"Grundeinkommen. Ein Filmessay" – auf dem Weg in die Schulen

Das Institut für Kino- und Filmkultur, das Medien für den Bildungsbereich empfiehlt, hat den Film „Grundeinkommen. Ein Filmessay“ von Daniel Häni und Enno Schmidt in sein Programm aufgenommen und empfiehlt ihn für Schulen.

Nach wie vor kann er aber auch aus dem Netz heruntergeladen werden.

Globales Grundeinkommen? – Wer fordert in wessen Namen?

Laut einem Bericht auf der Website des Netzwerk Grundeinkommen hat der jüngste Grundeinkommenskongress in Berlin ein globales Grundeinkommen gefordert.
Was aber ist damit gemeint? An wen richtet sich die Forderung und wer fordert in wessen Namen?

Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens als solche ist nicht auf ein Land beschränkt, sie kennt keine territorialen Grenzen, insofern könnte ganz zu recht davon gesprochen werden, dass das Grundeinkommen eine globale Angelegenheit sei. Ideen allerdings haben niemals territoriale Grenzen, das ist also keine Eigenheit des Grundeinkommens. Was für eine Idee gilt, ist aber auch nicht gleichzusetzen mit ihrer Verwirklichung. Denn dazu müssen wir die Frage stellen, wer verwirklicht in wessen Namen? Wer ist also berechtigt, eine solche Verwirklichung zu betreiben?

Haben wir als deutsche Staatsbürger etwa die Berechtigung, für die Verwirklichung des BGE in Frankreich, der Schweiz oder sonstwo zu streiten? Sicher nicht, denn das ist Angelegenheit der Bürger des jeweiligen Landes. Ob sie es wollen, das müssen sie selbst wissen, denn die Konsequenzen haben auch sie zu tragen und nicht wir.

Wie verhält es sich nun vor diesem Hintergrund mit der Forderung nach einem globalen Grundeinkommen? Wer fordert denn in wessen Namen, wenn eine solche Forderung aufgestellt wird? Sind wir überhaupt befugt, etwas zu fordern, dass über unsere Grenzen oder die Grenzen eines Bündnisses mit anderen Ländern hinweggeht? Wenn wir die Idee der Demokratie ernst nehmen, können wir in dieser Hinsicht gar nichts fordern, was außerhalb unseres Staates liegt. Wir können unserer Regierung den Auftrag erteilen, das Gespräch mit einem Land zu suchen, aber nicht gegen dessen Willen. Wir können ein Land darin unterstützen, das BGE einzuführen, wenn die Bürger dort es wollen, aber nicht gegen ihren Willen oder ohne dass sie ihn artikulieren. Wir können beratend tätig werden, wenn Beratung gewünscht ist. Aber wir entscheiden nicht und weil wir nicht entscheiden, können wir auch nicht fordern, was sie in ihrem Land zu tun haben. Wir können Entscheidungen anderer Länder kritisieren, aber auch da ist sorgsames Abwägen nötig, soll aus der Kritik nicht Anmaßung werden.

Wer über die Köpfe von Regierungen und Bürger eines Landes hinweg etwas fordert, verhält sich wie all die Einrichtungen, die wir heute ob ihrer Einmischung in fremde Angelegenheiten kritisieren. Wenn wir fordern, maßen wir uns an zu sagen, was für andere gut ist. Demokratisch also ist es, den Willen anderer zu respektieren, solange er sich nicht gegen unser Gemeinwesen richtet oder unsere Interessen verletzt. Ein globales Grundeinkommen zu fordern, heißt, etwas zu fordern, das andere machen sollen, ohne dass sie sich dazu bekannt haben. Wir setzen damit fort, was wir in der Entwicklungshilfe lange genug getan haben: zu wissen, wie andere ihre Probleme zu lösen haben und es nicht bei Beratung bewenden zu lassen.

Gerade weil das BGE von den Bürgern seinen Ausgang nimmt, weil es die Bürger stärken soll, findet es auch an den Bürgern seine Grenze. Was andere Länder und ihre Bürger wollen, ist ihre Sache – ganz gleich, ob sie für oder gegen ein BGE sind.

Sascha Liebermann

Berichte zum Grundeinkommenskongress

Es liegen nun einige Berichte zum Grundeinkommenskongress, der in Berlin vom 24.-26. Oktober stattfand, vor. Verschaffen Sie sich selbst einen Eindruck. Das Netzwerk Grundeinkommen hat einige zusammengestellt – diese finden Sie hier. In mancher Hinsicht einen erhellenden Kontrapunkt dazu setzt Frank Thomas vom Forum Grundeinkommen in Braunschweig. Weitere Stellungnahmen auf der Website des Archiv Grundeinkommen.

