"Adieu Grundeinkommen" – ein Abwicklungsversuch von Reinhard Bütikofer, Bündnis 90/ Die Grünen

„Adieu Grundeinkommen“ ist ein Beitrag übertitelt, in dem – oder besser: mit dem – Reinhard Bütikofer versucht, das Grundeinkommen abzuwickeln. Allerdings setzt er sich mit der Idee kaum auseinander, wie sich in diesem Zitat erkennen läßt:

„Vor allem ist es nicht gelungen, den Respekt vor der Würde der Arbeitenden und Arbeitslosen zur verlässlichen Richtschnur des Gesetzes zu machen. Viele Menschen spüren und erleben das. Sie werden nicht aufhören, dagegen zu rebellieren. Wenn wir dieses Problem nicht lösen, können wir gegen die verschiedenen sozialpolitischen Projektemacher, Demagogen und Illusionskünstler nichts ausrichten, die mit ihrer Proselytenwerbung genau an diesem Punkt ansetzen.“

Die Würde des Menschen ist an seine Freiheit gebunden, entscheiden zu können, was er mit seinem Leben anfangen will. Doch genau diese Würde kümmert Reinhard Bütikofer nicht. Er beläßt es bei allgemeinen Formeln, wenn es darum geht, die von ihm favorisierte bedarfsorientierte Grundsicherung zu propagieren. Angesichts der Möglichkeiten, vor denen wir heute stehen, mißachtet jede bedarfsorientierte Grundsicherung die Würde.

Und dann dies, man staunt:

„Es ist richtig, dass Leistungsempfängerinnen und -empfänger bereit sein sollten, „der Gesellschaft etwas zurück zu geben“. Doch diese Bereitschaft ist nicht identisch mit Arbeitszwang oder der Pflicht zu sinnloser Beschäftigung. Sie kann unterschiedliche Formen haben und reicht von der normalen versicherungspflichtigen Beschäftigung bis hin zum bürgerschaftlichen Engagement. Es sollte Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Alternativen geben, und die Selbstsuche und Selbstorganisation muss Vorrang haben vor „Zuweisung“.“

Von einer Idee nimmt man die wichtigsten Begriffe und schon klingt es gut. Doch hier geht es um mehr als nur Vokabeln, es geht darum, welche Möglichkeiten geschaffen werden. Der Einzelne hat nur dann Wahlmöglichkeiten, er kann sich nur dann bürgerschaftlich engagieren, wenn die Erzielung von Einkommen nicht an erster Stelle steht. Kein bürgerschaftliches Engagement ist ohne Erwerbseinkommen möglich, das ist klar. Eine bedarfsorientierte Grundsicherung – nomen est omen – behält diese Verpflichtung bei, denn sie wird nur gewährt, wenn ein Bedarf besteht. Dieser Bedarf ist ein Einkommensbedarf, der nur für diejenigen gilt, wie Bütikofer sagt, die kein ausreichend hohes Einkommen erzielen. Also doch: Erwerbsarbeit ist das größte und soll es bleiben.

All das, was Reinhard Bütikofer mit komplizierten Regelungen erreichen will, wäre mit einem BGE viel einfacher zu erreichen. Doch Voraussetzung dazu wäre es, uns Bürgern die Freiheit dazu zu geben. Da hört der Spaß auf. Offenbar droht unseren Politikern von keiner Seite mehr Gefahr als von Bürgern, die selbst darüber befinden, woran sie „teilhaben“ wollen.

Sascha Liebermann

Was ist das solidarische Bürgergeld – bedingungsloses Grundeinkommen oder Steuergutschrift?

In einem Gastkommentar für Spiegel Online „Bürgergeld statt Mindestlohn“ hat der Ministerpräsident Thüringens, Dieter Althaus, für seinen Vorschlag eines Solidarischen Bürgergeldes geworben.

