damit wird die gegenwärtige politische Ordnung und die Möglichkeiten, die sie bietet, nicht nur unterschätzt, sie wird geradezu geleugnet. Selbstverständlich ist eine Demokratie immer nur so lebendig, wie ihre Bürger sie ernst nehmen, doch zu bezweifeln, dass wir für die Demokratie schon reif oder fähig seien, kommt einer Infantilisierug der Bürger gleich.

Jüngst hat sich Franz Segbers anlässlich eines Vortrags in Bremen („Vom protestantischen Arbeitsethos zu einer neuen Arbeitsethik“) ähnlich fragend zweifelnd geäußert, was wohl passiere, wenn das bGE eingeführt werde, ob das überhaupt wünschenswert sei. Der Vortrag enthält interessante Argumente gegen die vergangene sowie gegenwärtige Sozialpolitik und für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Darin spricht er sich unter anderem für eine allgemeine Verkürzung der Erwerbarbeitszeit aus (siehe unsere Kritik hieran). Er äußert sich indes jedoch auch folgendermaßen (im Vortragsmanuskript auf S. 8):

„Dass ein Bedingungsloses Grundeinkommen ein erstrebenswertes Ziel für die gesellschaftspolitische Entwicklung sein soll, lässt sich aber nicht dekretieren. Hannah Arendt hatte früh davon gesprochen, dass der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgehen werde. Doch was dann? Es ist „die Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist, also die einzige Tätigkeit, auf die sie sich noch versteht. Was könnte verhängnisvoller sein?…“

Was ist gemeint, was soll damit gesagt werden, ein bGE lasse sich als „erstrebenswertes Ziel“ nicht dekretieren? Die öffentliche Diskussion seit einigen Jahren zeigt gerade, dass ein Prozess der Meinungsbildung in Gang gekommen ist, um sich darüber Aufklärung zu verschaffen, worum es beim bGE geht. Ob es langfristig gewollt ist, wird sich erweisen müssen. Wer aber sollte es dekretieren, wenn nicht die Bürger selbst, sei es durch eine parlamentarische Entscheidung, sei es durch Volksentscheid? Ein Dekret über Köpfe der Bürger hinweg kann es nach Verfahren der parlamentarischen Demokratie nicht geben, denn dazu sind Mehrheiten notwendig. Manche mögen einwerfen, die sogenannten Hartz-Gesetze seien doch auch von oben den Bürgern übergestülpt worden. Das halte ich für einen Mythos. Wer über Jahre Erfahrung in der Grundeinkommensdiskussion gesammelt hat, weiß, dass der Geist der Hartz-Gesetzgebung breit verwurzelt ist, die Gesetzgebung also widerspiegelt, was als Konsens der Mehrheit gelten kann. An anhaltenden Protesten, wie wir sie in Nordafrika erleben, hat es gefehlt. Von Meinungsumfragen, mit denen manche zu zeigen glauben, dass gegen das Volk regiert werde, sollte man sich in dieser Sache nicht täuschen lassen, sie sind oberflächlich und methodisch mehr als umstritten.

Die von Franz Segbers zitierte Passage aus Hannah Arendts „Vita Activa“ gehört zu den Standardzitaten in der Diskussion um eine „Krise der Arbeitsgesellschaft“. Übergangen wird in der Verwendung des Zitats die im Original auf das Zitat folgende Passage, in der Arendt schreibt, ihr Buch biete keine Antworten, schlage aber eine „Art Besinnung“ vor (Arend, Vita Activa, Fischer Verlag 2003, S. 13). Eine Besinnung führt naheliegender Weise zugleich dazu, über Alternativen nachzusinnen. Durch diesen Nachsatz wird die kulturpessimistische Einschätzung Arendts zumindest abgeschwächt. Übersehen wird von Hannah Arendt (das Buch, „The Human Condition“, erschien zuerst auf Englisch 1958), dass gerade die Nachkriegszeit auch von einer Bewährung der Demokratie zeugt, also einer Grundlage des Zusammenlebens, die weiter reicht als die „Arbeitsgesellschaft“. Die politische Ordnung wurde, zumindest eindeutig in den westlichen pluralistischen Demokratien mit Berufung auf die Bürgerrechte – nicht auf Erwerbstätigenrechte – gestaltet und erhob die Souveränität des Volkes zu ihrer Legitimationsquelle (siehe auch „Das Menschenbild des Grundeinkommens…“). Arendts Analyse ist somit nicht nur verkürzt, sie ist in dieser Hinsicht sogar blind. Wer sich, wie Franz Segbers, auf diese Passage beruft, schleppt den Kulturpessimismus samt seiner Geringschätzung demokratischer Erfahrungen nunmehr in sechzig Jahren deutscher Demokratie mit. Dabei könnte er schlicht auf die tatsächlich bestehende politische Ordnung und das umfangreiche Engagement der Bürger hinweisen, um das Gegenteil von dem beweisen, was mit dem Zitat belegt werden soll.

