„Das Grundeinkommen ist ein verführerisches Gift“…

…schreibt Anke Hassel, wissenschaftliche Direktorin des WSI der Hans Böckler Stiftung und Professorin an der Hertie School of Governance in der „Außenansicht“ der Süddeutschen Zeitung über das Bedingungslose Grundeinkommen. Wie bei vielen Beiträgen zu diesem Thema steckt auch der von Anke Hassel voller weitreichender Annahmen, die nicht ausgeführt werden, aber die Basis für Schlussfolgerungen abgeben. Deswegen widme ich ihm etwas ausführlicher.

Nachdem in hier und da ironisierender Weise etwaige Folgen eines BGE aufgeführt werden, schreibt sie:

„Aber die finanzielle Seite ist noch nicht einmal das wichtigste Argument gegen ein Grundeinkommen. Das Grundeinkommen ist ein verführerisches Gift. Es nutzt den Rändern der Gesellschaft auf Kosten ihrer Mitte. Für Bedürftige und Langzeitarbeitslose ist das Grundeinkommen eine Hilfe, weil es den Druck zur Arbeitsaufnahme nimmt und die unangenehmen Seiten der Aktivierungspolitik beseitigt. Die Reichen wird es voraussichtlich nicht mehr kosten als bisher und ihnen zugleich ihr soziales Gewissen erleichtern. Steigende soziale Ungleichheit wäre dann kein gesellschaftlicher Skandal mehr, da alle ja ein Auskommen haben, liege es auch nahe an der Armutsgrenze. Gerade daraus ergeben sich drei wesentliche Gründe, die gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen sprechen:“

Ein starkes Bild wird hier benutzt, ein Gift kann tödlich sein, die Sinne vernebeln, die Wahrnehmung trüben usw. Heißt das, es gebe keine Argumente für ein BGE, die sich prüfen und abwägen ließen, um sich daran ein Urteil zu bilden? Auf der einen Seite nutze es den „Bedürftigen und Langzeitarbeitslosen“, auf der anderen aber „auf Kosten der Mitte“ – weshalb? Außerdem nimmt es den Druck von allen, man darf ja nicht übersehen, dass er nicht nur über das Jobcenter und die Arbeitsagentur weitergegeben wird, sondern über den normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit.

Ist es Aufgabe der Reichen, für gemeinschaftlichen Ausgleich zu sorgen in einem demokratisch verfassten Gemeinwesen? Es geht ja hier nicht um Almosen oder freiwillige Leistungen, sondern um demokratisch herbeigeführte Entscheidungen, die dann Gesetzescharakter erhalten. Das „soziale Gewissen“ der „Reichen“ ist hierfür nicht maßgeblich. Sie sind Bürger wie allen anderen.

Weshalb wäre steigende soziale Ungleichheit kein „Skandal“ mehr, wenn es ein BGE gäbe? Es wird einer sein, wenn die Bürger z. B. das BGE als zu niedrig erachten, dann sind sie aufgerufen, dagegen etwas zu unternehmen. Wenn es in ihren Augen ausreichend ist, werden sie nichts unternehmen. Übersieht Frau Hassel hierbei nicht, dass ein BGE, weil pro Person bereitgestellt, enorme Wirkungen auf jede Form von Haushalt hätte? Dass ein BGE dadurch gerade zu einer erheblichen Beitrag zur relativen Reduzierung dieser Ungleichheit beitrüge? Es lässt sich nun, nach den voraussetzungsvollen Ausführungen im ersten Drittel des Beitrags ahnen, in welche Richtung wohl die Gründe gehen, die gegen ein BGE sprechen sollen. Wie lauten sie?

„Erstens wird das Grundeinkommen die Gesellschaft weiter spalten und soziale Mobilität verhindern. Jene, die aufgrund ihrer familiären Herkunft gute Aussichten auf eine interessante Beschäftigung und ein hohes Einkommen haben, werden weiterhin am bestehenden Arbeitsethos festhalten, sich in Schule und Studium engagieren und zwischendurch das eine oder andere Sabbatical einlegen. Das ist eine feine Sache. Jungen Menschen aus der bereits bei der Bildung benachteiligten Hälfte der Gesellschaft, aus Arbeiter- und Migrantenfamilien, wird der Aufstieg jedoch noch schwerer gemacht, als er ohnehin schon ist.“

Weshalb sollte das so sein und weshalb gerade durch das BGE? Interessant ist, dass soziale Mobilität hier offenbar nur auf Erwerbstätigkeit, also Einkommenserzielung, bezogen wird. Zumindest klingt das so. Eine weitere Verknüpfung fällt auf: zwischen familiärer Herkunft, Einkommenschancen und Schule/ Studium. Gerade ein BGE würde doch Kindern aus einkommensschwachen Haushalten erleichtern, ein Studium ernsthaft ins Auge zu fassen, Schülern ans Ausflügen teilzunehmen usw.