Wissenschaftliche Analyse, öffentlich-argumentativer Streit und ideologische Verortung – was taugen und wozu dienen Klassifizierungen?

Anlässlich des Grundeinkommenskongress in Berlin hatte Sascha Liebermann ein Thesenpapier zum Workshop 1 verfasst, in dem er referierte.

Liebermann WS1 Thesen.pdf

Grundeinkommen – der Film von Enno Schmidt und Daniel Häni nun zum Herunterladen

Der Film von von Enno Schmidt und Daniel Häni steht nun online und kann auch heruntergeladen werden. Hier geht es zum kult.kino

Zum Trailer geht es hier und das Heft zum Film gibt es hier.

Zu einer Besprechung des Films geht es hier, zum Beitrag im Schweizer Radio DRS2.

Die Soziologin spricht über das Leben – und verwechselt es mit Statistik

Aus der Soziologie, die etwas dazu sagen könnte, hört man wenig über Forschungsergebnisse zur Autonomie der Lebensführung und Gemeinwohlbindung, die Aufschlüsse über mögliche Auswirkungen eines bedingungsloses Grundeinkommen zulassen. Um so aufmerksamer sind die Ausführungen von Jutta Allmendinger zu lesen, die sich im Gespräch mit Götz Werner im Online-Magazin Chrismon zu ähnlichen Fragen äußert. Es sei dem Leser überlassen, was man aus den Ausführungen der Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) über den Zustand der Soziologie herauslesen kann. Was zum BGE gesagt wird, kommentieren wir.

chrismon: Viele Menschen quälen sich morgens aus dem Bett, weil sie arbeiten müssen.
Allmendinger: Die meisten Menschen würden arbeiten, aber viele in anderen Jobs als heute. Ich bin in der luxuriösen Situation, mir meine Arbeit weitgehend wählen zu dürfen. Aber nicht alle Menschen haben eine Bildung, wie ich sie genießen durfte, weil ich zufällig im richtigen Elternhaus groß geworden bin.

Was lässt diese Antwort nun erwarten? Plädiert sie dafür, dass Menschen mehr Möglichkeiten erhalten sollten, wählen zu können? Das wäre konsequent. Gemeint ist wohl, dass Bildung die Wahlmöglichkeiten verbessert. Das ist statistisch betrachtet der Fall, nicht aber für den Einzelnen gesichert (wie auch Paul Krugman weiß), wie man an zahlreichen, sich von einem zum nächsten befristeten Arbeitsvertrag hangelnden Wissenschaftlern und Freiberuflern sehen kann.
Frau Allmendinger entgegnet dann auf die Äußerung Götz W. Werners, der feststellt, dass auch viele Akademiker arbeitslos seien:

Allmendinger: Das stimmt so nicht. Unter Akademikern sind, statistisch betrachtet, keine drei von hundert Menschen arbeitslos. Unter den Bildungsarmen im Osten sind es 50 von hundert.
Werner: Also fast drei Prozent! Ist das nichts? Wie viel Hunderttausend Menschen stehen dahinter?

Was aber ändert der statistische Befund am Einzelschicksal? Gar nichts, wie Werner treffend feststellt. Für eine Vorstellung von Politik, die Probleme über Planung lösen will, ist ein solcher Befund relevant, nicht aber für eine, die den Einzelnen im Auge hat und seine Möglichkeiten maximieren will.

Allmendinger: Sie sehen das Problem individuell. Aufs Ganze gesehen bedeutet eine Arbeitslosenquote von drei Prozent Vollbeschäftigung. Das Thema Akademikerarbeitslosigkeit wird in den Medien überbetont.

Das Einzelschicksal werde also überbetont. Für den Einzelnen ist diese Auskunft eine Verhöhnung, denn er ist nicht nur arbeitslos, er sieht sich auch dem ALG-Apparat gegenüber. Dass die von Frau Allmendinger genannte Zahl eine willkürliche Definition darstellt, dass „Arbeitslosigkeit“ ohnehin ein Artefakt ist, insofern sie davon bestimmt wird, auf welchem Weg wir unser Einkommen erhalten bzw. nicht erhalten – heute durch sozialversichungspflichtige, abhängige Beschäftigung, sei hier nur erwähnt.

chrismon: Wird es in Zukunft so stete Berufsbiografien geben, wie die heutige Rentnergeneration sie gelebt hat?
Allmendinger: Lebensläufe, die Brüche aufweisen, sind produktiver. Ich wünsche mir mehr davon. Sie nehmen ohnehin zu.