In dem gesamten Beitrag fällt nicht einmal der Ausdruck bedingungsloses Grundeinkommen (BGE), der für Dieter Althaus in früheren Äußerungen wichtig gewesen ist. Seine Ausführungen bestärken auch den Eindruck, den wir an früherer Stelle schon einmal geäußert haben, daß sein Vorschlag viel mehr dem einer Negativen Einkommensteuer (NE) entspricht als einem bedingungslosen Grundeinkommen. Der Unterschied zwischen beiden ist schnell benannt: Während das BGE immer verfügbar sein soll und eine eigene Einkommensart bildet, die mit anderen nicht verrechnet wird, folgt die Negative Einkommensteuer dem Ausgleichsprinzip. „Negativ“ ist sie, weil sie erst dann einer Person gewährt wird, wenn ihr Erwerbseinkommen unter einer definierten Höhe bleibt. Wer z.B. nur 500 € Erwerbseinkommen erzielt, das Mindesteinkommen aber 800 € beträgt, erhält einen Ausgleich aus Steuermitteln.

Nun könnte man sagen, es bleibe sich gleich, ob man mit einem BGE oder einer NE auf diesem Betrag kommt. Genau darin aber liegt der Unterschied ums Ganze. Die NE hält am Erwerbsprinzip fest, gemäß dem Motto: Jeder muß zuerst einmal versuchen, Erwerbseinkommen zu erzielen. gelingt ihm dies nicht, dann erhält er eine Steuergutschrift. Das BGE hingegen folgt der Maxime: Jeder soll in die Lage versetzt werden, das zu tun, was ihm am Herzen liegt, was er für wichtig und richtig erachtet. Da es zahlreiche Betätigungsfelder jenseits von Erwerbsarbeit gibt, bedarf er dazu eines Einkommens. Ohne ein solches hätte er gar keine Wahl. Was also wie ein rechnerischer Unterschied erscheinen könnte, ist einer der Freiheit – der Freiheit, sich entscheiden zu können in Absehung von Einkommenserzielung.

An einer anderen Stelle heißt es: „Das Solidarische Bürgergeld im Sinne einer negativen Einkommensteuer bekommen nur diejenigen Bürger ausbezahlt, die es tatsächlich benötigen.“

Damit führen wir das Bedürftigkeitsprinzip fort, das schon heute stigmatisierend wirkt: Um festzustellen, ob jemand bedürftig ist, müssen wir definieren, worin Bedürftigkeit besteht. Mit einem BGE hingegen würden wir endlich das Bedürftigkeitsprinzip aufgeben: Das BGE ist ein Bürgereinkommen, die Bürger erhalten es um ihrer selbst willen. Sie werden dadurch in die Lage versetzt, mehr Verantwortung zu übernehmen und sind zugleich abgesichert. Ob sie es dann „benötigen“, können sie selbst am besten entscheiden.

Weiter heißt es: „Mir ist es wichtig, daß wir die zusätzliche Unterstützung auf die konzentrieren, die sie wirklich benötigen. Das schließt eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik ein. Wer selbstständig laufen kann, den sollte man nicht behindern. Wer Hilfe benötigt, der wird an die Hand genommen“.

Heißt „selbständig laufen“ denn, einer Erwerbsarbeit nachzugehen? Sie steht mit einer NE nach wie vor im Zentrum, gilt als dasjenige, dem wir nachstreben sollten. Dann würde das Solidarische Bürgergeld doch nur – wenn auch viel liberaler als unsere gegenwärtigen Sicherungsleistungen – eine Form dessen sein, was wir gegenwärtig haben. Wir würden die Chancen, die ein BGE uns bietet, nicht ergreifen.

Langfristig kann unser Ziel doch nur sein, Freiheit und Solidarität zu stärken. Freiheit aber schließt auch ein, sich nicht am Arbeitsmarkt zu orientieren, sondern Tätigkeiten jenseits davon zu verfolgen, die ebenso wichtig sind – das ermöglicht nur ein BGE.

