Einkommen ohne Arbeit – ein Unding für Oswald Metzger

Kaum hatte sich der Landesverband von Bündnis 90/Die Grünen Baden Württemberg für ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen (siehe unseren Kommentar), da reagierte auch Oswald Metzger, ebenfalls Grüner, auf den Beschluß. Hier einige Zitate:

Mit diesem von seinen Befürwortern gern apostrophierten „radikalen Systemwechsel in der Sozialpolitik“ haben sich die Grünen, so sie denn beim Bundesparteitag in Nürnberg im nächsten Monat den gleichen Unsinn beschließen, das parlamentarische Totenglöckchen an den Hals gebunden.
[…]
Leistungsloses Einkommen war historisch auch auf Seiten der Linken nie das Ziel der Politik. Selbst in der „Internationale“ intonierte die Arbeiterklasse nicht ohne Grund den Vers: „Die Müßiggänger schiebt bei Seite!“ Und gerade die Linke proklamierte stets das „Recht auf Arbeit“. Doch das alles ist in Zeiten des Edel-Linken Oskar Lafontaine vergessen.

Vielsagend ist, daß Herr Metzger hier sich an der Linken orientiert und dazu noch die Internationale zitiert. Muße bzw. Müßiggang, also eine Sache um ihrer selbst willen zu tun, ist ihm nicht nur ein böhmisches Dorf, sie ist der Untergang. Dabei aber ist Muße gerade dasjenige, was für Bildung unerläßlich ist, das Bildung als Selbstbildung erst möglich macht. Ohne Muße, ohne ein geduldiges Auseinandersetzen mit einer Sache um ihrer selbst willen, kommt kein Neues in die Welt. Für die Linke, die er hier bemüht, gilt dasselbe wie für die so viel bekämpften „Neoliberalen“ – für beide ist Muße bedrohlich, für beide ist sie „aller Laster Anfang“. Oskar Lafontaine, Klaus Ernst und auch Gregor Gysi würden hier nur applaudieren, ganz entgegen der Einschätzung von Herrn Metzger und ganz konsequent für eine Linke, die den Menschen erst durch Arbeit zum Menschen werden sieht.

Man möchte die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens gern in die rauhe Realität sozialer Brennpunkte schicken, damit sie begreifen, welche fatalen Folgen es hat, wenn Menschen den mentalen Zusammenhang zwischen persönlichem Einsatz und Einkommen von Kindheit an verlieren. Der gutgläubige Bildungsbürger, der an die schöpferische Entfaltung der Persönlichkeit glaubt, wenn der Mensch nicht mehr für das nackte Existenzminimum arbeiten muss (sofern er nicht alt, krank oder gebrechlich ist), unterliegt einer gefährlichen Illusion.

Der Kluge und Lebenserfahrene belehrt die Naiven. Welcher Illusion unterliegen die bGE-Befürworter denn? Etwa der, daß die Würde des Menschen bei der Selbstbestimmung beginnt, daß Selbstbestimmung die Voraussetzung dafür ist, den von Metzger genannten Zusammenhang überhaupt zu verstehen? Daß ein demokratisches Gemeinwesen durch die Anerkennung der Bürger um ihrer selbst willen zusammengehalten wird? Oswald Metzger spielt mit dem Sozialneid, wenn er meint, die Erwerbspflicht öffne den Menschen die Augen über Lebenszusammenhänge – in dem von ihm bemühten Beispiel gelingt das ja gerade nicht.

Einer Antwort auf die Frage, weshalb die intrinsische Motivierung, der Antrieb von innen heraus, manchen fehlt, entflieht Oswald Metzger durch die Verehrung der Erwerbsarbeit. Würde er die Sache ernst nehmen, um die es geht, dann müßte er wohl zugeben, daß der Grund für das von ihm benannte Problem woanders liegt. Wer in einem Milieu aufwächst, in dem Bildungsbemühungen nicht gefördert werden, wer eine traumatisierte Lebensgeschichte hat, der ist so sehr mit sich und der Bewältigung des Alltags beschäftigt, daß er sich kaum auf anderes einlassen kann. Dafür hat Oswald Metzger aber nur verächtliche Bemerkungen übrig. Mit dem vermeintlichen Zusammenhang von Einkommen und Leistung hat dies nichts zu tun. Metzger bedient nur das Klischee vom Sozialstaat, der durch Transferleistungen die Menschen von sich abhängig macht. Schon heute wird Leistung ja auch dort erbracht, wo kein Einkommen winkt: im Ehrenamt, in den Familien und nicht zuletzt durch die Loyalität der Bürger zur politischen Ordnung – das dürfte es Metzger zufolge nicht geben.