Man staunt. Soll doch der Einzelne darüber entscheiden ob er mit solchen Brüchen leben will. Auf der Basis einer Absicherung durch ein BGE könnte er es tun. Jedoch eine Lebensmaxime daraus zu machen und an der Arbeitshauspolitik der vergangenen Jahre festzuhalten, die antifreiheitlich ist, ist zynisch.

chrismon: Ist Hartz IV, konkret das Arbeitslosengeld II, nicht schon so etwas wie ein Grundeinkommen?
Werner: Nein. Das Arbeitslosengeld II wird nicht bedingungslos gezahlt. Wer es beantragt, muss sich dafür rechtfertigen und seine Lebensverhältnisse offenbaren. Hartz IV ist offener Strafvollzug. Die Menschen sind ihrer Freiheitsrechte beraubt.
Allmendinger: Aber Ihr Grundeinkommen wäre deutlich niedriger als Hartz IV, wenn Sie bei 800 Euro im Monat beginnen.
Werner: Aber jeder kann dazu verdienen.
Allmendinger: Sie rechnen das Grundeinkommen doch auch an. Wenn Sie 800 Euro als Grundeinkommen haben und 2000 durch Erwerbsarbeit verdienen, entfällt das Grundeinkommen.

Abgesehen davon, dass Frau Allmendinger Bildung nur als Bildung für den Arbeitsmarkt begreift, hat sie sich offenbar auch mit der Diskussion um das BGE wenig beschäftigt, zumindest verwechselt Sie das BGE Herrn Werners mit dem von Herrn Althaus.
Und dann bringt Frau Allmendinger etwas zur Sprache, was auch in der BGE-Diskussion umstritten ist. Zwei verschiedene Vorstellungen von Gerechtigkeit sind zu erkennen.

Allmendinger: Sicher, aber man muss doch leben! Angenommen ich habe nur 800 Euro Grundeinkommen pro Monat. Sie, Herr Werner, haben 10000 Euro, Grundeinkommen plus Verdienst. Pro Monat geben wir beide 300 Euro für die nötigsten Lebensmittel, Toilettenpapier und Kleidung aus. Um unsere Grundbedürfnisse zu decken. Das Ergebnis: Gemessen an unseren Einkommen würde ich mehr Steuern zahlen als Sie.
Werner: Ja, schon. Aber wir hätten beide 300 Euro eingesetzt, aber mir bleiben 9700 Euro. Das Grundeinkommen heißt nur: Hier ist die Teilhabe, jetzt zeig mal, was du kannst! Die Frage ist, was man mit seinen Talenten macht.

Und eine weitere Passage, an der zu erkennen ist, dass sich die Wissenschaftlerin nicht auf die Umgestaltungsmöglichkeiten durch ein BGE einlässt und sie einfach bezweifelt statt zu argumentieren.

chrismon: Und wer leert dann die stinkende Biomülltonne?
Werner: Die Frage drückt die Haltung aus, dass man Menschen zwingen muss, etwas zu tun, was man selbst nicht tun will. Wer eine Leistung haben will, hat drei Möglichkeiten: erstens einen attraktiven Arbeitsplatz zu schaffen, an dem diese Leistung erbracht wird. Zweitens: Wenn sich niemand findet, der die Leistung erbringt, muss man diesen Arbeitsplatz noch attraktiver gestalten und die Arbeit besser bezahlen. Dritte Möglichkeit: Sie machen es selbst.
Allmendinger: Sie haben die Hoffnung, dass ein Grundeinkommen würdevolle Jobs schafft. Ich bezweifle das.

Die Frage der Freiheit wird immer auf die Frage reduziert, wie komme ich am beste
n in den Arbeitsmarkt, wie in der folgenden Passage zu sehen ist. Das Leben erscheint immer nur als Leben für einen ‚Job’, eines außerhalb ist für Frau Allmendinger nicht denkbar. Sie trifft damit zwar die heutige Lage, denn wer ohne Einkommen ist, hat ein Problem. Gerade das aber würde ein BGE ja ändern, die Orientierung am ‚Job’ wäre nicht mehr notwendig, diejenige am Beruf, an der Berufung jedoch viel mehr als heute möglich.