Weiter heißt es an derselben Stelle bei Segbers:

„…Ähnlich auch Erich Fromm, der bereits 1966 ein garantiertes Einkommen für alle forderte. Der Übergang – so Erich Fromm – könne nur gelingen, wenn die Menschen durch „psychologische, philosophische, religiöse und erzieherische“ [Kursivierung SL; bei Fromm heißt es „erziehungswissenschaftliche“] Anstrengungen unterstützt werden.“

Was ist unter dieser „Unterstützung“ zu verstehen? Ruht sie auf Freiwilligkeit oder sollte sie belehrend anleitenden Charakters sein? Das bleibt unklar, dabei ist dieser Unterschied keine Kleinigkeit, er ist wesentlich, es ist der zwischen Hilfs-Angebot und Bevormundung bzw. Zwangshilfe. Erstaunlich ist diese Haltung, weil einer Einführung des bGEs ohnehin, wie nun schon seit Jahren, eine öffentliche Diskussion um Für und Wider vorausgeht. Sie ist mehr als nur eine argumentative Klärung, sie ist eine praktische Auseinandersetzung darum, ob ein solcher Weg gegangen werden soll oder nicht. Gerade diese Auseinandersetzung ist eine Vorbereitung auf die Welt mit bGE und sensibilisiert für die Möglichkeiten und Herausforderungen. Für diejenigen, die dennoch in ein „Loch“ fallen würden, die der Hilfe und Unterstützung bedürften, für sie wird gelten, was heute in der Regel gilt: Wer Hilfe benötigt, sucht Rat. Dort, wo zum Schutz anderer, z.B. des Kindeswohls, Interventionen staatlicher Einrichtungen notwendig sind, werden sie auch zukünftig möglich sein. Wozu also diese pädagogisierende Unterstützung? Entweder sind die Bürger mündig oder sie sind es nicht, gilt ersteres, sind sie demokratiefähig, gilt letzteres, sind sie es nicht.

Im Vortrag geht weiter:

„…Auch der Ökonom John Maynard Keynes, der schon 1928 eine Produktivitätsentwicklung prognostizierte und eine wöchentliche Arbeitszeit von weniger als 15 Stunden erwartete, fragte besorgt: „Müssen wir nicht mit einem allgemeinen ‚Nervenzusammenbruch’ rechnen?“

Diese Einschätzung unterschätzt, wie sehr Menschen schon heute ihr Leben in die Hand nehmen und es unter besseren Bedingungen, wie sie ein bGE schüfe, noch mehr tun könnten. Ein „Nervenzusammenbruch“ würde wohl dort eintreten, wo jemand bislang ein außerordentlich fremdbestimmtes Leben geführt hat, das bGE hingegen ihm demgegenüber mehr Selbstbestimmung abverlangt. Ein solcher Zusammenbruch wäre vor allem heilsam und im Sinne dessen, wovon die Demokratie lebt: mündiger Bürger.

Der Vortrag fährt fort:

„Erwerbsarbeit ist nur ein Faktor, der heute Menschen ausbeutet und entfremdet: Bildzeitung, Fernsehprogramme, Kulturevents, Urlaubsanimation. Fast jede Kontaktaufnahme mit der Wirklichkeit verstärkt heute eine konsumistische Lebenspraxis, die die Enteignung eigenen Fühlens, Denkens, Wollens befördert. Was fangen Menschen mit der ermöglichten Freiheit an? Wozu führt die Freiheit vom Zwang zur Erwerbsarbeit? Werden sie der kapitalistischen Konsummaschinerie ausgeliefert? Geraten sie aus den Zwängen entfremdeter Erwerbsarbeit in die neuen Zwänge der Konsumindustrie?“

