„Ich bin nicht euer Hund“…

…so ist ein Beitrag von Nicolas Kurzawa in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Bezahlschranke) übertitelt, der über die Erfahrungen von Arbeitsvermittlern im Jobcenter berichtet, Grundlage war ein Besuch im Jobcenter.

Von drei Gesprächen wird berichtet, alle drei sind unterschiedlich – dennoch geben sie Einblick in die alltägliche Arbeit. Solche Berichte kann man nur jedem empfehlen, der sich selbst nicht vorstellen kann, warum jemand Bürgergeld bezieht und er sei denjenigen empfohlen, die mit Haudrauf-Methoden die Debatte um das Bürgergeld angezettelt haben, die behaupten, es gebe ein ungeheures Potential an möglichen Erwerbstätigen, die im Bürgergeldbezug sich ausruhen, ganz zu schweigen von der großen Zahl an „Totalverweigerern“, die dort abhängen und sich ein schönes Leben machen.

Sascha Liebermann

Vollständige Streichung von Sanktionen möglich? Ein Kommentar von Stefan Sell…

…aus dem Jahr 2023 ist zur Klärung hilfreich (siehe den Kommentar hier). Hilfreich ist er, weil zuletzt geradezu empört auf die Vorschläge der Bundesregierung zur „Reform“ des Bürgergeldes reagiert wurde, dabei zeigt ein anderer Kommentar von Stefan Sell aus dem Januar 2024, wer eine solche Verschärfung samt erhoffter Einsparungen schon vorgesehen hatte: die damalige Bundesregierung durch einen Vorschlag des Bundesarbeitsminister Hubertus Heil.

Sell schrieb im Dezember damals:

„Dass das BVerfG unter bestimmten Umständen auch den vollständigen Leistungsentzug als nicht grundsätzlich verfassungswidrig eingestuft haben, ist begründungsbedürftig. Hierzu die Argumentation des Gerichts, die gleichsam von oben nach unten gelesen werden muss: Zwei Begriffe sind hier von zentraler Bedeutung: Der Nachranggrundsatz und eine daraus abgeleitete Mitwirkungspflicht: Dazu das BVerfG, hier zitiert nach dem Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16 (Hervorhebungen nicht im Original):

‚Die eigenständige Existenzsicherung des Menschen ist nicht Bedingung dafür, dass ihm Menschenwürde zukommt; die Voraussetzungen für ein eigenverantwortliches Leben zu schaffen, ist vielmehr Teil des Schutzauftrags des Staates aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG. Das Grundgesetz verwehrt dem Gesetzgeber jedoch nicht, die Inanspruchnahme sozialer Leistungen zur Sicherung der menschenwürdigen Existenz an den Nachranggrundsatz zu binden, solche Leistungen also nur dann zu gewähren, wenn Menschen ihre Existenz nicht selbst sichern können.'“

Entscheidend ist nach Sell dieser Absatz:

„‚Anders liegt dies folglich, wenn und solange Leistungsberechtigte es selbst in der Hand haben, durch Aufnahme einer ihnen angebotenen zumutbaren Arbeit (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II) ihre menschenwürdige Existenz tatsächlich und unmittelbar durch die Erzielung von Einkommen selbst zu sichern. Ihre Situation ist dann im Ausgangspunkt derjenigen vergleichbar, in der keine Bedürftigkeit vorliegt, weil Einkommen oder Vermögen aktuell verfügbar und zumutbar einsetzbar sind. Wird eine solche tatsächlich existenzsichernde und im Sinne des § 10 SGB II zumutbare Erwerbstätigkeit ohne wichtigen Grund im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II willentlich verweigert, obwohl im Verfahren die Möglichkeit bestand, dazu auch etwaige Besonderheiten der persönlichen Situation vorzubringen, die einer Arbeitsaufnahme bei objektiver Betrachtung entgegenstehen könnten, ist daher ein vollständiger Leistungsentzug zu rechtfertigen.‘ (BVerfG, Urteil vom 5. November 2019 – 1 BvL 7/16, Randziffer 209).“

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„Solidarität ist keine Einbahnstraße“…

…so ist das Interview mit Karl-Josef Laufmann, dem Minister für „Arbeit, Gesundheit und Soziales“ in Nordrhein Westfalen überschrieben, das der Generalanzeiger Bonn in der Wochenendausgabe vom 11./12. Oktober veröffentlichte. Darin geht es auch um das Bürgergeld und seine „Reform“. Drei Passagen seien hier kommentiert. An einer Stelle heißt es:

„Das Bürgergeld soll reformiert werden. Was muss sich ändern?

