Volksabstimmung in der Schweiz – Veranstaltungen in Deutschland

Die Volksabstimmung in der Schweiz am 5. Juni über die Volksinitiative „Für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ ist ein guter Anlass, um auch in Deutschland darüber zu sprechen, wie BGE und direkte Demokratie miteinander zusammenhängen könnten. Es kann beides ohne einander geben und dennoch gibt es eine Verwandtschaft zwischen BGE und direkter Demokratie.

Veranstaltungen am Tag der Volksabstimmung:

  • Alfter, Alanus Hochschule, 14-19 Uhr: „Die Schweiz stimmt ab – Bedingungsloses Grundeinkommen und direkte Demokratie“ (Kontakt: andreas.zaeh@alanus.edu, weitere Informationen folgen) (Kurztext zum Thema)

Die Hinweise werden laufen aktualisiert.

Podiumsdiskussion zum Bedingungslosen Grundeinkommen vom 1. März online

Link zur Piratenpartei NRW
Zur Diskussion über Jugendarbeitslosigkeit an der EuWiKon 2013 mit Sascha Liebermann

Frühere Kommentare von Sascha Liebermann, die manche in der Diskussion angesprochene Frage betreffen:

Zur Behauptung „Da würden Frauen sich eher von ihren Männern trennen“
Zur Frage Grundeinkommen und Nachhaltigkeit: „Erwerbsarbeit, Konsum und das Bedingungslose Grundeinkommen – ein vernachlässigter Zusammenhang“
Zur Frage „Bedingungsloses Grundeinkommen und direkte Demokratie“
Zu Digitalisierung und Bedingungsloses Grundeinkommen
Zu „Feldexperimente zum Grundeinkommen – Nutzen oder Schaden?“
Zu „Die Rolle der Gewerkschaften in einer Grundeinkommensgesellschaft“
Zur Frage ob Grundeinkommen ein Menschenrecht ist oder sein soll

„Ökonomie neu denken: das bedingungslose Grundeinkommen“ – eine Diskussion im Schweizer Radio SRF

Originalsendung im Radio SRF: „Ökonomie neu denken: das bedingungslose Grundeinkommen“

Für diese Sendung wurden die Theologin Ina Praetorius und der Theologe Torsten Meireis (Professor an der Universität Bern) interviewt. Entgegen einer verbreiteten Deutung, die das Bedingungslose Grundeinkommen als nicht vereinbar mit dem Protestantismus hält, führen die beiden Theologen aus, dass sie dies nicht so einschätzen. Vor vielen Jahren hatte in diesem Sinne sich schon Bischof Dr. Hans Christian Knuth (Wikipedia) geäußert. Nachfolgend kommentiere ich ausgewählte Äußerungen, die sinngemäß zitiert werden.

Ina Praetorius hebt die bedingungslose Liebe Gottes heraus, das BGE sei ihre sozialpolitische Umsetzung und insofern konsequent. Die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens korrespondiere mit der bedingungslosen Zuwendung zum anderen Menschen. So würden endlich diejenigen Tätigkeiten Anerkennung finden, ohne belohnt zu werden, die heute als unbezahlte „Arbeit“ zum Privatvergnügen herabgesetzt werden.

Das BGE sei keine Patentlösung, es berge die Gefahr, Menschen damit ruhigzustellen – andere nennen das Stilllegungsprämie. Diese Schlussfolgerung halte ich wiederum für gefährlich, um den Ausdruck zu übernehmen. Jemanden ruhigzustellen erfordert, selbst wo es um Medikamentierung geht, in der Regel die Zustimmung dessen, der ruhiggestellt werden soll. Wenn eine Ruhigstellung nicht gewollt ist, muss derjenige sich dagegen wehren, der nicht ruhiggestellt werden will. Übertragen wir das auf ein ganzes Staatsvolk, darum geht es bei der Eidgenössischen Volksinitiative, geht es nicht um Einzelne. Wo liegt da nun die Gefahr? Selbst wenn die Bürger sich ruhigstellen ließen, müsste dies als Haltung doch auch ernst genommen werden. Das sieht Ina Praetorius offenbar nicht so und setzt dieser Gefahr dann auch ein emanzipatorisches BGE entgegen, das die Menschen befähige, sich zu entscheiden. Sofern damit nicht gemeint sein soll, dass diese Entscheidungen einen bestimmten Inhalt annehmen sollen, dann würde auch die Entscheidung, sich ruhigstellen zu lassen, eine legitime Entscheidung sein. Oder etwa nicht? Wer bestimmt darüber?