Allmendinger: Für Sie wären 800 Euro Gold wert gewesen, weil sie gute Voraussetzungen hatten, vor allem eine gute Ausbildung. Auch ein Grundeinkommen schafft nicht automatisch gleiche Zugangschancen. Dieses Gerechtigkeitsprinzip ist in unserer Gesellschaft durchbrochen. Menschen mit niedriger Bildung bekommen schlechte oder keine Jobangebote. Sie vertreten da ein elitäres Konzept. Denen, die viel haben, wird noch mehr gegeben.
Werner: Jetzt öffnen Sie sich doch mal! Wenn alle ein Grundeinkommen hätten, könnten alle etwas tun, ohne dass es gleich ums Verdienen geht. Das würde ehrenamtliche Arbeit befördern, Bürgerinitiativen, Sozialarbeit. Schon heute gibt es 22 Millionen Menschen in Deutschland, die ehrenamtlich arbeiten!

Ist das alles, was die Soziologie dazu zu sagen hat? Ein Grund mehr, auf die Bürger und ihr Engagement für ein BGE zu setzen.

Sascha Liebermann

Sammelband mit Schriften von Benediktus Hardorp

Noch immer rufen die Überlegungen zur Konsumbesteuerung als einziger Steuer, wie Benediktus Hardorp und Götz Werner sie vertreten, große Kritik hervor. Es kursieren Missverständnisse, es gibt auch Vorurteile, die in manchem denen ähneln, die gegen das BGE vorgebracht werden. Die Beschwörung z.B., es müsse an der paritätischen Finanzierung der Sicherungssysteme durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber festgehalten werden, entspringt der Illusion, Arbeitgeber trügen auch heute die Finanzierungslast. Für die Behauptungen, die Konsumbesteuerung verschärfe noch die soziale Ungerechtigkeit sucht man vergeblich nach Belegen. Oft, so kann man den Eindruck gewinnen, liegt der Grund für die Vorbehalte an mangelnden Informationen und ungenügender Auseinandersetzung mit der Systematik von Wertschöpfung und Besteuerung. Dem könnte nun ein Sammelband Abhilfe schaffen, der einige Schriften von Herrn Hardorp versammelt. Zu diesem Anlass sei auch nochmals auf den Tagungsband zum Symposium in Karlsruhe im Februar 2006 verwiesen.

Beitrag von Radio Dreyeckland über Freiheit statt Vollbeschäftigung

Radio Dreyeckland hat einen Beitrag zum Vortrag von Sascha Liebermann in Freiburg im Breisgau am 18. September verfasst. Ein bedingungsloses Grundeinkommen könne nationalistisch sein, so die Verfasser. Nachlässig sind ihre Bemerkungen zum Finanzierungsproblem, da auf unserer Website Berechnungsmodelle nachgelesen werden können. Aber hören Sie selbst >Link zum Hörbeitrag

Zumutbarkeitsregelung, Mindestlohn, repressionsfreie Grundsicherung – Übergangsszenarien und BGE

Von manchen Vertretern einer Sozialpolitik, die eine repressionsfreie Grundsicherung befürworten, sich aber gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen aussprechen, wird folgendes Argument vorgebracht: Ein Mindestlohn habe eine wichtige Schutzfunktion, da er eine Zumutbarkeitsgrenze schaffe, unterhalb derer ein Arbeitsuchender kein Arbeitsangebot annehmen müsse. Schön und gut, wenn wir einmal nur diesen Sachverhalt betrachten, dass dadurch tatsächlich eine Verdienstuntergrenze eingerichtet wird. Wird damit eine weitreichende Veränderung erreicht?

Wer keine Erwerbsarbeit hat, aber ein Einkommen benötigt, muss weiterhin einer Erwerbsarbeit nachgehen, davor schützt ihn auch der Mindestlohn nicht. Er schützt ihn (so die Behauptung) lediglich davor, eine Stelle anzunehmen, die kein auskömmliches Einkommen verschafft. Er muss jedoch weiterhin, schon im Bundessozialhilfegesetz von 1961 war das vorgesehen, dazu beitragen, die Leistung nicht mehr zu benötigen, d.h. er muss dazu beitragen, selbst ein Einkommen zu erzielen, es sei denn, er ist erwerbsunfähig oder erfüllt einen anderen Ausnahmetatbestand. Damit bleibt also eine Erwerbsverpflichtung bestehen, die Transferleistungen sind nach wie vor Ersatzleistungen.

Gehen wir einen Schritt weiter und pauschalieren den Leistungsbezug, indem heute unterschiedene Leistungen zusammengefasst werden. Das wäre auf jeden Fall ein Schritt zu einer liberaleren Handhabung. Bestehen bleibt aber auch hier, dass, wer Leistungen haben will, Ansprüche anmelden und die Berechtigung nachweisen muss. Wer nun aber gar keiner Erwerbsarbeit nachgehen will, sich stattdessen um pflegebedürftige Mitmenschen ehrenamtlich kümmern will, wer für seine Kinder zuhause bleiben will, was würde derjenige denn machen? Woher erhält er sein Einkommen? Entweder vom Partner oder von einer Sozialbehörde, der gegenüber er wiederum eine Anspruchsberechtigung nachweisen muss, damit er die Pauschale erhält. Auch hier ist die pauschalierte Leistung eine Ersatzleistung, das Erwerbsideal bleibt aufrechterhalten, an dem sich der Einzelne orientieren muss.

