Krisenalarmismus bei Markus Lanz (ZDF) – ist das der Grundeinkommensdiskussion förderlich?

Es war wieder einmal Richard David Precht zu Gast (zur ganzen Sendung geht es hier), der offenbar ein Abo für die Teilnahme hat. Diesmal äußerte er sich recht ausführlich zum Bedingungslosen Grundeinkommen. Wie schon früher geht er die Sache vor allem von der Digitalisierung aus und ihren Folgen für die Arbeitswelt an – teils ziemlich undifferenziert, als sei alles Mögliche auch wünschenswert. Wie jüngst Thomas Straubhaar weist Precht auf die wichtigste Frage hin, die es für ein Gemeinwesen gibt, die Frage danach, wie wir leben wollen. Dass Precht die Gegenwart unterschätzt und den Bürgern zu wenig zutraut, war in einer anderen Sendung zu erkennen, siehe hier. Weitere Kommentare von Sascha Liebermann zu Prechts früheren Ausführungen finden Sie hier.

Das Ehegattensplitting: einfach rückständig?

Im Magazin makro, auf 3sat, ging es kürzlich um das Ehegattensplitting im Steuerrecht. Unter dem Titel „Ehe-Bonus vor dem Aus“ wurden die Eigenheiten dieser Regelung dargelegt. Dabei wurden die Folgen, die sie für nicht-eheliche Lebensgemeinschaften habe, ebenso dargelegt wie die fehlenden „Anreize“ zur Erwerbsaufnahme für Frauen. Die Sendung lieferte Einblicke in eine schon länger geführte Diskussion über diese Regelung in Deutschland und ihre Folgen. Allerdings dominierte eine Perspektive auf die Sache, die ebenso erstaunen konnte. Fraglos wurde vorausgesetzt, dass Altersarmut von Frauen oder auch Alleinerziehenden nur auf einem Weg verhindert werden könne: durch Erwerbstätigkeit. Deswegen müsse die Betreuungsinfrastruktur ausgebaut werden, damit die Erwerbsquote von Frauen gesteigert werden könne. Nur so sei Vollerwerbstätigkeit möglich und können die nötigen Beitragsjahre für die Rentenversicherung aufgebracht werden. Und was bedeutet das alles für das Familienleben? Was bedeutet es für Tätigkeiten, die nicht-erwerbsförmig sind?

Diese Fragen spielten keine Rolle, die Frage, welche Folgen ein solchermaßen ausgerichtete Sozial- und Steuerpolitik für Familien (nicht nur für Frauen) habe, wurde nicht erwähnt, womöglich nicht einmal bedacht. Dass eine Steigerung der Erwerbsquote, also eine noch stärkere Ausrichtung der Lebensführung an Erwerbstätigkeit, immer zu Lasten des Familienlebens geht, ja überhaupt zu Lasten der zweckfreien Begegnung mit anderen, liegt auf der Hand. Der Tag (Wachzeit) hat nur etwa 12-18 Stunden, aus Kindersicht ist er kürzer. Wer davon 9-11 Stunden (Regelarbeitszeit, Pause, Pendelzeit) mit Erwerbstätigkeit verbringt, hat für das Familienleben kaum Zeit übrig, vor allem nicht dafür, gemeinsame Erfahrungen mit den Kindern zu machen (siehe auch hier und hier). Wer das Steuerrecht vor allem unter dem Gesichtspunkt betrachtet, wie sie in Erwerbstätigkeit gebracht werden können, weil dies zu Wertschöpfung beitrage und Altersarmut entgegenwirke, verliert das Leben aus den Augen. Was das langfristig bedeutet, lässt sich erahnen, denn die frühesten Erfahrungen bedingungsloser Solidarität machen Kinder dort, wo ihre Eltern verlässlich da sind. Das sind heute meist die Mütter, es können genauso die Väter sein, aber beide sind grundsätzlich nicht zu vergleichen mit der Dienstleistung von Erziehern in Betreuungseinrichtungen. Wenn aber genau diese Seite des Lebens, die Seite der bedingungslosen, zweckfreien Hinwendung derart hinter Erwerbstätigkeit zurückgestellt werden, dann muss man sich über die Folgen nicht wundern.