Wer es ernst damit meint, für die von Metzger genannten Probleme eine Lösung zu finden, der muß sich von der Bevormundung verabschieden, die in verschiedenen Gewändern, auch bildungsbürgerlich, daher kommt. Bei Metzger soll es nichts geben dürfen, wofür keine Gegenleistung erbracht wird. Manche Grundeinkommensbefürworter, wie z.B. Wolfgang Engler, wollen gar die Gewährung des Grundeinkommens von dem Bemühen um Bildung abhängig machen. – Macht es denn einen Unterschied, worin die Pflicht besteht? Und ist es nicht gerade diese Pflicht, die das Gegenteil bewirkt?

Bildung setzt Neugierde voraus, Bildung ist stets Selbstbildung und geht von einem Willen dazu aus. In der Regel läßt sich diese Neugierde bei Kindern schon beobachten und erst das Bildungswesen schafft es, diese Neugierde erheblich zu dämpfen – das sollte uns zu denken geben. Bildung vollzieht sich also nach den Möglichkeiten und Fähigkeiten des Einzelnen. Auch die Schwächsten haben hierzu die Fähigkeit und sei es, daß Bildung nur darin besteht, den eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten gemäss sein Leben zu meistern. Wollen wir das stärken, bedarf es einer Ordnungspolitik, die den Einzelnen darüber befinden läßt, wo und wie er sich einbringen will. Wenn wir endlich die Vorstellung aufgeben, nur bestimmte Leistungen seien wertvoll, dann haben wir die größte Hürde zur Lösung mancher Probleme aus dem Weg geräumt.

Nachtrag: Oswald Metzger hat nun (20.10.) auf seine Kritiker geantwortet. Es heißt dort u.a.:

Denn wer die sozialpolitische Debatte bei den Grünen, aber auch in CDU und SPD, derzeit verfolgt, kann folgendes Strickmuster erkennen: Der Staat soll es richten! Und zwar durch deutlich höhere Transferleistungen.

Hätte Herr Metzger sich mit dem bGE beschäftigt, müßte er den Vorstoß der Grünen kritisieren, weil er nicht weit genug geht, weil er den Bürgern zu wenig zutraut. Diese Kritik könnte er aber nur vorbringen, wenn er denn selbst den Bürgern mehr zutraute, das tut er aber nicht. Eine konsequent gedachtes bGE erlaubt durch eine stärkere Absicherung der Bürger gerade, ihnen mehr Verantwortung in die Hand zu geben. An die Stelle von Kontrolle und Bevormundung träten mehr Freiheit und Verantwortung. Mehr Staat würde zugleich weniger Staat ermöglichen. Bessere Absicherung als Ermöglichung von Freiheit geht damit einher, den Bürgern mehr zu überlassen, ihnen Verantwortung zurückzugeben. Offenbar kann Herr Metzger das nicht zusammendenken. Weshalb? Weil er glaubt, Leistung entspringe Druck und Not sowie „Anreizen“.

An anderer Stelle heißt es:

Denn wenn der Lohnabstand zu den Erwerbseinkommen nic
ht größer, sondern kleiner wird, dann fällt für eine Reihe von gering qualifizierten Menschen der Anreiz zur Arbeit weg.

Worin besteht denn der „Anreiz“? Wenn jeglicher Zuverdienst anrechnungsfrei ist, dann „lohnt“ er sich. Das bGE erlaubt es ja gerade erst, das sogenannte Lohnabstangsgebot auf deutliche Weise einzuhalten. Dazu aber muß man das bGE als von jedem anderen Einkommen unabhängiges Einkommen konzipieren. Erst wenn es mit nichts sonst verrechnet wird, wird es die erhoffte Freiheit ermöglichen.