Hassel verknüpft wie selbstverständlich Bildungsaspiration und Einkommenschance, ohne es weiter zu erläutern. Wer ist denn heute von den Bachelor-Master-Studienstrukturen am meisten betroffen? Das sind die Kinder aus relativ einkommensschwachen Familien, weil sie nebenbei relativ viel durch Jobs verdienen müssen, um ihr Studium zu finanzieren. Sie sind aber noch in ganz anderer Weise benachteiligt. BA-MA-Strukturen sind – ganz gleich in welcher Ausgestaltung, es gibt rigide und weniger rigide Varianten – stark lenkend. In einem Studium sich auf die Suche zu machen, um herauszufinden, ob einen das wirklich interessiert, was man studiert, ist nicht mehr selbstverständlich. Das war aber die Chance früherer Studiengänge, vor allem der Magisterstudiengänge, in der Vor-Bologna-Zeit. Studienabbruch gilt heute, angesichts der hohen Studierquote, viel mehr als Scheitern denn zuvor. Warum sieht Hassel nicht, dass ein BGE also hier Unterstützung schaffen würde? Entweder ist sie der Meinung, dass Kinder sich nur des BGE wegen um Bildung nicht mehr scheren – weshalb sollte das BGE dafür die Verantwortung tragen und nicht vielmehr das Elternhaus, ein statusorientiertes Bildungswesen, in dem Mittelschichtsgeist herrscht, der schon in Bildungsstudien der 1960er und 1970er Jahre als das eigentliche Problem ausgemacht wurde. Bildungsbenachteiligung durch normative Überwertung der Lebensambitionen der Mittelschicht. Wenn, dann muss all dies auf den Tisch, statt es dem BGE zuzuschreiben.

Sie schreibt weiter:

„Das süße Gift des Grundeinkommens wird sie bei jedem Schritt in ihrer Schul- und Berufsausbildung begleiten. Die Kinder aus dem Berliner Problembezirk Neukölln sagen heute oftmals: „Ich werde Hartzer“, wenn sie gefragt werden, was ihre Berufsziele sind.“

Hier kehrt das Betäubende, Vernebelnde wieder, um dann die Berufswunschäußerung zu zitieren, die oft in diesem Zusammenhang zitiert wird. Und Anke Hassel lässt sie einfach so stehen, nimmt sie als Beleg. Ohne anzugeben, woher sie diesen Ausspruch bezieht, lässt sich wenig dazu sagen. Im Allgemeinen muss man sich allerdings nur fragen, was in Jugendlichen im Pubertätsalter vorgeht, die gerade auf der Suche nach ihrem Platz in unserem Gemeinwesen sind. Ist es angesichts einer Bildungs- und Sozialpolitik, die noch immer der Maxime folgt „Jeder Arbeitsplatz ist besser als keiner“ nicht eine gewaltige Provokation, wenn Autoritäten wie Eltern und Lehrern entgegengeschleudert wird, „Hartzer“ werden zu wollen? Und geht es in der Pubertät oder Adoleszenz nicht entscheidend darum, sich mit den Zumutungen des Erwachsenenlebens auseinanderzusetzen, wozu durchaus das demonstrative Abweisen gehört, wenn es denn dazu dient, die Peer Group zu stärken?

Dass dieser Druck objektiv besteht, kann Frau Hassel nicht entgangen sein, dann muss er aber auch einbezogen werden in die Deutung solcher Äußerungen. Desweiteren werden Problemlagen, die im heutigen Gefüge entstehen, einfach auf ein BGE übertragen. Das Provokative des Ausspruchs, „Hartzer“ werden zu wollen, fiele mit einem BGE doch weg, weil es ein legitimes Einkommen wäre. Wer sagen würde „Ich werde Grundeinkommen“, dem würde wohl entgegnet „Ja, und? Das sind ja alle“.