Sascha Liebermann

Strukturschwache Regionen und das bedingungslose Grundeinkommen

Strukturschwache Regionen werden heute solche Gebiete in Deutschland genannt, die aufgrund ihrer geringen wirtschaftlichen Leistungskraft und folglich geringem Steueraufkommen auf eine besondere Förderung aus öffentlichen Mitteln angewiesen sind. Diese Förderung kann z.B. über den Länderfinanzausgleich erfolgen, sie kann aber genauso über zweckgebundene Mittel gestaltet werden (z.B. für bestimmte Branchen wie die Landwirtschaft) und über zusätzliche Abgaben („Solidaritätsbeitrag“). Der Freistaat Bayern wurde mit solchen Mitteln gefördert, das Ruhrgebiet wird es heute noch. Vor allem sind es die östlichen Bundesländer, aber auch einige Regionen in den westlichen, die besonders gefördert werden (siehe Karte). Allerdings erfolgt die Förderung meist zweckgebunden, sie soll also dazu dienen, bestimmte Ziele zu erreichen. Das heißt noch lange nicht, daß eine solche Förderung ihr Ziel auch erreicht, ob nicht gar Ziele angestrebt werden, die mit den Gegebenheiten einer Region gar nicht vereinbar, gar illusorisch sind. Wo es langfristig an Wirtschaftskraft fehlt, wo Menschen kein Einkommen erzielen können, wandern sie ab. Das haben in den vergangenen Jahren viele getan, viele junge dazu, mehr Frauen als Männer. In den betroffenen Regionen führt dies zu einer Verschärfung der Lage, Arbeitslosigkeit hat noch zugenommen und durch die Abwanderung gehen auch Menschen verloren, die einen langfristigen Aufbau gestalten könnten.

Wie würde ein bedingungsloses Grundeinkommen die Lage dieser Regionen verändern?

Aus wirtschaftlichen Gründen, um ein Einkommen zur Lebensunterhaltung zu erzielen, müßte niemand mehr abwandern. Mit einem Grundeinkommen, solange es hoch genug wäre, würden sich ganz andere Möglichkeiten eröffnen. Regionen, die heute dafür gefördert werden, agrarwirtschaftliche Nutzflächen stillzulegen oder bestimmte Nutzpflanzen anzubauen, wären auf zweckgebundene Subventionen nicht mehr angewiesen. Kulturlandschaftliche Pflege wäre möglich, ohne daß dazu eine Förderung erfolgen müßte. Jegliche unternehmerische Initiative wäre viel einfacher zu bewerkstelligen als heute, denn auf Basis des Grundeinkommens sind Löhne von der von der Funktion der Existenzsicherung befreit. Selbst dort, wo geringere Löhne als heute zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgehandelt würden, könnte das Einkommen in der Summe höher sein. Was hier gälte, würde gleichermaßen für jeden Bereich gelten, in dem Güter und Dienstleistungen in einer solchen Region hergestellt würden, aber ganz genaus in solchen, die keine Güter in diesem Sinne erzeugen, sondern Selbstzweck sind wie Kunst und Wissenschaft, Kultur im allgemeinen. Zweckgebundene Förderung, wie sie heute stattfindet, wäre zwar auch zukünftig möglich, doch würde sie nicht mehr darüber bestimmen, wo sich die Menschen, wenn sie eine solche Förderung erhalten wollten, zu engagieren hätten. Das Grundeinkommen gäbe die Freiheit, auch wenn die öffentliche Förderung andere Zwecke für wichtig erachtet als der Einzelne, sich dennoch dort zu engagieren, wo er es für wichtig und richtig hält.

Sascha Liebermann

Bedingungsloses Grundeinkommen im Europäischen Parlament – Videoaufnahmen

Die Europäischen Grünen veranstalteten am 3. Juli eine Diskussion zum Grundeinkommen im Europäischen Parlament zu Brüssel. Deutsche Teilnehmer waren Michael Opielka und Benediktus Hardorp. Es wurden Interviews per Video aufgezeichnet, die Sie hier anschauen können.

