Sich beteiligen oder beteiligt werden? – Anmerkungen zu einem jüngeren Interview mit Friedhelm Hengsbach

Friedhelm Hengsbach hat in einem Interview auf heute.de die These vertreten, die „Mehrheit der Menschen in Deutschland“ lebe unter ihren Verhältnissen. Vom Bedingungslosen Grundeinkommen hält er nichts, warum eigentlich? Seine Antwort ist verwunderlich und bezeichnend:

„…heute.de: Wäre das bedingungslose Grundeinkommen ein Weg zu mehr Gerechtigkeit?
Hengsbach: Ich bin kein Anhänger davon. Die Mehrheit der Menschen in Deutschland lebt unter ihren Verhältnissen. Es geht dabei nicht nur um materielle Güter, sondern um vitale Bedürfnisse, die nicht befriedigt sind: Gelingende Partnerschaften, den Kinderwunsch sich frühzeitig zu erfüllen und nicht erst, wenn die Karriere so weit fortgeschritten ist, dass er sich erübrigt. In einer natürlichen Umwelt zu leben, die nicht krank macht. Vor allem: Autonomie über die eigene Zeit wieder zu gewinnen für sich, für Kinder, füreinander…“

Kein Argument gegen das BGE zu erkennen. Hengsbach reduziert die Befürwortung auf Anhängerschaft, als handele es sich um ein sektenähnliches Phänomen. Dann zählt er unbefriedigte Bedürfnisse der Menschen auf, die alle Grund genug wären, ein BGE zu befürworten, das mehr Selbstbestimmung ermöglichte, ohne in eine Richtung zu leiten. Doch, weit gefehlt. Hengsbach – so kann seine Äußerung gelesen werden – reduziert das BGE auf Geld, auf ein materielles Gut. Das ist es zwar auch, das Geld ist aber kein Selbstzweck, sondern ermöglicht Tausch, es ist eine Ermöglichungsmittel. Nicht das Geld ist der Zweck, es sind die Freiräume, die der Einzelne dadurch gewinnen könnte, weil sein Auskommen nicht mehr von einer bestimmten Tätigkeitsform abhinge. Das BGE würde den Einzelnen stärken, ohne individualistisch zu sein, es wäre gemeinschaftsfördernd, ohne kollektivistisch zu sein. Es verbindet zwei Momente, die dadurch wiederum klar werden: Freiheit des Einzelnen bedeutet zugleich Anerkennung seiner Abhängigkeit von anderen. Ein starkes Individuum kann es ohne Gemeinwesen nicht geben. Hengsbach sieht diese Zusammenhänge eines BGE offenbar nicht.

Im Schlusssatz der zitierten Passage, wird deutlich, weshalb er sie nicht sehen kann oder will:

„…Dies kann nur gelingen, wenn möglichst viele an zusätzlicher, gesellschaftlich organisierter Arbeit beteiligt werden…“

Nicht das Schaffen von Freiräumen steht im Zentrum, sondern die Hinführung zu einem bestimmten Zweck: gesellschaftlich organisierter Arbeit. „Beteiligt werden“ ist etwas anderes als die Möglichkeiten zu geben, sich zu beteiligen. Hengsbach hebt die passivische Form hervor, was letztlich heißt, die Gesellschaft soll die Menschen beteiligen. Und wenn sie diese Arbeit nicht wollen, was dann? Was sieht er da vor? Werden sie sanktioniert? Es reicht ihm offenbar nicht, Möglichkeiten zu schaffen, wodurch er – sicher wider Willen und entgegen seiner Absicht – in die Nähe der Sozialpolitik gerät, die wir heute haben. Vermutlich ungewollt sind auch andere Kritiker der heutigen Sanktionssozialpolitik schon in diese Richtung gegangen, siehe hier und hier.

Vor einigen Jahren stand Friedhelm Hengsbach dem BGE noch wohlwollend gegenüber und befürwortete es, allerdings mit einer besonderen Begründung:

„…Wenn, wie in Deutschland gegenwärtig Arbeitslose diskriminiert und in pathologische Arbeitsverhältnisse wie Mini-Jobs oder Ein-Euro-Jobs gedrängt werden, ist das bedingungslose Grundeinkommen die Sicherung des Grundrechtes jedes Bürgers, eine Arbeit auch ablehnen zu können. 80 Prozent der Arbeitsplätze sind schlechte Arbeit…“

Es geht ihm also nicht um die Aufhebung der Erwerbsverpflichtung bzw. um die Aufhebung einer allgemeinen Arbeitsverpflichtung, es geht ihm lediglich um ein Abwehrrecht gegen eine bestimmte Form oder Ausformung dieser Verpflichtung. Damit wäre zumindest die obige Deutung erhärtet, dass gesellschaftlich organisierte Arbeit für ihn von zentraler Bedeutung ist. Verwirrend wiederum ist eine andere Passage aus einem weiteren Interview:

„…Hengsbach: Wenn das Grundeinkommen die unwürdigen Hartz-IV-Regelungen abschafft oder ersetzt, bin ich dafür. Aber ich sehe nicht ein, dass Höherverdienende und Vermögende auch noch ein bedingungsloses Grundeinkommen beanspruchen können…“

Es entsteht der Eindruck, dass sich Hengsbach mit dem BGE überhaupt nicht ernsthaft befasst hat, denn es zielt durch eine entsprechende Ausgestaltung ja gerade darauf, allgemeine Bedürftigkeitsprüfungen abzuschaffen.

Sascha Liebermann

„Kein Grund zum Feiern“ – von der Abwertung der „Hausfrau“

In der Neuen Zürcher Zeitung hat Joachim Güntner sich zum Verfall des Bildes von der Hausfrau geäußert. Am Beispiel dieses Verfalls kritisiert er das heutige Emanzipationsverständnis, das eben nicht – wie einst Simone de Beauvoir und andere erstrebten – zu einer Aufwertung der Haus- oder Sorgetätigkeiten geführt hat, sondern zu deren forcierter Abwertung. Siehe auch einen älteren Kommentar zur Sache von Sascha Liebermann.

„Da wird massiv Angst geschürt“ – Gerd Bosbach zum „Demografiegipfel“

Auf tagesschau.de findet sich ein Interview mit Gerd Bosbach, der Statistik, Mathematik und Empirik an der Fachhochschule Koblenz lehrt. Interessant ist es, um die Debatte über demographischen Wandel einzuschätzen, aber auch, um etwas über die Brauchbarkeit und Grenzen von Prognosen zu erfahren. Zu diesem Thema haben wir schon verschiedentlich Hinweise (siehe z.B. hier und hier) und Kommentare (siehe z.B. hier und hier) eingestellt.

Wieder einmal Spargelernte – Zeit, an den SpargelPanther zu erinnern

Vor drei Jahren berichteten wir das erste Mal über den SpargelPanther, eine Erntemaschine, die bis zu acht Arbeitskräfte ersetzt (siehe auch den Bericht in der FAZ). Produziert wird sie von der Firma ai-solution. Die technologischen Möglichkeiten machen deutlich, wie zynisch die Diskussion über den Einsatz von Erwerbslosen in der Spargelernte sind, ein „race against the machine“.

Piratenpartei spricht sich für Bedingungsloses Grundeinkommen aus

Auf ihrem Bundesparteitag in Neumarkt hat sich die Piratenpartei für ein Bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen, siehe den Beschluss „Arbeit und Soziales. Bedingungsloses Grundeinkommen und Mindestlohn“. Angesichts der Äußerungen des Parteivorsitzenden Schlömer, der von einem Grundeinkommen beim Einstieg von 100 bis 200 Euro sprach, das dann schrittweise auf 400 erhöht werden könne, stellt sich die Frage, was der Beschluss nun tatsächlich bedeutet. „Existenzsichernd“, wie es im Beschluss heißt, lässt weiten Spielraum für Interpretationen. Zudem werden einige weitere Forderungen aufgestellt, die den Eindruck hinterlassen, alle von der Idee eines BGE geprägt zu sein, nicht aber konsequent weitergeführt zu sein.

Sich für einen bundesweit geltenden, gesetzlichen Mindestlohn einzusetzen, den die Piratenpartei auch früher schon gefordert hat, bis das BGE eingeführt ist, kann zwiespältig sein. Auf der einen Seite ist es nachvollziehbar, ein gewisses Mindesteinkommen als Untergrenze zu erklären angesichts von Niedriglöhnen. Auf der anderen kann dieser Übergang auch in eine Sackgasse führen. Denn, entweder wird der Mindestlohn eingeführt, ohne dass es schon Mehrheiten für das BGE gibt, das wäre die Sackgasse, die drohte, weil der Mindestlohn das Erwerbsideal befestigt und es nicht aufgibt. Von ihm führt kein Schritt notwendig zum BGE. Oder die Mehrheit für ein BGE ist da, dann bedürfte es keiner großen Übergänge mehr, also auch keines Mindestlohns (siehe meine Kommentare zu dieser Frage hier und hier). Was der Fall sein wird, lässt sich jedoch nicht voraussehen, insofern ist eine solche Festlegung auch eine Selbstknebelung. Ganz abgesehen davon ist, ob denn ein Mindestlohn tatsächlich die Auswirkungen hätte, die seine Befürworter damit verbinden. Eines ist sicher: Mindestlohn und BGE wohnen unterschiedliche, ja gegenläufige Ideale inne, das erstere wertet Erwerbstätigkeit besonders auf, das letztere will sie mit anderen Tätigkeiten gleichstellen.