Wer Transferleistungen als „Wohltat“ begreift, wie Oswald Metzger, und nicht als Absicherung und Ermöglichung von Freiheit, hat nicht verstanden, was demokratische politische Gemeinwesen zusammenhält: die Solidarität der Bürger als Bürger. Jeder Beitrag zählt, ganz gleich, wo er erbracht wird. Erwerbsarbeit ist eben nur eine Form, nicht aber die entscheidende.

Wer die Finanzierbarkeit eines bGE bzeweifelt, sollte sich ernsthaft mit den Berechnungsversuchen auseinandersetzen. Das Transfergrenzemodell von Helmut Pelzer und Ute Fischer zeigt, wie eine Finanzierungsrechnung als Simulation für die Vergangenheit aussehen kann.

Wer das Gemeinwesen noch immer als Zweckbündnis von Steuerzahlern und nicht als Solidarverband von Bürgern denkt, der braucht wohl die Unterscheidung zwischen „rechter“ und „linker“ Politik noch. Doch, wer in solchen Schubladen denkt, zeigt nur, wie sehr er Politik von vorgestern betreibt, nicht aber eine, die uns in die Zukunft führt.

Sascha Liebermann

Wie aus dem bedingungslosen Grundeinkommen ein Erziehungsinstrument wird – Anmerkungen zur Grünen Grundsicherung

Wiederholt haben wir den Entwurf einer Grünen Grundsicherung von Manuel Emmler und Thomas Poreski kommentiert (Kommentar 1, Kommentar 2). Wir wollten dabei aufzeigen, wie wenig vom BGE übrigbleibt, wenn aus zu frühen polittaktischen Gründen, die Idee zurechtgestutzt wird, bevor ihre Tragweite deutlich und in der öffentlichen Debatte angekommen ist.

Einem Hinweis von Matthias Dilthey folgend, wollen wir hier auf eine weitere Vergabebedingung eingehen, die sich auf Seite 10 des Entwurfs findet. Dort heißt es:

„Die Ausbezahlung der Kindergrundsicherung ist gekoppelt an den Besuch eines anerkannten Halbtagskindergartens (ab dem 3. Lebensjahr), sowie bei schulpflichtigen Kindern an den Schulbesuch im Inland.“

Daß überhaupt ein reduzierter Betrag vorgesehen ist, versteht sich auch nicht von selbst, wenngleich eine solche Überlegung zumindest bedenkenswert ist. Allerdings keineswegs bedenkenswert ist die Einführung einer Pflicht, Kinder in einem Halbtagskindergarten unterzubringen, wenn Eltern die Kindergrundsicherung beziehen wollen. Zwar befinden sich Emmler und Poreski hier in guter Gesellschaft mit unser Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen, doch das zeigt nur, wie weit verbreitet die Vorstellung ist, Bildung oder Kinderbetreuung müsse erzwungen werden (siehe auch das „Elterngeld“).

Wer Eltern nicht zutraut, daß sie in der Regel für ihr Kinder das Beste wollen, der benötigt solche Regulierungen. Begründet werden sie meist mit dem Verweis darauf, wie viele Eltern heute ihrer Verantwortung nicht nachkommen. Weil es das gibt, weil es also Ausnahmen gibt, muß man die Regel danach richten. Weil es Ausnahmen gibt, müssen alle nach ihnen beurteilt werden. Hier soll der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben werden. Dabei wird darüber hinweggegangen, daß wir heute in dieser Hinsicht liberaler sind. Wo Eltern tatsächlich ihrer Verantwortung nicht nachkommen, da haben wir zum Wohl des Kindes das Kinder- und Jugendhilfegesetz geschaffen. Es erlaubt dem Jugendamt eine Intervention zum Wohl des Kindes.

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Selbstbestimmung der Bürger oder Bevormundung durch Erziehungsprogramme? – Anmerkungen zum neuen Buch von Wolfgang Engler

Im Frühjahr 2005 ist Wolfgang Englers Buch „Bürger, ohne Arbeit“ erschienen. In diesem Buch findet man manches zum BGE und auch manch Widersprüchliches. Nun legt er ein zweites Buch vor, das sich mit einem bedingungslosen Grundeinkommen beschäftigt: „Unerhörte Freiheit. Bildung und Arbeit in Zukunft“. Was haben wir davon zu erwarten? Auch wenn wird das Buch nicht direkt besprechen können, so läßt doch der Ankündigungstext Schlüsse zu, die wir mit Äußerungen aus den vergangenen Jahren bekräftigen können.