Diese Einschätzung würde ich auch für die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung gelten lassen. Sie ist historisch-kulturell gewachsen, das erklärt teils ihr Beharrungsvermögen, aber nicht nur. Familiensoziologisch gesprochen lässt sich z. B. die mit Elternschaft einhergehende Verantwortung nicht einfach organisatorisch gleichmäßig aufteilen. Das ist dort möglich, wo die mit dieser Verantwortung einhergehenden Aufgaben beziehungsunspezifisch sind, d. h. bei Haushaltstätigkeiten wie Reinigung, Essenszubereitung, Hygiene und ähnlichem. Sie kann jeder – lässt man einmal Vorlieben und Neigungen außer Acht – gleichermaßen erledigen. Die frühe symbiotische Beziehung von Mutter und Kind lässt sich jedoch nicht einfach auf den Vater übertragen (siehe z. B. hier und hier) wenngleich seine Präsenz trotzdem wichtig ist: um die Mutter zu entlasten, um in die Position des Vaterseins hineinzufinden (was sich für Männer schwieriger gestaltet, also aufwendiger ist) und um für seine Partnerin als Partner – nicht als Haushaltsgehilfe – da zu sein. Die Beziehungen zum jeweiligen Kind sind aber nicht identisch und deswegen wechselseitig nicht (ohne Einbußen) ersetzbar. Um so wichtiger wäre es, dass Väter viel präsenter sind im Familienleben, als das bisher der Fall ist (weitere Beiträge zum Thema Familie). Ein BGE würde, das sagt Ina Praetorius dann auch, genau das möglich machen.

Sollte aber nun Paaren untersagt werden, dazu eine traditionale Haltung, was heute kaum mehr möglich ist, einzunehmen? So weit würde Ina Praetorius womöglich nicht gehen, verhindern lässt sich das jedoch ebensowenig, sofern das BGE ermöglichen soll, sich frei zu entscheiden. Warum aber ist das dann eine Gefahr? Nur, wenn man diese Option ausschließen möchte, das geht aber in einer Demokratie nicht, es sei denn, man wollte umerziehen (siehe auch hier).

Was allerdings der Fall sein wird mit einem BGE, ist, dass triftige Argumente, die es heute für manche Entscheidungen gibt, nicht mehr greifen werden. Dass Eltern sich heute, wenn sie Zeit für die Kinder haben wollen, entscheiden müssen, wer zuhause bleibt und wer erwerbstätig ist, entspringt der Erwerbsverpflichtung. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Höhe des Einkommens Ausschlag gibt, sofern beide Einkommen auskömmlich sind. Teilzeittätigkeit für beide ist nicht unbedingt eine bessere Lösung, weil sie den Koordinationsaufwand erhöht, doppelte Verpflichtungen für beide schafft, nicht aber die Möglichkeiten verbessert, auf die Bedürfnisse, Sorgen und Nöte der Kinder schnell zu antworten, indem man verfügbar ist. Je kleiner die Kinder, desto wichtiger ist das. Das BGE ist kein Hausarbeitslohn und auch keine Herdprämie, wie manche Kritiker und besorgte Befürworter meinen. Es schützt aber jedoch nicht davor, dass das BGE dennoch so gedeutet wird. Wer will, dass Entscheidungen auf der Basis eines BGE nur in bestimmte Richtungen führen dürfen, verkehrt es in sein Gegenteil. Das wäre also ganz und gar nicht „emanzipatorisch“.

Torsten Meireis gibt zu bedenken, dass Grundeinkommen nicht gleich Grundeinkommen sei, man müsse genau hinschauen, der Initiativtext allerdings lasse das nicht zu. Die entscheidenden Fragen bleiben offen, was kürzlich schon Thomas Straubhaar monierte. Das genau könne für die Initianten zum „Eigentor“, das Vorhaben damit zum „Totengräber des Sozialstaats“ (siehe auch hier und hier) werden. Wie kommt Meireis zu diesen Befürchtungen?

Jedes Vorhaben kann selbstverständlich gegen sich selbst gewendet werden, davor gibt es keinen Schutz bzw. nur einen: dass die Mehrheit genau nicht will, dass eine Sparversion BGE umgesetzt wird. Um noch weiter zu gehen, muss festgehalten werden, dass allerdings auch dies demokratisch legitim wäre. Doch entscheidet nicht der Einzelne, wie der Sozialstaat auszusehen hat, sondern die Willensbildung, die sich dann in Mehrheiten ausdrückt, die Minderheiten nicht einfach unterdrücken.

Meireis fragt dann, wie man diejenigen, die das Ganze bezahlen müssen, dazu motivieren könne, es zu tun. Diese Frage ist einigermaßen verwunderlich, denn „bezahlen“ muss das BGE das Gemeinwesen und seine Folgen aushalten ebenso. Wer fragt denn danach, wie wir diejenigen motivieren, die all die unbezahlte Arbeit leisten, für die sie heute wenig bis gar nichts erhalten (außer Anerkennungspunkten in der Rentenversicherung)?

Eine demokratische Entscheidung kommt nur zustande, wenn eine Mehrheit es will, dann wäre die Mehrheit auch bereit, die Folgen eines BGE zu tragen, eine solche Entscheidung wäre demokratisch bindend. Und wer sie wieder aufheben will, muss sich mit demokratischen Mitteln wiederum um die Willensbildung gegen ein BGE bemühen.