Die Debatte geht weiter – auch in den Gewerkschaften

In der aktuellen Ausgabe von Ver.di Publik findet sich unter dem Titel „Der große Wurf?“ ein Beitrag von Heike Langenberg zum Grundeinkommen. Leider wird die Gelegenheit nicht ergriffen, die Idee in ihrer Breite einmal darzustellen. Stattdessen werden gezielt Zitate aus Beiträgen von Befürwortern angeführt, die belegen sollen, wes Geistes Kind das bGE ist. Schauen wir uns die Zitate einmal näher an.

Schon der Einstieg ist ein bemühter Versuch, auf ein Problem hinzuweisen. Dort heißt es: „Je mehr Leute von ihrem Recht auf bezahlte Freizeit Gebrauch machen, desto weniger produzieren die finanziellen Ressourcen für das Grundeinkommen. Dann finanziert sich das System irgendwann nicht mehr“. Ganz recht, kann man da nur sagen. In der Tat würde es keine Wertschöpfung mehr geben, wenn alle sich aus dem Erwerbsarbeitsmarkt zurückzögen bzw. an der Erzeugung von Gütern und Diensten nicht mehr mitwirken wollten. Warum sollte das ein Einwand gegen das Grundeinkommen sein, denn letztlich gilt diese Diagnose schon für unsere heutige Lage. Alle Bürger haben nämlich einen Anspruch auf die im Sozialgesetzbuch geregelten Leistungen wie Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe oder Sozialgeld. Alle könnten diesen Rechtsanspruch geltend machen, wenn sie ihn geltend machen wollten – er könnte ihnen nicht verwehrt werden, sofern sie die dazu gesetzten Bedingungen erfüllen. Warum aber machen die Bürger diesen Anspruch meist nur geltend, wenn sie kein Erwerbseinkommen mehr zu erzielen in der Lage sind? Was müssen wir daraus schließen?

Erklären läßt sich diese Zurückhaltung nur damit, daß sich alle über den Notfallcharakter dieser Leistungen nach unserem heutigen Verständnis im klaren sind. Wer sie in Anspruch nimmt, muß nicht nur das Recht dazu haben, er sollte auch wirklich dieser Hilfe bedürfen. Daß die Bürger nicht massenhaft, also z.B. in der Mehrheit diese Leistungen in Anspruch nehmen, heißt doch letztlich: sie möchten, solange sie dazu in der Lage sind, ihren Beitrag leisten, damit unser Sozialstaat erhalten werden kann. Sie wollen also nur in Anspruch nehmen, was sie auch wirklich benötigen. Doch dieser einfache Zusammenhang wird von Frau Langenberg nicht gesehen, würde sie sich sonst ernsthaft fragen müssen, weshalb denn heute nicht alles zusammenbricht. In der Regel wollen alle beitragen zum gemeinsamen Wohlergehen, die Frage ist doch vielmehr: Geben wir ihnen die Möglichkeit, es nach ihrem Dafürhalten zu tun?

Aus Götz Werners Buch „Einkommen für alle“ wird folgende Passage zitiert: „Andererseits kann der Arbeitgeber, der seinerseits keine Sozialabgaben mehr für seine Mitarbeiter aufwenden muss, fortan mit diesen neue, tendenziell niedrigere Gehälter aushandeln“. Ja, sehr wohl, aushandeln kann er diese Gehälter, nicht aber diktieren. Das ist ein wichtiger Unterschied, den Frau Langenberg nicht sieht. Wenn sich das verfügbare Einkommen zukünftig aus dem Grundeinkommen und einem Erwerbseinkommen zusammensetzt, dann ist die Summe aus beiden entscheidend und nicht die Höhe des Erwerbseinkommens alleine. Selbst bei einem niedrigeren Erwerbseinkommen im Vergleich zu heute könnte die Summe aus beiden höher sein als das heute verfügbare Einkommen. Wenn man sich also schon auf die Taschenrechnerlogik einläßt, sollte man sie zuende führen.

