„Hat die Arbeitsgesellschaft eine Zukunft?“…

…ein Interview mit dem kürzlich verstorbenen Soziologen Claus Offe, das im Jahr 2023 für Jacobin geführt wurde, in dem er auf die „doppelte Machtbeziehung in Arbeitsverhältnissen“ hinweist und welche Folgen es hat, wenn Erwerbstätigkeit als normativ herausragende Quelle von Einkommen verstanden wird.  Am Ende des Interviews sagt Offe:

„Je reicher die Volkswirtschaften sind, desto geringer ist ihr weiteres Wachstum. Das heißt, die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums durch Arbeitsverträge und Arbeitslöhne ist ein Modell, das nicht mehr ausreicht. Deshalb muss es andere Modelle geben, nämlich Grundeinkommen, Transfer, nationale Dividenden, also die Verteilung gesamter volkswirtschaftlicher Leistungen und Erträge an Bürgerinnen und Bürger – und nicht nur an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.“

Hier könnte man ihm entgegenhalten, dass ein BGE sein Recht nicht daraus bezieht, ein nicht mehr funktionierendes Verteilungssystem zu reparieren, sondern daraus, die Verteilungsfrage grundsätzlich anders zu beantworten. In anderen Beiträgen hat er das durchaus thematisiert, z. B. hier „Familienleistung jenseits der Marktarbeit – das bedingungslose Grundeinkommen“ und hier „Armut, Arbeitsmarkt, Autonomie“. Wie wenige hat er herausgehoben, dass es bedeutet, ein BGE von den „citizen rights“ herzuleiten, es gehe dabei um ein Bürgerrecht und keine fiskalische Technik der Steuervereinfachung.

Sascha Liebermann

Methodische Einwände zu Pilotprojekten…

….auf die Rückfrage von Joy Ponader habe ich in diesem Thread eine Kurzantwort gegeben. Eine längere finden Sie hier.

Abgesehen davon besteht die Gefahr des Szientismus, also der Vorstellung, nur weil es wissenschaftliche Erkenntnisse gibt, sei das schon eine Antwort darauf, ob ein BGE praktisch gewollt werden müsste.

Sascha Liebermann

„Die wahre Armutsfalle“…

…eine Rezension des Buches von Ronald Gebauer, Hanna Petschauer und Georg Vobruba „Wer sitzt in der Armutsfalle“ (2001) von Agnes Streissler aus dem Jahr 2003, die einen Überblick über die Ergebnisse gibt. Auf diese Studie von Gebauer und Kollegen haben wir immer wieder verwiesen (siehe hier und hier mit weiteren Quellenverweisen), weil sie ein Theorem auf seinen Realitätsgehalt prüft, das noch immer Debatten um Sozialhilfe bzw. Bürgergeld prägt. Selbst in der BGE-Diskussion wird auf das dem Lohnabstandsgebot unterliegende Theorem der Armutsfalle Bezug genommen, und zwar dann, wenn darauf hingewiesen wird, wie das BGE den Lohnabstand sicherstellte. Damit wird aber unterstellt, dass dieser Lohnabstand der entscheidende Grund dafür sei, ob es sich lohne, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Grund für diese verkürzende Betrachtung der Motivierung von Handeln ist die Behauptung, Anreize seien entscheidend, vor allem einer: der Nutzen des Lohns bzw. der Zusatzgewinn durch höheres Einkommen. Genau diese Behauptung bürstet die Studie gegen den Strich.

Sascha Liebermann

„Wegen KI werden bis zu 70 Prozent aller beruflichen Aufgaben wegfallen“…

…so ist ein Interview mit Peter Kirchschläger, Professor an der Universität Luzern, in Der Bund aus Bern übertitelt, in dem es um Folgen der Nutzung Künstlicher Intelligenz in den kommenden Jahren geht und wie darauf geantwortet werden könnte (ein weiteres Interview hat er News.at gegeben). In früheren Beiträgen hatten wir deutlich gemacht, dass die Einführung eines BGE nicht direkt mit etwaigen Folgen der Digitalisierung zusammenhängt und entsprechend auch eine Begründung, die sich daran bindet, nur eine schwache Begründung für ein BGE ist. Warum? Weil ein BGE dann nur als Reparaturmaßnahme für Defekte des Arbeitsmarktes benutzt würde und entsprechend nicht eingeführt werden müsste, wenn diese sich nicht einstellten. Kirchschläger allerdings schlägt gar kein BGE vor, nur ein Grundeinkommen, so nennt er es. Wie begründet er das?

„Was sollte man stattdessen machen?

[Kirchschläger] Ehrlicher wäre es, anzuerkennen, dass wir das System demokratisch so anzupassen haben, damit in Zukunft alle von der Wertschöpfung durch DS profitieren können.

Wie könnte eine solche Anpassung aussehen?

[Kirschschläger] Fällt die Vollbeschäftigung weg, dann verlieren viele Menschen nicht nur ihr Einkommen. In meinem Buch führe ich 40 Funktionen auf, die eine Arbeitsstelle bietet, darunter Sinn- und Identitätsstiftung oder eine Tagesstruktur. Dem müssen wir Rechnung tragen, zum Beispiel mit meinem Society-, Entrepreneurship-, Research-Time-Modell, kurz Sert.“

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Disziplinierung oder Wertschöpfung, worum geht es?

Siehe auch frühere Beiträge zu dieser Frage hier und hier.

Bedingungslosigkeit und Bedarfsprüfung

Siehe auch „Über Bedarfe und Bedürftigkeit“.

„Der unbedingte Sozialstaat“…

…so lautet der Titel eines Beitrags von Gerald Wagner (Bezahlschranke) in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Der Autor greift eingangs auf die Ergebnisse des Pilotprojektes Grundeinkommen zum einen und diejenigen einer von Sam Altman finanzierten Studie zum anderen zurück, um ein BGE vorzustellen und etwaige Auswirkungen knapp zu erörtern. Die Kritik an den Studien wird nicht ausgespart. Es geht im Beitrag jedoch gar nicht vor allem um ein BGE, sondern um die Ausgaben für den Sozialstaat.

Dann schreibt er an einer Stelle:

„Dabei steht die tatsächliche Einführung eines BGE weder in Deutschland noch in den Vereinigten Staaten zur Debatte. Was allerdings zur Debatte steht, ist die Frage nach einem Ausweg aus der tatsächlichen Bedingungsarmut der längst eingeführten sozialstaatlichen Grundversorgung. Denn nur wenn dies gelänge, könnte der Versuch einer merklichen Verringerung der deutschen Sozialausgaben Erfolg haben.“

Wagner hält offenbar die „Bedingungsarmut“ der Leistungen für ein entscheidendes Problem, doch worauf bezieht er sich? Wenn er auf das BGE referiert, müsste es ihm um die Sicherung des Existenzminimums gehen, die das Bürgergeld bereitstellen soll, doch das ist ja nur eine Leistung unter vielen. Genau im Bürgergeld sind nicht viele Einsparungen zu erreichen, wie jüngst wieder eine Studie des IAB zu bedenken gab. Zu sozialstaatlichen Leistungen zählen aber auch Renten- und Krankenversicherung, doch was hat ein BGE mit denen gemein? Die kann Wagner nicht vor Augen haben, oder etwa doch? Das sind jedoch Versicherungssysteme, wo könnte hier eine „Bedingungsarmut“ vorliegen?

„Der unbedingte Sozialstaat“… weiterlesen