Meireis befürchtet ebenfalls, dass Frauen wieder stärker vom Arbeitsmarkt verdrängt werden könnten, denn angesichts ungleicher Löhne, könne der Mann doch sagen, er habe das höhere Einkommen, also gehe er „arbeiten“. Damit übersieht er jedoch, dass die Höhe des Einkommens, wenn man haushaltsbezogen denkt (BGE kumuliert in einem Haushalt), nicht mehr dieselbe Rolle spielte wie heute. Sie wäre gar kein Argument mehr, um die Arbeitsteilung zu befestigen, es sei denn die Eltern bevorzugten einen Lebensstandard, der entsprechend hohe Einkommen erforderte. Doch kein Erwerbseinkommen der Welt kann einem die Zeit verschaffen, die durch Erwerbstätigkeit für die Familie, also auch für die Kinder, verlorengeht. Es geht also vielmehr, als Meireis zu erkennen gibt, um die Frage, was einem wichtig ist (sofern das BGE ausreichend hoch wäre). Wenn einem die Einkommenshöhe trotz BGE wichtig ist, dann ist die Verantwortung für die Arbeitsteilung in den Händen der Eltern bzw. des Paares.

Interessant sind beider Ausführungen zum Verhältnis von Protestantismus/Puritanismus zum BGE. Die Menschen seien in doppelter Weise berufen, sagt Meireis, in die Gemeinde Christi und zum Dienst am Nächsten. Die Berufung zum Dienst am Nächsten in Liebe ist es, die Anlass zum Tätigwerden ist. Die protestantische (Arbeits-)Ethik ist deswegen keine, die sich an Erwerbsarbeit orientiert. Das halten beide für eine Fehldeutung und Meireis hebt noch hervor, dass sich hier auch eine Fehldeutung der Untersuchungen Max Webers fortschleppt, der nicht die protestantischen Lehrdokumente untersucht habe, sondern was daraus alltagsweltlich geworden sei.

Es mag der theologische Zugang sein, der vor allem Meireis übersehen lässt, dass es auch eine säkulare Gemeinschaftsbildung und ein Dienen gibt, für die die moderne Demokratie der Ort ist. Wir – weder in der Schweiz noch in Deutschland – sind gerade keine „Arbeitsgesellschaft“, was er offenbar an anderer Stelle behauptete, sondern eine Bürgergemeinschaft (siehe hier und hier), auch wenn uns das wohl nicht genügend klar ist. Ein Blick in die Schweizer Bundesverfassung ist hier hilfreich. Das Dienen ist in der Demokratie in säkularer Form erhalten, und zwar in Gestalt des Gemeinwohls, dem zu dienen ist. Es ist aber ein Gemeinwohl, das zugleich den Wert des Individuums in seiner Einzigartigkeit anerkennt. Dieses Gemeinwohl ist weder an eine transzendente Instanz gebunden, noch an einen religiösen Inhalt. Das Gemeinwohl muss durch die öffentliche Auseinandersetzung im Gemeinwesen stets wieder von Neuem bestimmt werden. Gerade durch diesen Zusammenhang einer politischen Vergemeinschaftung erfährt derjenige, der ihr zugehört, eine außerordentliche Wertschätzung, denn seine Zugehörigkeit ist bedingungslos, sein Status als Staatsbürger entspricht dem. Die Bürger eines Gemeinwesens sind also im höchsten Maße einbezogen, während sie in Erwerbsarbeit, auf deren Bedeutung Meireis abhebt, nur um der Erledigung einer Aufgabe willen einbezogen sind. Dass auch dort die Erfahrung gemacht werden kann, etwas Sinnvolles zu tun, widerspricht dem nicht. Das Bedingungslose Grundeinkommen ist also weniger eine „Freiheitsdividende“, es ist wenn schon eine „Demokratiedividende“.

Sascha Liebermann

Schweizer Bauernverband spricht sich gegen Volksinitiative zum Bedingungslosen Grundeinkommen aus

Der Schweizer Bauernverband spricht sich gegen die Eidgenössische Volksiniative „Für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ aus. In der Pressemitteilung ist davon die Rede, dass die Ablehnung aus finanziellen Gründen erfolge. Dabei könnte die Landwirtschaft durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen anders über ihre Zukunft nachdenken. Bedenkt man den Umfang der „Direktzahlungen“(siehe auch hier), die heute in die Landwirtschaft fließen, um eine Trennung von „Preis- und Einkommenspolitik“ zu ermöglichen, wäre dasselbe, allerdings ohne Zweckbindung, durch ein BGE möglich. Statt zweck- bzw. aufgabengebundener Direktzahlungen würde ein BGE Freiraum davon verschaffen, bestimmten Zwecken dienen zu müssen, um die Zahlungen zu erhalten. Außerdem würden kleine Betriebe vom BGE unverhältnismäßig stark profitieren und so Lebensmitteldiversität im Nahbereich gefördert, z. B. hätten es kleine „unrentable“ Käsereien einfacher, ein Auskommen zu erzielen.

Siehe auch „Grundeinkommen und Landwirtschaft“  sowie unseren Kommenter „Strukturschwache Regionen und das bedingungsloses Grundeinkommen“.

„Wirtschaft für Grundeinkommen“ – eine neue Website mit Stellungnahmen

Hier geht es zur Website, auf der Unternehmensgründer, Vorstände und Geschäftsführer zum Bedingungslosen Grundeinkommen Stellung beziehen. Dort findet sich auch der Hinweis auf einen Kongress am 4. Mai in Zürich: Social Policy 4.0 (Kongressbroschüre).

