„Die Kinder werden zu überangepassten Wesen“ und ein Bedingungsloses Grundeinkommen…

…darüber sprach die Basler Zeitung mit Remo Largo (seine Website, siehe frühere Kommentare von uns hier), Entwicklungsforscher und Kinderarzt, ehemaliger Professor am Zürcher Kinderspital. Es geht darin um das Schulsystem, seine spezifische Leistungsorientierung und die Tabuisierung von Begabungsunterschieden, die nicht „ausgebügelt“ werden könnten, die der Einzelne anzunehmen lernen müsse. Auch die Gesellschaft müsse damit anders umgehen statt Bildungsziele zu normieren. Wie in seinem Buch „Das passende Leben“ und in früheren Schriften geht es vor allem darum, Bildung vom Kind her zu denken, nicht von den abstrakt formulierten vermeintlichen Erfordernissen der Nutzbarkeit. Vom Kind her gedacht kann es seine Begabungen am besten entfalten.

An einer Stelle kommt die Sprache auf ein Bedingungsloses Grundeinkommen, wozu Largo sich in jüngerer Zeit wiederholt geäußert hatte, meist jedoch vor allem mit Bezug auf etwaige Folgen der Digitalisierung. Was sagt er?

BAZ: „Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft aus, wenn wir weitermachen wie bisher?
Wir müssen gar nicht in die Zukunft schauen. Wir haben ja schon jetzt ein monströses Problem, das sich einfach noch verstärken wird. Nicht nur in der Schule, auch in der Wirtschaft. Die Arbeit ist immer mehr sinnentleert. Immer mehr Menschen arbeiten nur noch für den Lebensunterhalt. Doch der Mensch hat ein Bedürfnis nach Befriedigung und Wertschätzung. Er will seine Begabungen bei der Arbeit einsetzen, Leistung erbringen. Das ist in der Wirtschaft immer weniger möglich. Wenn wir beispielsweise ein Grundeinkommen hätten, hätten wir viel mehr Freiheiten, das zu tun, was wir wollen und auch brauchen.“

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„Den Kindern die Kindheit lassen“…

…ein Gespräch mit dem Jugendpsychiater Michael Winterhoff aus dem Jahr 2017, dass der Deutschlandfunk nocheinmal gesendet hat. Frühere Kommentare von unserer Seite zum Thema Familie finden Sie hier. Interessant sind auch die Ausführungen von Remo Largo in diesem Zusammenhang, siehe unsere Kommentare dazu hier.

„…Zeit haben, um durch Erfahrungen mit Gleichaltrigen sozial kompetent zu werden…“…

…darum ging es in einem Interview mit dem Kinderarzt und Entwicklungsforscher Remo Largo in der Neuen Zürcher Zeitung. Siehe auch den Bericht über ein Gespräch mit Jugendlichen in derselben Zeitung hier. Largo hat Langzeitstudien zur kindlichen Entwicklung am Zürcher Kinderspital durchgeführt, woraus seine bekannten Bücher entstanden sind, zuletzt „Das passende Leben“. Darin spricht er gegen Ende über die Chancen, die ein Bedingungsloses Grundeinkommen bedeute, geäußert hatte er sich dazu ebenso in einem Interview. Largo kritisierte immer wieder die Bedingungen des Aufwachsens von Kindern heute, wie wenig kinderfreundlich sie seien. In seinem letzten Buch, wie der Titel schon sagt, geht es um ein Leben, das den menschlichen Bedürfnissen gemäß ist. Irritierend ist an seinen Befunden manchmal, welche Schlüsse er daraus zieht. So hat er wiederholt festgestellt, dass Eltern sich zu wenig Zeit für ihre Kinder nehmen, weil dies so sei, müssten Betreuungseinrichtungen das auffangen. Dabei läge eine ganz andere Antwort nach seinen Forschungsbefunden viel näher. Den Eltern die Möglichkeit zu geben, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Das Arbeitsethos ist in der Schweiz stark ausgeprägt, es gibt nicht einmal eine dem Elterngeld vergleichbare Leistung und der Wiedereintritt in den Beruf nach dem Mutterschutz (nach vier Monaten) ist nicht ungewöhnlich. Im Grunde müsste Largo für ein BGE plädieren, damit Eltern genau das ermöglicht wird und als erwünscht gilt, mehr Zeit mit den Kindern zu verbringen. Doch diesen Schluß zieht er so klar auch in seinem Buch nicht. Im jüngsten Interview klingt das so:

„…Zeit haben, um durch Erfahrungen mit Gleichaltrigen sozial kompetent zu werden…“… weiterlesen

„Das Kind ist doch keine Knetmasse“…

…sagt Remo Largo in einem Interview in der Basler Wochenzeitung TagesWoche zum Basler Schulsystem. Zur Frage, ob Leistungsbeurteilungen sinnvoll seien, sagt er:

TagesWoche: „Welche Art der Beurteilung wäre aus Ihrer Sicht denn kindgerecht und ab wann sollte man diese einführen?“

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Sternstunde Philosophie: Remo Largo – Welches Leben passt zu mir?