Wie Franz Segbers diese Einschätzung – das gilt für alle kulturpessimistischen Urteile – empirisch belegen will, ist mir ein Rätsel. Zum einen unterschätzt er meines Erachtens die Resistenz gegen Konsumangebote, zum anderen übersieht er, dass Konsum heute durchaus auch etwas mit Status zu tun hat. Hinzu tritt noch die kompensatorische Bedeutung von Konsum als Entschädigung für Unzufriedenheit im Beruf. Getragen wird dies alles von einem Selbstverständnis als Gemeinwesen, dass dem Erwerbserfolg große Bedeutung dabei zumisst, die Stellung des Einzelnen zu bestimmen. Solange ein Gemeinwesen auf den Erwerbserfolg derart großen Wert legt, ist der demonstrative Konsum also naheliegend. Unterschätzt wird von ihm ebenso, wie häufig in Grundeinkommensdiskussionen, welche Bedeutung auch heute ein berufliches Ethos hat, das gut zu machen, was man macht. Es findet sich über Qualifikationsniveaus hinweg und ist Grundlage von Leistungserbringung. Von Ausbeutung und Entfremdung so undifferenziert zu sprechen klärt nicht auf, eher vernebelt es den Blick. Aleine der Hinweis auf das umfangreiche Engagement jenseits erwerbsförmiger Tätigkeiten bezeugt etwas anderes. Jugendliche haben heute viel früher ein Sensorium für Authentizität und Autonomie, sind viel weniger fundamentalistisch in politischen Fragen als noch Generationen vorher. Wer sich nach Einführung eines bGEs zuerst einmal orientieren müsste und eine „Auszeit“ bräuchte, hätte die Möglichkeit. Auch aus einer „konsumistischen Lebenspraxis, wo sie denn anzutreffen wäre, muss der Einzelne sich selbst hinausführen, ob mit oder ohne Hilfe. Das bGE würde ihn, folgt man einmal der Behauptung Segbers‘, darin gerade bestärken, nicht schwächen. Franz Segbers beschwört hier eine Übermacht, wie man sie sonst nur von den „TINA“- (There is no alternative) und Sachzwanganhängern kennt (anders noch klingt es in seinem Papier „Bürgerrechte, soziale Rechte und Autonomie. Weiterentwicklung des Sozialstaates
durch ein Grundeinkommen“
, siehe insbesondere den Schlusspassus).

Gegen Ende des Vortrags heißt es dann:

„Es kann also realistischerweise nicht darum gehen, so schnell wie möglich ein Grundeinkommen umfassend einzuführen. Vielmehr müssen heute Alternativen in den politischen Auseinandersetzungen formuliert und um diese gekämpft werden. Erst dann ist die menschenrechtlich begründete Forderung nach einer sozialen Sicherung aller auch ohne Erwerbsarbeit keine Traumtänzerei, sondern eröffnet in der politischen Debatte eine Alternative zur Zuspitzung der Hartz IV-Arbeitsgesellschaft und weist den Weg in eine humanere und gerechtere Gesellschaft, die Platz für alle hat.“ (S. 10)

Worin besteht hier der Gegensatz? Trivialerweise wird es ein bGE nicht von heute auf morgen geben, das hat mir den notwendigen Umstellungen zu tun, die auf den Weg gebracht werden müssen. Weshalb wird das bGE erst dann eine ernstzunehmende Forderung, wenn Alternativen im Gegenwärtigen erkämpft worden sind? Wo der politische Wille ist, ein bGE in einer weitreichenden Variante einzuführen, ist auch ein Weg. Entweder haben wir heute schon mündige Bürger, dann müssen politische Veränderungen sich an ihnen messen lassen.

Wer es mit der Demokratie ernst meint, kann nur einen Weg sehen, um das bGE einzuführen: entweder parlamentarisch oder durch Volksentscheid. Andere Wege sind verschlossen. Dass es zu einer solchen Entscheidung nur kommen wird, wenn der politische Wille gegeben, eine Mehrheit gefunden ist, ist trivial. Da nun eine solche Mehrheit erst noch gewonnen werden muss, bedarf es weiterhin der öffentlichen Auseinandersetzung – mit dem bGE geht es um eine res publica, eine öffentliche Angelegenheit. Genau diese öffentliche Auseinandersetzung warf bislang all die Fragen und Einwände auf, die die bGE-Befürworter beantworten müssen. Franz Segbers Einwände verwundern vor diesem Hintergrund.