Auf der Website wird von einem „Bedingungslosen Grundeinkommen“ gesprochen und es entsprechend der gegenwärtigen Diskussion erläutert, in der meist die Bedingungslosigkeit im Zentrum steht und ein BGE von kompensatorischen Leistungen unterschieden. In der Kongressbroschüre hingegen ist vom „Universal Basic Income“ die Rede, ein Begriff, der weniger klar belegt ist. Ein Universal Basic Income muss nicht bedingungslos gewährt werden. Auf S. 5 findet sich dann dieser Absatz:

„The idea of „universal basic income“ (UBI) has been embraced by prominent economists and philosophers from the left and right (Friedrich Hayek, Robert Nozick, Milton Friedman, Robort Solow, Herbert Simon, Thomas Piketty). It currently experiences a worldwide revival: At this years World Economic Forum in Davos along with the discourse about the “4th Industrial Revolution”, a UBI was proposed as a promising concept in the context of upcoming disruption of traditional labour markets (e.g. Brynjolfsson MIT).“

Nimmt man den Begriff Universal Basic Income in einem weiten Sinne, dann ist der Passus zutreffend. Dann können auch die entsprechenden Personen als Befürworter oder Vordenker genannt werden. Wenn jedoch die Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens und seine dauerhafte, individuelle und von jeglichem Einkommen unabhängige Gewährung im Zentrum steht, gilt das nicht gleichermaßen. Hayek und Friedman (siehe auch hier) waren keine Befürworter eines BGE. Brynjolffson spricht in diesem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung zwar davon, dass die Schweiz ein „mögliches Modell für die Zukunft“ sein könne und bringt dies in Zusammenhang mit der Abstimmung über ein Bedingungsloses Grundeinkommen. In dem Absatz zuvor jedoch spricht er von der Negativen Einkommensteuer, was wiederum kein BGE wäre. Er sagt wörtlich:

NZZ: Woran denken Sie?
Brynjolfsson: Lassen Sie uns zuerst die Bildung neu erfinden. Wir müssen den Menschen nicht nur Fakten beibringen, denn Maschinen lernen diese sehr gut auswendig, sondern sie lehren, wie sie kreativ sein und ihre sozialen Kompetenzen, Teamarbeit, Führung, Pflege, Überzeugungsarbeit verbessern können…“

Diese Debatte ist nun wahrlich nicht neu und das Bildungswesen wohl im deutschsprachigen Raum war mehr als eines, das „Fakten“ vermittelt hat. Es ist ja eher eine Tendenz des letzten Jahrzehnts, dass dies wieder zunimmt. Womöglich hat Brynjolfsson die USA vor Augen, dann wäre es gut das zu sagen.

Er fährt fort:

„…Zweitens müssen wir den Unternehmergeist fördern, indem wir es einfacher machen, neue Firmen zu gründen, die neue Güter, Dienstleistungen und Arbeitsplätze schaffen. Es gibt zu viel Stagnation, sowohl in Europa als auch in den USA. Das hindert Unternehmer daran, Technologie zu nutzen, um die Wirtschaft neu zu beleben…“

Ja, aber wie fördert man Unternehmergeist? Diese Aussage ist so allgemein, dass sicher jeder sie begrüßen würde.

Für das BGE wird es nun interessant:

„…Drittens müssen wir unsere Steuerpolitik überdenken. Dinge wie eine negative Einkommenssteuer könnten helfen, die Rückschläge für die Verlierer der Automatisierung abzufedern. Mit Steuern auf Umweltverschmutzung und Verkehrsstaus könnten wir einen Teil refinanzieren.“

„Negative Einkommensteuer“ (NES), „Verlierer“ – damit weist er in eine bestimmte Argumentationsrichtung. „Verlierer“ können nur diejenigen sein, die ihren Arbeitsplatz verlieren. Sie brauchen dann eine Absicherung. Das wäre dann eine Absicherung für Arbeitslose, die im Grunde nicht als dauerhafte konzipiert werden kann, denn Arbeitslose können wieder in Erwerbsarbeit gelangen. Oder meint er damit Arbeitslose, die dauerhaft nicht mehr in den Arbeitsmarkt zurückgelangen werden? Wie würde man das feststellen? Auf jeden Fall geht es nur um die „Verlierer“ und es wird nur bezogen auf Erwerbsarbeit argumentiert. Die „Negative Einkommensteuer“ funktioniert genau wie ein solcher Ausgleich, zumindest in der Beschreibung von Milton Friedman. Wer unterhalb einer zu definierenden Einkommensgrenze mit seinem Einkommen bleibt, erhält einen Ausgleich über die NES. Wer darüberbleibt nicht. Das BGE jedoch ist ganz anders gedacht. Es soll immer verfügbar sein, unabhängig vom verfügbaren Individualeinkommen. Damit ist es keine ausgleichende oder kompensatorische Leistung. Was sagt Brynjolfsson noch:

„Ist ein Land wie die Schweiz gut darauf vorbereitet? 
Es ist eines der weltweit am besten vorbereiteten Länder. Es ist schon sehr wohlhabend, hat eine sehr gut ausgebildete Bevölkerung und eine gute, starke Demokratie. Die Schweiz hat bereits einige innovative Ideen wie das bedingungslose Grundeinkommen ins Auge gefasst, das in den nächsten 10 bis 20 Jahren erforderlich sein könnte, um die Folgen der Automatisierung abzufedern…“

Wiederum geht es darum, Folgen der Automatisierung aufzufangen. Den obigen Ausführungen gemäß geht es um die Folgen für diejenigen, die ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Wenn er hier von BGE spricht, ist also kein BGE drin, sondern eine NES, wie er sie zuvor selbst eingeführt hat. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Das BGE würde die Folgen der Automatisierung in einem anderen Licht erscheinen lassen, wenn wir es schon hätten. Wir würden über sie ganz anders diskutieren, gelassener, entspannter. Es ist aber viel mehr als nur ein Instrument, um Folgen abzufedern.