Im Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung (siehe auch hier) wird das Bedingungslose Grundeinkommen von Remo Largo vor allem der Digitalisierung und ihrer etwaigen Folgen wegen befüwortet. Das ist etwas überraschend, diagnostiziert Largo darin selbst als gravierendes Problem der Gegenwart, dass wir Beziehungen zu wenig Raum geben. Sternstunde Philosophie: Remo Largo – Welches Leben passt zu mir? weiterlesen

Remo Largo, bekannter Forscher und Kinderarzt, unterstützt Bedingungsloses Grundeinkommen

In einem ausführlichen Interview in der Neuen Zürcher Zeitung von heute spricht sich Remo Largo, bekannter Buchautor zu Fragen rund um die Entwicklung des Kindes (siehe hier), unter dessen Leitung Langzeitstudien über Entwicklungsprozesse von Kindern am Zürcher Kinderspital durchgeführt wurden, für ein Bedingungsloses Grundeinkommen aus. Offenbar äußert er sich dazu auch in seinem neuen Buch, das in der nächsten Woche erscheinen soll. Wer Largos Untersuchungen kennt, der konnte sich schon lange fragen, wie wohl Largo aufgrund seiner Äußerungen über die Bedingungen des Aufwachsens von Kindern heute zum BGE steht. Geäußert hatte er sich bislang allerdings nicht. Am Ende der Dokumentation „Faszination Entwicklung“, die Monika Czernin und Aldo Gugolz vor wenigen Jahren gedreht haben, sagt Largo am Ende, dass wir uns fragen müssen, ob wir dem Geld und dem wirtschaftlichen Erfolg nachlaufen oder Beziehungen mehr Raum geben wollen. Da lag es schon auf der Hand, dass ein BGE genau diese Frage auf eine bestimmte Weise beantworten könnte. Noch im Jahr 2011, siehe meinen Kommentar hier, konnte man sich darüber wundern, wie Largo auf der einen Seite feststellt, dass Eltern zu wenig Zeit mit ihren Kindern verbringen, auf der anderen aber für den Ausbau von Betreuungseinrichtungen plädiert, um dem Erwerbswunsch der Eltern nachzugeben. Nun hingegen scheint sich alles zusammenzufügen.

Sascha Liebermann

„Die Bindung macht sie gehorsam“…

…ein Interview mit Remo Largo im Deutschlandfunk.

Aus der Ankündigung: „Die Wiener Kindertherapeutin Martina Leibovici-Mühlberger bemängelt, dass Kindern zu wenige Grenzen gesetzt würden, dass eine lebensuntüchtige Erwachsenengeneration heranwachse. Das sieht der Schweizer Kinderarzt Remo Largo anders: Grundlage für das Gehorchen sei vielmehr eine starke emotionale Bindung, und das benötige mehr als 20 Minuten Zeit pro Tag, sagte er im Deutschlandfunk.“

Damit macht Largo wieder einmal darauf aufmerksam, wie wichtig es ist, dass Eltern ausreichend Zeit mit ihren Kindern verbringen (siehe auch hier). Aufmerksam macht er dadurch auf den Zusammenhang der Überbewertung von Erwerbstätigkeit und der Unterschätzung gemeinsamer Erfahrung in der Familie. Während das BGE im Zusammenhang mit der Frage der Auflösung geschlechterstereotypischer Aufteilung von Familie und Beruf durchaus diskutiert wird, kommt die von Largo hier benannte Dimension noch viel zu kurz in der Debatte. Es geht um Bildungsprozesse, frühere Solidarerfahrungen und die Auswirkungen auf das spätere Leben. Wenn manche Einwände gegen das BGE bemängeln, es könne das Arbeitsangebot zurückgehen, weil Eltern mehr Zeit mit der Familie verbringen würden, dann lässt sich dem nur entgegnen, dass genau das wichtig wäre.

Sascha Liebermann

„Faszination Entwicklung“…

… – Zeit für Erfahrung, Zeit zum Heranwachsen – so könnte man die Dokumentation über den Schweizer Kinderarzt und Forscher Remo Largo, die jüngst im Schweizer Fernsehen gezeigt wurde, übertiteln. Largo hat sich etwa 50 Jahre damit befasst, wie Entwicklungsprozesse bei Kindern verlaufen und ist zu äußerst interessanten Einsichten gelangt. Ein afrikanisches Sprichwort steht dabei für seine Erkenntnisse: „Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“. Unter seiner Leitung wurden zwei Langzeitstudien durchgeführt, die zeigten, wie unterschiedlich die Entwicklungszeiträume sind, in denen Kinder bestimmte Fähigkeiten ausbilden. Er beschreibt seine Haltung als ein Denken vom Kinde aus. Einem breiteren Publikum ist er durch sein Buch „Babyjahre“ bekannt geworden, später folgten „Kinderjahre“, „Schülerjahre“ und „Jugendjahre“. Diese Einsichten in Bildungsprozesse führten ihn unter anderem dazu, sich mit dem Bildungswesen, insbesondere der Schule, zu beschäftigen und deutliche Kritik zu äußern, die sich nicht in Gemeinplätzen oder Plattitüden gefällt (Hier einige Videoaufzeichnungen seiner Vorträge). Auch können seine Bücher nicht als Ratgeber im üblichen Sinne verstanden werden, denn Rat gibt er keinen, er präsentiert dort Forschungsergebnisse auf eine verständliche Weise und zeigt auf, welche praktischen Schlüsse aus ihnen gezogen werden können. 