Echte Integration würde gerade durch ein BGE möglich, weil es Jugendliche als erstes so anerkennt, wie sie sind und sie sich gegen Druck wehren können, der sie in eine Richtung drängt, in die sie nicht gehen wollen. Genau darin besteht ja durchaus das Innovative der Adoleszenz, andere Wegen gehen zu wollen als die Erwachsenen bisher. Das gehört zur Pluralität in einem Gemeinwesen, wie auch das Vertrauen darauf, dass Jugendliche ihren Platz schon finden, sofern man bereit ist, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Hier könnte Anke Hassel nun ernsthaft Sorgen artikulieren, denn wie ist eine solche Auseinandersetzung möglich, wenn die Vollerwerbstätigkeit beider Eltern zunimmt, wenn Betreuungszeiten in Kitas zunehmen, so dass für solche Auseinandersetzungen immer weniger Zeit und Raum bleiben?

Erwerbstätigkeit gewährleistet gerade keine Integration als ganze Person, denn relevant ist der Einzelne in Erwerbsverhältnissen nur bezogen auf Aufgaben, die es zu bewältigen gilt. Es geht diesbezüglich um Leistung. Wer sich dafür nicht eignet, muss gehen, ganz gleich, was für ein Mensch er ist. Es ist eine Illusion – wenn durchaus eine verbreitete – zu glauben, heute und in der Vergangenheit sei Integration auf diese Weise erreicht worden.

Das BGE ist eine starke Solidargeste, die nicht als Fürsorge und nicht als Almosen daherkommt, sondern als demokratisch beschlossene Einkommensgarantie. Weshalb wird das nicht gesehen von der Verfasserin?

Weiter heißt es:

„In Zukunft werden sie stattdessen „Ich werde Grundeinkommen“ dazu sagen. Ihre Zahl wird in dem Maße steigen, wie auch das Grundeinkommen steigt. Ihre Motivation, in sich selbst zu investieren und über qualifizierte Arbeit aufzusteigen, wird täglich auf eine neue Probe gestellt werden, und zwar in einem Alter, in dem man sowieso mit sich und den Anforderungen der Umwelt zu kämpfen hat. Der Rest der Gesellschaft wird sich um diesen Aufstieg noch weitaus weniger kümmern als heute – die Leute sind ja versorgt.“

Nun wird ausgesprochen, was zuvor nur angedeutet war: „in sich selbst zu investieren und über qualifizierte Arbeit aufzusteigen“ – das ist das Ziel. Was bewegt nun Hassel zu diesem Schluss? Liegt er nahe? Doch nur, wenn bestimmte Voraussetzungen gemacht werden, dass nämlich der Wunsch, zum Gemeinwesen beizutragen, grundsätzlich durch ein BGE geschwächt wird. Je höher es ausfiele, um so stärker wäre das der Fall ihrer Meinung nach. Anstrengung, Neugierde, Bildungsprozesse – das alles hängt also davon ab, ob Einkommenschancen bestehen. Gespräche mit Jugendlichen zwischen 14 und 18 über Sozialstaat, Bildung und ähnliche Fragen lassen ebenso andere Schlüsse zu. Zuerst einmal wissen die meisten Schüler wie auch Studenten im ersten Semester überhaupt nicht, was „Hartz IV“ überhaupt ist, wie es bereitgestellt wird, was Bezieher machen müssen. Die Funktionsweise der heutigen Sicherungssysteme ist ihnen meist nicht bekannt. Sie sind, wie es dieser Entwicklungsphase entspricht, sehr mit sich beschäftigt und sehen die Welt aus dieser Perspektive. Deswegen sind die Anforderungen der Umwelt auch eine Zumutung, eine notwendige, um aus dieser Phase herauszukommen. Dass dieser Zumutung trotzig begegnet wird, ist nicht ungewöhnlich. Der Trotz dient auch der Abwehr von Anforderungen, von denen der Jugendliche noch nicht weiß, ob er ihnen entsprechen kann und will.

Wie steht es mit dem zweiten Einwand?