Gehen wir noch einen Schritt weiter und lassen die pauschalierten Leistungen nach dem Prinzip einer Negativen Einkommensteuer (dazu ausführlich hier) finanzieren. Sie geht soweit, dass lediglich eine Mindesteinkommensgrenze, sagen wir pro Jahr, festgelegt wird. Wer sie unterschreitet, erhält eine Steuergutschrift. Dieser Weg ist noch liberaler als die Pauschalierung, da lediglich das Einkommen erfasst und überprüft werden muss, ob es oberhalb oder unterhalb der Mindesteinkommensgrenze liegt. Ansprüche müssen nicht eigens gelten gemacht, Anträge nicht ausgefüllt werden. Liegt das Einkommen unterhalb des festgelegten Minimums, erhält die betreffende Person eine Steuergutschrift. Sie ist weder mit Arbeitsförderungs- noch mit Weiterbildungs- oder Umschulungsmaßnahmen notwendig verbunden. Doch an einem Sachverhalt ändert auch die Negative Einkommensteuer gar nichts: Die Steuergutschrift ist immer noch eine Ersatzleistung, die erst gewährt wird, wenn kein ausreichendes Einkommen durch eigene Bemühungen erzielt worden ist. Auch die Negative Einkommensteuer hält also am Erwerbsideal fest, selbst wenn alle Beaufsichtigungen bis auf die Einkommensfeststellung wegfallen, muss der Bezieher sein Handeln vor dem Erwerbsideal rechtfertigen.

Die stigmatisierenden Effekte, die auch diejenigen beseitigen wollen, die eine repressionsfreie Grundsicherung befürworten, hängen aber gerade am Charakter der Ersatzleistung relativ zum Erwerbsideal. Solange es gilt, solange bleiben Transferleistungen Ersatzleistungen und folglich ihr Bezug stigmatisierend. Kommen weitere Auflagen hinzu, Verpflichtungen, die der Bezieher eingeht, verstärken sie die Stigmatisierung.

Wer sie tatsächlich aufheben will, muss das Erwerbsideal aufheben, es steht ihm dafür ein einfacher Weg offen: die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens von der Wiege bis zur Bahre für jeden Staatsbürger, Kinder wie Erwachsene gleichermaßen. Dass dann, wie oft behauptet wird, öffentliche Leistungen reduziert werden, ist nicht notwendig so. Wo das BGE Leistungen ersetzen kann, bedarf es keiner weiteren. Hier handelt es sich dann nicht um eine Reduzierung, sondern um eine Reorganisation. Wo es sie nicht ersetzen kann, erhalten beizubehaltende Transferleistungen einen anderen Charakter. Was genau ersetzt werden kann, bedarf einer eingehenden Prüfung.

All diese Überlegungen machen auf eine Schwierigkeit aufmerksam, die allzuleicht übersehen werden kann. Das volle BGE, so wie es einmal erreicht werden sollte, wird es nicht von Anfang angeben, es bedarf einer evolutiven Umgestaltung. Aus diesem Grund beschäftigen sich auch die Grundeinkommensbefürworter in jüngster Zeit damit besonders (Siehe die Beiträge auf der Seite des Netzwerk Grundeinkommen). Sie sehen sich in der Defensive gegenüber den Verteidigern des Bestehenden oder denjenigen, die die ungewissen Entwicklungen fürchten, die ein BGE mit sich bringt. Hilfreich sind Übergangsszenarien allemal, sie machen deutlich, wie angefangen werden könnte. Doch sie sind auch defensiv, können sogar bremsend wirken auf die öffentliche Diskussion. Solange kein öffentlicher Konsens darüber herrscht, dass es ein BGE langfristig geben soll, solange müssen mögliche Auswirkungen eines BGE in aller Breite entworfen werden. Erst wenn wir wissen, wohin wir gelangen wollen, verstellen Übergangsschritte nicht den Blick und werden mit Zielen verwechselt. Eine Darstellung der Auswirkungen eines BGE in aller Breite tut Not und wird nach wie vor viel zu wenig geleistet. Erst wenn die Breitenwirkung zum Gemeingut geworden ist, sind Übergangsszenarien ungefährlich.

Sascha Liebermann