„Das bessere Grundeinkommen“ – oder: keinen Sinn für normative Differenzen…

…so könnte man Roman Pletters Beitrag auf Zeit Online übertiteln, der im Original nur aus dem zitierten Teil des Titels besteht. Er beschäftigt sich mit der BGE-Diskussion, den Lagern und Alternativen, die keine Überschreitung des heutigen Sozialstaats verlangen. Die Frage, wie es zu Veränderungen kommen kann, die langfristig wirklich hilfreiche Lösungen für die Herausforderungen des Lebens darstellen, ist berechtigt. In der Tat benötigt man dafür Mehrheiten und ebenso richtig ist, dass es Vorschläge gibt, mit denen das einfacher wäre als mit anderen. Wer also mit dem Erwerbsgebot nicht brechen will, findet Möglichkeiten innerhalb des erwerbszentrierten Sozialstaats: höhere bzw. anders konstruierte bedarfsorientierte Grundsicherungsleistungen, geringere Transferentzugsraten (dass sich Zuverdienst „lohnt“), eine andere Absicherung von Kindern (Kindergrundsicherung) usw. Wenige Passagen seien hier zitiert, um die Stoßrichtung seiner Überlegungen deutlich zu machen. Gegen Ende schreibt er:

„Um die Stigmatisierung aus dem Hartz-IV-System zu vermeiden, muss nicht gleich die Pflicht zur Gegenleistung wegfallen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Auszahlung in Zukunft über Finanzämter organisiert würde: Wer wenig verdient, kann wie in den USA eine Steuergutschrift bekommen. Es ist schließlich ein Unterschied, ob man eine Aufstockung des Lohns beantragt – oder ob man sich eine Steuererstattung holt, um ein Grundeinkommen zu erreichen.“

Es ist richtig, dass diese Vereinfachung über eine Negative Einkommensteuer eine Liberalisierung mit sich brächte, aber die Stigmatisierung hebt sie nicht ganz auf, weshalb? Weil es einen Unterschied macht, ob ich einen Steuerausgleich erhalte, weil ich selbst nicht genügend Einkommen erzielen kann (normativ erwünscht, Erwerbsgebot) oder ob ich eine Einkommensgarantie habe, die mit anderen Einkommen gar nicht ins Verhältnis gesetzt wird. Erstere bewertet ein Scheitern an einem erwarteten und erwünschten Handeln (Norm), letztere setzt eine andere Norm: Autonomie (die sich nicht in Erwerbstätigkeit zu realisieren hat). Das ist der normative Unterschied, den es zu beachten gilt, der indes häufig übersehen wird. Dann schreibt er:

„Die Eltern auf diese Weise am ersten Arbeitsmarkt zu halten, reduziert auch eine Gefahr für deren Kinder, nämlich die, dass ein Grundeinkommen ihnen Chancen nimmt: Was soll aus Kindern werden, die eine andere Welt gar nicht mehr kennen außer der Grundeinkommenswelt? Die aus Familien kommen, die heute schon in zweiter oder dritter Generation vom Staat leben und gar keine Chance auf Teilhabe an der Arbeitswelt haben, weil sie das nicht kennen? Der Chef der Bundesagentur für Arbeit hat das Berliner Modell für ein „solidarisches Grundeinkommen“ gerade aus einem ähnlichen Grund kritisiert: Es gebe Menschen für den regulären Arbeitsmarkt zu früh auf.“

„Grundeinkommenswelt“? Hier wird ein Gegensatz aufgebaut, der keiner ist, so als werde Leistung nur in der Erwerbswelt erbracht, als benötige man sie, um leistungsbereit zu sein. Dass es heute gerade nicht anerkannt wird, Leistung jenseits des Erwerbslebens, also: ohne erwerbstätig zu sein, zu erbringen, vergisst der Autor offenbar. Genau dies führt aber zu einer Entwertung solcher Leistungen, die nicht erwerbsförmig erbracht werden. Sie werden solange anerkannt, solange jemand zuvor erwerbstätig war – das ist die Krux. Leistungsbereitschaft ist heute Resultat eines Bildungsprozesses außerhalb von Erwerbstätigkeit, letztere setzt ersteren voraus. Ein BGE gibt ja gerade niemanden auf, wie es in der Passage heißt, es vollzieht gerade das Gegenteil: es anerkennt, wozu jemand in der Lage ist – und wozu nicht, aus welchen Gründen auch immer. Die benannten Familien „leben“ nicht „vom Staat“, weil es eine solch dufte Sache wäre, das zu tun, es gibt gravierende Gründe dafür, deswegen stehen sie heute am Rand der Erwerbsgesellschaft. Pletter greift also zu kurz, zu erkennen ist allerdings schon seine leichte Staatsaversion. Und in der nächsten Passage heißt es:

„Tatsächlich braucht es eine andere Form der Grundsicherung – keine für jene, die arbeiten können, sondern eine für Kinder. Die Grünen haben gerade ein Konzept dafür vorgelegt, das vor allem Familien zugutekäme, die heute von Hartz IV leben, sowie Alleinerziehenden, die meist weniger Geld zur Verfügung und ein relativ hohes Armutsrisiko haben. Gerade jene Eltern, die ein geringes Einkommen haben, sollten mehr netto davon behalten dürfen. Sie sollten aber – und das spricht gegen das allgemeine bedingungslose Grundeinkommen, das die Grünen ebenso fordern – auch arbeiten müssen, damit ihre Kinder nicht später als Erwachsene darunter leiden, dass sie vom Arbeitsmarkt entfremdete Eltern hatten. Das ist auch deshalb so wichtig, weil in kaum einem entwickelten Land die Chancen von Kindern im Leben so sehr davon abhängen, wie vermögend und gebildet ihre Eltern sind, wie in Deutschland.“

Die Kinder absichern und die Eltern in Erwerbstätigkeit drängen? Genau dazu führt eine Kindergrundsicherung, die Eltern keine Möglichkeiten schafft, für ihre Kinder zuhause bleiben zu können, solange sie es für notwendig erachten. Und wieder kommt Pletter damit, dass Kinder, deren Eltern nicht oder nur wenig erwerbstätig sind, Gefahr laufen sich vom „Arbeitsmarkt“ zu „entfremden“.

Abschließend heißt es:

„Das wäre dann die bestmögliche Reform von Hartz IV: die Schnittmenge der Reformvorschläge möglicher Regierungsparteien, die sie gut Grundeinkommen nennen können. Bedingungslos sollte es aber nicht sein, damit die Kinder von heute später gar keine Sicherung vom Staat brauchen.“

Der Staat als Schreckgespenst – als sei es nicht so, dass wir alle ständig und unvermeidbar „vom Staat“ leben. Wie soll es in einem Gemeinwesen von Bürgern auch anders sein. Die Frage ist doch lediglich, ist dieser „Staat“ autonomiefördernd, wie es das Grundgesetz zu seiner Voraussetzung erhoben hat oder ist er autonomiehemmend und -einschränkend, wie es das Erwerbsgebot zur Folge hat? Welchen „Staat“ also wollen wir als Bürger?

Siehe auch „Entscheidend ist, dass jemand arbeitet“.

Sascha Liebermann