„Zweitens fehlt dem bedingungslosen Grundeinkommen die gesellschaftliche Legitimation. Es lassen sich derzeit keine Modelle vorstellen, in denen alle Teile der Gesellschaft gleichermaßen gewinnen.“

Ist mit Legitimation Mehrheit gemeint? Dass das BGE bislang nicht mehrheitsfähig ist, ist unstrittig (von Meinungsumfragen sollte man sich nicht beeindrucken lassen). Deswegen setzen sich Befürworter ja für eine Diskussion an, um auf etliche Vorurteile und Ilusionen hinzuweisen, mit denen wir leben. Nur weil die Relevanz nicht gesehen wird, setzt das Argumente nicht außer Kraft. Gleichwohl ist es richtig, dass Argumente nicht reichen, denn in der Gestaltung des Zusammenlebens geht es um Werturteile, um die Frage, was man für richtig hält. Eine Diskussion ist aber der einzige Weg in einer Demokratie, um auf Widersprüche in unseren Vorstellungen über unser Zusammenleben aufmerksam zu machen (siehe hier, hier und hier). Es ist also nicht so, dass das BGE den Gerechtigkeitsvorstellungen vollständige entgegenstehe, schon gar nicht der Verfasstheit unserer politischen Ordnung (siehe hier und hier).

Wenn alle ein BGE erhielten und es ausreichend hoch wäre, um auf Erwerbstätigkeit zu verzichten, dann würden doch alle gewinnen, oder ist etwas Anderes gemeint?

„Wahrscheinlich ist daher, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen von der Mitte der Gesellschaft an diejenigen umverteilt, die nicht oder nur in geringem Umfang erwerbstätig sind.“

Das ist missverständlich. Ein BGE erhält doch jeder, es wird also von der Gemeinschaft an alle umverteilt. Oder ist hier die Verteilung der Steuerlast gemeint? Oder das Verhältnis von Nettoempfängern zu Nettozahlern? Wie das gestaltet wird, ist eine praktische Entscheidung.

„Umfassende Sozialleistungen, die über reine Armutsbekämpfung hinausgehen, werden jedoch über bestehende Gerechtigkeitsvorstellungen legitimiert – wie auch sonst? Dazu gehört das Ziel der Chancengleichheit, das etwa Bildungsausgaben oder die Erbschaftsteuer begründet.“

Dahinter steht die Vorstellung, man müsse nur mehr investieren, dann werde das schon. In der Regel ist das verbunden mit starken normativen Lenkungen, so z. B. heute die Ausweitung der Kinderbetreuung sowohl was die Altersspanne der Kinder (ab dem ersten Lebensjahr oder auch früher) als auch die Menge des Angebots betrifft. Einher geht damit die enorme Aufwertung von Erwerbstätigkeit. Über all das verliert Frau Hassel wahrscheinlich deswegen kein Wort, weil sie es für richtig hält. Das ist ihr gutes Recht, nicht aber ein Problem des BGE, das genau daran ja etwas ändern will. Wer Bildung und Erwerbstätigkeit so eng miteinander verknüpft, wie es in dem Beitrag bislang der Fall ist, landet dort, wie wir heute im Bildungswesen stehen. Daran ändern Investitionen gar nichts, sie bestärken es nur. Die Frage ist, wollen wir das? Und wenn wir es wollen, sind wir bereit die Konsequenzen zu tragen?

„Drittens ist das bedingungslose Grundeinkommen das Gegenteil von dem, was eine rasch wachsende Einwanderungsgesellschaft braucht. Bei einer hohen Zahl von Arbeitsmigranten und anderen Zuwanderern sind mehr Mechanismen der gesellschaftlichen Integration nötig und nicht weniger.“

Eben, das geht aber nicht über Erwerbstätigkeit, wenn man damit ernst machen will und so, wie bislang Einwanderung gehandhabt wurde, ist es kein Weg für die Zukunft.

„Es ist eine Erfahrung, die jeder im Alltag machen kann: Menschen begegnen sich am Arbeitsplatz, sie lernen einander kennen, erfahren Wertschätzung und lernen die Sprache. In dieser Situation den Menschen einen Grund zu geben, aus der Erwerbsarbeit auszusteigen, nicht mehr Qualifikationen zu erwerben, sondern zu Hause zu bleiben, wäre ein fatales Signal.“

Auch hier werden wieder zwei verschiedene Formen der Wertschätzung in einen Topf geworfen: Wertschätzung der Leistung einer Person und Wertschätzung der Person um ihrer selbst willen. Am Arbeitsplatz steht Leistung im Zentrum, sie ist die Legitimationsbasis für Arbeitsverhältnisse. Sicher erfährt man manches über Kollegen, das nicht an den Arbeitsplatz gehört, das hat eben deswegen seine problematische Seite.

