Kündigungsschutz, Lebensstandardsicherung und Grundeinkommen

Kommt es auf den Kündigungsschutz zu sprechen, der nach Einführung eines BGE in der heutigen Form zur Disposition stehen könnte, liegen die Nerven blank. Das zumindest war anlässlich eines Treffens der Sozialpiraten, am 21. und 22. Juli in Essen, zu erkennen (Videomitschnitte sollen demnächst online gestellt werden).

Weshalb sorgt ein solcher Gedanke für Aufregung? In Essen spielte womöglich die Neigung des Referenten eine Rolle, solche Möglichkeiten als „Fakten“ hinzustellen. In der Tat hängt es vom politischen Willen ab, wie dann mit dem Kündigungsschutz verfahren wird, der tatsächlich nicht mehr dieselben Schutzfunktionen bieten müsste wie heute. Ein Faktum, dass er wegfiele, ist das keineswegs. Das alleine genügt jedoch nicht, wie die Einwände zeigten, die Aufregung in dieser Frage zu erklären. Liegt es womöglich daran, dass zu wenig klar ist, was der Kündigungsschutz heute regelt oder ist die Aufregung noch eine, die aus der Überbewertung von Erwerbstätigkeit herrührt? Denn heute ist es notwendig, den Arbeitsplatz als Einkommensquelle zu schützen, dazu soll der Kündigungsschutz dienen. Doch, vor Kündigung schützt er nicht, er legt lediglich Bedingungen fest, regelt das Vorgehen und definiert den Zeitpunkt.

Wenn der Einzelne durch das BGE eine andere Verhandlungsposition hätte, weshalb benötigten wir dann noch den Kündigungsschutz in der heutigen Form? Wie sich in der Diskussion zeigte, ging es auch ganz schnell nicht mehr alleine um den Kündigungsschutz, es ging auch um die Sicherung eines Lebensstandards, zu der der Kündigungsschutz mittelbar, die Arbeitslosenversicherung unmittelbar beiträgt. Auch sie könnte, so ein ausreichend hohes BGE eingeführt wäre, hinfällig oder auf freiwilliger Basis weitergeführt werden. Mit der Einführung eines BGE stellen sich grundsätzliche Fragen, die wir beantworten müssen. Ist es z.B. Aufgabe des Gemeinwesens, zur Sicherung eines Lebensstandards beizutragen? Oder ist die Entscheidung für einen bestimmten Lebensstand oberhalb des BGE eine Privatangelegenheit? Wäre es nicht so, dass gerade das BGE erlaubt, gegen einen Einkommensverlust vorzubauen? Für Familien gälte die Sorge um den Lebensstandard ohnehin nicht, wären sie mit einem BGE ungleich besser abgesichert.

Dass solche Fragen „heiß“ sind, lässt Rückschlüsse auf unsere Werthaltungen zu, die sich eben vor dem Hintergrund einer Überbewertung von Erwerbstätigkeit gebildet haben. Sie sind wohl auch Ausdruck eines besonderen Bedürfnisses nach Sicherheit und Schutz über ein BGE hinaus. „Heiße“ Fragen sind solche danach, was wir für richtig halten. Es geht um: Lebensstandardsicherung oder Gleichheit der Bürger (siehe auch hier)?

Sascha Liebermann

P.S.: In diesen Zusammenhang passt auch die Diskussion um Mindestlohn und BGE. Hier ein Beitrag von Herbert Wilkens, der auf darin auch auf meine Kritik an der Verknüpfung von BGE und Mindestlohn Bezug nimmt.

Zwei englischsprachige Sammelbände zum Grundeinkommen international im Erscheinen