[Laumann] Wichtig ist, dass der Fokus wieder stärker auf der Arbeitsvermittlung liegt und wir die Eigenverantwortung der Arbeitssuchenden stärken. Sowohl in den Jobcentern als auch bei den Agenturen für Arbeit muss es wieder heißen: vermitteln, vermitteln, vermitteln.“

Der „Vermittlungsvorrang“ soll vermutlich wieder gelten, was den Druck auf Arbeitslosengeldbezieher erhöht, Stellenangebote anzunehmen, Laumann verklärt das, wenn er davon spricht, die „Eigenverantwortung“ „zu stärken“. Was erhofft er sich davon, welche Vorteile soll es bringen? Wenn es in Erwerbsverhältnissen darum gehen soll, dass Aufgaben angemessen erledigt und Neuerungen entwickelt werden, verlangt das ein Mindestmaß an Interesse und Bereitschaft, sich darauf auch einzulassen, sich mit der Aufgabe verbinden zu können. Jeder kann wissen, was dabei herauskommt, wenn diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, da reicht schon aus, sich selbst zu beobachten. Wenn nun der Druck erhöht wird, mag das der Statistik helfen und Steuergeld einsparen bei erfolgter Annahme des Angebotes, hilft es aber Unternehmen dabei, dass ihre Wertschöpfung steigt, dass Bereitstellungsprozesse für Güter und Dienstleistungen so ausgeführt werden, wie sie ausgeführt werden sollten? Das kann mehr als bezweifelt werden und Erfahrungen der Vergangenheit haben schon gezeigt, dass dies eher dazu führt, kurzzeitig anhaltende „Vermittlungserfolge“ zu verbuchen, die eben nicht von Dauer sind. Von daher ist das also kein Gewinn, einzig lassen sich Vorurteile bedienen und man kann behaupten, man hätte etwas unternommen, als komme es auf das Ergebnis nicht an.

In einer anderen Passage sagt Laumann:

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Von Hartz IV zum Bürgergeld und zurück

Nachdem die SPD damals in großen Tönen angekündigt hatte, „Hartz IV“ abzuschaffen bzw. hinter sich lassen zu wollen und ein „Bürgergeld“ einzuführen, das in der Ampel-Regierung als Gesetz verabschiedet wurde, folgt dieser sprachkosmetischen Verschleierung nun die amtierende Bundesregierung und macht es der Ampel nach, indem sie mit demselbem Pomp vermeintlich alles umkrempeln will: aus dem „Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende“ wird nun die vollkommen neue und grundlegend andere „Grundsicherung für Arbeitsuchende“. Der damaligen „Abschaffung“ von Hartz IV, die lediglich eine milde Lockerung der Sanktionen beinhaltete, folgt nun die Rückkehr zu Hartz IV mit großen Ankündigungen. Wieder ist die SPD an den hochfliegenden Zielen beteiligt und hat nichts daraus gelernt, die Bürger für dumm zu verkaufen.

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„Der unbedingte Sozialstaat“…

…so lautet der Titel eines Beitrags von Gerald Wagner (Bezahlschranke) in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Der Autor greift eingangs auf die Ergebnisse des Pilotprojektes Grundeinkommen zum einen und diejenigen einer von Sam Altman finanzierten Studie zum anderen zurück, um ein BGE vorzustellen und etwaige Auswirkungen knapp zu erörtern. Die Kritik an den Studien wird nicht ausgespart. Es geht im Beitrag jedoch gar nicht vor allem um ein BGE, sondern um die Ausgaben für den Sozialstaat.

Dann schreibt er an einer Stelle:

„Dabei steht die tatsächliche Einführung eines BGE weder in Deutschland noch in den Vereinigten Staaten zur Debatte. Was allerdings zur Debatte steht, ist die Frage nach einem Ausweg aus der tatsächlichen Bedingungsarmut der längst eingeführten sozialstaatlichen Grundversorgung. Denn nur wenn dies gelänge, könnte der Versuch einer merklichen Verringerung der deutschen Sozialausgaben Erfolg haben.“

Wagner hält offenbar die „Bedingungsarmut“ der Leistungen für ein entscheidendes Problem, doch worauf bezieht er sich? Wenn er auf das BGE referiert, müsste es ihm um die Sicherung des Existenzminimums gehen, die das Bürgergeld bereitstellen soll, doch das ist ja nur eine Leistung unter vielen. Genau im Bürgergeld sind nicht viele Einsparungen zu erreichen, wie jüngst wieder eine Studie des IAB zu bedenken gab. Zu sozialstaatlichen Leistungen zählen aber auch Renten- und Krankenversicherung, doch was hat ein BGE mit denen gemein? Die kann Wagner nicht vor Augen haben, oder etwa doch? Das sind jedoch Versicherungssysteme, wo könnte hier eine „Bedingungsarmut“ vorliegen?

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