Die Wendung am Schluss des Absatzes spricht Bände. Weshalb sollte das BGE der Grund sein auszusteigen? Genauso gut ließe sich sagen, dass es eine andere Basis verschafft, einzusteigen. Wer beitragen will, wird beitragen, wer nicht will, wird es nicht tun. Dagegen ist kein Kraut gewachsen, es lässt sich nicht verhindern, wenn partout keine Bereitschaft besteht. Wo der Grund dafür jedoch der stigmatisierende Effekt der heutigen Erwerbszentrierung ist, wird er an  Bedeutung eben verlieren.

Der Schluss des Beitrags erstaunt:

„Dessen ungeachtet brauchen wir eine Debatte über eine gute Gesellschaft, die nicht allein auf Erwerbstätigkeit und den Arbeitsmarkt setzt. Es gibt viel gesellschaftlich notwendige Arbeit, die nicht über den Markt erfolgen kann und die honoriert werden muss. Das bedingungslose Grundeinkommen ist jedoch dafür der falsche Weg.“

Nun hat Frau Hassel nicht die kleinste Bemerkung dazu gemacht, wie sie sich das vorstellt. Angesichts ihrer Ausführungen, die den normativen Vorrang von Erwerbstätigkeit überhaupt nicht in Frage stellen, mag sie an Lebenszeitkonten, „atmende Lebensverläufe“ und ähnliche Arbeitszeitmodelle denken. Das BGE jedoch geht viel weiter und schafft mehr Freiraum als jedes dieser Modell vermag.

Baukje Dobberstein wandte sich in einem offenen Brief an Anke Hassel und kritisierte in ihrem Blog, dass manche Ausführungen überheblich klingen. Dagegen verwahrte sich Anke Hassel so:

„Ich verwahre mich jedoch ausdrücklich gegen den Vorwurf der elitären Überheblichkeit. Ich lebe in dieser Gesellschaft genau wie Sie und habe Zugang zu anderen Menschen. Ich habe Kinder und lange mit jungen Menschen gearbeitet. Es ist völlig unbenommen, dass Menschen, die nicht erwerbstätig sind, ein sinnvolles Leben führen. Warum auch nicht. Es geht hier nicht um intrinsische Motivation sondern darum, ob jungen Menschen die Orientierung an Erwerbsarbeit, die in unserer Gesellschaft die einzige Möglichkeit sozialer Mobilität außer dem Glücksspiel ist, eher genommen wird oder nicht. [Hervorhebung SL| Das ist nicht überheblich sondern eine ernsthafte Überlegung. Als elitär und überheblich empfinde ich es, wenn sehr reiche Menschen für ein BGE plädieren, weil sie davon ausgehen, dass man die Arbeitswelt nicht gerecht organisieren kann oder will. Aber selbst darüber würde ich eher mit ihnen diskutieren und sie nicht diffamieren.“

Diese Sorge wie es um die Orientierung der „jungen Menschen“ stehe, kann man haben. Dann ist man allerdings in der Verantwortung, Argumente dafür anzuführen. Einfach zu behaupten, dass ein BGE diese Orientierung „eher“ nehme, ist kein Argument (siehe „Ich werde Hartzer“). Anke Hassels Beitrag ist voller Voraussetzungen, die ob ihrer diagnostischen Angemessenheit gerade in Frage stehen. Dass soziale Mobilität durch eine stabile Einkommenssituation, wie ein BGE sie schafft, gerade gefördert werden könnte; dass Qualifizierungen außerhalb von Erwerbsverhältnissen erworben werden könnten – das sollte dann zumindest erwogen werden. Ein BGE würde zur Öffnung der außerordentlich starken Erwerbszentrierung führen, das wäre die Chance.

Zum Vorwurf der Überheblichkeit. Anke Hassel weist ihn zurück und setzt auf Diskussion, wie sie am Ende bemerkt. Das ist sympathisch, eigentlich selbstverständlich. Die Passage über die „Ich werde Hartzer“-Jugendlichen, die ich oben kommentiert habe, ist jedoch mindestens ambivalent. Weder wird die Äußerung samt der Hintergründe, vor denen sie gemacht wird, analysiert, noch einbezogen, dass ein BGE eine ganz andere Situation schaffen würde. Von daher wohnt der Passage ein Paternalismus inne, der den Einzelnen bestimmte Freiräume nicht geben will, in der Sorge, sie könnten missbraucht werden. Ist diese Art von Paternalismus mit guten Absichten dann nicht doch überheblich? Stellt man sich nicht über denjenigen, über den man spricht, wenn man weiß, was für sie richtig ist?