In einem Gespräch mit Matthias Greffrath, das in der taz abgedruckt war, äußerte sich Engler folgendermaßen:

„Engler: Nein. Es geht darum, Menschen so auszubilden, dass sie mit einem Grundeinkommen etwas für ihr Leben anzufangen wissen. In Kitas, Schulen, Familien und weiterbildenden Einrichtungen müssten Menschen für mehrere Existenzformen präpariert werden: eine, die um den Beruf kreist, und eine für ein Leben ohne Arbeit – weil Menschen nicht reinfinden in die Arbeitswelt, weil sie nicht können oder wollen. Bildungsbemühungen müssen die Voraussetzung für das Grundeinkommen sein. Denn diese Menschen müssen uns, den ‚Financiers’, ein Leben vorführen, mit dem wir wenigstens liebäugeln können.“

Klingt ganz nach Menschenzoo: Die Ungebildeten, die ausschließlich vom BGE leben, müssen den gebildeten Leistungsträgern erst beweisen, daß sie zu einem selbstbestimmten Leben fähig sind, bevor sie ein Grundeinkommen erhalten. Wäre es übertrieben, diese Haltung als reaktionär zu bezeichnen? Keineswegs, sie führt nämlich in eine Zeit zurück, in der es keine souveränen Bürger gab. Wo die Stellung des Einzelnen als Bürger von einer Bedingung abhängig gemacht wird – Bildung –, sind wir in vordemokratischen Zeiten gelandet, da helfen alle netten Vokabeln nichts, die sich in Englers Ausführungen sonst noch finden. Statt unsere Gemeinschaft von Bürgern zu stärken, führt seine Version des BGE zur Erziehungsdiktatur. Die Bildungsverpflichtung greift noch weiter in die Selbstbestimmung ein, als es die Erwerbsverpflichtung tut. Jetzige, wenn auch schon in Gefahr geratene Schonräume im Bildungswesen, in denen die Erwerbsorientierung kaum eine Rolle spielt, sollen offenbar ausdrüchklich der Bürgereziehung dienen. Damit wäre politische Freiheit verloren.

Statt einer fremdbestimmten Vorstellung von Bildung, die erst den Menschen zum Menschen mache, lebt eine Demokratie von der Selbstbestimmung der Bürger, ganz wie echte Bildung Selbstbestimmung voraussetzt.

Ist nun das BGE naiv, wie Engler meint, oder Engler naiv-reaktionär? Es hat in Deutschland eine gewisse Tradition, nach einem Bürger-TÜV zu rufen, wenn man den Bürgern mißtraut. Darin wird die Rettung der Demokratie erblickt, es würde sie aber vielmehr zerstören.

Erschreckend sind nicht diejenigen, die mit ihrem Leben nichts anzufangen wissen. Sie werden sich Hilfe und Rat suchen, wenn sie sie benötigen. Und wenn sie es nicht tun, ist das ihr gutes Recht, solange sie andere nicht gefährden. Erschreckend sind diejenigen, die anderen gerne einen Mangel bescheinigen und eine mögliche Kur nicht den Betroffenen überlassen, sondern sie zum „rechten Leben“ anleiten wollen.

Offenbar haben sich die Fronten verschoben. Nicht mehr die offenkundigen Kritiker sind es, vor denen sich die Befürworter in Acht nehmen müssen. Es sind manche Befürworter selbst, die das BGE in eine Erziehungsprämie umwandeln wollen.

Ein wirkliches BGE ist die Voraussetzung dafür, daß wir uns auch als Bürger auf gleicher Augenhöhe begegnen – wohlan denn, nehmen wir es in die Hand.

Sascha Liebermann

„Ausbildungsbonus“ – weshalb einfach, wenn es auch abwegig geht?