Mittlerweile liegen außerordentlich differenzierte Argumente vor. Diese Auseinandersetzung ist aber nicht nur Motor des Wandels, sie ist selbst schon Wandel und bereitet auf eine mögliche Welt mit Grundeinkommen vor. Eindrücklich wird das an Zuschriften, die wir erhalten und Wortmeldungen nach Vorträgen, in denen Menschen davon sprechen, wie sehr alleine schon die Diskussion um das bGE Auswege aus der gegenwärtigen Misere weist. An der Frage nach dem Wie kann es also gar keine Zweifel geben und doch ist die Neigung groß, zu „erzieherischen“ Anstrengungen greifen zu wollen. Die Bürgerrechte gelten schon heute bedingungslos, will sagen, dafür muss kein Bürger irgendwelche besonderen Leistungsausweise erbringen oder Zertifikate vorlegen. Das sollte Grund genug sein, im bGE eine angemessene Antwort zu erkennen, die allen Bedenken den Boden entzieht.

Sascha Liebermann

"Willi Weise" und Konsorten – eine Herausforderung für mündige Bürger

In den letzten Monaten ergingen manche Aufrufe dazu, Parteien oder ähnliche Gruppierungen wie „Willi Weise„, „D4U„, „D-Bü“ u.a. zu unterstützen, die sich ein bedingungsloses Grundeinkommen auf die Fahne schreiben bzw. geschrieben haben. Offenbar fanden die Aufrufe Gehör, einige bGE-Befürworter sind ihnen gefolgt. Kritik an den Gruppierungen hat nicht lange auf sich warten lassen (siehe z.B. Archiv Grundeinkommen, Netzwerk Grundeinkommen). Auf manche Merkwürdigkeit wurde hingewiesen, programmatische Themensetzungen wurden kritisiert, durchaus auch am Ziel vorbei.

Eines lehrt uns diese Diskussion auf jeden Fall: dass es darauf ankommt, genau hinzusehen, was sich hinter denjenigen verbirgt – auch den etablierten Parteien -, die mit dem bGE für sich werben. Die Diskussion um die Trittbrettfahrer hat gezeigt, wie einfach zu erkennen ist, wo Schindluder getrieben wird, man muss nur hinsehen. Insofern stellen diese Entwicklungen also lediglich eine Herausforderung unserer Mündigkeit dar, nicht vorschnell und unbedacht vermeintlich progressiven Vorschlägen hinterherzulaufen.

Manche Kritik an den oben genannten Gruppierungen gibt allerdings zu denken, weist sie auf Unklarheiten in der Grundeinkommensdiskussion hin. Jörg Marx z.B. schreibt in seinem Blog über die „D-Bü“, die er als rechtsradikal bezeichnet: „Auch das neu ins Parteiprogramm aufgenommene Bekenntnis zu den Menschenrechten klingt ganz toll, bleibt aber eine hohle Phrase, wenn es wenig später heißt: ‚Asyl kann bei politischer Verfolgung gewährt werden.‘ Kann, muss aber eben nicht – ein merkwürdiges Verständnis der Menschrechte.“

Bei aller berechtigten Kritik an der Trittbrettfahrerei dieser Gruppierungen hinsichtlich des bGEs wird hier eine auch für die bGE-Diskussion wichtige Frage in die rechte Ecke gestellt. In Marx‘ Stellungnahme scheint die Frage auf, welche Bedeutung die Souveränität politischer Gemeinschaft hat, welche Stellung die Staatsbürger haben und welche Status-Bedingung erfüllt sein muss, um ein bGE zu erhalten. Asyl zu gewähren im Sinne eines Obdachs und einer Zuflucht setzt stets jemanden voraus, der einem anderen diese Zuflucht gewährt. Es handelt sich also um eine freiwillige Entscheidung, dem Flüchtigen Schutz zu geben. Die Gewährung von Asyl setzt also eine souveräne Gemeinschaft voraus, die über das Ersuchen befindet. Sie hat das letzte Wort, nur sie kann darüber entscheiden, ob Asyl gewährt wird. Insofern ist die Kann-Bestimmung, die Jörg Marx für ein Skandalon hält, unerlässlich, denn eine Muss-Bestimmung käme einer Selbstentmündigung bzw. -verleugnung gleich.