Sascha Liebermann

"Elterngeld abschaffen" – Weshalb nicht gleiches Elterngeld für alle oder noch besser: bedingungsloses Grundeinkommen?

Unter dem Titel „Elterngeld abschaffen“ legt Heike Göbel in der FAZ dar, weshalb es gekürzt oder gar ganz eingespart werden sollte. Unter anderem schreibt sie:

„Notwendig wäre es, über eine Abschaffung, zumindest aber Kürzung und starke Konzentration dieser Sozialleistung nachzudenken: Denn das Elterngeld schützt in erster Linie Mittelschichtfamilien vor Verdienstverlust und sichert Vätern als Mitnahmeeffekt bezahlten Kinderurlaub. Es begünstigt damit eine Klientel, die den Staat nicht wirklich braucht.“

Zwar trifft die Diagnose zu, dass vor allem Mittelschichtsfamilien profitieren, da das Elterngeld bis zur Höhe von 1800 Euro relativ zum Einkommen gewährt wird. Noch schwerer wiegt aber, dass Eltern, die vor Bezug des Elterngeldes nicht erwerbstätig waren, nur den Basisbetrag von 300 Euro erhalten. Damit werden zwei Klassen von Eltern geschaffen und Elternschaft abgewertet. Ziel des Elterngeldes ist es, die Erwerbstätigkeit zu belohnen.

Doch Göbel zündet Nebelkerzen. Selbst die maximale Höhe des Elterngeldes von 1800 Euro erlaubt es einer Familie nicht, Großartiges zu unternehmen. In Regionen mit sehr niedrigen Mieten reicht es als einziges Einkommen bestenfalls gerade aus, um über die Runden zu kommen. Wo Mieten höher sind, ist das nicht möglich. Auch heute können nur beide Eltern zuhause bleiben, wenn sie das Elterngeldeinkommen durch Erspartes aufstocken. Wer ist dazu in der Lage? Nur, wer zuvor hat sparen können. Auch hier werden also Besserverdiener bevorteilt. Der Mitnahmeeffekt dieser „Klientel“, wie Göbel sie nennt, ist äußerst wünschenswert, wenn man in Kategorien von Bürger, Verantwortung und Gemeinwesen denkt. Dann wäre die Forderung konsequent, gleiches Elterngeld für alle zu fordern. So republikanisch liberal nun aber sind die Liberalen nicht, auch nicht in der FAZ.

Statt einer Abschaffung des Elterngeldes, wie sie Heike Göbel ganz im Geiste der Bedürftigkeitsdenke fordert, sollte es allen Eltern möglich sein, zuhause zu bleiben, um sich um ihre Kinder kümmern zu können. Das Elterngeld weist hierzu den Weg, wenn auch auf alten Bahnen. Eine wirkliche Neuerung wäre nur möglich, wenn alle das gleiche erhielten, ganz gleich, ob sie es „brauchen“ und ohne es einer zuvor erbrachten Erwerbsleistung zu bemessen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde genau das erreichen und zugleich die Bedürftigkeitsdenke aufgeben.

Erstaunen kann in der Debatte auch, dass sich selbst kritische scheltende Webseiten wie die Nachdenkseiten auf einen solchen Beitag in der FAZ kommentarlos verweisen, wo sonst mit Kommentaren nicht gespart wird. Aber das lässt nur erkennen, wie sehr auch die Kritik heute noch immer in der Denkhaltung festgesteckt, soziale Gerechtigkeit mit Bedürftigkeit in einen Zusammenhang zu stellen. Dass es gerade diese Haltung ist, die ein Fortkommen in der Debatte verhindert uns geradezu blockiert, darauf sind die Kritiker noch nicht gekommen.