Wieder einmal denken sich unsere politischen Repräsentanten komplizierte „Anreizsysteme“ aus, um Unternehmen dazu zu ermuntern, Arbeitsplätze zu schaffen. War es im letzten Jahr die Initiative 50 Plus, soll nun durch einen Ausbildungsbonus (FAZ, 22. Juni, Wirtschaftsteil) für Unternehmen, also eine zweckgebundene Subvention, darauf Einfluß genommen werden, daß Jugendliche mit niedrigen Qualifikationen und ohne Schulabschluß mehr Chancen am Arbeitsmarkt erhalten. Auch Paten soll es geben, vielleicht ältere Arbeitslose, die Jugendlichen beratend zur Seite stehen. Ob dies alles wohl freiwillig geschehen soll, ob den Arbeitslosen dabei die Wahl gelassen wird, ob sie es überhaupt wollen? Ob denn die Jugendlichen gefragt werden, ob sie es wollen? Angesichts der Hartz-Maschinerie sind Zweifel angebracht.

Sogleich hat der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) diesen Vorschlag, laut FAZ, kritisiert. Es mangele an Qualifikation der Jugendlichen. Anstelle eines solchen Bonus sollten Jugendliche lieber gefördert werden. Ja, ganz recht, aber wie? Da hilft es wenig, wenn die Bundesbildungsministerin fordert, die Zahl der Schulabbrecher müsse reduziert werden.

Welche Chancen bieten wir Jugendlichen denn? Wird Bildung als Selbstbildung verstanden oder soll nur der Nürnberger Trichter je mehr zum Einsatz gelangen, desto mehr er versagt? Seit Jahren folgt die Bildungspolitik – trotz der PISA-Ergebnisse – der Maxime: Anpassung fördern, Individualentwicklung verhindern, Neugierde abtrainieren. Statt auf Neugierde und Interesse bei Schülern und Studenten zu vertrauen und jeden Unterricht, jede Lehre zu ihrer Förderung zu nutzen; statt Erfahrung zu ermöglichen, die von der Bereitschaft des Einzelnen, sich auf sie einzulassen, ihren Ausgang nimmt, zentralisieren wir, entwickeln rigide Lehr- und Studienpläne (Zentralabitur, gestufte Studiengänge). Nicht Bildung, also Vielfalt, wollen wir ermöglichen – wir wollen sie erzwingen. Die Schrauben der Bildungssortiersysteme werden angezogen – Individualentwicklung also durch Zwang und Druck? Als wüßten wir nicht, als könnten wir nicht wissen, wenn wir wollten, daß nirgends Bildungsbemühungen weniger Erfolg haben als dort, wo Bildung erzwungen wird.

Ein Tor, wer glaubt, mit Zwang und Druck könnten wir unsere Probleme lösen. Lehrt uns das Leben nicht, daß dort sich Neues entwickelt, wo Neugierde und Begeisterung, wo Initiative gefördert werden?

Ein bedingungsloses Grundeinkommen (bGE) ist eine einfache, eine wirkliche Antwort auf die Sorgen unserer Zeit. Jugendliche könnten sich frei entwickeln, sich Orte und Personen suchen, von denen sie lernen wollen. Geht heute Druck von der Lage am Arbeitsmarkt aus, würde dieser Druck der Chance der Freiheit weichen. Eine Freiheit, die Anstrengungen erfordert, von jedem – sie ist kein Paradies, sondern eine Zumutung. Jeder aber könnte sein Leben nach seinen Neigungen und Interessen, nach seine Fähigkeiten und Möglichkeiten gestalten – ein Leben in Würde, nicht in Überwachung durch die Hartz-Maschinerie wäre möglich. Da ein bGE den Lohn von der Aufgabe befreite, die Existenz zu sichern, wären Auszubildende für Unternehmen günstiger als heute, ohne daß sie weniger Einkommen zur Verfügung hätten. Das gälte für alle Arbeitnehmer. Sie müßten sich aber gar nicht am Arbeitsmarkt orientieren, könnten Ausbildungen auch jenseits davon absolvieren und sich bürgerschaftlich engagieren. Wo ein Meister ist, ist auch ein Schüler – dazu bedarf es keiner Organisation.