Der Artikel 16 Grundgesetz, auf den wir gerne voller Stolz verweisen, weil er zeigt, dass aus den Erfahrungen des Dritten Reiches Lehren gezogen wurden, ist gerade deswegen auch problematisch. Er bringt ein Selbstmisstrauen zum Ausdruck, denn letztlich besagt er, dass wir uns selbst nicht über den Weg trauen. Gäbe es das Grundrecht nicht, so seine Stellung, stünden wir stets in Verführung, Asyl gar nicht zu gewähren. Genau darauf zielt Jörg Marx. Was aus historischen Gründen nachvollziehbar erscheint, stellt der Sache nach eine Fortsetzung des Obrigkeitsstaates dar. Genau darin besteht die Gemeinsamkeit zur Grundeinkommensdiskussion, sowohl hinsichtlich der bGE-Kritiker als auch mancher Befürworter.

Wird in der bGE-Diskussion auf das bGE als Menschenrecht gepocht, um so seine Gewährung zu garantieren, wird die Souveränität politischer Gemeinschaft ausgehebelt. Ein bGE sei nur bedingunglos, wenn es gar keine Bezugsbedingung gäbe, deswegen dürfe es auch nicht an Staatsbürgerschaft gebunden werden, so z.B. Ronald Blaschke in einer Diskussion. Fragt man nach, ob denn auch Touristen ein bGE erhalten sollen, wird eingeräumt, dass es schon einer Status-Bedingung für die Gewährung bedürfe, z.B. einer Mindestaufenthaltszeit im Land. Das ist nun aber auch eine Bedingung, jedoch eine, die auf jegliche Loyalität der Staatsbürger verzichtet und zwischen ihnen und Nicht-Staatsbürgern keinen Unterschied macht.

Auf diese Unterscheidung und damit auf die Bedingung der Staatsbürgerschaft für die Gewährung eines bGEs zu verzichten (von der ja andere Status abgeleitet werden können, z.B. ein bGE Personen mit dauerhafter Aufenthaltserlaubnis zu gewähren), würde unsere politische Ordnung und das solidarische Gefüge erodieren lassen (siehe hierzu „Vielfältige Möglichkeiten, eigenartige Hindernisse“, insbesondere Fußnote 5 und 6). Die Staatsbürgerschaft hingegen als Status-Bedingung zu nehmen, entspräche ganz der Verfasstheit demokratischer nationalstaatlicher Ordnung, in der die Staatsbürger das Fundament sind. Soverän ist ein Staat nur, wenn seine Bürger souverän sind.

Sascha Liebermann

Ergänzung (14.8.2009): Ein weiterer interessanter Artikel über Willi Weise samt Kommentaren findet sich beim Forum Grundeinkommen. Offenbar werden die AGB von Willi Weise im Verborgenen gehalten, um Interessenten nicht vorzeitig abzuschrecken. Die Seite besteht noch, ist aber im sichtbaren Menü nicht mehr zu finden. Allerdings gibt eine Lektüre der Website auch ohne diese Feinheiten ausreichend Aufschluss über das Demokratieverständnis.

Ein Einkommen zum Auskommen – oder: wie man Neues abwehrt

Im Streitgespräch zwischen Susanne Wiest und Rolf Stöckel (SPD-Sozialexperte) über das bedingungslose Grundeinkommen in Blickpunkt Bundestag (4/2009, zum Gespräch; zum ganzen Heft), dem Magazin des Deutschen Bundestages, wird deutlich, weshalb es nicht nur der SPD so schwerfällt, ein vermeintlich solidarisches Verständnis von sozialer Sicherung à la Hartz IV aufzugeben und die Chancen eines bGEs in Augeschein zu nehmen. Volker Stöckl wehrt vor allem ab und lässt sich auf den Vorschlag nicht ein. Hier wenige Passagen mit kurzen Kommentaren:

„Annähernd 800 Milliarden Euro müsste der Staat im Jahr aufbringen – unmöglich! Utopisch!… Die immensen sachlichen Leistungen des Sozialstaates, etwa für Pflegeheime, Behindertenhilfen und Rehabilitation, werden ignoriert. “ (Stöckel, S. 24 f.).
Ein häufig anzutreffender Denkfehler. 1) Mit einem BGE änderte sich die Einkommenszusammensetzung, die Einkommensströme würden anders organisiert, es käme nicht zum bestehenden ‚oben drauf’ sondern wächst in es von unten hinein (siehe den Film Grundeinkommen). Folglich werden auch die Aufwendungen für die genannten Sachleistungen sich anders zusammensetzen. Was über das BGE hinausgeht, soll keineswegs abgeschafft werden, auch wenn die Kritiker das immer wieder behaupten.

„Stillhalteprämie“ (S. 24).
Ein besonders schöner Einwand, weil er auf den Einwender zurückfällt. Stillgehalten werden kann nur, wer sich stillhalten lässt. Wer also meint, die Menschen würden stillgehalten durch eine Absicherung, die ihnen mehr Freiräume gibt als alles, was wir bislang haben, traut ihnen nicht zu, mündig mit der Freiheit umzugehen. Freiheit ist für ihn offenbar immer eine, zu der man aktiviert werden muss.

„Und wer erwerbsfähig ist, soll seine Arbeitskraft einbringen, selbst wenn sein Einkommen nur wenig über der Bedarfsgrenze liegt. Das liegt auch im Interesse all derjenigen Menschen, die mit ihren Steuern ja den Sozialstaat erst möglich machen.“ (Stöckel, S. 24).
Steuerzahler zählen mehr als Bürger, das ist bezeichnend. Alle diejenigen, die Produkte im Inland kaufen, aber keine Bürger sind, zählen mehr als die Bürger selbst. Eine solche Haltung sollte uns ernsthaft zu denken geben. Apropos: alle zahlen Steuern, auch die Bezieher von Transferleistungen, in dem sie konsumieren, denn im Preis eines Produktes sind alle Steuer- und Abgabenlasten eines Unternehmens enthalten, zusätzlich zur Mehrwertsteuer.

Abschließend eine Anmerkung zu einer Antwort von Susanne Wiest auf den Einwand Rolf Stöckels, der meint, Millionäre brauchen ein bGE nicht.

„Der Millionär bekommt sein Grund einkommen ja nicht monatlich auf sein Konto überwiesen“ (Wiest, S. 26)
Das trifft nur zu, wenn das Grundeinkommen als Steuergutschrift mittels Negativer Einkommensteuer konzipiert wird. Dabei handelt es sich nicht um ein BGE im strengen Sinne, das Bedürftigkeitsprinzip wird beibehalten. Dass rein rechnerisch betrachtet es immer mehr Nettozahler als -empfänger gibt, ändert nichts daran, dass das BGE jedem in Absehung vom Einkommen ausgehändigt wird.

Dass es mit einem bGE nicht darum geht festzustellen, wer ein bGE nötig hat, wie Rolf Stöckel meint, ist eine der größten Barrieren in der Diskussion. Es ist eben nicht vor allem eine Leistung für Bedürftige, sondern eine Anerkennung der Bürger um ihrer selbst willen.

Sascha Liebermann

Argumente für Erziehungscamps – Einwände gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen

Wer die Diskussion um Gewalttaten Jugendlicher verfolgt hat, wird sich in manchem an die Einwände gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen erinnert fühlen. Von einem BGE befürchten einige, dass es den Anreiz Arbeit aufzunehmen abschaffe, dass manchen damit die Disziplinierung, manchmal auch als Strukturierung bezeichnet, durch einen geregelten Arbeitstag fehle und sie nur herumhängen und verwahrlosen. Deswegen müssen Bürger, die sich als nicht arbeitswillig zeigen, auch entsprechend sanktioniert werden. Nicht von ungefähr hat Götz W. Werner Hartz IV einmal mit offenem Strafvollzug verglichen. Zusammenfassen lassen sich diese Einwände auch so: Wozu der Mensch nicht angehalten wird, wofür ihm keine Belohnung winkt, das ist er nicht zu unternehmen bereit. Zwar können wir mit diesem Menschenbild nicht erklären, weshalb all die unentgeltlichen Leistungen in unserem Gemeinwesen erbracht werden. Wir können damit auch nicht erklären, weshalb viele trotz der Widerstände, auf die sie treffen, sich nicht von ihren Vorhaben abbringen lassen. Unerklärlich bleibt mit diesem Menschenbild auch, wie eine Demokratie überhaupt lebensfähig ist, wo sie doch gerade die Bürger zum Souverän erhebt und ihnen also vertraut. Dennoch wird in mehr Selbstbestimmung eine Bedrohung erkannt.