Sascha Liebermann

FDP Bürgergeld ist kein bedingungsloses Grundeinkommen

Seitdem der Ausgang der Bundestagswahl zeigte, dass die FDP aller Wahrscheinlichkeit nach Regierungspartei werden wird, nehmen die Pressemeldungen über das FDP Bürgergeld zu. Manche sehen darin einen Schritt zum bedingungslosen Grundeinkommen, weil Leistungen pauschaliert werden sollen, anderen sehen einen weiteren Abbau von Transferleistungen auf uns zukommen. Wer wissen möchte, was es mit dem FDP Bürgergeld auf sich hat, dem sind zwei Broschüren empfohlen, in denen Kerstin Funk (Broschüre ) und Peter Altmiks (Broschüre) ausdrücklich den Unterschied zwischen bGE und Bürgergeld darlegen. Beide Verfasser arbeiten für die Friedrich Naumann Stiftung. Ausführungen finden sich auch im Bundestagswahlprogramm 2009 (S. 9 und 16). Das FDP Bürgergeld ist nicht einmal so liberal wie eine radikale Negative Einkommensteuer, es verzichtet nicht auf die Bedürftigkeitsprüfung und es ist so niedrig angesetzt, dass es gerade keine Freiräume schafft. Darüber hinaus ist die Sprache in den Broschüren Zeugnis für die Haltung der Liberalen: Nicht auf Engagement und Gemeinsinn der Bürger wird vertraut, auf die bildende Kraft der Selbstbestimmung, wie sie den Bürgerrechten zugrundeliegt, sondern auf Anreize. Dass die FDP damit im Kreis derer verbleibt, die in der Bekämpfung von Faulheit und innerer Verwahrlosung die größten Übel der Gegenwart erkennen, ist nicht neu, wir haben darauf jüngst und in der Vergangenheit hingewiesen. (Einen treffenden Kommentar hat auch die Financial Times Deutschland verfasst) Die liberale Rhetorik kann und will gar nicht über den Geist des Arbeitshauses, der sie durchweht und damit die Reduzierung der Bürger auf Erwerbstätige, hingwegtäuschen.

Sascha Liebermann

Nachtrag (11.10.2009): Mittlerweile hat das FDP-Bürgergeld vielfältige kritische Kommentare hervorgerufen. Neben den oben genannten wird es nun ausdrücklich als Sozialstaatsfalle bezeichnet, das Transferabhängigkeit zementiere, so Hilmar Schneider vom IZA. Die Kritik weist zugleich den Weg, den der Verfasser vorschlägt: mehr Workfare, mehr Gegenleistung also, da das Bürgergeld nur den Niedriglohnsektor stärke, sonst aber gar nichts. Große Veränderungen zu Hartz IV bringe es nicht, insofern sei es eine Mogelpackung, oder eben nur eine Änderung der Nomenklatur. Gleichmacherei schaffe das Bürgergeld, so Klaus Ernst von der Linkspartei – ja, wenn es denn wenigstens eine Gleichheit für alle Bürger von der Wiege bis zur Bahre auf ausreichend hohem Niveau wäre, dann wäre das Ziel eines bGE erreicht. Davon ist bei Ernst natürlich keine Rede, auch er frönt dem Arbeitshaus. Es bleibt die Hoffnung, dass die Debatte, wie Enno Schmidt, Wasser auf die Mühlen eines bGE ist, denn sie macht sichtbar, wohin das Bürgergeld führen würde und mit welch aberwitzigem „Weiter so“ die Hartz IV-Befürworter am Alten festhalten. Das hatte wohl auch Götz W. Werner im taz-Interview vor Augen, als er davon sprach, das Bürgergeld helfe, neu zu denken.

Nachtrag (25.10.2009): Andere, wie Michael Opielka und Wolfgang Strengmann-Kuhn, erkennen im Bürgergeld auch Chancen, weil die Auszahlung des Bürgergeldes durch das Finanzamt stattfinden soll. Zugleich soll aber ein Prüfung von Bedürftigkeit und Arbeitsbereitschaft stattfinden, diese aber seien dem Finanzamt „systemfremd“ und würden das Entstehen „neuer Bürokratie“ verlangen, so Strengmann-Kuhn. Würde aber ein echtes integriertes Steuer- und Transfersystem geschaffen, könnte dies zur Negativen Einkommensteuer führen, die ungleich liberaler ist als das Bürgergeld in der jetzigen Fassung und als Hartz IV. Opielka hält die Überprüfung der Arbeitspflicht vom Konzept des Bürgergeldes her für nicht durchführbar: „Die Arbeitspflicht bleibt bei einem Bürgergeld pure Rhetorik“ und sieht dadurch ungewollt ein Grundeinkommen heraufziehen. Bedenkt man jedoch, wie sehr auf Workfare im Wahlkampf direkt und indirekt gepocht wurde, dann wäre es ebenso denkbar, dass genau diese Seite des Bürgergeldes gestärkt und die andere, die Strengmann-Kuhn starkmacht, geschwächt wird. Wir werden sehen.