Ein solches Grundeinkommen spricht den Einzelnen Vertrauen aus, wir – die Bürger – sprächen es jedem aus. Interessierte Schüler, Auszubildende und Studenten würden die heutige und erst recht die auf uns zukommende Wirklichkeit der Bildungseinrichtungen fliehen, Einrichtungen, die Bildung verhindern. Statt die Entstehung von Neuem zu fördern und zu initiieren, ist Wissensverwaltung ihr neuer Zweck.

Weshalb abwegig, wenn es auch einfach geht: das bedingungslose Grundeinkommen weist den Weg. Wir müssen ihn nur gehen.

Sascha Liebermann

Bürgergeld und Grundeinkommen – Geniestreich oder Wahnsinn?

Unter diesem Titel hatte die Stiftung Marktwirtschaft zu einer Diskussion über Grundeinkommen und Bürgergeld in den Deutschen Bundestag nach Berlin eingeladen. Der Titel zeugt noch von der Befremdung, die der Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens auslöst, denn ein Geniestreich im Sinne einer genialischen Einzelleistung einer Person ist der Vorschlag keinesfalls. Vielmehr entspringt er einer sachhaltigen Analyse unserer gegenwärtigen Lage und der Möglichkeiten, die sich uns bieten, die wir bislang aber nicht ergreifen wollen.

Götz W. Werner, der den Eröffnungsvortrag hielt, hob vor allem eines heraus, was schon darin zum Ausdruck kam, wie er das Publikum ansprach: Als Bürger seien wir aufgerufen, über das bedingungslose Grundeinkommen nachzudenken, da es eine Vielzahl an Möglichkeiten für unsere Probleme biete. Unser Bemühen, unsere Probleme mit Methoden zu lösen, die diese Probleme erst hervorgebracht haben, habe dazu geführt und könne dies weiter tun, daß das Vertrauen der Bürger in unser Gemeinwesen abnimmt. Das bedingungsloses Grundeinkommen hingegen vertraue in den Initiativgeist des Einzelnen, in dem auch unser Gemeinwesen gründet.

Angesichts des großen Interesses an der Veranstaltung (ca. 300 Gäste, darunter Politiker, Vertreter von Wirtschaftsverbänden und Wohlfahrtsorganisationen) war bezeichnend, wie wenig, beinahe gar nicht, in den folgenden Beiträgen auf genau diesen Punkt: das Vertrauen in den Einzelnen als Vertrauen in die Bürger, eingegangen wurde. Nicht eine Frage in der anschließenden Diskussion griff diesen Zusammenhang auf. Von „Anreizen“ wurde in einem fort gesprochen, von Freiheit war nicht die Rede, denn sie ist das Gegenteil von Anreizen. Prof. Horst Siebert (Vortragsmanuskript) bemerkte an einer Stelle gar: Würde man die „Anreize“ beseitigen, dann bliebe nur die intrinsische Motivation, ein Wahnsinn. Intrinsische Motivation ist in seinem Verständnis offenbar bedenklich, eher ein zu steuernder Trieb als der Ausgangspunkt von Initiative. Da nimmt es nicht wunder, wenn wir unsere ausgefahrenen Bahnen nicht verlassen können: wo Freiheit winkt, droht Untergang.

Um so größer war das Interesse an den Berechnungen, die die vermeintliche Untauglichkeit des bGEs belegen sollten. Prof. Clemens Fuest, als Experte geladen, verlor kein Wort über die Annahmen, die den Berechnungen zu grunde lagen. War von „Beschäftigungseffekten“ die Rede, dann ging es um Erwerbsarbeit, nicht aber um die vielfältigen Formen von Engagement, von denen ein Gemeinwesen lebt. Wertschöpfung wurde nur gefaßt als die in Preisen ausdrückbare volkswirtschaftliche Leistung, nicht aber wurde von der „Leistung“ gesprochen, die in Preisen nicht vorliegt: Erziehung, Bildung, politische Loyalität usw. ohne die unser Gemeinwesen gar nicht bestehen könnte. Neben Götz W. Werner wies nur Katja Kipping (Die Linke/ Netzwerk Grundeinkommen) auf deren Bedeutung hin.