Für Ende Juli ist der Band Basic Income Worldwide. Horizons of Reform, hrsg. von Carole Pateman und Matthew C. Murray bei Palgrave Macmillan angekündigt. Im gleichen Verlag erscheint Anfang August dann der Band Basic Income Guarantee and Politics: International Experiences and Perspectives on the Viability of Income Guarantee, hrsg. von Richard K. Caputo. Dieser Band soll auf dem BIEN-Kongress in München vorgestellt werden. Für beide Bände berichtet Sascha Liebermann über die deutsche Diskussion. Der Beitrag im ersten Band ist umfangreicher, der im zweiten eine gekürzte, aber auch leicht ergänzte Fassung des ersten. Beide Beiträge bieten eine kurze, sehr stark komprimierte Chronologie der Diskussion in Deutschland (mit knappen Hinweisen auf die Schweiz und Österreich) seit den achtziger Jahren. Auch werden Vermutungen angestellt, weshalb diese Debatte kaum in die breitere Öffentlichkeit drang und dann weitgehend verschwand. Das Hauptaugenmerk der Beiträge liegt auf der jüngeren Diskussion seit 2004, die wichtigsten Argumente darin Für und Wider Grundeinkommen werden kurz rekapituliert. Wie es so ist, wenn von einer laufenden Diskussion berichtet wird, konnten jüngere Entwicklungen nicht mehr in die Darstellungen aufgenommen werden, so z.B. die Entscheidung der Piratenpartei zum Bedingungslosen Grundeinkommen.

Feindbilder, Denkfaulheit oder schlampige Recherche? – Zwei Artikel in der FAZ über das Grundeinkommen

Mit „Lebenslage, Lebensstil“ antwortet Frank Lübberding auf den Beitrag von  Rainer Meyer „Diese verflixten tausend Euros“ – ebenfalls erschienen in der FAZ. Aufhänger ist die digitale Bohème, die von beiden Autoren so dargestellt wird, als sei sie ein maßgeblicher Protagonist des Grundeinkommens. Weil Sascha Lobo und andere aus dieser Szene sich zum Grundeinkommen schon geäußert haben, sind sie doch keineswegs ihre Protagonisten. Schon gar nicht bildet die digitale Bohème die Breite der Befürworter ab. Wie ein erfahrener Journalist, der Lübberding ist, so nachlässig recherchiert, erstaunt (siehe auch hier). Vielleicht ging es aber auch nur darum, Meyers Ausführungen nicht so stehen zu lassen. Ebenso erstaunlich ist, wie wenig beide Autoren den Vorschlag eines BGE durchdrungen haben.

Lübberding schließt seinen Beitrag mit folgender Bemerkung:

„…Die Idee des Grundeinkommens ist dabei der politische Reflex einer Generation, die älter wird, häufig kinderlos geblieben ist und nur geringe Ansprüche aus den Sicherungssystemen erworben hat. Die Boheme hat heute das Bedürfnis nach Sicherheit, und das war schon immer der Motor für sozialpolitische Reformen. Bei den Piraten finden sie dafür eine politische Heimat…“

Die Piraten haben ebenso eine Diskussion nur aufgegriffen, die schon Jahre zuvor einsetzte.

„…Allerdings hat dieser Anspruch einen Schönheitsfehler: Kein Sozialstaat reagiert auf Lebensstile; es gibt keinen sozialpolitischen Anspruch, als Künstler zu leben. Die Risiken dieser Lebensform werden auch in Zukunft in der Sphäre der bürgerlichen Autonomie bleiben…“

Nun, das ist eine Frage des politischen Willens und nicht in Stein gemeißelt.

„Die Hoffnung auf eine Lebensstil-Sicherung durch den Sozialstaat wird genauso scheitern wie die damaligen Erwartungen an die Risikobereitschaft von Finanzinvestoren. Wie will man auch dem Paketzusteller, der nicht Wallraff heißt, diesen Anspruch erklären?“

Ganz einfach, indem man auf die Möglichkeiten hinweist, die ein BGE schüfe. Die Diskussion hat das indes schon vielfach getan, das mag Lübberding entgangen sein.

„…Dieser hat heute ein anderes Problem: Er wird auf dem deregulierten Arbeitsmarkt als prekär Beschäftigter zu einer Art Künstlerexistenz gezwungen, mit der gleichen Unsicherheit und Angst wie in der digitalen Boheme, aber ohne Möglichkeit zur Selbstbestimmung…“

Ja, und, was folgt nun daraus? Wie kann der Paketzusteller – wie können alle – mehr Selbstbestimmungsmöglichkeiten erhalten?