„…Das Land könnte sich dieses neue Modell leisten, weil es reich und produktiv ist und Technologie effektiv nutzt. Ich sehe die Schweiz als ein mögliches Modell für die Zukunft…“

Das klingt etwas befremdlich, denn ein Modell ist etwas Allgemeines, ein Land hingegen mit seinen historisch-kulturellen Eigenheiten ist etwas Besonderes. Sie sind gewachsen, durch ein Entscheidungen gestaltet worden. Ein Land kann insofern nicht Modell für ein anderes sein, man muss sich nur anschauen, wie stark sich die westlichen Demokratien bezogen auf ihre politische Kultur unterscheiden. Selbst die Gestaltung sozialstaatlicher Leistungen ist nicht aus einem Modell herzuleiten, sondern entsprechend einer politischen Kultur, einem politischen Selbstverständnis gestaltet.

Abgesehen davon, dass Brynjolfsson offenbar weniger ein BGE und mehr eine NES im Auge hat, hinterlassen seine Ausführungen den Eindruck, als könne das Was und Wie des Zusammenlebens in einem Gemeinwesen von einem Modell abgeleitet werden, so wie eine Maschine entworfen, geplant und realisiert werden kann. Das Leben ist aber keine Maschine.

Sascha Liebermann

„Da würden sich Frauen eher von ihren Männern trennen“…

…diese überraschende und sonderbare Behauptung, im Brustton der Überzeugung vorgetragen, hört man immer wieder einmal in der Grundeinkommensdiskussion – von Befürwortern. Berufen wird sich dabei auf Ergebnisse aus den Grundeinkommensexperimenten in den 1970er Jahren in den USA und Kanada. Allerdings sind diese Ergebnisse selbst Gegenstand einer längeren Kontroverse, die Befunde sind strittig, die Daten komplexer und ungenügend ausgewertet. Davon abgesehen handelt es sich um standardisierte Daten, aus denen nur Wahrscheinlichkeitszusammenhänge zu schließen sind, aber keine Wirkungszusammenhänge.

Der amerikanische Philosoph und Ökonom Karl Widerquist wies schon vor Jahren in einem Artikel darauf hin, dass die Ergebnisse der Negative Income Tax-Experiments viel komplexer seien, als einfache Schlussfolgerungen nahelegen. Umstritten sei, was aus den Daten abgeleitet werden können, wie z. B. der angebliche Befund, dass unter den teilnehmenden Familien im NIT-Experiment die Scheidungsrate stieg.  Noch deutlicher als Widerquist hat sich die kanadische Ökonomin Evelyn L. Forget in ihrem umfangreichen Beitrag „Town with no Poverty„, der sich mit dem Mincome-Experiment in Dauphin (Kanada) befasst, geäußert. Zum hier interessierenden Zusammenhang schreibg sie darin:

„The oddest outcome claimed by US researchers was that marital stability was undermined in jurisdictions that experimented with a GAI [Guaranteed Anual Income, SL] (Hannan, Tuma and Groeneveld 1977). The argument, which held great sway in US political debate, was that poor women, given a real choice by the existence of a GAI, would be less inclined to stay in unsatisfactory marriages. That finding was suspect from the outset and convincingly challenged by Cain and Wissoker who argued that statistical errors destroyed the credibility of the finding (Cain and Wissoker 1990). Nevertheless, we examined our data to see if family dissolution rates might be affected. We found no evidence of increased family dissolution rates among the Dauphin subjects [Hervorhebungen SL].“ (S. 21)

In aller Klarheit stellt Evelyn L. Forget heraus, das die Befunde, das GAI habe zu einer erhöhten Trennungsrate bei Paaren geführt, von Anfang an zweifelhaft waren. Früh schon wurde auf statistische Fehler hingewiesen, die gemacht wurden. In den Daten des Mincome-Projects, die dennoch auf diese Frage überprüft wurden, konnte auch keine erhöhte Trennungsrate festgestellt werden. Da beide Artikel seit Jahren online verfügbar sind, muss man sich fragen, weshalb sich die Behauptung, Frauen würden sich schneller trennen, in der Diskussion so vehement hält. Ist da womöglich der Wunsch, dass es so sein könnte, Grund für diese These, oder soll aus ideologischen Gründen mit der „bürgerlichen Ehe“ abgerechnet werden?