Nun wird angesichts der Gewalttaten Jugendlicher von schärferen Gesetzen eine abschreckende, von „Erziehungscamps“ eine heilsame Wirkung erhofft. In „strengen Regeln, Sport, Disziplin, Arbeit und Verhaltenstraining“ (CDU, Wiesbadener Erklärung) wird ein probates Mittel erblickt, damit die Täter wieder einen „Weg in die Gesellschaft“ finden. „Pädagogik ohne Härte“ (Roland Koch in „Hart aber Fair“, ARD) sei der falsche Weg. Neben einer strafrechtlichen Verfolgung solcher Taten, die notwendig ist, wird wenig davon gesprochen, weshalb solche Taten verübt werden, was ihr Entstehungshintergrund ist, welche Schlussfolgerungen sie auf die Persönlichkeit der Täter und damit auf Resozialisierungschancen zulassen. Über Hinweise von Experten auf die illusionären Hoffnungen, die mit schärferen Strafen verbunden werden, wird hinweggesehen.

Vergleichbar der Diskussion über den „Missbrauch“ von Sozialleistungen, über die Wirkungen einer sozialen Hängematte und den „Missstand“ dauerhaften Sozialhilfebezugs werden all zu schnell bloß Symptome festgestellt. Verzichtet wird aber auf eine tragfähige Erklärung jenseits oben genannter Vorstellungen vom Menschen als anreizgesteuertem Wesen. Beide, jugendliche Gewalttäter wie dauerhaft Sozialhilfe Beziehende, werden durch weitere Sanktionen nur noch mehr in die Enge getrieben. Während im einen Fall u.a. ein schwaches Selbstwertgefühl und mangelnde Aggressionskontrolle, die auf ein sozialisatorisches Misslingen schließen läßt, zu Gewalttaten führt, ist im anderen Fall ein schwaches Selbstwertgefühl und eine traumatisierte Lebensgeschichte Grund dafür, das Leben nicht so in die eigenen Hände nehmen zu können, wie es unseren Vorstellungen entspricht. In beiden Fällen besteht ein Ausweg jenseits dauerhafter Sicherheitsverwahrung und Dauerstigmatisierung nur darin, Erfahrungen zu ermöglichen, an denen ein Selbstwertgefühl sich bilden kann. Jugendliche Gewalttäter werden nur dann nicht mehr gewalttätig werden, wenn sie Bindungserfahrungen machen können, wenn sie also in ihrer Problemlage ernst genommen und als Individuen anerkannt werden. Sozialhilfebeziehern wäre schon viel mit der Aufhebung des Stigmas geholfen, das Druck auf sie ausübt. Gerade sie, die sich wenig verteidigen und ihren Rechtsanspruch eher aufgeben, werden von den Sanktionen der ARGEn besonders in die Enge getrieben.

Aufheben würde diese Stigmatisierung ein Bedingungsloses Grundeinkommen, das von der Wiege bis zur Bahre gewährt wird und die Bürger um ihrer selbst willen anerkennt. Erst dann ist das normative Ideal aufgehoben, nachdem alle in eine Erwerbsarbeit streben sollen, ein Ideal, das zu der Stigmatisierung führt, die autonomiehemmend und nicht autonomiefördernd wirkt.

In der Diskussion über Erziehungscamps wie in der zum Bedingungslosen Grundeinkommen geht es darum, dass wir eine Antwort auf die Frage geben, wodurch ein mündiges Leben befördert wird. Wollen wir unsere, der Bürger, Mündigkeit stärken, dann müssen wir um unserer selbst willen ernst genommen und anerkannt werden. Mündig zu sein setzt aber voraus, sich bilden und engagieren zu können, wo der Einzelne es für wichtig und richtig erachtet. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen erst legt uns Bürgern die Verantwortung in die Hände, von der gerne geredet, für die aber wenig getan wird.

Sascha Liebermann