Das Ehegattensplitting wird heute schnell als rückständig betrachtet, als Relikt aus alten Zeiten abgestempelt. Es hat erhebliche Schwächen, weil es gar nicht für Familien gleichermaßen förderlich ist. Angesichts dessen, was die Experten in der makro-Sendung teilweise vorschlagen, verschafft es jedoch noch einen gewissen Schonraum. Wer ihn aufgeben will, bräuchte eine Alternative, die nicht-erwerbsförmige Tätigkeiten anerkennt, die es unterstützte, wenn Eltern zuhause bleiben. Da gibt es bessere steuertechnische Lösungen oder einfach, andere Wege zu beschreiten: am weitreichendsten wäre allerdings das Bedingungslose Grundeinkommen.

Sascha Liebermann

„Das Agenda-Trauma“…

…ein Rückblick auf die Agenda 2010 und ihre Folgen auf Zeit Online, zugleich eine überraschend differenzierte Darstellung der Entwicklung des Niedriglohnsektors und seiner Vorgeschichte sowie des Arbeitsmarkts im Allgemeinen. Was die „Arbeitslosigkeit“ betrifft allerdings fällt der Artikel ab im Vergleich zu diesem hier von Stefan Sell (hier, hier und hier). Keine Rede ist vom Arbeitsvolumen, das darüber Auskunft gibt, was denn die Zunahme an Erwerbstätigen tatsächlich bedeutet: eine starke Zunahme an Teilzeitarbeit. Zur These, das Arbeitslosengeld II habe den „Anreiz“ zur Arbeitsaufnahme erhöht, sind die nachstehend aufgeführten Untersuchungen instruktiv, die zugleich das Armutsfallentheorem empirisch kritisieren:

Zur Kritik des Armutsfallentheorems (Ronald Gebauer und Hanna Petschauer)
Die Arbeitslosigkeitsfalle vor und nach der Hartz-Reform (Georg Vobruba und Sonja Fehr)
Fordern statt Fördern? – Nein! Wege aus Arbeitslosigkeit und Armut erleichtern (Ronald Gebauer)
Arbeit gegen Armut. Grundlagen, historische Genese und empirische Überprüfung des Armutsfallentheorems (Ronald Gebauer)

In diesen Untersuchungen wird herausgehoben, dass weniger die „Anreize“, die das Lohnabstandsgebot setzen, dafür verantwortlich waren, dass Leistungsbezieher relativ schnell den Leistungsbezug wieder verließen, auch schon vor der Agenda 2010, sondern individuelle Handlungsmöglichkeiten und -fähigkeiten sowie die Qualität der Beratung im damaligen Arbeitsamt.

Siehe auch „Clemens Fuest (Ifo-Institut) über den „wirklichen Menschen…“.

Sascha Liebermann

Sozialgericht Gotha bringt Sanktionen erneut vor das Bundesverfassungsgericht

Geschehen ist das schon im vergangenen August, nachdem das Bundesverfassungsgericht die erste Vorlage zurückgewiesen hatte. Auch Tacheles e. V. aus Wuppertal wurde um eine Stellungnahme zur Vorlage und dem Sachverhalt gebeten, ebenso der Paritätische Wohlfahrtsverband. Die Stellungnahme von Tacheles Sozialhilfe e. V. ist auch interessant, um Einblick in die Entstehung des Bundessozialhilfegesetzes und die es betreffende Rechtsprechung zu erhalten. Siehe auch den Kommentar in Christel T’s Blog (Beitrag nicht mehr zugänglich, SL 2.11.18) und die Aufzeichnung einer Diskussion zur Frage: Hartz IV-Sanktionen verfassungswidrig – ein Streitgespräch.

„Juha testet das Grundeinkommen – macht es faul?“…

…die Standardfrage stellt der Zürcher Tagesanzeiger und berichtet in einem langen Beitrag über das Pilotprojekt in Finnland. Juha Järvinen, einer der Bezieher, wird porträtiert – nicht das erste Mal. Zur Standardfrage siehe auch das Interview mit Sascha Liebermann und Theo Wehner bei Zeit Online aus dem Jahr 2011 sowie „Schlaraffenland oder verwirklichte Bürgergesellschaft?“, die Langfassung des Zeit-Interviews.

Bündnis Grundeinkommen – Sammeln für Zulassung zu Landtags- und Bundestagswahlen

Für das Saarland ist es schon gelungen, für Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und den Bund wird noch gesammelt. Beide Landtagswahlen finden im Mai, die Bundestagswahl im September statt. Die Unterstützerunterschriften werden benötigt, damit die Zulassung zu den Wahlen erfolgen kann. Weitere Informationen und Formulare zum Herunterladen finden Sie hier.