In der Dokumentation kommen darüber hinaus zwei Dinge kurz zur Sprache, zum einen seine Sorge darum, dass Automatisierung dazu führen könnte, sinnerfüllende manuelle Tätigkeiten durch Maschinen erledigen zu lassen, wo aber bliebe dann der „Handwerkerstolz“, denen er als Beispiel hervorhebt? Zum anderen wird am Ende deutlich, dass ein Gemeinwesen vor der Frage steht, welche Bedeutung es Beziehungen, der Gemeinschaftserfahrung, beimisst, statt alles nur am Geld zu messen. Dass Automatisierung dort, wo sie vernünftig ist, auch einem Rückgewinn an Lebenszeit gleichkommt, der gerade dann für Beziehungen zur Verfügung steht, dieser Zusammenhang liegt nahe, wird von ihm aber nicht hergestellt. Largo hat sich auch durchaus widersprüchlich geäußert, wie ich einem früheren Kommentar herausgehoben habe. Es wäre ein Leichtes von seinen Einsichten ausgehend zum BGE zu gelangen, um als Gemeinwesen den Rahmen dafür zu schaffen, Zeit für Erfahrung zu haben. Dass er das nicht tut, mindert seine Einsichten in Entwicklungsprozesse überhaupt nicht, als Brücke zum BGE werden sie umso deutlicher.

Sascha Liebermann

„Erlöst die Schüler von unnötigen Diagnosen“…

…so lautete die Überschrift zu einem Interview mit zwei Kinderärzten in der Neuen Zürcher Zeitung. Ihre Ausführungen sind interessant, weil sie auf Zusammenhänge hinweisen, die auch in der Grundeinkommensdiskussion thematisiert werden, z.B. zwischen der elterlichen Sorge um die Zukunft ihrer Kinder und der Angst davor, ihre Kinder könnten von einem statistischen Durchschnitt abweichen, was dann als Zeichen einer Entwicklungsstörung gedeutet wird. Diese wiederum verschlechtert ihre Chancen in der Zukunft. Die Orientierung an Standards und statistischer Normalität wäre Ausdruck einer Verunsicherung und Sorge.

Hier wenige Ausschnitte:

NZZ: Was ist los? Haben die Kinder wirklich mehr Probleme in der Schule?
Baumann: Die Kinder haben sich nicht verändert. Es werden einfach mehr Variationen der Norm als pathologisch erklärt. Wir haben heute völlig falsche Vorstellungen davon, was normal und was nicht normal ist. Alber: Wir beobachten die Entwicklung der Kinder immer genauer und stellen dadurch mehr Variabilität fest. Viele Abweichungen vom Durchschnitt werden als Entwicklungsstörungen deklariert, und das hat einen riesigen Therapie-Markt geschaffen. Zudem sind viele Lehrpersonen am Anschlag. Kinder, die nicht im selben Takt tanzen können, laufen Gefahr, pathologisiert zu werden.

Baumann: Heute muss immer alles sofort behoben werden. Die Eltern haben einen wahnsinnigen Druck. Die meisten Kinder sind ja geplant, das sind Lebenswerke. Darum machen die Eltern alles, damit diese Kinder normal sind. Gleich nach der Geburt muss das Geburtstrauma bei einer Osteopathin bearbeitet werden, sonst ist das Kind ein Leben lang geschädigt. Für alles muss immer sofort eine Lösung her. Das Kind hat Schulschwierigkeiten? Also muss eine Diagnose her, es muss eine Therapie her, alles muss sofort wieder gut sein.

NZZ: Was sollte sich aus Ihrer Sicht an den Schulen ändern?
Baumann: Viele Kinder werden pathologisiert, weil es an den Schulen an Wissen fehlt. Bei uns wurden Kindergärtler zu einer Abklärung angemeldet, weil sie nicht eine Dreiviertelstunde ruhig im Kreis sitzen konnten. Man hat also ganz klare Vorstellungen, dass ein Kindergartenkind das können muss – aber das ist einfach nicht entwicklungsgerecht. Alber: Im Hintergrund ist ja häufig eine Zukunftsangst seitens der Eltern oder eine Überforderung der Lehrpersonen, weil das betroffene Kind die gleichen Leistungen wie die anderen erbringen muss. Wenn das nicht geht, kommt die Lehrperson automatisch an den Anschlag. Entweder wird die ganze Klasse vernachlässigt oder das eine Kind. Man müsste die Lehrer von der Aufgabe befreien, dass sie alle Kinder in der gleichen Zeit zum gleichen Ziel bringen müssen.“

Siehe auch „Erwerbsarbeit, Elternschaft und das männliche Selbstbild. Kommentar zu einem Interview mit Remo Largo“)

Sascha Liebermann