Die Vorsicht in der Einführung eines BGE, mit einem niedrigen Betrag zu beginnen, ist zwar verständlich, wenn die Vorbehalte gegen ein BGE berücksichtigt werden, nicht aber, wenn die heutige Lage genauer betrachtet wird. Da es einen Grundfreibetrag in der Einkommensteuer gibt (darauf wird im Beschluss hingewiesen, aber nicht die Konsequenz daraus gezogen), der Steuerpflichtigen das Existenzminimum unbesteuert lässt, und dem wiederum die existenzsichernden Leistungen nach dem SBG II korrespondieren, ist es unverständlich, weshalb mit einem niedrigen BGE angefangen werden soll. Weshalb nicht einen Ausgangspunkt nehmen, der schon da ist, nämlich den Grundfreibetrag? Dieser Beginn wäre viel einfacher, zugleich folgenreicher als eine Erhöhung des Regelsatzes im ALG II, wie es die Piratenpartei vorsieht. Dasselbe gilt für die Einführung eines „Bildungsgrundeinkommens“, das, wenn es an Bildungsvorhaben geknüpft bliebe, nur ein umbenanntes, womöglich liberaleres Bafög wäre – je nach dem, wie es ausgestaltet würde. Ein BGE hingegen würde hingegen die Zweckbindung aufgeben und nicht nur denselben Zweck erfüllen wie ein Bildungsgrundeinkommen, es würde weit darüber hinausreichen.

Eine Forderung wie diese: „Kindererziehung und Erwerbstätigkeit müssen für beide Elternteile gleichermaßen miteinander vereinbart werden können“ ist in heutigen Zeiten wohlfeil und zugleich eine Floskel. Familie und Beruf lassen sich nicht „vereinbaren“ (siehe meine Kommentare dazu hier und hier).

In demselben Beschluss spricht sich die Piratenpartei für „die Abschaffung und sofortige Nichtanwendung“ der Sanktionen bei Hartz IV aus – eine klare Aussage, die von keiner Partei auf Bundesebene außer der Linkspartei bislang gemacht wurde, auch nicht von Bündnis 90/ Die Grünen.

Dass auch die Frage von Leiharbeit sich ganz anders darstellte als heute, wenn einmal ein BGE eingeführt wäre, wird in dem Beschluss nicht deutlich gemacht. Manche Diskussion könnten wir uns sparen, gäbe es ein Bedingungsloses Grundeinkommen in ausreichender Höhe, um auf Erwerbsarbeit verzichten zu können.

Sascha Liebermann

Grundeinkommen im Schulbuch für die Oberstufe

Nachdem im Jahr 2010 die Thesen von Freiheit statt Vollbeschäftigung in ein Schulbuch des Ernst Klett Verlags aufgenommen wurden, geschieht dasselbe nun mit dem Interview „Das bedingungslose Grundeinkommen macht nicht faul“, das Sascha und Liebermann und Theo Wehner  Ende 2011 der Zeit gegeben haben (hier die Langfassung). In der Reihe Buchners Kompendium Politik – Politik und Wirtschaft für die Oberstufe, das neu aufgelegt wird, wird eine leicht gekürzte Fassung davon erscheinen.

Was nun, Fachkräftemangel oder Personalüberhang? Zu einem Artikel in der FAZ

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung war jüngst ein Artikel abgedruckt, der über die Personalpolitik und Stellensituation bei der Deutschen Telekom berichtete. Im Untertitel hieß es „Die Deutsche Telekom bereitet sich auf den Fachkräftemangel vor“. Im Text hingegen ist folgendes zu lesen: „Gleichzeitig warnte sie aber auch vor falschen Erwartungen. Der technologische Wandel werde den Konzern auch in Zukunft zwingen, seine Belegschaft zu verkleinern. Dafür werde man weiterhin den Vorruhestand als Instrument vorhalten müssen. Aber der Druck nimmt ab, unter dem Strich dürfte sich der Stellenabbau verlangsamen“. Das heißt doch, weniger Mitarbeiter werden benötigt, wo bleibt der Fachkräftemangel? Hat sich die FAZ-Redaktion hier einen Text passend zu ihren Ansichten über „Vollbeschäftigung“ gemacht? (Frühere Kommentare zur Vollbeschäftigung hier und hier; zum Fachkräftemangel hier und hier).