„…An dieser Lebenslage von Millionen Menschen und Familien gilt es etwas zu ändern. Das bedingungslose Grundeinkommen hilft dem Paketzusteller nicht weiter. Er braucht faire Arbeitsbedingungen. Insofern wird es Zeit, dass sich die Künstler der digitalen Boheme mit etwas anderem beschäftigen als nur mit sich selbst.“

Frappierend, wie wenig Lübberding offenbar vom BGE verstanden hat. Würde es etwa nicht gerade auch die Position des Paketzustellers verbessern, der auf sein Erwerbseinkommen dann nicht mehr angewiesen wäre und ganz anders verhandeln könnte? Auch widerspricht sich der Autor, wenn er auf der einen Seite sagt, dass Risiken in der Sphäre der bürgerlichen Autonomie verbleiben, auf der anderen jedoch „faire Arbeitsbedingungen“ fordert. Wie kann denn ein Individuum über diese verhandeln, wenn es zugleich von Erwerbstätigkeit abhängig ist? Will Lübberding diese Aufgabe vielleicht an die Gewerkschaften delegieren, die genau dies in den letzen fünfzehn Jahren nicht vermochten, bessere? Selbst, wenn das gelänge, würde es den Vorrang von Erwerbstätigkeit aufrechterhalten und gerade nicht die Selbstbestimmungsmöglichkeiten darüber hinaus erweitern. Beim BGE geht es nicht um die Bohème, auch nicht um die Digitale, es geht um uns Staatsbürger, die wir das Gemeinwesen in allen Konsequenzen tragen und auch tragen müssen.

Sascha Liebermann

„Petition für Bedingungsloses Grundeinkommen bei der EU eingereicht“

Die Initiative hat nun ihre Petition zur Registrierung eingereicht, der deutsche Part verfügt mittlerweile über eine Website, die das Netzwerk Grundeinkommen betreibt. Darauf wird über den Stand der Dinge informiert und worum es sich bei einer Europäischen Bürgerinitiative handelt. Unterstützt werden kann die Initiative hier. Es existiert auch ein „Bürgerausschuss“ mit fünf Mitgliedern (zwei von attac, zwei vom Netzwerkrat des Netzwerk Grundeinkommen), der offenbar deutsche Interessen auf europäischer Ebene vertreten soll. Wie und ob diese Vertreter nach welchem Verfahren gewählt wurden und wen sie vertreten, ist nicht ersichtlich. Machen Sie sich selbst ein Bild.

Neues von der SPD? Ach wo – ein Interview mit Sigmar Gabriel

Oft bedarf es keiner langen Ausführungen, um zu erkennen, woher der Wind weht, welche Denkwelten also die Weltwahrnehmung führen. In einem Interview mit der Welt am Sonntag, vom 1.7., äußerte sich Sigmar Gabriel zu den Prinzipien, denen gemäß er ein Mindesteinkommen, hier eine Mindestrente, gerechtfertigt findet:

WaS: Wie denken Sie über eine Mindestrente?

G: Das kommt darauf an, was man unter diesem etwas schillernden Begriff versteht. Wenn damit gemeint ist: Niemand, der sein Leben lang [sic] rentenversichert war und über viele Jahrzehnte gearbeitet hat, darf im Rentenalter auf Sozialhilfeniveau kommen, nur weil er unverschuldet arbeitslos war oder in den Niedriglohnsektor gedrückt wurde – dann bin ich sehr dafür.

Zwar geht es hier nicht um das Bedingungslose Grundeinkommen, doch das Verständnis von verdienter Rente, das Sigmar Gabriel erkennen lässt, spricht Bände. Die Unterscheidung von verdientem Renter, der ein Leben lang erwerbstätig war und Sozialhilfeempfänger zeigt, für welche Sozialpolitik der SPD-Vorsitzende und damit die SPD als Partei, die ihn als Vorsitzenden trägt, steht: Vorrang der Erwerbstätigen und zwar nicht aller, sondern derer, die ein Leben lang erwerbstätig waren (wie weltfremd ist das in heutigen Zeiten?!). Wer sich entscheidet, für seine Kinder zuhause zu bleiben (und zwar mehr als drei Monate wie Herr Gabriel), wer nicht kontinuierlich rentenversichert ist, hat es einfach nicht verdient. Apropos Niedriglohnsektor, hier scheint Herr Gabriel vergesslich zu sein und nicht nur er.

Sascha Liebermann