Ist das Grundeinkommen hoch genug und erlaubt, anzusparen, dann bedarf es nicht einmal einer Zusatzversorgung im Alter. Auch muß diese, will sich jemand freiwillig versichern, nicht notwendig privater Art sein. Auch hier könnte der Staat eine Zusatzleistung, auf freiwilliger Basis, anbieten. Viel gravierender sind doch die Auswirkungen eines bGEs auf die Versicherungswirtschaft: Je höher es wäre, desto weniger wären Versicherungen, die der Altersvorsorge dienen, überhaupt noch nötig. All das Geld, das heute über diese Versicherungen in den internationalen Finanzmarkt fließt, stünde für Konsum und Investition zur Verfügung. Der Finanzmarkt hätte im Verhältnis zu heute eine andere geringere Bedeutung. Auch die Chance, dies einmal klarzustellen, wird in dem Beitrag leider versäumt.

An einer späteren Stelle im Artikel heißt es dann: „Einen weiteren Vorteil für Arbeitgeber nennt die Initiative ‚Freiheit statt Vollbeschäftigung‘ auf ihrer Internet-Seite: ‚Sie [die Unternehmen] können automatisieren, ohne sich Sorgen um entlassene Mitarbeiter zu machen'“. Wäre das nicht wünschenswert, daß die Unternehmen sich ihrer ersten und wichtigsten Aufgabe widmen: Werte zu schaffen, statt versteckt sozialpolitische Mithilfe zu leisten? Wieviel Wertschöpfung wird dadurch verhindert, daß wir Unternehmen diese Aufgabe ansinnen? Politisch müssen wir die Bürger absichern, damit der Verlust eines Arbeitsplatzes eben nicht die Folgen hat, die er heute hat. Doch dazu bedarf es des bGEs und keiner unternehmerischer Wohltaten.

Es überrascht dann nicht, zum Schluß noch folgendes Zitat zu lesen: „In der Diskussion über ein Grundeinkommen wird verkannt, dass Arbeit für den einzelnen Menschen mehr ist als Abhängigkeit, mehr auch als ,nur‘ Einkommensquelle. Sie stärkt das Selbstwertgefühl und vermittelt gesellschaftliche Anerkennung. Und ein Teil dieser Anerkennung steckt auch im Arbeitsentgelt“, sagt Sabine Groner-Weber, Leiterin des Bereichs Politik und Planung beim ver.di-Bundesvorstand“. Wir nehmen einmal wohlwollend an, daß Frau Groner-Weber nicht meint, jede Arbeit, auch diejenige, die man gar nicht machen will, vermittele Anerkennung. Wovon hängt sie dann ab? Zuerst einmal davon, daß man eine Aufgabe auch machen will, sich für sie entscheiden kann. Das ist nur möglich, wenn man die Wahl hat, sich auch dagegen zu entscheiden. Dann ist es wesentlich, ob man sich mit der Aufgabe auch identifizieren kann, einen Beitrag zu ihrer Erledigung leisten will. Und zuletzt ist es, heute mehr als mit einem bGE, wichtig, ein Einkommen zu erzielen, von dem man leben kann. Wie hoch das sein muß, hat aber jenseits eines Minimums, eine breite Spanne.

Es ist wohl vielsagend, daß freie Entscheidung und Interesse an einer Aufgabe als Voraussetzungen für ein erfülltes Berufsleben in dem Artikel gar nicht vorkommen. Würde Frau Langenberg diesen Zusammenhang sehen, dann wäre es leicht, folgenden Schluß zu ziehen: Wenn es für den Einzelnen wichtig ist, sich in einer Aufgabe zu verwirklichen, dann wird er dies auch mit einem bGE anstreben. Nun denn, dann sollten wir es einführen und uns nicht mit Spiegelfechterei aufhalten.

Sascha Liebermann

Rechnerisch oder systematisch? Zwei Perspektiven auf das bedingungslose Grundeinkommen

In einem Gespräch über „Grundeinkommen für alle“ zwischen Thomas Straubhaar und Hilmar Schneider im Deutschlandfunk, am 13. Juni, entstand wiederholt Verwirrung. Während Straubhaar eher auf die verändernde Kraft des Grundeinkommens hinwies, betonte Schneider vor allem, daß sich mit einem bGE gar nicht so viel ändern würde, wie viele glauben. Er warnte davor, zu große Erwartungen zu erwecken.