Wer sich mit Paarbildungsprozessen und Paarbeziehungsdynamiken beschäftigt und (familien-)soziologische wie andere Forschung dazu heranzieht, wird ebenfalls die behaupteten Ergebnisse wie die in der Grundeinkommensdiskussion kursierende These für zweifelhaft gehalten haben. Man stößt dann sehr schnell darauf, dass es in Paarbeziehungen im geringsten um Geld oder Einkommen geht. Paarbeziehungen entstehen heutzutage nicht aus Einkommensmotiven heraus und können sich als authentische Beziehungen durch sie auch nicht aufrechterhalten. Wo Einkommen Grund für solche Beziehungen war oder geworden ist, sind sie unauthentisch, unlebendig, im Grunde schon zu Beginn am Ende (Eheverträge sind dafür ein schönes Beispiel). Trennungen sind deswegen so schwierig und aufwühlend bis sie einmal vollzogen sind, weil der Schritt zur Trennung bedeutet anzuerkennen, dass die Beziehung, der mit ihr verbundene Lebensentwurf, gescheitert ist. Das heißt, es muss anerkannt werden, dass man sich getäuscht hat, der andere war nicht oder ist nicht mehr derjenige, mit dem man das Leben teilen will. Genau dies aber, das Leben miteinander zu teilen, sich aufeinander einzulassen und dies ohne eine im Vorhinein ausgesprochene Frist zu tun, sich also ins Offene unendlich auf den anderen einzulassen, zeichnet eine Paarbeziehung autonomer Erwachsener gerade aus. Diese Eigendynamik ist nicht von der Ehe als Institution abhängig, wird von ihr jedoch bekräftigt und erhielt einst ihren religiösen Ausdruck in der katholischen Formel „bis das der Tod uns scheidet“. In säkularisierter Form entspricht dies dem Unendlichkeitsversprechen, das der Eröffnung jeder Paarbeziehung zugrunde liegt.

Wenn Paare sich nicht trennen, obwohl eine authentische Beziehung nicht mehr möglich ist, kann das verschiedene vor allem psychodynamische Gründe haben. Es alleine nicht aushalten zu können, immer jemanden an der Seite haben zu müssen, den anderen deswegen „zu brauchen“ – bis hin zu neurotisch angelegten gegenseitigen Erniedrigungen für die ein Paar einander „braucht“. Dass es keine gute Idee ist, gemeinsamer Kinder wegen zusammenzubleiben, ist mittlerweile bekannt, weil den Kindern sich dann das Unauthentische der Beziehung mitteilt, sie die Erfahrung machen, dass das Unauthentische offenbar es wert ist, aufrechterhalten zu werden.

Woher kommt dann die Vorstellung, mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen würde die Trennungsrate zunehmen? Zu dieser Schlussfolgerung kann nur gelangen, wer annimmmt, dass Paarbeziehungen aus Einkommensgründen aufrechterhalten werden. Ich will nicht sagen, dass dies nicht vorkommt, es ist allerdings schon Ausdruck einer gescheiterten und unauthentischen Beziehung, wo dieser der Fall ist. Man müsste sogar so weit gehen zu sagen, dass gerade in einem solchen Fall selbst ein BGE eine Trennung nicht befördern würde, wenn der- oder diejenige schon vorher bereit war, des Einkommens wegen den anderen weiter auszuhalten. Dass sich Paare einseitig auch in Absehung von der Einkommenslage trennen, selbst wenn Kinder da sind, die es für den alleinerziehenden Elternteil dann enorm schwer machen, das Einkommen aufzubringen, das für das Auskommen benötigt wird, belegt das reale Leben. Wer meint, von einem solchen Schritt lassen sich Frauen oder Männer ernsthaft abhalten, weil ihnen das vermeintlich sichere Einkommen wichtiger ist als mit sich im Reinen zu leben, hat sich damit vom BGE im Grunde schon entfernt. Denn er müsste dann auch annehmen, dass sich Menschen des Einkommens wegen alles Mögliche gefallen lassen, davor könnte sie ein BGE dann auch nicht retten.

Sascha Liebermann

„WebTalk Bedingungsloses Grundeinkommen“…

…wird von der Bundeszentrale für politische Bildung angekündigt:

WebTalk Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) am 9.3. um 19 Uhr 

‚In Deutschland wird die Existenzsicherung immer wieder kontrovers diskutiert. Mit der Schweiz und Finnland stehen nun zwei Länder kurz davor das Experiment zu wagen. Wir diskutieren mit dem Journalisten und BGE-Kritiker Michael Greffrath, dem Gründer der Initiative Mein-Grundeinkommen.de, Michael Bohmeyer, und Max Neufeind, Policy Fellow bei „Das Progressive Zentrum‘.

Den Link zum WebTalk bzw. Livestream finden Sie dann in diesem Artikel. Zur Vorbereitung auf den Chat werden wir in den kommenden Tagen noch weitere Informationen und Beiträge veröffentlichen.“

„Die Schweiz hat einen liberalen Arbeitsmarkt…“ – braucht sie deswegen kein Grundeinkommen?

Dass die Schweiz deswegen kein Bedingungsloses Grundeinkommen brauche, diese Auffassung hat jüngst in einem Interview Thomas Straubhaar in der Neuen Zürcher Zeitung geäußert. Damit verkürzt er das BGE auf ein Instrument zur Liberalisierung des Arbeitsmarktes. Was hat er genau in dem Interview, in dem es auch um andere Fragen ging, über das BGE gesagt?