Prof. Fuest behauptete zwar, daß er nur von Fakten spreche, erläuterte aber an keiner Stelle, daß Berechnungen Arte-Fakte sind. Sie sind statisch und schreiben die Annahmen in die Zukunft fort, die den Berechnungen zugrunde liegen – also Annahmen der Vergangenheit. Sie beziehen also gerade nicht die Möglichkeiten ein, die das bGE schafft und wie sich das Handeln der Menschen ändern könnte. Wie sollten Berechnungen auch dazu in der Lage sein, sie simulieren lediglich eine Wirklichkeit, nicht aber sind sie die Wirklichkeit. Diese Borniertheit, vor dem Hintergrund einer schon lange währenden Diskussion auch in den Wirtschaftswissenschaften darüber, wie es möglich ist, nicht-monetär erfaßte Leistungen in Berechnungen auszudrücken, war erstaunlich – vor allem angesichts der Gewißheit, in der sie sich präsentierte. Berechnungen schauen in die Vergangenheit, das bGE hingegen in die Zukunft.

Womöglich war es der Dauerbeschuß der Freiheitsidee mit den „Anreizproblemen“, der sie hat verschütt gehen lassen in der Diskussion. Geradezu beängstigend war es, wie Experten und auch Politiker immerzu von den Anreizen sprachen, die nötig seien, damit wir Bürger etwas leisten. Eine wunderbare Allianz ergab sich zwischen dem Vertreter der SPD (Grotthaus), der Vertreterin der Grünen (Dückert) und Prof. Fuest. Alle gemeinsam gegen das Solidarische Bürgergeld von Herrn Althaus.

Wieder einmal hat sich gezeigt: die Gegner des Grundeinkommens wie die Befürworter stehen auf allen Seiten.

Sascha Liebermann

Bildung setzt Neugierde voraus – das bedingungslose Grundeinkommen schafft Freiräume dazu

Bildung sei für ein Land, das arm an Rohstoffen ist, die Grundlage seines Wohlstands. Solche und ähnliche Weisheiten werden heute von jedem aufgesagt, der seine Lehren aus PISA und anderen Bildungsmessungsstudien gezogen haben will und der sich dazu bekennt, uns aus unserer Misere einen Weg zu weisen. Wer wollte dem im allgemeinen widersprechen?

Doch bei allem Bekenntnis liegt der Teufel im Detail. Was sollen die Maximen sein, nach denen diese Bildung, in der unsere Zukunft liege, ermöglicht wird? Da sie allzuleicht als Heilmittel betrachtet wird, mit dem auch über die Misere derer behoben werden könne, die heute ohne Bildungsabschluß bleiben, ist Besonnenheit unerläßlich. Statt, einer Leerformel gleich, nach Bildung zu rufen, müssen wir uns fragen, welche Bildung wir meinen und was der Grund dafür ist, daß manche ihrer ermangeln.

Bildung setzt eine Bereitschaft, sich zu bilden, voraus. Damit ist nichts Großartiges gemeint, keine bildungsbürgerlichen Ambitionen oder dergleichen, sondern lediglich die Grundlage jeglichen Bildungsprozesses: Neugierde. Darauf hinzuweisen, könnte man für banal halten, doch angesichts der Reformen im Bildungswesen, die zwar von „Bildung“ reden, aber Trichterpädagogik fördern, muß daran erinnert werden. Die Neugierde, die zum einen Bildung erst ermöglicht, zum anderen durch Bildung bestärkt und gefestigt wird, bedarf eines fördernden und ermunternden Bildungswesens (Siehe Sascha Liebermann „Erfahrung ermöglichen oder Wissen vermitteln?„). Nur, wenn es dem Einzelnen die Chance gibt, Erfahrungen zu machen, Unbekanntes in seinen vielfältigen Qualitäten zu erkunden, nur dann wird er ernst genommen, dann wird seine Neugierde als Lebenshaltung bestärkt und gefestigt werden.

Das Bildungswesen allerdings kann nur Möglichkeiten schaffen, es kann das Gelingen nicht garantieren, ganz gleich, ob in der Schule, an der Universität oder sonstwo. Will der Einzelne nicht, läßt sich Bildung nicht erzwingen. Es muß zwar möglich sein, ihn zur Räson zu rufen, ihm seine Verantwortung bewußt zu machen und ihm dann dabei zu helfen, etwaige Schwierigkeiten zu bewältigen. Wo er dennoch nicht dazu bereit ist, stößt das Bildungswesen an seine Grenze. Daran ändern auch all die Bildungsprogramme nichts, die Gutes beabsichtigen, aber statt Pluralität zu ermöglichen Zentralisierung befördern – wie die gegenwärtigen Reformen des Bildungswesens.