Woher rührt die unterschiedliche Einschätzung?

Als erstes ergibt sich eine solche daraus, wie man die Veränderungen betrachtet. Richtet man – rechnerisch – das Augenmerk nur auf den Geldbetrag, der am Ende den Bürgern als bGE zur Verfügung steht, dann könnte man zum Schluß kommen, es veränderte sich gar nichts durch das bGE. Diese Einschätzung gilt nicht nur für den Vergleich von bGE und ALG II. Er gilt auch für den von bGE und Negativer Einkommensteuer (z.B. Milton Friedman), die wesentlich liberaler wäre als ALG II. Schneider veranlaßte dies in dem Gespräch dazu festzustellen, daß die Nettosteuerschuld, die im Althausmodell ab einer bestimmten Einkommensgrenze entstehe, doch für diejenigen, die dann eine höhere Steuerlast tragen, als der Betrag des bGEs ist, vom bGE gar nichts hätten. Diese Schlußfolgerung muß ziehen, wer nur den Geldbetrag in Augenschein nimmt.

Allerdings macht es schon selbst bei diesem Betrag in Höhe von ALG II einen Unterschied, ob er frei verwendet werden kann, ob er frei von Kontrolle und Beaufsichtigung vergeben wird oder nicht. Auch Althaus sieht eine bedingungslose Vergabe vor, so daß also die Bürger, denn alle sollen das bGE erhalten, frei über es verfügen können und an das bGE keine Gegenleistungsverpflichtungen gebunden sind.

Die Sache sieht also ganz anders aus, wenn die Veränderungen, die ein bGE ermöglicht, systematisch betrachtet werden. Rückt man die Gewährungsbedingungen dabei ins Zentrum, ist selbst bei gleicher Betragshöhe wie ALG II eines erreicht: mit einem bGE von der Wiege bis zur Bahre wären alle Bürger gleichgestellt – ihr Engagement, wo immer es stattfände, wäre gleichwertig. Das Engagement wäre allerdings nur möglich, wenn der Betrag auch ausreicht, um auf Erwerbsarbeit zu verzichten.

Die Gleichwertigkeit des Engagements entsteht aus dem einfachen Zusammenhang, daß das Gemeinwesen den Betrag gewährt, ohne eine Vorleistung zu erwarten bzw. mit der Gewährung eine Rückführung in den Arbeitsmarkt zu verbinden. Ansprüche auf Transferleistungen müßten also nicht erst erworben werden, es gäbe auch nichts mehr nachzuweisen, wie es heute der Fall ist. Mit der Aufhebung dieser Verpflichtungen fiele auch der stigmatisierende Effekt der Transferleistungen weg, den nicht nur Hilmar Schneider offenbar für unbedeutend hält.

Das bGE wird vom Status (Staatsbürger bzw. dauerhaft Aufenthaltberechtigter), nicht von einer Leistung abhängig gemacht. Es ist keine Ermäßigung oder ein Steuerfreibetrag, wie Thomas Straubhaar sagte, denn einen Steuerfreibetrag kann nur geltend machen, wer Erwerbseinkommen erzielt hat, das bGE aber erhalten alle.

Von der Systematik aus gedacht, sind vom bGE erhebliche Veränderungen zu erwarten: die Anerkennung der Bürger um ihrer selbst willen, die durch die Gewährung des Betrags ausgesprochen wird, stärkt die Solidarität, weil das bGE selbst schon solidarisch ist; jeder wird sich dann fragen, was er beitragen will und kann; das normative Ideal, demzufolge Erwerbsarbeit der höchste Zweck ist, würde aufgehoben und vieles mehr.

Daß die Freiheit, die wir ermöglichen wollen, auch von der Höhe des Betrags abhängt, versteht sich von selbst. Doch die Erfahrung zeigt, der schwerste Schritt ist der, ein wirklich bedingungsloses Grundeinkommen zu wollen. Wagen wir diesen Schritt, steht die Diskussion um die Höhe auf einer anderen Grundlage.

Sascha Liebermann