„NZZ: Im Juni stimmt die Schweiz über ein bedingungsloses Grundeinkommen ab. Sie sind als Schweizer stimmberechtigt und haben Sympathien für die Idee. Werden Sie ein «Ja» einlegen?“
Straubhaar: Nein! Ich bin zu wenig risikofreudig, um einem solchen Systemwechsel bei so viel offen bleibenden Kernpunkten zuzustimmen. Zwei wesentliche Fragen sind nämlich ausgeklammert. So wird nichts über die Finanzierung gesagt und nichts über die konkrete Höhe des Grundeinkommens.“

Weshalb ist das ein Hindernis? Es würde doch gerade eine Diskussion darüber nötig machen, wie hoch es ausfallen sollte und wie es zu gestalten sei? In einem anderen Interview hatte er gerade diese Offenheit für hilfreich erklärt, dass die Initiative eine Diskussion über die Zukunft der Sicherungssysteme befördere. Darüber hinaus äußerte er dort auch, wie nah die Schweiz an einem Grundeinkommen sei aufgrund ihrer Sicherungssysteme, die eine höhere Umverteilung vollziehen als in Deutschland.

„Wie müsste das Grundeinkommen denn ausgestaltet sein?
Ich bin ein Anhänger eines niedrigen Grundeinkommens, das nur die Existenz absichert. Dies würde Effizienzgewinne erlauben, indem man Doppelspurigkeiten die Bürokratie der Sozialwerke abbaut. Die Befürworter in der Schweiz wollen jedoch ein hohes Grundeinkommen, was hohe Steuern mit sich bringen würde. Das wird die Arbeitsmotivation senken.“

Hierfür darf ich auf einen jüngeren Kommentar zum „Arbeitsanreiz“ verweisen. Die Schlussfolgerung träfe nur zu, wenn Einkommenserzielung und Steuerbelastung (ob dies zutrifft, sei dahingestellt) direkte Wirkungen auf die Leistungsbereitschaft hätten. Straubhaar setzt hier ein ganz bestimmtes Modell zur Erklärung von Handeln an, dessen empirische Basis mehr als fragwürdig ist.

„Aber passt ein bedingungsloses Grundeinkommen überhaupt zu einer liberalen Gesellschaft?
Absolut. Es geht um die Unterstützung der Schwächeren. Urliberal ist, wenn man Transfers nicht an Bedingungen knüpft, wenn der Staat gerade nicht ein bestimmtes Verhalten vorschreibt. Deshalb hat auch der liberale Ökonom Milton Friedman die negative Einkommenssteuer – und nichts anderes ist das bedingungslose Grundeinkommen – propagiert.“

Der Hinweis auf Friedman, der in der Tat kein Verhalten vorschreiben wollte, ist treffend. In der meist hierfür zitierten Passage aus „Capitalism and Freedom“ sagt er genau das, was Straubhaar wiedergibt. Der Vergleich von Negativer Einkommensteuer und BGE, zumal in der Friedmanschen Version, trifft jedoch nicht zu, wie in dem genannten Buch ebenfalls deutlich wird (siehe auch den verlinkten Kommentar zur NES).

„Aber Sie selbst haben einmal geschrieben, dass in der Sozialen Marktwirtschaft die Menschen eigenverantwortlich und selbstbestimmt handeln. Wo bleibt die Eigenverantwortung, wenn jeder automatisch Geld vom Staat erhält?
Es wird ja nur das Existenzminimum abgedeckt, in Deutschland zum Beispiel 7500 € pro Erwachsenen und Jahr. Das Existenzminimum ist durch die Sozialhilfe schon heute für jeden garantiert. Alles darüber hinaus bleibt der Eigenverantwortung überlassen. Wer mehr will, muss selbst aktiv werden.“

So sähe das BGE von Thomas Straubhaar aus, das wäre für eine alleinstehende Person in der Tat wenig, ohne Erwerbsarbeit würde das nicht ausreichen. Für einen Haushalt hingegen wäre es mehr als heute, sofern er nur vom BGE leben wollte, allerdings nur bei drei bis vier Personen. Sofern bedarfsgeprüfte Leistungen fortbestehen, könnte aber auch ein solches BGE schon dazu führen, dass eine entscheidende Barriere für den Wandel genommen wird: die Bedingungslosigkeit. Selbst bei einem solchen Betrag könnte das erhebliche Veränderungen nach sich ziehen. Denn verglichen mit der gegenwärtigen Situation wäre auch das eine erhebliche Verbesserung.

Straubhaar versäumt es – vielleicht sieht er es auch nicht -, dass die „soziale Marktwirtschaft“ nicht im luftleeren Raum existiert, sondern nur dort, wo ein Gemeinwesen ihre Funktionsvoraussetzungen schafft und schützt. Den Begriff der „Eigenverantwortung“ auf die Einkommenserzielung zu verkürzen, ist eine typisch verengte Sichtweise auf den Zusammenhang von Autonomie und Verantwortung. „Eigenverantwortung“ – die immer zugleich Verantwortung für andere ist, insofern ist es ein ungeeigneter Begriff – im politischen Sinne als Souverän tragen die Bürger jeden Tag selbstverständlich, ob die Bedingungen dafür ihrer Stellung im Gemeinwesen angemessen sind, wird kaum gefragt. Ein BGE würde aber diese Bedingungen genau verbessern, den Sozialstaat den Voraussetzungen der Demokratie gemäß gestalten.