Selbständigkeit und Verantwortung werden zwar in Sonntagsreden beschworen, in Sachen Bildung jedoch werden sie den Neugierigen tatsächlich – auch Schülern wie Studenten – allzuselten zugestanden. Es soll nicht mehr ausreichen, Erfahrungen eines Gelingens, damit kehrseitig auch eines Scheiterns, zu ermöglichen. Das Gelingen soll garantiert werden, deswegen gilt idealerweise auch: Es darf keine Studien- oder Schulabbrecher geben. Wir erleben dies gerade mit der Einführung der Bachelor-Studiengänge an den Universitäten, ihr Zweck ist, die Abbrecherquote zu verringern und die Absolventenzahl zu erhöhen – ist beides ein Selbstzweck? Abgedichtet soll der Bildungsprozeß werden, damit bloß keiner zurückbleibt – als könne das überhaupt verhindert werden. Fürsorge paart sich in diesen Fragen allzuoft mit beinahe totalitären Bestrebungen, Bildungsdesinteresse notfalls mit Zwangsmaßnahmen beizukommen. Als sei es nicht legitim, an Bildung desinteressiert zu sein.

Aus diesem Grund, den totalitären Bestrebungen auf der einen Seite und der Verleugnung der Bildungsbereitschaft des Einzelnen auf der anderen, mußte zuvor daran erinnert werden, daß Bildung Bildungsbereitschaft voraussetzt. Woher kommt sie, weshalb ist sie so unterschiedlich ausgeprägt?

Die Antwort hierauf führt uns zu einem blinden Fleck in der Diskussion, dessen Bedeutung im Leben des Einzelnen allzuoft geringschätzt wird: die Familie. Das Scheitern vergangener Bildungsvorhaben könnte uns lehren, daß Bildungsbereitschaft nicht ohne die Familie zu denken ist. Wo Eltern ihren Kindern emotionale Sicherheit und Verläßlichkeit geben und Erfahrung ermöglichen, wird Neugierde gefördert und gefestigt. Wo dies nicht geschieht, kann ein Bildungswesen, das den Einzelnen nach seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten fördert, bestenfalls ein Gegengewicht bilden. Aber, gegen die Eltern ist das nicht zu machen.

Wenn behauptet wird, der Grund für Langzeitarbeitslosigkeit oder dauerhaften Sozialhilfebezug sei mangelnde Bildung, ist das naiv und realitätsfremd. Es soll nicht sein, was nicht sein darf: Daß in unserer Mitte Menschen leben, die eine schwierige Lebensgeschichte haben, eine Lebensgeschichte, die es ihnen kaum möglich macht, Bildungschancen zu ergreifen. Sollten wir sie ihnen deswegen aufdrängen, sie in Programme stecken und mit Kontrollen überziehen? Möglichkeiten können wir eröffnen, wo diese nicht ergriffen werden, sollten wir dies anerkennen. In der Regel werden Bildungschancen heute schon ergriffen, geschieht es nicht, gibt es dafür gute Gründe. Möglichkeiten schaffen, Hilfsangebote unterbreiten ist etwas anders als Bildungs- und Beratungszwang.

Statt weiter eine auf Kontrolle und Existenzdruck setzende Sozialpolitik zu betreiben, statt eine Bildungspolitik durchzusetzen, die sich kurzfristig an der Beseitigung der Arbeitslosigkeit orientiert, sollten wir es den Einzelnen zugestehen, Freiräume nach ihrem Dafürhalten freiheitlich zu nutzen.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen, das dem Einzelnen die Freiheit gäbe, was auch immer er für richtig hielte, zu tun, verschaffte Neugierde als Grundlage von Bildung die angemessene Stellung. Es würde aber auch anerkennen, daß Bildung nicht für alle ein hohes Gut ist: Wer nicht will, muß nicht.

Sascha Liebermann