„Selbst bei einem Grundeinkommen gibt es Leute, die darüber hinaus finanzielle Unterstützung benötigen, wie Behinderte oder alte Menschen.
 Ich gebe zu: Die Ergänzungsleistungen sind beim Grundeinkommen eine offene Flanke. Mir gehen die Argumente aus, wenn jemand eine schwere Behinderung hat. Da reicht das Grundeinkommen nicht. Dabei wäre die Eleganz gerade, dass ich keine Bedürfnisprüfung mehr machen muss. Man sollte aber auch sagen: Gemessen an der Gesamtbevölkerung ist das ein kleiner Prozentsatz, bei dem sich dieses Problem stellt.“

Straubhaar räumt hier ein, dass es weitere Leistungen oberhalb des BGE geben müsse, sonst, so würde ich sagen, verkehrt es sich in sein Gegenteil. Der Charme ist nicht die Reduzierung von Verwaltungskosten, wie er vor Augen zu haben scheint, sondern die Ermöglichung von mehr Selbstbestimmung. Ein BGE, das vom Bürger seinen Ausgang nimmt, vom Status der Person, und nicht von einer Leistungsverpflichtung, verändert auch den Charakter bedarfsgeprüfter Leistungen. Sie dienen dann nicht mehr dem Ausgleich von Erwerbsunfähigkeit oder -einschränkung, sondern zur Ermöglichung von Selbstbestimmung.

Was Straubhaar hier vollkommen übersieht, das sind Zwei-Personen-Haushalte wie im Fall eines alleinerziehenden Elternteils und eines Kindes. Sie wären mit diesem Grundeinkommen nicht gut versorgt, da es kaum ausreichen würde.

„Braucht es bei einem bedingungslosen Grundeinkommen noch eine Sicherung durch den Mindestlohn oder den Kündigungsschutz?
 Nein, diesen Schutz braucht es nicht mehr. Das ist auch ein Unterschied zwischen Deutschland und der Schweiz. Die Schweiz hat keinen Kündigungsschutz und keinen Mindestlohn, sondern einen vergleichsweise liberalen Arbeitsmarkt. Deshalb setze ich mich für das Grundeinkommen in der Schweiz auch nicht ein.“

Einen gewissen Kündigungsschutz gibt es allerdings auch in der Schweiz. Worin er den Unterschied sieht, wird nicht deutlich, vermutlich ist der Kündigungsschutz in Deutschland umfangreicher und strikter. Dass ein BGE in ausreichender Höhe die Frage aufwirft, ob heutige Kündigungsschutzregelungen noch den neuen Verhältnissen angemessen, wo sie zu verändern, aufzugeben oder beizubehalten wären, diese Diskussion wäre dann eröffnet. Letztlich ist das keine theoretische, sondern eine praktisch zu beantwortende Frage, was gewollt ist. Straubhaars Einschätzung des Mindestlohns halte ich für treffend (siehe meine früheren Kommentare hier und hier). Deutlich wird, was in Straubhaars Äußerungen zum Bedingungslosen Grundeinkommen über die Jahre oft entweder ausdrücklich oder zwischen den Zeilen zu erkennen gaben. Dass es ihm vor allem um Flexibilität für und am Arbeitsmarkt geht. Existenzsicherung, ja, aber Vorsicht, die Anreize dürfen nicht untergraben werden, weshalb er es gleich auf der Höhe des Grundfreibetrags in der Einkommensteuer belassen will. Weder setzt er das BGE ins Verhältnis zu den Grundfesten der Demokratie, noch sieht er die Stellung, die die Bürger darin schon innehaben. Er verbindet damit also etwas ganz Anderes mit dem BGE als die Stärkung des demokratischen Gemeinwesens durch die Stärkung seiner Bürger. Auch geht es ihm nicht darum, die für ein Gemeinwesen gleichermaßen unerlässlichen Tätigkeiten – Familie, Freiwilligendienst und Erwerbstätigkeit – zu egalisieren, also sie in ihrer Bedeutung gleichermaßen anzuerkennen. Dazu müsste der Vorrang von Erwerbstätigkeit aufgehoben werden. Das geht nur mit einem BGE.

Sascha Liebermann

„Time For A Guaranteed Basic Income?“…

..eine Radiodiskussion bei On Point, das zu NPR (ehemals National Public Radio) gehört, einer Koooperation nicht-kommerzieller Radiosender, das etwa unseren Freien Radios entspricht:

„What if every American was guaranteed, by the government, a minimum basic income? It sounds radical, unthinkable by many old measures. But a surprising span of supporters – left and right – is now saying “think again.” The new economy is so unpredictable that people need a floor to stand on. And a guaranteed income would be instead of a whole lot of existing welfare programs. This hour On Point, the surprising chorus of voices saying guarantee Americans a basic income.“